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vergönnten Verkehrs mit dem hochgefeierten Dichter einen im Ganzen nur sparsamen Gebrauch machen ließ, so leistete er dennoch dem freundlichen Anerbieten willige Folge *).

Am 12. April 1842 erlebte Delbrück seinen siebenzigsten Geburtstag. „Siebenzig Jahre ein Greis." Wer den rechten Pfad nach oben zu finden gewußt hat, steht als Greis auf der Höhe des Daseins, wo ihm eigenthümliche Vorzüge zu Theil werden. Burdach hat geistvoll nachgewiesen, daß bei Menschen, deren Lebensquell nicht frühzeitig erschöpft wurde, das Alter eigentlich das schönste Leben gewähre, weil man alsdann den höchsten Standpunct der Weltanschauung erreicht habe.

Den Wunsch, noch ein Jahr bei Kräften zu bleiben, sprach Delbrück aus, in Hoffnung, binnen dieser Frist über Manches, was schon lange sein Nachdenken beschäftigt hatte, aber niemals lebhafter als eben damals, auf das Reine zu kommen.

Zu derselben Zeit gab er plöglich das Reiten auf, woran er seit beinahe fünfundzwanzig Jahren gewöhnt war, und welches er bis dahin so leidenschaftlich liebte, daß er és den ganzen Winter hindurch regelmäßig fortseßte, obgleich es ihm nicht selten so peinlich ward, daß er bisweilen halb erstarrt zurückkehrte. Dennoch konnte er nicht davon ablassen, bis er, ohne sich der Gründe deutlich bewußt zu sein, den Entschluß faßte, sein Pferd abzuschaffen.

Die seitdem in seiner Lebensweise und Lebensauffaffung eintretende Veränderung war größer als er sich vorgestellt

*) Vgl. die Schrift: Goethe und Klopstock. Von D. Freimund Pfeiffer (Oberlehrer in Oldenburg.) Leipzig, bei Engelmann. 1842. S. 107-112. (Aus dem Schreiben eines noch lebenden persönlichen Freundes Klopstock's an den Herausgeber.)

hatte. Das Zusammentreffen derselben mit dem Eintritte des 70. Lebensjahres, meinte er, solle vielleicht als Vorzeichen einer noch viel größeren gelten. Er klagte über eine häufig eintretende krankhafte Benommenheit des Kopfes, der er es nicht hoch aufrechnen wollte, daß sie ihm den Genuß des Lebens verkümmerte, wenn sie nur nicht ihm den Gebrauch desselben für seinen Beruf sehr erschwerte. Damals begann er, sich einer der beliebtesten Uebungen der Gymnastik bei den Alten, dem Ballspiele, zuzuwenden, dem er fortwährend zugethan blieb. Daß er Anlaß hatte, das Alter als eine Bürde zu bezeichnen und von seiner Trübseligkeit zu sprechen, war schmerzlich. Tröstlich dagegen erschien, daß in einem solchen Gemüthe durch den Wolkenschleier, den äußere Beschwerden weben, der Ruhe heitres Blau doch immer wieder hervorbrechen muß.

Hocherfreut war Delbrück, den Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. zu erleben. Als Knabe hatte er noch den großen Friedrich gesehen. Als Greis bezeigte er Jenem tiefste Ehrfurcht, mit der Aussicht auf eine erblühende Zukunft, welche das Herrlichste der vaterländischen Vergan genheit überstrahlen werde. Der Augenblick, der ihn am 14. Sept. d. I. des Glückes theilhaftig machte, in dem ehemaligen Zöglinge seines Bruders den gepriesensten Fürsten der Zeit, zum ersten Male von Angesicht zu Angesicht zu sehen, übte einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn aus. Die Erinnerung daran, sagte er, werde ihm, wie früh oder wie spåt sie auch erfolgen möge, die Todes: stunde erheitern, in der er des Himmels Segen über den Landesherrn herabflehen wolle. Die Huld, mit welcher der selbe Delbrück's an ihn gerichtete Worte aufnahm und erwiederte, erfrischte seine alten Tage mit neuem Lebensmuth.

Die ihm mittelst eines Cabinetsbefehls vom 20. d. M. zu Theil gewordene Verleihung des rothen Adlerordens dritter Classe gewährte Delbrück eine Auszeichnung, die außer dem Bereiche seiner Erwartungen, so wie seiner Wünsche lag. Virtuti corona! Es war nicht das Kreuz selbst, dessen Ertheilung seiner Gönner Theilnahme erregte, sondern das eben so seltene als schöne Beispiel, wie das stillste und anspruchsloseste aller Verdienste, selbst gegen seinen Willen, öffentlich gewürdiget worden. Er sogar äußerte, in Erwå. gung, wie Geringes er dem Staate geleistet habe, und daß er als schon kraftloser Greis unvermögend sei, Versäumtes nachzuholen, würde er die ihm zuerkannte öffentliche Auszeichnung demüthig ablehnen, wenn er glaubte, sie als eine nur hervorragendem Verdienste gebührende Belohnung ansehen zu dürfen und nicht vielmehr als unverdientes Geschenk königlicher ihm persönlich zugeneigter Gunst. Diese aber war ihm zu heilig, um damit zu prunken. Also nahm er den auf königlichen Befehl ihm zu Theil gewordenen Ordensschmuck mit tiefstem Dankgefühl in Empfang, um ihn zu verwahren als ein Kleinod, welches lieber sich verbirgt als zur Schau stellt.

Die Lockerung und Lösung der Bande, die ihn an seine nächsten Verwandten knüpften, erfüllte Delbrück oft mit tiefster Wehmuth, brachte einen Riß nach dem andern in sein Leben und beraubte ihn der geistigen Lebensfrische. Bereits vor einem Jahrzehent (4. Juli 1830) war sein Bruder Friedrich), Superintendent der Ephorie NaumburgZeiß, in die Ewigkeit vorangegangen und wohlthuenden Balsam träufelte in Delbrück's verwundetes Herz der Gedanke, in dem Dahingeschiedenen Den zu beweinen, den sein fürstlicher Zögling,seinen ersten, seinen geliebtesten, seinen

treuesten Freund" zu nennen würdigte. Im Jahre 1840, am 26. Aug., verlor Delbrück seinen Bruder Carl, der in Bordeaur ansässig war und den zu überleben er nimmer geglaubt hatte. Ihm folgte am 2. Nov. 1842 sein einziger ihm noch übriger Bruder, Gottlieb, außerordentlicher Regierungs, Bevollmächtigter in Halle. Wenn er gleich mit seinen Brüdern nicht jederzeit einen lebhaften Briefwechsel unterhielt, so stand er dennoch in fortwährendem Gedankenverkehre mit ihnen als ein treuer Gefährte in Freud und Leid. Die Trauer um den Verlust derselben wurde veredelt durch das liebevolle Angedenken, welches er den Verewigten angelobte, und sein gerechter Schmerz lösete sich nach und nach in sanfte Wehmuth auf.

Schon lange war er selbst gewohnt, jedes seiner Lebensjahre für das leßte zu halten, es nicht wünschenswerth erachtend, unter des Alters Bürde seufzend des Lebens Kelch bis auf die Heefen zu leeren. Das merklich zunehmende Alter erschwerte ihm das Arbeiten sehr, machte ihm den geselligen Umgang peinlich und verleidete ihm oftmals die Einsamkeit. Je spårlicher ihm aber seitdem die heiteren Stunden zugemessen waren, um so freudiger hieß er die wenigen willkommen, welche ihm zu Theil wurden.

Manches von ihm nicht mehr gehoffte Wiedersehen mit Freunden, die er unter mannichfaltigstem Wechsel guter und schlimmer Lage in ungetrübter Reinheit bewährt erfun den, gab seinem wohlwollenden Sinne reichliche und erquickliche Nahrung. So das mehrwöchentliche Zusammenleben mit Karl Morgenstern, mit dem er einst in der Vaterstadt Magdeburg die Domschule und spåter die Universität Halle besucht hatte. Mancher um edle Kunst und Wissenschaft durch Wort und That Hochverdiente suchte seine Bekannt

schaft und bereitete ihm in traulichem Vereine genusreiche Stunden oder Lage, an welche ein dankbares Andenken in Delbrück nie erlosch. Auch pries er als eine Morgenrothe, die er am Abende seines Lebens kennen lernte, einige persönliche Bekanntschaften, die ihn wundersam ergriffen, als Zeugniß für Platon's geheimsinnige Lehre von Wieders erkennung verwandter Seelen, welche in einem vorirðischen Dasein durch gemeinsame Betrachtung des Göttlichen mit einander froh und selig gewesen; indent er wünschte, daß es Gott gefallen möge, sie in einem nachirdischen zür innigsten Befreundung sich vollenden zu lassen.

Umgang mit gebildeten Frauen gehörte zu Delbrück's Lebensbedürfnissen. An allen Orten seines Aufenthaltes wurde ihm durch solche manche Stunde auf das schönste ausgezeichnet. Einige seiner Schriften würden ohne derars tige freundliche Einsprache nicht unternommen, ohne den fortwährenden Beistand einer solchen Theilnahme nicht vollendet sein. Noch in späteren Jahren äußerte er im Rück blicke auf sein Leben in Berlin, daß ihm die Gedanken damals nicht eben niedrig gestanden haben könnten, da er in einer seiner ersten Schriften es gewagt, edle Frauen über das Schöne redend einzuführen.

Jedes Gespräch unter Männern, wenn es nicht nur dem Schlummer dienen soll, muß Streit und leichte Scharmüßelei sein und oft wird Spiel und Gegenspiel der Worte allein des Kampfes wegen geführt. Da Delbrück's Herz alles fest und ernst nahm, was im lebendigen Flügelschlag des geistigen Gespräches unter Freunden auf den leichten Schwingen des Augenblicks unschuldig hin und wegfliegt: so war allerdings die Reue wohl zu erklären, welche er in Folge irgend einer von ihm gethanen Aeußerung auch da

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