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FRIEDRICH SCHLEGEL

1794-1802

SEINE PROSAISCHEN JUGENDSCHRIFTEN

HERAUSGEGEBEN

VON

J. MINOR

ZWEITER BAND

ZUR DEUTSCHEN LITERATUR UND PHILOSOPHIE

WIEN 1882

VERLAG VON CARL KONE GEN

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Vorrede.

Der vorliegende zweite Band der Friedrich Schlegel'schen Jugendschriften enthält die Schriften zur deutschen Literatur und Philosophie, denen sich je ein Aufsatz zur ausländischen Philosophie (über Condorcet) und Literatur (über Boccaccio) chronologisch anschliesst.

«Die Deutschen sind ein recensirendes Volk; und in den sämmtlichen Werken eines deutschen Gelehrten wird man eine Sammlung von Recensionen eben so zuversichtlich suchen, als eine Auswahl von Bonmots in denen eines Franzosen»: so sagt Friedrich Schlegel in dem Aufsatz über Forster. Eine Sammlung von Recensionen beginnt daher zweckmässig diesen Band. Von der chronologischen Ordnung abweichend, nach welcher die philosophischen Kritiken über Condorcet und Kant hätten vorhergehen müssen, habe ich die Angriffe gegen Schiller obenan gestellt, weil sie dem ganzen Bande und Schlegels Auftreten auf diesem Gebiete seine Signatur geben und den wichtigsten Wendepunkt in der Geschichte der Romantik bezeichnen.

Seinen jugendlichen Grundsatz, nie anonym zu schreiben, hat Friedrich Schlegel bald aufgegeben. Bei der Ausscheidung der ihm zugehörigen anonymen Recensionen aus dem Journal Deutschland bin ich selbständig vorgegangen; aber im ganzen zu denselben Resultaten gekommen, in denen schon Koberstein (Grundriss IV5 618, 72) und Haym (201 Anm. 3) übereinstimmten. Auf eigene Autorität schreibe ich Friedrich Schlegeln die wichtige Recension des 2. bis 5. Horenheftes 1796 zu. Es ist hier zunächst ein anderer Recensent zu constatiren als der im 3. Stück von <<Deutschland» das 10. bis 12. Horenheft 1795 besprochen hatte; denn dieser findet die Charaktere in Engels Lorenz Stark

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verzeichnet, während unser Recensent gerade die feine Charakterzeichnung rühmend hervorhebt. Trotz der gut masquirten Unpartheilichkeit, mit welcher A. W. Schlegels Beiträge besprochen werden, verräth sich Friedrich bald als den Verfasser der Recension: wenn er seinen Liebling Aristophanes den Prüfstein unter den alten Klassikern nennt der den seichten Schwätzer und den Kenner unterscheidet; wenn er für die zergliedernde Kritik Parthei nimmt, womit das Lyceumfragment 57 (S. 191) zu vergleichen ist; wenn er sich ganz im Sinne des Athenäumsfragmentes 172 (S. 230) und des Aufsatzes über Wilhelm Meister (S. 177 Z. 26-28) über die Unergründlichkeit der Werke des Genius auslässt; wenn er ganz übereinstimmend mit der Recension des Niethammer'schen Journals es als die oberste Aufgabe der Kritik hinstellt den Werth eines Werkes zu bestimmen. Der Ausspruch «Goethe schwelge zu sehr im Genusse seines vollendet schönen selbst» ist der Rest seines frühern Hasses gegen den in Selbstvergötterung gesunkenen Goethe (Haym 874). Die schreienden Härten und empörenden Nacktheiten, welche der Recensent bei Shakspeare findet, der Satz dass erhabene Verzweiflung die Seele des. Hamlet sei und die folgende Parallele zwischen Hamlet und Faust verrathen deutlich den Verfasser der Schrift «über das Studium», von welcher das vorhergehende Heft des Journals Deutschland einen Auszug aus den ersten 10 Bogen gebracht hatte. So stimmt auch der Ausspruch dass die Schönheit das Gesetz und Ziel der antiken Poesie gewesen sei und die S. 15 geäusserte Ansicht über das griechische Kunsturtheil ganz mit «die Griechen und Römer» (vgl. Bd. I 168) überein. Endlich weist der Ausdruck durchaus auf Schlegel: die Gedanken «lustwandeln» (vgl. Raich 84) den leichten Gang eines ruhigen Gesprächs; der Ausdruck ist «fröhlich», oder «bis zur Vollendung ausgefeilt und von bewunderungswürdiger Eurhythmie»; es dämmert in den Köpfen der «Vernünftler>> man erkennt hieraus leicht Friedrich Schlegels Jargon und Lieblingswendungen.

Für die Recension des Xenienalmanaches haben wir neuerdings ein direktes Zeugnis erhalten. Novalis berichtet (bei Raich 24) dass er das zehnte Stück Deutschland erhalten habe: «Die [es folgt ein unleserliches Wort]... kannt ich schon und Du weisst dass ich sie sehr bewundere. Die Bruderrettung wird

man Dir, wie dem Timoleon den Brudermord, aufmutzen.» Diese Stelle kann sich nur auf die Recension des Xenienalmanaches beziehen, worin A. W. Schlegels Pygmalion «gerettet» wird. Eine eigenthümliche Ironie liegt darin, dass sowol das «naive Epigramm», wie die Epigramme auf Reichardt, welche Schlegel in der Absicht Schiller zu kränken so beissend durchliess, nach Carolinens späterer Erfahrung (Waitz I 185) von Goethe herrühren. Die Recension der letzten Horenstücke erhält durch die Erwähnung des Streites mit Woltmann (bei Raich 37) ein neuerliches äusseres Zeugnis; Karoline läugnete irgend welchen Antheil daran zu haben (Waitz I 191).

Die Recension von Herders Humanitätsbriefen gehört entschieden Friedrich Schlegeln an; man vergleiche das S. 43 Z. 24 --27 über den Gang der modernen Poesie gesagte mit dem Gespräch über die Poesie S. 353 Z. 25-28. Die Recension der Fülleborn'schen Schriften betreffend füge ich den von Haym geltend gemachten Gründen den Ausdruck «ausschweifen» (S. 48 Z. 36) in jener übertragenen Bedeutung hinzu, welche sofort Friedrich Schlegel verräth. Er sagt Bd. I S. 22 Z. 31: «wer in Marmor ausschweift, erstarrt»; er redet a. a. O. S. 171 Z. 22 von den «Ausschweifungen des wahrhaft grossen Künstlers» etc.

Abzusprechen ist Friedrich Schlegeln die Recension über eine poetische Epistel Mansos im 8. Stück Deutschland, welche auf Grund des Briefwechsels der Brüder A. W. Schlegeln angehört (Haym 744 Anm.). Diesem war irrthümlich auch Friedrichs Aufsatz über Goethe zugeschrieben worden (vgl. Bd. I S. 114). Das 5te Stück Deutschland brachte die Probe einer neuen Uebersetzung von Shakespeares Werken (Romeo und Julie V 3), mit «A. W. Schlegel» unterzeichnet. Wilhelm hatte die Absicht eigene Aufsätze für «Deutschland» zu liefern, war aber wegen des Honorars besorgt; Friedrich beruhigte ihn zwar hierüber, rieth aber wegen des Verhältnisses zu Schiller zur Ueberlegung (Caroline I 176). Friedrich, der im entlehnen fremder Gedanken nicht faul war, wollte deshalb Wilhelms und Carolinens Gedanken über Wieland?) mit seinen eigenen Zusätzen vermehrt unter seinem Namen bei Reichardt erscheinen lassen, der auch Wilhelm als seinen Verbündeten betrachtete. Wirklich scheint nun Wilhelm, da er die Recension der Manso'schen Epistel als sein

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