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Fügungen ihm ihren Ursprung verdanken. Freilich kann ich hier bisweilen zu weit gegangen sein und sprachliche Erscheinungen als Neuerungen Vergil's bezeichnet haben, die sich bereits in der vorvergilischen, uns erhaltenen römischen Literatur finden; denn wenn ich auch schon Jahre lang darauf geachtet habe, was Vergil seinen Vorgängern entlehnt habe, was nicht, so weiss doch Jeder, der sich mit ähnlichen Untersuchungen beschäftigt hat, wie leicht so Manches übersehen wird. An Vorarbeiten fand ich nur die syntaxis priscorum scriptorum Latinorum und die syntaxis Lucretianae lineamenta von Holtze, war also für die lexicalische Seite und für die Berücksichtigung der Prosa, abgesehen von einigen Bemerkungen, die ich den wackeren Arbeiten Nipperdey's und Dräger's über den Tacitus verdanke, ganz auf meine eigenen Sammlungen angewiesen, denn unsere lateinischen Wörterbücher, selbst das in der 6. Auflage so vortreffliche Georges'sche, geben nur unzuverlässige und unvollständige Auskunft über die historische Entwickelung des Gebrauches der einzelnen Wörter.

Neustrelitz 1870.

Th. Ladewig.

Vorwort zur sechsten Auflage.

Bei der Bearbeitung der Bucolica und der Georgica habe ich geglaubt, die sachlichen und sprachlichen Bemerkungen Ladewig's, welche namentlich für die Benutzung in der Schule eine so reiche Ausbeute unentbehrlicher Erklärungen darbieten, so viel als möglich unverkürzt erhalten zu müssen. Dagegen konnte ich mich seiner Ansicht über die Entstehungszeit der ländlichen Gedichte nicht anschliessen. Der von mir in den Jahrbüchern f. kl. Phil. 1864 p. 633-657 und p. 769-794 gegebene Nachweis, dass wir in dem überlieferten Text der Bucolica den Text einer zweiten, von Vergil selbst veranstalteten Ausgabe besitzen, ist bis jetzt nicht widerlegt worden. Diese Ansicht

LIBERMA

SEPTEMBER 1928

17636

Aus dem Vorwort zur fünften Auflage.

In diesem ersten Theile meiner Schulausgabe des Vergil habe ich keinen Anstand genommen, einen grossen Theil der Anmerkungen wörtlich aus dem allseitigen und gründlichen Commentare von J. H. Voss und den durch Präcision und gefällige Form sich auszeichnenden Bemerkungen Fr. Jacobs' (Blumenlese der römischen Dichter II. p. 272-462) zu entnehmen. Dass daneben die neueren Ausgaben Jahn's und des um die Textgestaltung und richtige Erkenntnis des Vergilschen Sprachgebrauchs hochverdienten Wagner, sowie gelegentliche Bemerkungen anderer Gelehrten über einzelne Stellen des Vergil gewissenhaft zu Rathe gezogen sind, versteht sich von selbst. Ist nach solchen Vorgängern die Zahl der Stellen, an denen ich selbst das Verständnis des Vergil gefördert zu haben glaube, auch nur gering, so hängt der Werth einer Schulausgabe doch auch nicht von der Menge neuer Erklärungen, sondern von dem Takte ab, den der Herausgeber in der Benutzung und Verarbeitung des vorhandenen Materials bewährt. Und in dieser Beziehung kann ich versichern, stets bemüht gewesen zu sein, die Schüler zum vollen Verständnis des Sinnes und Zusammenhanges zu führen und die Anmerkungen so einzurichten, dass die Selbstthätigkeit der Schüler überall, wo ihre Kräfte ausreichend schienen, in Anspruch genommen würde.

Wesentlich unterscheidet sich diese Auflage von den früheren durch die stete Hinweisung auf die sprachlichen Neuerungen Vergil's. Mich leitete dabei der Wunsch, den Schülern die grossen Verdienste Vergil's um die Bereicherung und Ausbildung der lateinischen Sprache recht anschaulich zu machen und ihnen zu zeigen, wie vielfach Vergil den lateinischen Sprachschatz vermehrt habe und wie viele neue Verbindungen und syntactische

Vergil seine Idyllen in einem Triennium verfasst und die vierte Ekloge im Jahre 40 vor Christo gedichtet habe1). Obgleich diese beiden Voraussetzungen weder miteinander, noch mit dem Inhalt der Gedichte, noch mit der Ueberlieferung der Alten in Einklang zu bringen waren, so glaubte er doch mit ihrer Hilfe in den Jahren 41-38 vor Chr. die Entstehungszeit der Eklogen ermittelt zu haben. Er nahm an, dass die erste Ekloge 41, die neunte 41 oder 40, die vierte 40, die achte und dritte 39, die zehnte 38 gedichtet sei, und bemerkte, dass sich die Jahre, in welchen die übrigen Eklogen verfasst seien, nicht genau bestimmen liessen 2). Manchen unter diesen Zeitbestimmungen legte er selbst nur den Werth unsicherer Vermuthungen bei 3), und dennoch erlangte seine Hypothese, wie es scheint, sofort allgemeine Anerkennung. Um für sämmtliche Eklogen feste Jahreszahlen zu erhalten, setzte man später die zweite und fünfte Ekloge vor die erste, schob die sechste und siebente in die Reihe des Ruaeus ein, gab der dritten, um nicht mit E. 5, 87 in Widerspruch zu kommen, ihre Stelle vor der fünften und erhielt so die Reihe: 2. 3. 5. 1. 9. 4. 6. 8. 7. 10, welche mit unwesentlichen Aenderungen aus einem Commentar in den andern überging und trotz aller Widersprüche des Inhalts der Gedichte und der Ueberlieferung beim Schulunterrichte allgemein gebraucht wurde. Neben dieser Ansicht trat aber in den Arbeiten, welche über die Zwecke der Schule hinausgingen, mehr und mehr die Meinung hervor, dass nicht alle Eklogen in dem von Ruaeus angenommenen Zeitraum gedichtet sein könnten 4); jedoch war es nicht möglich diese Controverse zu einem befriedigenden Abschluss zu führen, weil man durch den Namen des Pollio (E. 4, 12) an eine Zeit gebunden war, in der sich kein Abschnitt ohne gewaltsame Interpretation einzelner Stellen oder ganzer Eklogen zu einem Rahmen für die zehn Gedichte benutzen liess. Auch schien die Lösung dieser Aufgabe für die Erklärung der Bucolica nicht unbedingt nothwendig. In dieser hatte sich eine so feste Tradition gebildet, dass es fast unerlaubt schien, an ihrer Richtigkeit zu zweifeln. Die fortwährende Wiederholung derselben Bemerkungen liess die Schwierigkeiten allmählich weniger erheblich, die allegorischen Deutungen weniger gewaltsam erscheinen. Die Widersprüche,

1) ib. a. 714.

2) ib. a. 716.
3) ib. a. 715.

4) Jahrbücher f. kl. Ph. 1864 p. 635 und Bernhardy Grundriss der röm. Literatur p. 447.

welche nicht weggeleugnet werden konnten, wurden in dem Commentar entweder nur nebenbei bemerkt oder ganz übergangen. Dass drei von den Eklogen, die vierte, sechste und zehnte, nach alter Ueberlieferung später als die übrigen gedichtet sein sollen), dass diese Eklogen sich in ihrer ganzen Anlage und Diction von den übrigen wesentlich unterscheiden 2), dass die sieben älteren Eklogen Arbeiten eines Nachahmers, die drei spåteren Schöpfungen eines selbständigen Meisters sind 3), dass sich in der Behandlung des Verses bei genauer Vergleichung beider Klassen der Idyllen ein deutlich erkennbarer Fortschritt zeigt 4), dass die vierte Ekloge die Segnungen des befestigten Friedens, die älteren Idyllen die Gefährdungen des Besitzstandes in Italien schildern, wurde nicht berücksichtigt 5). Man hatte sich einmal dafür entschieden, dass die Eklogen wohl oder übelin dem Zeitraum von etwa 42 bis etwa 38 gedichtet seien, und ein einfaches Exempel schien diese Ansicht über jeden Zweifel zu erheben. Drei Jahre hatte Vergil den Bucolica, sieben Jahre den Georgica, elf Jahre der Aeneis gewidmet. Ging man nach diesem Schema vom Jahre 37 weiter, so kam man mit den Georgica bis 30. Nach kurzer Pause hatte Vergil dann die Aeneis 29 v. Chr. begonnen und nach elf Jahren, 19 v. Chr. so weit vollendet, dass er daran denken konnte die letzte Hand an sein grösstes Werk zu legen. Gegen eine so einfache, so allgemein angenommene, durch die Autorität von fast zwei Jahrtausenden") geheiligte Lehre Widerspruch zu erheben, erschien unverzeihlich; und doch konnte, wie ich gegen Ribbeck und Benoist in meiner Abhandlung de eclogis Vergili interpretandis et emendandis (Programm des Friedrich-Wilhelms - Gymnasiums in Posen 1872) nachgewiesen zu haben glaube, für die Hypothese des Ruaeus kein haltbarer Grund vorgebracht werden). Sowohl

1) Vita P. Virg. M. c. XXIV, 101.

2) Vgl. Jahrbücher f. kl. Phil. 1864 p. 789-792.

3) ib. p. 791.

4) ib. p. 772-789 und Drobisch in den Berichten über die Verhandlungen der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Phil. Histor. Kl. 1868 I, p. 31. 32.

5) Alle diese, für die Beantwortung der vorliegenden Frage wesentlichen Momente sind namentlich auch in dem neuesten Commentar von E. Glaser, Halle 1876, nicht beachtet worden.

Ribbeck prol. p. 11: Qua ille (Schaperus) opinione quod veterum testimoniis contemptis finxit quae ne Asconius quidem Pedianus fando audiverat, condonandum fortasse esset, si aliorum argumentorum necessitale pervicisset sententiam.

7) Vgl. m. Progr. Posen 1872 p. 1-4 und p. 36-42.

der Inhalt der Gedichte, als auch die Ueberlieferungen der Alten nöthigen zu der Annahme, dass Vergil seine ersten Versuche auf dem Gebiete der bukolischen Dichtung in den Jahren 27-25 einer Revision unterworfen, ihnen drei neue Gedichte hinzugefügt und nach Vollendung dieser Arbeit 25 v. Chr. die Ausgabe veröffentlicht hat, deren Text, im Ganzen wohl erhalten, auf uns gekommen ist.

Nicht mehr Gewicht haben die Einwendungen, welche von Ribbeck, Glaser und Benoist gegen die Resultate meiner Untersuchung über die Georgica erhoben sind. Den beiden Letzten schulde ich ein kurzes Wort der Entgegnung; denn dass ein Kundiger in der Anzeige O. Ribbeck's (Jenaer Literaturzeitung 1874 Nr. 21 p. 316. 317) eine Widerlegung meiner Ansicht oder eine Entkräftung irgend eines Satzes gefunden haben sollte, den ich zur Begründung meiner Hypothese gebraucht habe, ist wohl nicht anzunehmen.

Die Bedenken Glaser's (Jahrb. f. kl. Phil. 1874 p. 570 bis 573) sind bis auf einen Punkt in der Dissertation von Borgius de temporibus, quibus Vergili Georgica scripta et perfecta sint, Halis 1875 widerlegt worden, und dieser eine Punkt wird mit Unrecht gegen mich geltend gemacht. Glaser vertheidigt die Ansicht, dass Octavian im Jahre 37 als Gott angeredet werde, durch Berufung auf E. 1, 7. 8 und 41. 42. Beide Stellen habe ich ausführlich in den Jahrb. f. kl. Phil. p. 769 und in m. Progr. Posen 1872 p. 7-15 besprochen. Beide sind meiner Meinung nach bei der zweiten Recension in die Ekloge eingeschoben, um den Ausdruck der Verehrung der veränderten Stellung des Imperators anzupassen. Wenn diese Ansicht richtig ist, so kann meine Hypothese über die Georgica nicht durch Berufung auf jene Stellen widerlegt werden.

Benoist erklärt es in den Oeuvres de Virg. 2. Ausgabe, Paris 1876, p. 342 für unwahrscheinlich, dass Vergil den Schluss der Georgica in einer zweiten Ausgabe umgearbeitet habe; denn über den Schluss der ersten Ausgabe müsste doch irgend etwas Genaueres überliefert sein; die Zeitgenossen oder die Späteren würden über dies Faktum etwas gesagt, die Moralisten ein solches Thema nicht übergangen haben. Dabei ist wohl übersehen, dass Servius seine Notiz nur in den Berichten der Zeitgenossen oder der Späteren gefunden haben kann und dass jene Moralisten in der Kaiserzeit lebten, in welcher die Vernichtung missliebiger Schriften und die direkte Beeinflussung der Schriftsteller durch die Machthaber so gewöhnlich war, dass die eine nicht unmöglich und die andere nicht auffallend erscheinen konnte.

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