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zu gewinnen, scheint ein Ziel, das sich erreichen lässt.

Möchte denn diese Studie ein Scherflein dazu beitragen, die gewaltige Dichtung Manfred dem Verständniss näher zu bringen.

Naumburg, am 20. September 1875.

Dr. H. Anton.

Goethe, der eine grosse Hochachtung vor Byron hatte und ihn mit einem Erdgebornen verglich, dessen Verdienste durch Macht und Wort nicht zu erschöpfen sind" (Werke 33, p. 164.) setzt ihm in seinem Faust 2, 3. ein Denkmal der Erinnerung (cf. Düntzer, ed. 1851, 2, p. 266-280; Loeper, ed. 1870, p. 169; Deycks, ed. 1855, p. 221), und sagt von ihm (W. 33, p. 153): „dieser geistreiche Dichter hat meinen Faust in sich aufgenommen und hypochondrisch die seltsamste Nahrung daraus gesogen. Er hat die seinen Zwecken zusagenden Motive auf eigene Weise benutzt, so dass keins mehr dasselbige ist, und gerade deshalb kann ich seinen Geist nicht genugsam bewundern. Diese Umbildung ist so aus dem Ganzen, dass man darüber und über die Aehnlichkeit und Unähnlichkeit mit dem Vorbild höchst interessante Vorlesungen halten könnte, wobei ich freilich nicht läugne, dass uns die düstre Gluth einer gränzenlosen reichen Verzweiflung am Ende lästig wird. Doch ist der Verdruss, den man empfindet, immer mit Bewunderung und Hochachtung verknüpft." Lord Byron aber hat, wie sein Biograph Eberty 2, p. 32. mittheilt, es entschieden in Abrede gestellt, dass er dem Goethe'schen Faust nachgeahmt habe. Die Tragödie Faust erschien 1808, das diamatische Gedicht Manfred 1817; aber in's Englische

übertragen war der Faust damals noch nicht, und Byron wusste nur so viel davon, als ihm dadurch im Gedächtniss geblieben war, dass Monk Lewis ihm dasselbe einst aus dem deutschen Original mündlich vorübersetzt hatte. Doch auch diese flüchtige Bekanntschaft blieb nicht ohne Einfluss auf den Dichter.

Karl Elze, der andere Biograph v. J. 1870, fügt hinzu p. 408: „Byron verstand so wenig Deutsch, dass er Goethe's Faust schwerlich lesen konnte; auch Marlowe's Faust versichert er nicht gekannt zu haben". Doch hatten ihm Shelley und M. G. Lewis in der Schweiz eine Analyse des Werkes gegeben. Beide, Shelley und Byron, wurden als wahlverwandte Geister von Goethe's Meisterwerk mächtig ergriffen; sie hatten schon an sich selbst erfahren, dass der Baum der Erkenntniss nicht der des Lebens sei; es drängte sie in die Geisterwelt hinein, wo sie einen Ausdruck und vielleicht eine Beruhigung für ihre innere Gährung zu finden hofften."

Goethe sagt ferner, dass Manfred das tragische Ebenbild Byron's sei, und Elze sagt: „Manfred ist wiederum kein anderer als Byron selbst."

Sehen wir uns nun den Manfred der Dichtung selbst an. In ihm tritt uns ein Mann vor die Augen, dessen Stirn noch kaum das Siegel des mittleren Alters trägt (p. 32 nach der Uebersetzung von A. Boettger 1847), und dessen Miene einen festen, männlichen Ausdruck hat (p. 25). Sie ist überfurcht von Runzeln, aber diese haben die Jahre nicht, nein, Augenblicke haben sie gegraben. Sein Wille ist kräftig, er verzweifelt nicht trotz unerträglichen Seelenschmerzes, so dass selbst die Geister sich wundernd (p. 61) sprechen:

Doch seht, er übermeistert sich und macht

Die Martern seinem Willen unterthan.
Wär' er der unsern Einer, wär's gewiss
Ein ehrenwerther Geist.

Seine Haltung zeigt, dass er nicht gemeinen Standes (p. 54); sein Wesen scheint stolz, wie das des freigebornen Landmanns ist (p. 25), aber es birgt sich hinter der äussern Form ein zartfühlendes Herz und ein edler Sinn (p. 34). Seine Tracht ist fein. So steht Manfred im Vollbewusstsein seiner Jugendkraft als Spross eines edlen Hauses vor unseren Augen. Sein Vater, Graf Sigismund, hatte ein Schloss in den herrlichen Schweizer Bergen in der Nähe von St. Maurice, ein Ritter mit seinen Fehlern und Vorzügen, tapfer im Kampf, stolz und verachtend seine Mannen, die er nur als Werkzeuge in seiner Hand betrachtete, um seine Zwecke zu erreichen, aber doch geliebt, weil er als Lebemann, wenn Ruhe war im Schlosshofe, frei die Zügel schiessen liess und die Nächte bei Festen vergnügter verbrachte, als die Tage, mit Menschen verkehrte und ihre Lust nicht mied. Unter solchem Leben wuchs Manfred heran; er lernte die Ritterkünste (p. 39), lernte schwimmen, fechten und reiten, denn er erschlug manchen Feind, wenn auch nur im gerechten Kampf (p. 35). Aber Herzenssache wurde ihm solch Treiben nicht. Er mischte sich nicht unter das Volk der Reisigen; sein Geist hielt sich fern von der Menschen Seelen; er strebte andern Zielen nach; drum spricht er p. 38 (coll. p. 65):

Mit ihrem Auge sah ich nicht die Welt,
Ihr Durst nach Ehre war der meine nicht,
Und ihres Lebens Ziel war nicht das meine.
Gemüth und Leidenschaft und Schmerz und Lust
Schied mich von ihnen. Nur die äuss're Form
Der Menschen trug ich, doch kein Mitgefühl.

So zog es ihn nicht zu seinem Vater, von seiner Mutter erfahren wir nichts, Freunde fand er nicht. Fort aber trieb es ihn von des Vaters Hof in die grossartig vor ihm daliegende Natur; hinauf klomm er an beeisten Bergesgipfeln, wo keine Vögel nisten, kein Insect den starrenden Granit umschwirrt", und nieder stürzte er sich

in die Fluthen der wilden Alpenströme (p. 39). Dort athmet er die reinste Bergesluft, hier fühlt er sich als Herrn des Stromes, und dann jauchzt er auf in seiner Jugendkraft. Es trieb ihn auch weiter; er besuchte das stolze Rom und stand in stiller Nacht im Wald des Colosseums (p. 80); er war am Meer und schwamm auf leichtem Strudel der frisch gebrochenen Meereswelle (p. 39). Mit dieser wilden Neigung verbindet er eine tiefe Empfindung für die Schönheiten der Natur; ein melancholischer Zug geht durch seine Seele. Einsam steht er in der Wildniss und sieht stilllauschend oft der Blätter Fall, wenn der Herbstwind sein Abendlied singt; er folgt dem Wandelgang des Mondes wie der Sterne Lauf, und tost es und braust es im Gewittersturm, dann starrt er fest in's Blitzgefunkel, bis sein Auge sich trübt. Menschen sucht er nicht auf, und in so fern hat er kein Mitgefühl; kommen sie ihm aber in den Weg, dann fühlt er sich zu ihnen herabgezogen,

Ich that den Menschen Gutes, Und

Gutes fand ich bei den Menschen auch (p. 10),

und wird ganz wieder Staub, vergisst jedoch dabei nicht, dass er es ist, der sich zu ihnen herablässt.

So unstät schweifend wie der Wolf durch Berg' und Wälder (p. 70), träumerisch wachend, giebt er den Eingebungen des Augenblickes nach, ohne sich selbst in etwas zu beherrschen. Nur der Umstand, dass sein Herz gut ist und er nach einem unbestimmt ihm vorschwebenden Ideal strebt, giebt ihm den Halt, dass er sich nicht ganz verliert. Er weiss dies auch, denn er sagt von sich (p. 70):

Mich selbst bezähmen konnt' ich nie; denn dienen

Muss erst, wer herrschen will, und schmeicheln, buhlen

Und immer wachen überallhin blicken

Lebend'ge Lüge werden, dass er mächtig

Wird unter Niedern denn das ist die Masse.

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