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haben, unsere Leser hauptsächlich mit dem Genie der angezeigten Dichter bekannt zu machen. Wir kommen nunmehr auf die übrigen Stücke, die in dieser Sammlung enthalten find.

Das Gedicht über den Tod des Hrn. Prof. Summermann in Duisburg ist eines von den mittelmäßigen Stücken unsers Dichters, das aber immer nur in Vergleichung gegen seine bes= seren Stücke mittelmäßig zu nennen ist. Die erste Strophe ist neu, und enthålt eine sehr schöne Erdichtung:

Da steht sie nun in goldnem Tage
Die Göttliche, sie die Gerechtigkeit;
Und wiegt bemüht auf der verglichnen Wage
Sein ganz Verdienst, und seine Lebens Zeit.
Sie sieht erstaunt die Schale plöglich sinken,
Die sein Verdienst in vollem Haufen trägt.
Was soll die Uhr? was rückt sie mit der Linken
Den Zeiger fort? Es knarrt, die Stunde schlägt.

Übrigens herrscht in der ganzen Ode ein ängstliches und gekünsteltes Wesen, das uns kaum in Lehrgedichten noch ertråglich ist; und wir finden verschiedene Stellen, die sehr ins Galimathias fallen: die Mâcenen kommen mit frischem Wuchs „ins Wesen“; „durch den Staub des Erblaßten, der sich zur ,,Wolke würbelt, bricht sein Ruhm mit grünen Stralen"; ,,sein dröhnend Lob eilet ihm muthig nach," u. dgl. m.

Das Schreiben an den Herrn Cuno enthält eine edle Be schreibung von dem Charakter des Lehtern, als eines rechtschaffnen und wahrliebenden Mannes, deren Züge durch die Sprache des Herzens ausgedrückt zu seyn scheinen.

Eben diese Sprache giebt sich in dem folgenden Gedichte: Sokrates oder von der Schönheit zu erkennen. Ohne innerliche Empfindung wird man wahrscheinlicher Weise niemals den schwärmerischen Geist der sokratischen Schule mit so vieler Lebhaftigkeit ausdrücken. Lasterhafte Gemüther mögen sich noch so sehr bemühen, die Sprache der Tugend nachzukünfteln; es bleiben ihr immer noch einige feine Züge, die nur von ihren wahren Vertrauten bemerkt werden. Wir wollen einige Strophen aus diesem sehr schönen Gedichte zum Muster herseßen:

Als jüngst der laue May mich in die Fluhren brachte,
Und ich, voll von mir selbst, mein eigen Hers durchdachte,
Befiel mich Wachenden der Träume heil'ge Ruh.
Ich sahe Sokrates, als säh' ich das Vergnügen
In leiblicher Gestalt auf Phädons Schultern liegen.
IV, 1.

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Ihm warf ein Ahornbaum gekühlte Schatten zu
Er sange lächelnd froh, in wunderbaren Tönen,
Und Phädon hörte zu, vom allgemeinen Schönen 2c.

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Licht! Schönheit! höchster Plan! Natur! selbständig Wesen!
Geist! oder was du dir für Namen sonst erlesen;
Beweger! Tugend! Kraft! Du, die in allem lebt!
Wie stark bist du? wie groß? Wie vielfach ausgegossen ?
Auch ich bin deiner Art und aus dir hergeflossen,

Und flüß' in dich zurück, wann sich mein Geist erhebt.
Ach! ich bescheide mich und decke meine Blöße;

Um dich allein gefall' ich mir.

Nur bloß ein Theil der ungeheuren Größe,
Ein Theil, jedoch ein Theil von dir.

Ganz herrlich, ewig jung, nie fähig zum Veralten,

In täglich sterbenden, stets werdenden Gestalten,
Bleibst du das, was du warst, stets voll und immer neu.
Hier treten Wesen auf, dort gehen Wesen unter,

Du tilgst und zeugest stets; stets wirkend und stets munter,
Sorgft du, daß jeder Tod ein Brunn des Lebens sey.
Dort schwindt die flüchtige Pracht, der abgelebten Floren;
Doch Floren folgt Pomona nach :

Und jene wird von dieser neu gebohren,

Das Grabmahl wird ein Brautgemach u. s. w.

Rühmt, Unersättliche, des Reichthums schwere Bürde!
Was ist das Flittergold vor Schimpf erkaufter Würde?
Was bringt die Wollust doch in falschen Erndten ein?

Wie fällt es hier so schwer, nicht stets aus Furcht zu wachen?
Noch schwerer, durch Verdienst des Glücks sich werth zu machen,
Am schwersten, fromm im Glück, im Unglück froh zu seyn.
Wo so viel Böses schreckt, bleibt das geringe Schöne

Noch kaum der mindsten Mühe werth;

Schau Phädon! schau wie Griechenlandes Söhne

Ihr Fall, noch mehr ihr Glück beschwert!

Zulegt folgt ein kurzes Gedicht auf die Freundschaft und ein Abschied von der Dichtkunst, Gedichte, darin er dem Jungling, der nach ihm wird dichten wollen, einige Lehren giebt. Wir wollen folgende Strophe daraus anführen:

Den Geist muß Helle dir, und Rom den Wohlklang zeigen,

und Frankreich, wie man sie verneut,

Denn mache dir den Schaß der Britten eigen,

Den deutscher Fleiß den Dichtern leiht.

De sacra poesi Hebraeorum, praelectiones academicae Oxonii habitae, a Roberto Lowth A. M. Collegii nuper socio et poeticae praelectore; subjicitur metricae Harianae brevis confutatio et oratio Crewiana. Oxonii MDCCLIII. in 4to. 338 Seiten. das ist:

Robert Lowth's akademische Vorlesungen von der heiligen Dichtkunst der Hebråer; nebst einer kurzen Widerlegung des Harianischen Systems von der Prosodie der Hebråer.

(aus der Bibl. der schönen Wiss. und der fr. K. Bd. 1. Stück 1. 1757. S. 122-—155., und Stück 2. 1701. S. 269-297.)

So viele Köpfe sich von je her mit der heiligen Schrift, mit diesem göttlichen Schaße von Erkenntniß und Gottesfurcht, beschäftigt haben, so vielfältig sie überseßt, erklärt, und bald philosophisch, bald theologisch erläutert worden ist; so wenig hat man sich Mühe gegeben, uns die Quelle der Schönheit zu zeigen, die an derselben von Kennern der Grundsprache nicht genug bewundert werden kann. Man liest den Homer, Virgil und die übrigen Schriften der Alten; man zergliedert alle Schönheiten, die darin enthalten sind, mit der größten Sorgfalt, und giebt sich alle Mühe, unsern Geschmack nach ihrem Muster zu bilden; aber selten bekümmert man sich um die Regeln der Kunst, nach welchen jene göttliche Dichter unter den alten Hebräern die erha= bensten Empfindungen in uns rege machen, und unmittelbar den Weg nach unserm Herzen zu treffen wissen. Der feine attische Geschmack, den wir aus den Schriften der alten Griechen und Römer schöpfen, kann sehr leicht in Weichlichk.it ausarten; aber der åchte orientalische Geschmack, der in den Schriften der heiligen Dichter herrscht, ist allzu männlich, allzu edel, als daß er uns je zu unwürdigen Gesinnungen verleiten könnte. Man hat daher schon långstens gewünscht, die Regeln der Schönheit in den alten hebräischen Dichtern erklärt, und das Genie ihrer Dichtkunft mit seinen besondern Charakteren bezeichnet zu sehen. Wer

diesem Werke gewachsen seyn will, muß freilich etwas mehr als die hebräische Grammatik inne haben; er muß mit der Erkenntniß der Sprache einen sichern philosophischen Geschmack verbinden, und das Genie verschiedener Völker gegen einander zu halten und zu unterscheiden wissen. Wir getrauen uns zu behaupten, daß man beides an unserm Robert Lowth nicht vermissen wird. Das Werk, das wir hier anzeigen, enthält vier und dreiBig Vorlesungen, die er auf der hohen Schule zu Oxford über die Dichtkunst der Hebräer gehalten hat, und in welchen sich durchgehends mehr Geschmack und Kenntniß der Schönheiten als pedantische Gelehrsamkeit zeigt. Er hält sich eben so wenig bei grammatikalischen Grübeleien, als bei unnüşen kritischen Distinctionen auf; er geht gerades Weges auf den Geschmack, und weiß ihn in allen Arten von Schönheiten jederzeit festzuseßen.

Sein Werk ist zu wichtig, als daß wir uns mit einer kurzen Anzeige begnügen könnten; wir wollen ihm also Schritt vor Schritt folgen und, so weit es unsere Absicht erlaubt, dem Leser einen vollständigen Begriff von dieser wohlgerathenen Schrift zu machen suchen.

Die erste Lection handelt von dem Nußen und Endzweck der Dichtkunst. Man glaubt insgemein, sagt Lowth, die Absicht der Dichtkunst sei, nüßlich zu seyn, oder zu ergohen, oder auch beides zugleich zu verrichten; er aber hålt den Nugen für die lehte Absicht derselben, und das Vergnügen für ein Mittel, dadurch fie ihren Endzweck erreicht. Man kann also sagen: die Dichtkunst stiftet Nußen vermittelst des Vergnügens, das sie uns gewährt. Hierin liegt der Unterschied zwischen dem Dichter und dem Weltweisen. Beide wollen unterrichten; aber jener bringt seine Lehren deutlich, tief und bündig, dieser hingegen angenehm, geschmückt und zierlich vor. Jener zeigt uns den nächsten und kürzesten Weg zur Tugend und Wahrheit; dieser hingegen führt uns auf anmuthige Nebenwege, ohne dennoch seines Zieles zu verfehlen. Ja er behauptet sogar, man müsse den Gedichten einen größern Nußen einräumen, als den philosophischen Schriften, weil sie angenehmer sind (welcher Sah aber unsers Erachtens einer großen Einschränkung bedarf). Die Schüler des Epikurs werden gewiß Lucrezens Gedicht öfter und mit mehr Vergnügen gelesen haben, als die Schriften eines Catius Amafanius oder ihres Lehrmeisters selbst. Die Epopee ist vorzüglich geschickt, Empfindungen der Tugend in uns rege zu machen. Wer ist so

tråge, wer ist so unmenschlich, daß er den Homer lesen könnte, ohne von diesem göttlichen Genie fortgeriffen, ohne von einem lebhaften Gefühle durchdrungen zu werden, dadurch sich die vortrefflichsten Sittenlehren in unser Gemüth einprågen? (Lowth feht hier vermuthlich einen großen Kenner voraus, einen Men= schen, der die Regeln des Heldengedichts wohl inne hat; sonst glauben wir, kann Homer eben so leicht Jemanden verderben, als tugendhaft machen, wenn er nicht, sogleich beim ersten Anblick, die Sittenlehre der Epopee von der wahren Moral zu unterscheiden weiß.) Das Trauerspiel ist eine auf die Schaubühne gebrachte Weltweisheit. Üschylus war nicht nur ein Dichter, sondern auch ein Weltweiser, und Euripides bei den Alten unter dem Namen eines philosophischen Tragödienschreibers bekannt. — Wenn man mehr auf die Sache, als auf die Worte sehen will, so kann selbst denjenigen Dichtern, die insgemein für ungelehrt gehalten werden, der Name der Weltweisen nicht streitig gemacht werden, wenn sie in ihren Gedichten zeigen, daß sie die Natur des Menschen untersucht, alle seine geheime Triebfedern auseinandergesezt, und die Bewegungen, die darin zu entstehen pflegen, nicht nur erklärt, sondern vor Augen gelegt, selbst in uns rege gemacht, gemäßigt und regiert haben. Ein Shakespear hat die Ursachen, Folgen und Wirkungen der Eifersucht in einem prachtigen Schauspiele besser, richtiger und vollständiger ausgeführt, als in allen Schulen der Weltweisheit jemals von einer solchen Materie ist gehandelt worden.

Auch der Ode können diese Vorzüge nicht streitig gemacht werden; ob sie gleich in vielen Stücken unter die Epopee zu se= ben ist, so giebt sie ihr dennoch an Kraft, Nachdruck und Wichtigkeit nichts nach. Jene wirkt langsam und vorsichtig, und erlangt hierdurch ihren Endzweck vielleicht desto gewisser. Sie schleicht sich allgemach bei uns ein, bewegt uns bald heftig, bald gelinder, bald schmeichelt sie uns, bald dringt sie mit Macht in unser Gemüth; und durch diese Abwechselung selbst weiß sie uns zu ihrem Vortheile einzunehmen. Die Ode hingegen läßt niemals ab; sie bestürmt und erschüttert ohne Unterlaß, und geht unmittelbar auf den Sig der Leidenschaften los. Die leichtern Gedichte, die als bloße Spiele betrachtet werden, haben den Nuken, daß sie das Gemüth ausruhen lassen, wenn es von der schweren Untersuchung der Wahrheit ermüdet ist. - Indessen erscheint die Dichtkunst erst alsdann in ihrem wahren Glanze,

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