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gen, sondern man überlasse sich der freywilligen Folge seiner Gedanken, und sege sie nach einander hin, wie sie in uns entstehen: so wird der Bau, die Einrichtung, oder die Form eines Briefs natürlich seyn. Diese Regel bleibt stets die beste, so viel man auch dawider einwenden mag. Man kann sagen, daß man ihr folgen, und doch noch einen sehr unnatürlichen und unordentlichen Brief schreiben kann, nämlich wenn meine Art zu denken unrichtig, überflüßig und unangenehm ist. Es ist wahr; aber wir segen einen gesunden Verstand zum voraus. Diesen kann man niemanden in einer Regel beybringen. Viele Leute sind von Natur so finster, daß sie auch bey den gemeinsten Dingen noch unordentlich denken. Diesen wird die Regel nichts helfen. Wer keine gute Auferziehung gehabt, wer seinen Verstand noch gar nicht durch den Umgang mit geschickten und vernünftigen Leuten, oder durch das Lesen guter Bücher geübt, und in Ordnung gebracht, oder wer ihn durch einen bösen Geschmack gar schon verderbt hat, der wird freylich nach dieser Regel immer noch elende Briefe schreiben können. Unterdessen ist sie die einzige, der man folgen soll. Alle diese künstliche Methoden, nach welchen uns unsre Briefsteller gemeiniglich lehren wollen, wie man einen Brief ordnen, und seine Gedanken in gewisse Behältnisse zwingen soll, in die sie sich meistentheils nicht schicken, sind niemanden anzupreisen*). Ja man kann beynahe das von ihnen. sagen, was Cicero von einer gewissen Anweisung zur Beredsamkeit gesagt hat. Cleanth, spricht er, hat eine Redekunft geschrieben; aber so, daß man nichts anders zu lesen braucht, als ihn,

*) Superstitiose faciunt, qui libertatem illam epistolarem certis par. tibus alligant, atque eiusmodi servituti includunt, cujusmodi ne orationes quidem tenere Fabio placet. In simplicibus argumentis eum sequamur ordinem, quem consilium nobis dictaverit, non praeceptiunculae. Erasmus de rat. conscr. epist.

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wenn man verstummen will.*) Die Erfinder dieser Künfte haben es unstreitig gut gemeynt; aber ihre gute Meynung, jungen Leuten das Briefschreiben zu erleichtern, hat vielleicht mehr Schaden angerichtet, als wenn sie die schlimmste Absicht gehabt hätten. Sie wollen uns, ehe wir denken können, gute Briefe schreis ben lehren. Sie lehren uns daher die Säße des Briefs nach einem Formulare abfaffen, bald in der Gestalt einer Schlußrede, bald in einer ordentlichen, bald in einer umgekehrten Chrie, bald so, daß wir unsre Meynung in ein Antecedens, in eine Connerion und in ein Consequens einspannen müssen. Sie wollen uns, sage ich, auf diese Art bey Zeiten gute Briefe schreiben lehren, und sie machen, daß wir Zeit Lebens schlechte schreiben lernen wenn wir uns einmal an diese Formulare gewöhnen. Sie wollen uns die Ordnung im Schreiben beybringen, und benehmen uns eben durch dieses Mittel das Muntre, das Freye, das eine Rede angenehm macht. Sie geben uns gewisse Anfangs- und Schlußformeln, gewisse Verbindungswörter, die im Umgange nicht gebräuchlich sind, gleichsam als Hüter, damit unsre Gedan= ken nicht aus ihren Fesseln entrinnen können. Der Gebrauch dieser Methoden ist unstreitig an dem schlimmen Geschmacke in Briefen hauptsächlich Ursache, der lange Zeit in Deutschland ge= herrscht hat.**) Die Briefe haben nothwendig steif und ängst

*) Scripsit artem rhetoricam Cleanthes, sed sic, ut, si quis obmutescere concupierit, nihil aliud legere debeat. De finib. L. 4. c. 7.

**) So groß die Menge der deutschen Anweisungen zu Briefen ist: so groß, ja noch viet größer ist die Anzahl der lateinischen, die zum Theil von großen Gelehrten aufgeseßet worden, und doch nur zu beweisen scheinen, daß es eine vergebne Mühe ist, das Briefschreiben in die Form einer Kunst zu bringen. Einige hac ben einander ziemlich getreu abgeschrieven; Andere über die Auweisungen der Andern Commentarien gemacht; die meisten nur für die lateinische Sprache gesorgt. Ludwigs a Vives Anleitung

lich werden müssen, weil man durch den Schulwig die natürliche Art zu denken erstickt hat. Sie haben einförmig und ekelhaft werden müssen, weil alles in einer einförmigen Stellung vorges tragen worden. Hierzu kömmt noch, daß man uns hat bereden wollen, die Kanzleysprache wäre die beste, und also auch die Sprache der Briefe; welches eben so viel heißt, als wenn man sagte, diejenige Sprache, die im gemeinen Leben am wenigsten gehört, und beynahe gar nicht verstanden wird, muß in Briefen geredet werden. Wir wollen ein Erempel einer solchen künftlichen Einrichtung eines Briefes aus Junkers Briefsteller vor

an,

scheint in Ansehung der übrigen den Namen, aureus libellus, mit Recht zu verdienen. Erasmus und Lipsius haben selbst nichts aus ihren Anweisungen gemacht. Man findet indessen noch allemal Spuren großer Männer darinne. In Philipp Horfts und Valentin Erithräi Anleitung trifft man zugleich dasjenige was man im Griechischen von den Briefen gelehret kat, nämlich in dem ersten die wenigen Anmerkungen, die Demetrius Phalereus in seiner Elocution über die Natur und Schreibart der Briefe macht, und in dem andern die beiden Bücher лɛọi tův ¿riotolixův tútov, de epistolarum formis s, typis, und περὶ τοῦ ἐπιστολικοῦ χαρακτῆρος, de charactere epistolico, die einige dem Libanius zuschreiben, und von denen das legte cine mühsame Eintheilung der Briefe ist. Der kurze Brief des Gregorius von Nazianz an den Nicobulus, von der Kürze, der Deutlichkeit und der Anmuth eines Briefs, ist vielleicht mehr werth, als manche dicke Anweisung. Es ist unter seinen Briefen der hundert und neunte. Caselius hat einen Commentar darüber geschrieben. Die französische Anweisung, die vor Richelets Sammlung auserlesener Briefe steht, verdient gelesen zu werden, und noch weit mehr diejenige, die in dem Traité Général du Stile etc. à Amsterdam 1750 zu finden ist. Unter den deutschen Anweisungen haben sich des Herrn Rector Stockhansens Grundsäße den meisten Beifall erworben Wer aber im Lateinischen eine recht kurze und sehr schöne Anleitung zu Briefen teien will; der schlage in des Herrn D. Ernefti seiner Rhetorik das Capitel von Briefen nach, S. 798.

uns nehmen, um den Werth der Dispositionen kennen zu lernen. Er sagt uns, wie man den Brief in Form einer ordentlichen Chrie einrichten kann. Man sege, sagt er, erst den Hauptsak, alsdann den Beweis; darauf mache man eine kleine Erweiterung, und alsdann beschließe man. Das Skelet von einem solchen Briefe sieht nach seinem Aufsage a. d. 74. S. also aus:

Sak: Ich habe mit Betrübniß rernommen, daß dessen Eheliebste gestorben sey.

Beweis: Denn sie war ihrer Tugend wegen von jedermann, und dahero auch von mir geliebt und werth gehalten.

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a) Wegen ihrer Gottesfurcht,

b) Häuslichkeit,

c) Kinderzucht,

d) Liebe gegen ihren Eheherrn,

e) Freundlicher Bezeugung gegen jedermann.

Beschluß: Darum ist es kein Wunder, wenn er, so wohl als ich, nebst andern Freunden, darüber gar sehr bekümmert worden.

Endlich sehet man einen Trost, nach gegenwärtigem Exempel, ben, und beschließet den Brief mit einer beliebigen Schlußformel. Die Ausarbeitung dieses Auffages klingt also:

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Wohledler,

Hochgeehrter Herr Secretär.

Niemals bin ich so sehr bestürzt gewesen, als bey Erbre ,,chung Deines Briefes; aus welchem ich die unverhoffte Nach,,richt von dem Absterben Deiner werthesten Eheliebsten be,,kommen. Die Spuren von den Thränen, so Du in währen

,,dem Schreiben vergossen, lockten mir gleichfalls die Thränen ,,aus den Augen, und ich konnte mich um desto weniger der ,,Thränen enhalten, je größer der Verlust ist, den nicht allein „Du, sondern auch alle diejenigen, so keine Feinde der Tu,,gend sind, darüber erlitten. Ihre Gottesfurcht, Häuslichkeit, ,,erbauliche Kinderzucht, ungefärbte Liebe gegen ihren Ehelieb,,sten, und ihre ungemeine Bescheidenheit und Freundlichkeit ,,in dem Umgange mit jedweden, ist werth, daß alle, welche ,,den Werth einer Ehefrauen von solcher Beschaffenheit, wie ,,die Deinige gewesen, erkennen, den Verlust mit Dir beklagen, ,,den Du insbesondere leidest. Ich weis Dir selber keinen Trost „zuzusprechen, als daß ich Gott bitte, er wolle den Geist des „Trostes in Dein Herz schenken, daß Du in christlicher Gelas,,senheit die Weisheit seiner Wege erkennen mögest. Ich mei,,nes Orts wünsche, daß ich forthin Dir allemal durch etwas ,,anders, als Condolenzbriefe, zeigen möge, daß ich sey 2c.“ Man betrachte nur die Erweiterung der Ursache (Aetiologie,) und sehe, ob sie natürlich ist. Ihre (der verstorbenen Frau) ,,Gottesfurcht, Häuslichkeit, erbauliche Kinderzucht, ungefärbte ,,Liebe gegen ihren Ehelicbsten, und ihre ungemeine Bescheiden,,heit und Freundlichkeit in dem Umgange mit jedwedem, ist ,,werth, daß alle, welche den Werth einer Ehefrauen von solcher „Beschaffenheit, wie die Deinige gewesen, erkennen, den Verlust ,,mit Dir beklagen, den Du insbesondre erlitten haft —“. Das heißt, deucht mich, einen Gedanken nicht erweitern, sondern durch überflüßige Begriffe beschweren, und durch eingeschobne Worte aus einander dehnen. Man sieht dieser Erweiterung das Studirte, das Mühsame, auf allen Seiten an; und eben dieses Mühsame und Gesuchte ist wider den Affect der Traurigkeit, den ich dem Andern zu erkennen geben will. Um diese Ursachen auszudenken, brauche ich Gelassenheit und Nachsinnen. Wenn ich also diese Gründe gleichsam in einer Schlachtordnung nach einander

"

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