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VII 263 ipse modo Aeneas, nostri si tanta cupido est,
si iungi hospitio properat sociusque vocari,

adveniat, vultus neve exhorrescat amicos,

ja er geht in seinen Anerbietungen noch viel weiter, weit über jedes Maß und Ziel hinaus.

Die jetzige Exposition der römischen Ilias im Mittelteile von Buch VII ist also in der Hauptsache jung, jünger als die meisten folgenden Ausführungen bis zum Schluß der Epos. Weitere Beweise dafür werden folgen. Aber die vorgebrachten genügen schon, um im nächsten Kapitel unbefangen an die weiteren Untersuchungen zu gehen und nicht mit dem Vorurteile, daß alle Verwirrung aus der Exposition abzuleiten sei, uns die Einsicht in die Genesis des Übels zu verschließen.

3. Latinus in Haus und Reich

Der König Latinus hat zwei Schwiegersöhne, bald gilt Turnus, bald Aeneas als solcher; seine Politik schlägt ganz entgegengesetzte Wege ein aber der Ariadnefaden, der durch dieses Labyrinth von Widersprüchen leitet, ist bisher nicht gefunden worden. Denn Kroll hat zwar die von Sabbadini aufgezeigten Unklarheiten und Widersprüche der Handlung und der vorausgesetzten Situation noch vermehrt und das Material so geschickt gruppiert1), daß dem Leser der Kopf ob all des Widersinnes schwindeln muß; aber da er die völlige Planlosigkeit und Gedankenlosigkeit des Dichters zeigen will, so verzichtet er auf jeden Versuch, Licht in das Dunkel zu bringen und uns das Verhalten Vergils verständlich zu machen. Andrerseits bleibt die Rettung der Apologeten 2) dahinter noch weiter zurück: abgesehen von ein wenig Unklarheit, die zugestanden wird, werden dem Dichter bei seinen vielen Seitensprüngen derartige tiftelige Absichten und technisch-künstlerische Gründe zugeschrieben, daß diese, wenn sie erwiesene Tatsachen wären, mir unverständlicher bleiben würden als die nicht wegzubringenden Widersprüche

1) Besonders in den lesenswerten Zusammenstellungen S. 138f.
2) R. Heinze 171 ff.

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selbst. Die Auflösung dieser insolubilia kann nach meiner Überzeugung am besten auf Grund einer hypothetischen Vorgeschichte der in den letzten Büchern sich abspielenden Handlung erfolgen, die nur von der Exposition in Buch VII nicht ausgehen darf.

Gilt Aeneas oder Turnus als künftiger Schwiegersohn des Latinus? Das Natürliche ist, daß der mit den Latinern in gemeinsamem Kampfe gegen die Eindringlinge verbundene Rutulerfürst Anwartschaft auf die Hand der Lavinia und auf den Thron in Latium hatte. Dann konnte er ausrufen:

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nachdem im Kriegsrate der Latiner Drances von ihm einen Verzicht auf sein gutes Recht verlangt hatte:

XI 359 cedat, ius proprium regi patriaeque remittat.

Das wissen die Witwen und Waisen in Latium (XI 215 ff.), die Königin Amata darf die Vermählung besingen (VII 398 natae Turnique canit hymenaeos), da diese in nächster Zukunft bevorsteht (VII 397 thalamis.. paratis), und darf dem Gemahle vorhalten:

VII 366 et consanguineo totiens data dextera Turno.

Hierin liegt nichts Zweideutiges, keine Verdrehung der Wahrheit, wie Heinze unterlegt (S. 173 und 420). Auch die Königstochter selbst steht in dem Kampfe treu zu den Ihren und betet mit den Frauen und Knaben zur Pallas, den phrygischen Seeräuber zu vernichten (XI 475-485: iuxtaque comes Lavinia virgo 479). Die Latiner haben ganz recht, wenn sie in diesem Bündnisse den eigentlichen Grund des Krieges sehen und nun von Turnus verlangen, daß er selbst mit dem Schwerte den verheißenen Lohn erkämpfen solle:

XI 217 dirum execrantur bellum Turnique hymenaeos.

ipsum armis ipsumque iubent decernere ferro,
qui regnum Italiae et primos sibi poscat honores,

und wenn Drances ihn als caput horum et causa malorum (361) zu freiwilliger Entsagung auffordert. Vielleicht hätte Latinus den Krieg vermeiden können, wenn er ohne Rücksicht auf Turnus dem Aeneas die Hand seiner Tochter angeboten hätte. Daß er nicht so klug gehandelt, tut ihm nachträglich leid:

XI 471 multaque se incusat, qui non acceperit ultro
Dardanium Aenean generumque adsciverit urbi.

und ganz ähnlich XII 612. Aber er hat sich nun einmal auf den Krieg gegen die Troer eingelassen (XII 31 u. ö.) und kann daher nur für den Fall, daß Turnus im Zweikampfe unterliegt, daran denken, die Bedingung anzunehmen, die Turnus zuerst ausspricht (XII 17 cedat Lavinia coniunx, sc. victori) und sodann Aeneas so formuliert:

XII 192

socer arma Latinus habeto, imperium sollemne socer: mihi moenia Teucri constituent, urbique dabit Lavinia nomen.

Das alles ergibt eine einheitliche Situation, die in sich verständig und wohlüberlegt erscheint, wenngleich in formaler Beziehung einiges fehlt, vor allem die entsprechende alte Exposition in Buch VII, worin die alte Anwartschaft des Turnus ins rechte Licht gestellt wurde. Die Voraussetzungen brauchten keineswegs erst nachträglich erfunden zu werden, wie der Dichter sie gerade brauchte 1), sondern sie waren nach meiner Überzeugung von vornherein ganz bestimmt und klar erdacht und ergaben folgerichtig die späteren Verwicklungen: ich halte darum die alte Exposition für nachträglich beseitigt. Nicht ein Anspruch des Aeneas auf die Hand der Lavinia, sondern ein Zufall, in dessen Spiel freilich Iuno die Hand hatte, führte ja blutigen Streit herbei (VII 483-539).

Gewiß erwuchs dem Turnus in Aeneas ein mächtiger Nebenbuhler, dem er schließlich weichen mußte. Aber das gute Recht war auf Seite des einheimischen Fürsten aus verwandtem Geschlechte. Aeneas konnte keinerlei Anspruch auf die Hand

1) So Kroll S. 138.

der Lavinia erheben, bis sein Schwert sie ihm verschaffte. Da mußte Latinus freilich der Not gehorchen und dem Sieger gezwungen zugestehen, was er ihm freiwillig nicht gewährt hatte. Daß er nun diese falsche Politik bedauert, nach dem Tode der Amata und kurz vor dem des Turnus, XII 612, ist psychologisch durchaus verständlich. Der neue Plan taucht aber erst in dem großen Kriegsrate des XI. Buches auf; und zwar ist es Drances, der hier den Turnus anfleht, auf sein Recht zu verzichten, und dem Könige rät, sich frei von etwaigem Zwange seitens des Turnus mit Aeneas und den Seinen auf ewig zu verbinden: nec te ullius violentia vincut:

XI 354

quin natam egregio genero dignisque hymenaeis
des, pater, et pacem hanc aeterno foedere iungas.

Es ist das einzige, was er den von Latinus vorgeschlagenen Friedensbedingungen (XI 316-329) hinzuzufügen hat, und was den ganzen Ingrimm des Turnus wachruft.

Diese einfachen, natürlichen und in sich einheitlichen Voraussetzungen, auf denen sich im wesentlichen die Erzählung der Bücher VIII-XII aufbaut, sind nun durch einen sonderbaren Einfall des Dichters gestört worden: Latinus wirft sich den Ankömmlingen sogleich an den Hals und bietet ihrem Führer die Hand seiner Tochter an. Diese Neuerung beschränkt sich auf das VII. Buch und einige wenige darauf Bezug nehmenden Zusätze in den späteren Büchern. Der König macht seinen Antrag sofort dem Gesandten Ilioneus:

VII 268 est mihi nata, viro gentis quam iungere nostrae
non patrio ex adyto sortes, non plurima caelo
monstra sinunt: generos externis adfore ab oris,
hoc Latio restare canunt, qui sanguine nostrum
nomen in astra ferant. hunc illum poscere fata
et reor et, siquid veri mens augurat, opto,

bevor er seinen zukünftigen Eidam Aeneas überhaupt persönlich kennen gelernt hat. Und dieser weist das überstürzte Anerbieten nicht zurück, als Aeneadae... pacem reportant (VII 285), wenngleich

eine Antwort des Aeneas, in der er das Anerbieten ausdrücklich annimmt, nicht erfolgt, wie auch eine persönliche Zusammenkunft mit Latinus durch den Ausbruch der Feindseligkeiten ausgeschlossen bleibt. Es muß genügen, daß Ilioneus die Bedingungen annimmt: Aeneas selbst nennt diesen Vertrag später hospitia nostra (XI 114, vgl. VII 264) oder foedera (VIII 540 poscant acies et foedera rumpant, XII 582 iam altera foedera rumpi). Er hatte also das Recht, den Latinus seinen (künftigen) Schwiegervater zu nennen, wie auch Iuno dem Aeneas seine Ansprüche vorwirft:

X 79 soceros legere et gremiis abducere pactas.

Er selbst soll auch gesagt haben, behaupten die Gesandten des Latinus:

XI 105 parceret hospitibus quondam socerisque vocatis

(der verallgemeinernde Pluralis steht hier wie in Latinus' Rede VII 270 generos). In einer einzigen Stelle der späteren Bücher findet sich auch eine Äußerung des Königs selbst, worin er seine Tochter Lavinia promissam genero (sc. Aeneae) nennt: XII 31. Aber für das VII. Buch ist dieser Entschluß des Latinus die Grundlage der ganzen Handlung. Darüber vergießt die Brautmutter Amata, die an Turnus festhält, viele Tränen und versucht mit beweglicher Rede den Gemahl umzustimmen:

VII 357 mollius et solito matrum de more locuta est
multa super natae lacrimans Phrygiisque hymenaeis:
'exsulibusne datur ducenda Lavinia Teucris,

o genitor? nec te miseret nataeque tuique?. ?

Latinus selbst bleibt unbewegt, und dem entspricht der ganze Ausgang des VII. Buches. Amata aber nimmt doch wohl an, daß die Ehe nun baldigst geschlossen werden soll, und versteckt daher ihre Tochter in einer Waldschlucht:

VII 387

natam frondosis montibus abdit, quo thalamum eripiat Teucris taedasque moretur.

Dieses Hinausschieben der Hochzeit steht im Einklange mit Iunos haßerfülltem und blutrünstigen Intrigen, die die Hochzeit, wenn

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