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lieren ihren Werth, wenn sie der Welt vorgelegt werden, und den Namen desjenigen an der Stirne führen, der sie niedergeschrieben hat; zumal, wenn er noch lebt. Die Welt denkt alsdann nicht den Freund, nicht den Vertrauten, nicht den Scherzhaften bei dieser oder jener Gelegenheit, wo der Scherz eine Tugend war; nicht den Mann, der sich, indem er schrieb, einmal zerstreuen wollte; der mit seinem besten Freunde, oder mit seiner Freundin, zum Vergnügen redete; der sich mit Fleiß vergaß, und eben daher schön redete: sondern sie denkt den und den Mann, der diese oder jene Bedienung, dieses oder jenes ernsthafte Amt, diese oder jene Jahre hat; sie denkt seine Geschäfte, seine Schriften, seine Freunde, sein Glück oder Unglück dabey. Sein Gedanke verliert alsdann oft, wenn sie den Mann kennt, weil sie Umstände dazu bringt, die sie vergessen sollte. Er verliert aber auch oft von einer andern Seite, wenn sie ihn nicht kennt, weil ihr Umstände verborgen sind, ohne welche der Einfall, wo nicht ganz unverständlich wird, doch wenigstens die Hälfte feiner Anmuth verliert. Man schreibe endlich als ein Gönner, als ein Client, als ein Rathgeber, als ein Dankbarer; es mischen sich stets gewisse umstände mit ein, die wir nicht wollen bekannt werden lassen. Und wer ist gleichwohl ein getreuerer Verräther, als ein Brief? Streicht man bey dem Drucke solche Umstände weg, so geht es gemeiniglich den Briefen, wie allen wohl ver bundnen Dingen, denen man einen Theil entzieht. Sie passen übel zusammen; und wenn dieß nicht ist: so haben sie doch eine Schönheit weniger. Schade genug!

Die Personen, an die man schreibt, und von denen man in den Briefen redet, verursachen in Anschung des Drucks eben diese Schwierigkeiten. Man darf zuweilen einen gewissen Umstand nicht bekannt machen, oder man kann ihn beinahe nicht erklären; und gleichwohl ist oft der ganze Brief, oder sein größtes Verdienst auf diesen Umstand gegründet. Also fallen derglei

chen Briefe, wenn man sich zum Drucke entschließt, wieder weg. Ferner giebt es gewisse Briefe, die zwar alle Welt würde lesen dürfen, und, wenn sie solche nur lesen möchte, auch würde verstehen können. Aber der Innhalt ist so geringe, so unansehnlich, so persönlich, so familienmäßig, daß man keinen Theil daran nehmen kann. Und so gut dergleichen Briefe in ihrer Art sind; so ist man ihrer vielleicht bey dem dritten schon müde, und niemand verlangt solche Exempel, als diejenigen Leser, die sie am wenigsten zu gebrauchen wissen; das ist, die gar nicht schreiben sollten.

Endlich sind Briefe, als gedruckte Briefe, oft deswegen nicht mehr schön, weil der Leser das besondre Verhältniß, das zwischen mir und der Person ist, an die ich schreibe, nicht weis, und also die größte Tugend, den Wohlstand des Briefs, nicht wahrnehmen und empfinden kann. Es ist in diesem Falle nicht allemal genug, daß man, zum Erempel, weis, daß der Andre mein Gönner ist. Man sollte das besondre Verhältniß zwischen ihm und mir, man sollte seinen und meinen Charakter, und zwar in diesen oder jenen Umständen und Aussichten, wissen, wenn man von der Güte, oder dem Fehler des Briefs, recht vollkommen urtheilen wollte.

Ich habe mich in dieses Schicksal bey dem Drucke der gegenwärtigen Briefe so gut zu schicken gesucht, als es möglich gewe sen ist. Ich habe aus vielen nur wenige, nur solche ausgelesen, die nach meinen Gedanken ohne die Gefahr eines Mißverstandes gedruckt, ohne Mühe und Dunkelheit gelesen, und ohne ein Tagregister gewisser Hausangelegenheiten verfianden und geprüft werden könnten.

Wenn einige so glücklich sind, dem Leser zu gefallen: so ist er den Dank nicht sowohl mir, als einer guten Freundinn, schuldig; nicht deswegen, weil sie mich zum Drucke verführt hat; sondern weil ich diese Briefe ohne sie größten Theils gar nicht

haben würde. Sie hatte sonst den kleinen Fehler, daß sie mich gern las, und meinen Urtheilen glaubte. Sie wies mir im Ane fange ihre Briefe, und ich versprach ihr, sie die meinigen, so viel ich ihrer schriebe, und so oft es die Zeit erlaubte, wieder lesen zu lassen. Sie hat sie bey dieser Gelegenheit oft abgeschrieben, wenn sie ihr gefallen haben; und die Briefe an sie selbst machen auch keinen geringen Theil von den gegenwärtigen aus.

Da ich in meinem Leben fast keinen Brief concipiret habe, noch so stolz gewesen bin, meine Briefe des Abschreibens werth zu achten; so schien es mir nöthig, diesen historischen Umstand anzuführen. Und da ich zugleich den Leser versichert habe, daß dieses nicht erdichtete, noch zum Drucke geschriebene, Briefe sind: so habe ichs gar für meine Schuldigkeit gehalten, diese Anekdote zu erzählen, und mich lieber einer kleinen Eitelkeit, wenn einmal eins seyn muß, als einer Unwahrheit verdächtig zu machen.

Diejenigen, welchen der Name und die Titulatur an einem Briefe das Merkwürdigste sind, werden unzufrieden seyn, daß ich beides die meisten Male weggelassen habe. Ich gebe auch gern zu, daß unsre Neubegierde bey gewissen Briefen etwas entbehrt, wenn sie die Namen der Personen, an welche sie geschrieben sind, und ihren Aufenthalt, nicht findet. Allein würde ich nicht diesen oder jenen beleidiget haben, wenn ich seinen ganzen Namen hätte hinsegen wollen ? Würde es nicht gelassen haben, als ob ich meine Bekanntschaft mit ihm der ganzen Welt erzählen wollte? Und was die Titulaturen anlangt; wer weis sie nicht? Und in welchem Briefsteller findet man sie nicht? Ich habe über dieses die Erlaubniß, oder das Recht gehabt, zuweilen nur kurze, zuweilen gar keine, als vertraute Titel zu gebrauchen. Das legte wird man leicht aus der Sprache des Briefs selbst schließen können. Ein guter Freund, dem ich diese Briefe zeigte, fragte mich, ob man den vertraulichen Scherz nicht übel auslegen würde, der dann und wann darinnen vorkäme. Ich habe ihm geantwortet,

die Welt aus unsern Zeiten wåre viel zu fein und zu gerecht, als daß man sie erst erinnern müßte, aus welchem Gesichtspunkte ein Scherz zu beurtheilen, oder zu vergeben wäre. Gesezt, daß diese Antwort nicht durchgängig hinreichend seyn sollte: so ist sie doch der Ehrerbietung und dem Vertrauen, das ein jeder Scribent der Welt schuldig ist, vollkommen gemäß.

Die Gedanken von Briefen habe ich bloß jungen Leuten zum Dienst niedergeschrieben. Es ist wahr, daß in der Schreibart auch die besten Regeln immer noch eine unzulängliche Landkarte sind; aber es läßt sich doch mit einer unvollkommnen Karte besser reisen, als mit gar keiner; und was ist zu thun, wenn keine zulängliche möglich ist? Ich hoffe auch gar nicht, daß meine Leser stets mit meiner Meynung übereinstimmen werden. Nein! Es geht mit unsern Urtheilen, spricht Pope, wie mit unsern Uhren. Keine geht mit der andern vollkommen gleich, und jeder glaubt doch der feinigen:

'Tis with our Judgments as our Watches, none
Go just alike, yet each believes his own.

Ich weis nichts mehr zu sagen, als daß ich vielleicht schon zu viel gesagt habe. Leipzig, im Aprilmonat, 1751.

Praktische Abhandlung

von dem

guten Geschmack e

in Briefen.

Man braucht keine große Mühe, wenn man das Schöne und Schlechte in einem Briefe erklären, und noch weniger, wenn man es kennen lernen will. Man darf nur die Natur und Abficht eines Briefs zu Rathe ziehen, und einige Grundsäße der Beredsamkeit zu Hülfe nehmen: so wird man sich die nöthigsten Regeln, welche die Briefe fordern, leicht entwerfen können. Wenn man sich endlich gute Beyspiele vorlegt, untersucht, warum sie schön sind, und sich bemüht, das Schöne davon recht zu empfinden: so wird man nicht allein seine Regeln vollständiger, sondern auch seinen Geschmack im Schreiben gewisser machen. Kennt man einmal das Schöne an einer Sache: so ist es sehr leicht, die Fehler wahrzunehmen. Unsere Empfindung sagt sie uns, und ein geschwindes Urtheil des Verstandes, das sich auf die allgemeine Regel des Schönen und Wahren gründet, mengt sich in unsre Empfindung, ohne daß wir es allemal wissen. Wir wollen uns dieser Methode bedienen, und jungen Leuten die Tugenden und Fehler der Schreibart in Briefen, aus der Natur

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