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Von der Illusion.

§. 11.

Wenn eine Nachahmung so viel Ähnliches mit dem Urbilde hat, daß sich unsere Sinne wenigstens einen Augenblick bereden können, das Urbild selbst zu sehen, so nenne ich diesen Betrug eine ästhetische Illusion.

Der Dichter muß vollkommen sinnlich reden; daher müssen uns alle seine Reden ästhetisch illudiren.

§. 12.

Soll eine Nachahmung schön seyn, so muß sie uns åsthetisch illudiren; die obern Seelenkräfte aber müssen überzeugt seyn, daß es eine Nachahmung, und nicht die Natur selbst sei.

Denn das Vergnügen, das uns die Nachahmung gewährt, besteht in der anschauenden Erkenntniß der Übereinstimmung desselben mit dem Urbilde. Es gehören also folgende beide Urtheile dazu, wenn wir an einer Nachahmung Vergnügen finden wollen: dieses Bild gleicht dem Urbilde;" dieses Bild ist nicht das Urbild selbst." Man sieht leicht, daß jenes Urtheil vorangehen muß; daher muß die überzeugung von der Ähnlichkeit intuitive, oder vermittelst der Illusion; die überzeugung hingegen, daß es nicht das Urbild selbst sei, kann etwas später erfolgen, und daher mehr von der symbolischen Erkenntniß abhangen.

§. 13.

Da uns die Nachahmung an und für sich selbst nicht so sehr vergnügt, als die Geschicklichkeit des Künstlers, der sie zu treffen gewußt hat, so sehen wir uns bei der Beurtheilung der schönen Künste über alles hinweg, wozu keine größere Geschicklichkeit von Seiten des Künstlers erfordert worden wäre, es nachzuahmen.

a) Daher sind die äußerlichen Verzierungen bei einer dramatischen Vorstellung nur zufällig, und öfters schädlich, wenn sie durch ihre eigene Schönheit unsere Aufmerksamkeit von der Borstellung abwenden. Es ist genug, wenn die Verzierungen nicht durch einen offenbaren Widerspruch der Illusion schaden.

b) Ja es ist nicht einmal nöthig, daß ein dramatisches Stück aufgeführt würde, um zu gefallen. Wer beim Lesen urtheilen kann, ob der Dichter sein Stück mit der gehörigen Kunst ausgearbeitet, und ob er es so gemacht hat, daß es durch die lebendige Vorstellung eines höheren Grades der Nachahmung fähig werden kann; der kann die äußere Vorstellung leicht entbehren. §. 14.

Das beste Mittel, uns intuitive von dem Werthe der Nachahmung zu überzeugen, ist, wenn vermittelst der Illusion unangenehme Leidenschaften in uns erregt werden.

a) Wenn wir eine gemalte Schlange plößlich anblicken, so gefällt sie uns desto besser, je mehr wir uns davor erschreckt haben. Aristoteles glaubt, wir ergößten uns, weil wir von der vermeinten Gefahr befreit worden wåren. Allein wie unnatürlich) ist diese Erklärung! Ich glaube vielmehr, der kurze Schrecken überführt uns intuitive, daß das Urbild getroffen sei.

b) Daher gefallen uns alle unangenehme Affecten in der Nachahmung. Der Musikus kann uns zornig, betrübt, verzweiflungsvoll u. s. w. machen, und wir wissen ihm Dank für die unangenehmen Leidenschaften, die er in uns erregt hat. Man sieht aber, daß in diesen Fällen das zweite Urtheil: diese Affecten sind nur nachgeahmt, unmittelbar auf den Affect folgen muß; weil sonst die unangenehme Empfindung, die aus dem Affecte entspringt, größer seyn würde, als die angenehme, die eine Wirkung der Nachahmung ist.

c) Aus diesen Gründen lassen sich die Gränzen des bekannten Gefeßes bestimmen: die schönen Künste sind eine Nachahmung der Natur, aber nicht die Natur selbst.

Zufällige Gedanken über die Harmonie der inneren und äußeren Schönheit.

(Um das J. 1755,)

(Aus I. Heinemann's Moses Mendelssohn. S. 57—66.)

Die Maschinen der Natur sind von den Kunstmaschinen darin unterschieden, daß bei jenen das Innere und Äußere, Materie und Form, Kraft und Schein, allezeit in der genauesten Verbindung stehen; welches aber bei den Werken der Kunst nicht statt findet. Die Baukunst macht eine Ausnahme. Die Ges bäude müssen den Schein der Festigkeit und Bequemlichkeit haben. Die Materie verhält sich bei den Werken der Kunst bloß leidend, und der Künstler drückt ihr durch eine fremde Kraft eine ihr gleichgültige Form ein; dahingegen die Natur durch innere Kräfte die Materie in die gehörige Form bringen, und also durch innere Kraft den äußern Schein wirken läßt. Es wird sich also bei den Naturmaschinen, durch diese Harmonie des Innern und des Äußern, von dem Einen auf das Andere schließen lassen; bei den Kunstmaschinen aber nicht. Mit andern Worten: die Naturmaschinen haben eine Physiognomik, die Kunstmaschinen aber nicht.

Zwischen Güte und Schönheit findet dieselbe Harmonie statt, wie zwischen Kraft und Schein; denn die Schönheit ist nichts anderes, als sichtbar gewordene Güte und Tüchtigkeit.

Da aber die Güte etwas objectivisches ist, bei der Schönheit hingegen viel subjectivisches mit unterläuft, so kann diese Harmonie nicht vollständig seyn. Mancher Gegenstand kann Schönheit lügen, mancher seine Schönheit zu sehr verbergen, wenn nämlich die innern Eigenschaften außer dem Gebiete des ästhetischen Gefühls liegen.

Die Vorsehung hat dafür gesorgt, mehrentheils innere Tüchtigkeit durch äußere Schönheit, Güte durch Annehmlichkeit zu erkennen zu geben. Da aber dieses nur eine Nebenabsicht gez wesen, so hat sie zuweilen höheren Absichten weichen müssen, wenn sie mit ihnen in Collision gekommen. Hierher gehört der Geschmack der Speisen und ihre Gesundheit oder Zuträglichkeit für den menschlichen Körper.

Das Symbol der außern Schönheit mit bösem und gefahrvollem Innern verknüpft, ist das Haupt der Meduse, das mit Schlangen geziert ist, weil auch diese Schönheit in Form und Bewegung mit innerem Schädlichen verbinden. Hingegen war die Hermessäule nach der Beschreibung, die, wo ich nicht irre, Alcibiades im Gastmale des Plato davon macht, ein Sinnbild der inneren Vortrefflichkeit, mit äußerer Häßlichkeit verbunden. Der Elephant verbirgt mehr als thierischen Verstand und eine feine, beinahe edle Empfindsamkeit unter einem plumpen äußeren Wesen, das nicht den mindesten Geist verspricht.

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Jede Naturmaschine ist in doppelter Rücksicht der Schönheit und Häßlichkeit fähig: 1) als Form, und 2) als Ausdruck; als Form, insoweit die Maschine sich in Linien und Flächen endigt, die sowohl in Ruhe, durch Wendung und Farbe, als zum Theil in Bewegung, an und für sich betrachtet, schön, reizvoll, erhaben u. s. w. seyn können. Man kann dies die todte Schönheit der Naturmaschine nennen. Da aber auch das Äußere derselben ein natürlicher Ausdruck des Inneren ist und die guten und bösen Eigenschaften, die Vollkommenheiten und Mängel der Dinge sichtbar macht, so machen sie auch in dieser Betrachtung einen angenehmen oder widrigen Eindruck, erregen Gefallen oder Mißfallen, sind schön oder häßlich.

Die lebendigen Schönheiten sind von verschiedener Urt. 1) Die organischen oder sinnlichen Merkmale, welche die innerlichen organischen Vollkommenheiten natürlich ausdrücken; z. E. die äußerlichen Kennzeichen von Gesundheit der Pflanze, von ihrer Fähigkeit zum Wachsthum, Nahrung und Fortpflanzung.

2) Die thierische Schönheit, oder sinnlichen Merkmale der inneren thierischen Vollkommenheiten, als der Empfindung, Willkühr und des Naturtriebes. 3) Menschliche oder geistige Schönheit, d. i. sinnliche Merkmale, welche Vernunft, Freiheit des Willens, Empfindsamkeit, Sittlichkeit, und die übrigen Eigenschaften eines vernünftigen Wesens auf eine natürliche Weise ausdrücken.

Es giebt auch zufällige Schönheiten, d. i. Merkmale, welche gewisse innerliche Eigenschaften nicht durch natürliche Verbindung, sondern bloß durch zufällige Association der Begriffe andeuten, und also nur gewissen Personen eigen seyn können. So nehmen uns zuweilen gewisse Gesichtszüge ein, die an und für sich unbedeutend sind, uns aber gefallen, weil wir sie an gewissen Gegenständen unserer Liebe und unserer Hochachtung wahrgenom= men haben. Die Nachahmung äußerlicher Fehler und Mångel großer verehrungswerther Männer ist daher zu erklären. Es ist nicht immer bloß niederträchtige Schmeichelei, wie Mancher zu glauben geneigt ist.

Aus der harmonischen Verbindung und Vereinigung aller dieser Schönheiten entspringt die Schönheit des Menschen.

Zwischen der todten und lebendigen Schönheit findet abermals eine Harmonie statt, insoweit die Natur die innere Vollkommenheit des Lebens mehrentheils durch schöne Formen, Farbe und Bewegung zu erkennen zu geben pflegt. Jedoch finden auch hier häufige Ausnahmen statt.

Die unmittelbare Vorstellung einer Sache, d. h. wie sie sich uns ohne Zergliederung, Überlegung u. s. w. darstellt, heißt ihr Schein.

Angenehm ist eine Vorstellung, wenn sie uns mehr unsere Kräfte, als ihre Einschränkung empfinden läßt, d. h. wenn sie unsere Kräfte ohne Anstrengung beschäftigt.

Eine Sache, die einen angenehmen Schein hat, ist schön. Es giebt kein absolutes Ideal der Schönheit; sondern jedes Subject erfordert, nach dem Maaße seiner Kräfte und Fähigkeiten, ein anderes Ideal, das demselben entspricht. Ein absolutes Ideal würde alle vorhin angeführte Schönheiten in dem höchsten Grade und in der vollkommensten übereinstimmung verbinden. Dieses. ist so wenig möglich, als daß sich ein Körper mit der allergrößten Geschwindigkeit, oder nach allen Richtungen zugleich bewege.

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