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will freilich noch nicht viel besagen, aber wohl, daß Dido nichts dagegen sagt (365 ff.) und sich selbst sehr vorsichtig ausgedrückt hat, als sie daran rührt:

IV 316 per conubia nostra, per inceptos hymenaeos. . . oro. Man kann zweifeln, ob die Begründung ihrer Anrede 323 cui me moribundam deseris, hospes?

durch 324 hoc solum nomen quoniam de coniuge restat

nicht mit dem Wunsche ihrer Schwester auf einer Stufe steht. Da Dido selbst eingestanden hat, daß Schamgefühl und guter Ruf dahin sind (322 f.), gelingt ihr das Legitimieren nicht, am wenigsten nach Aeneas' Abreise:

IV 431 non iam coniugium antiquum, quod prodidit, oro, nec pulchro ut Latio careat regnumque relinquat1). Vielleicht sind diese freilich etwas anders gemeinten Äußerungen die Anlässe für die Wünsche Annas wie Iunos geworden.

Der Gedanke an eine ehrbare Verehelichung hat der älteren Dichtung völlig ferngelegen, obwohl die Zukunft des Aeneas nicht bekannt war (IV 312). Die moralische Schuld der Dido wurde mehrfach hervorgehoben, sie selbst ist davon durchdrungen (IV 19. 172 culpa, 550 crimen; Anna empfiehlt deswegen, wie es scheint, Opfer 50); das Gefühl der Schuld wirkt mit der Wut über den Verrat zusammen, die Verschmähte in den Tod zu treiben. In dieser Wut verrät sie Grausamkeit IV 600 ff., die sich zur Verwünschung des Treulosen steigert 607-29, vgl. 382-87; auf die drohende Gefahr macht Mercur den Aeneas aufmerksam 563-68, um den Aufbruch zu beschleunigen. Dies im Kontraste zu der Samariterin bei der Landung IV 373-75. Im I. Buche sind diese beabsichtigten Gegensätze vertuscht, dagegen ist Didos Volk feindlich gestimmt: I 297–304. 519. 523–29. 540—43, besonders 562-64. Damit bahnt sich die (seit Naevius anerkannte) Erbfeindschaft der Völker an, die den Gipfel von Didos Verwünschung IV 622-29 bildet, deren Vorgefühl jetzt die ganze Aeneis

1) Die Erwähnung von Latium macht auch Vers 431 des späten Einschubes verdächtig, der vorzeitige Entschluß zu sterben Vers 323.

stimmungsvoll einleitet I 19-22 und X 11-13 anklingt. Aber da ein Ehebündnis niemals ernsthaft von den Beteiligten geplant worden ist, wie sich jetzt ergibt, und auch Iuno nichts Zweckdienliches dafür unternommen hat, so bleibt ihre Intrige ein in der eigentlichen Handlung nicht begründetes Intermezzo und muß daher, wie schon S. 44 f. behauptet worden ist, als eine Zudichtung gelten, die immerhin älter als die Hauptmasse des I. Buches zu sein scheint. Noch jünger sind die auf die Prophezeiungen des I. Buches bezüglichen Zusätze sowie die vorzeitige Bekanntschaft der Libyer mit der Person und dem Ziele des Aeneas.

Zu der jungen Bearbeitung gehört endlich auch die Rücksichtnahme auf den inzwischen eingelegten Selbstbericht der Bücher II und III, innerhalb deren nur der erste Anfang II 1-3 auf Didos Aufforderung Bezug nimmt. Daß der unmittelbare Eindruck des gehörten Berichtes auf die Königin am Schlusse von Buch III vergessen, dagegen eine Reminiszenz nachträglich IV 13f. eingeflochten worden ist und dann sogar von stetigen Wiederholungen dieser Erzählung IV 78f. die Rede ist, ist bereits besprochen worden. Diese haben aber auch ihren Schatten bis in die Mitte des I. Buches vorausgeworfen. Denn als Aeneas der Göttin, die er noch nicht als seine Mutter erkannt hat, über seine Person, das Woher und Wohin kurze Auskunft geben will, entschuldigt er seine Kürze so:

I 372 o dea, si prima repetens ab origine pergam

et vacet annalis nostrorum audire laborum,

ante diem clauso componet Vesper Olympo.

Offenbar hat der Dichter diese Formulierung mit Rücksicht auf den folgenden ausführlichen Reisebericht des III. Buches gewählt. Aber die ganze Rede 372-85 mit ihrer Erklärung sum pius Aeneas (= eiμ' 'Odvoevs Maɛgtiádŋs i 19) klingt wie eine erste, vorläufige Antwort auf eine Frage der Königin. Jedenfalls nimmt diese später den Wortlaut von 372 auf, als sie sich genaue Auskunft erbittet:

I 753 immo aye et a prima dic, hospes, origine nobis

insidias' inquit 'Danaum casusque tuorum

erroresque tuos: nam te iam septima portat

omnibus errantem terris et fluctibus aestas'.

Die Begründung läßt noch die Irrfahrten als die Hauptsache erscheinen, aber die kurz vorher erwähnten Gespräche (750-52) haben schon die Aufmerksamkeit auf den Kampf vor Troja gelenkt. Demselben Zwecke sollten wohl auch die Gemälde am Iunotempel1) dienen, auf denen Szenen der Ilias sowohl wie Antehomerica und Posthomerica dargestellt sind (I 456 ff. 466-93). Hatte der Maler Vergil diese Farben noch auf der Palette, als er den Untergang Ilions in seinem unvergänglichen Bilde gemalt hatte?

Die Stellung der Bücher II I zueinander muß dahingestellt bleiben die Ergänzung der Irrfahrten durch die Iliupersis kann sehr wohl bei der ganzen Umgestaltung der karthagischen Episode erfolgt sein, also im Anschlusse an Buch I. Jedenfalls ergibt sich als Abfolge der Bücher der ersten Hälfte der Aeneis:

1. IV Hauptteil der Liebesgeschichte

2. III VI Anfang und VII 1-36
3. I und II (oder II I). Nekyia

4. V.

1) Ein Gegenstück dazu ist der Apollotempel des Daedalus bei Cumae VI 14-33, noch einfacher gehalten. Daedalus gelangte allerdings eigentlich nur nach Sizilien. Wie gesucht ist es aber, daß Aeneas I 488 sich selber in Karthago dargestellt findet und natürlich erkennt! Ein Gerücht (I 457) genügt nicht als Veranlassung der Kampfdarstellungen aus der jüngsten Vergangenheit.

III.

DIE BEIDEN HÆLFTEN DER AENEIS

1. Orakel und Prodigien in III, VII, VIII

Die Untersuchung über das relative Alter der einzelnen Bücher gelangt an einen kritischen Punkt, sobald wir uns nicht mehr auf Conrads und seiner Anhänger Beweise für das Alter des III. Buches verlassen, sondern auch die entgegenstehenden Argumente in Betracht ziehen. C. Schüler 1) hat nämlich den Beweis dafür angetreten, daß Buch III jünger ist als VII und VIII, und Heinze, der sich ihm vollständig anschließt 2), folgert daraus, daß der Dichter dieses Buch erst gedichtet habe, nachdem etwa zwei Drittel der Aeneis fertig vorlagen. Auch das V. Buch soll erst nach den Büchern VII, VIII und (z. T.) IX gedichtet worden sein. Die Beobachtungen dieser Gelehrten verdienen um so mehr Beachtung, als das, was dagegen vorgebracht worden ist 3), sie nicht widerlegt.

Zwei von den Orakeln, die dem Aeneas auf der Fahrt in Buch III gegeben worden sind, erfüllen sich nach der Landung in Latium. Das wird in Buch VII und VIII erzählt, aber so, daß das Sauprodigium in VIII als eine vollständige Dublette auftritt und das Tischprodigium sogar in merkwürdigem Widerspruche zu Buch III geschildert wird. Beide Erzählungen scheinen daher gänzlich unabhängig von der Darstellung dieses Buches erdacht und beschrieben.

1) Quaestiones Vergilianae, Diss. Greifsw. 1883.

2) Virgils epische Technik 86 ff.

3) Besonders von Karsten, der um der Conradschen, von ihm übernommenen und ausgeführten These willen, daß Buch III das älteste aller Bücher sei, den Wert der entgegenstehenden Ausführungen verkennt.

Zunächst das Tischprodigium wird ohne jede Voraussetzung VII 107-134 so erzählt: die Trojaner verzehren vor Hunger die Teigfladen, auf denen sie ihr frugales Mahl hatten. Da macht Julus den Witz: „Wir haben ja unsere Tische aufgegessen!" und Aeneas erinnert sich nun plötzlich eines alten Orakelspruches, den ihm einst Anchises verkündet und den er jetzt den Genossen ausführlich erzählt; an der Erfüllung dieses ihm vorher unverständlichen Spruches erkennt er, daß sie jetzt ihre zweite Heimat gefunden haben. Er selbst hatte die dunkelen Orakelworte fast vergessen, niemand außer ihm sie gehört, und nur ein Scherz seines Sohnes ruft sie ihm ins Gedächtnis. In Buch III dagegen ruft die grause Harpyie Celaeno von hohem Felsen aus den gesamten Trojanern feindselig zu, sie würden nicht früher in Italien eine Stadt umwallen, bis grausamer Hunger sie zwingen würde, ihre Tische aufzuessen (257); und die Genossen hören das mit starrem Schrecken, ihr Blut stockt, sie verzagen (259 f.). Erst Helenus beruhigt den Aeneas etwas (394), als dieser ihm das angekündigte Prodigium wiederholt (365-68). Am auffallendsten verhält sich aber Anchises: als Wortführer der aufgeregten, Gottesfrieden ersehnenden Menge betet er Göttern um Abwehr des drohenden Unheils:

III 265 di, prohibete minas; di, talem avertite casum
et placidi servate pios.

zu den

Er hat also nichts dergleichen von Cassandra vernommen und nichts darüber mitzuteilen; und Aeneas hat bei dieser allein geeigneten Gelegenheit1) nichts gehört, was er bis zur Landung behalten hätte, während er das Auftreten der Furien völlig vergaß. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, daß diese Schilderung dem Dichter nicht vorschwebte, als er die wunderbare Erfüllung des Orakels und dieses selbst in Buch VII erzählte, und daß er auch nicht irgendeine andere Schilderung dabei voraussetzte. Buch VII ist älter als das möglichst viele Orakelsprüche zusammenfassende Buch III.

1) Nach Karsten 263 befragte Aeneas, durch Helenus nicht befriedigt, später einmal den Anchises.

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