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urgentur poenis? quis tantus plangor ad auras?'
tum vates sic orsa loqui: 'dux inclute Teucrum,
nulli fas casto sceleratum insistere limen;

sed me cum lucis Hecate praefecit Avernis,
565 ipsa deum poenas docuit perque omnia duxit.
Gnosius haec Rhadamanthus habet durissima regna
castigatque auditque dolos subigitque fateri,
quae quis apud superos furto laetatus inani
distulit in seram commissa piacula mortem.
570 continuo sontis ultrix accincta flagello

Tisiphone quatit insultans torvosque sinistra
intentans anguis vocat agmina saeva sororum.'
tum demum horrisono stridentes cardine sacrae
panduntur portae. cernis, custodia qualis
575 vestibulo sedeat? facies quae limina servet?
quinquaginta atris immanis hiatibus hydra

saevior intus habet sedem. tum Tartarus ipse
bis patet in praeceps tantum tenditque sub umbras,
quantus ad aetherium caeli suspectus Olympum.

561. plangor, das zum Zeichen der Trauer übliche Schlagen auf die Brust, verbunden mit dem lauten Jammern und Klagen.

563. sceleratum, wie crudelis von der Person übertragen auf den Ort. 566. Gnosius, vgl. Aen. V, 306. Rhadamanthus, vgl. v. 431. 567. castigat dolos, er braucht züchtigende Worte, wenn die Verbrecher Ausflüchte machen.

. 568. furtum, der Diebstahl, dann alles Geheimgehaltene, Verheimlichung. inani, weil die Entdeckung schliesslich im Tode folgt.

- laetatus absichtlich neben inani. 569. piaculum, das Sühnopfer für begangene Sünde. Der Verbrecher macht sich eines Sühnopfers schuldig. Wenn er das Verbrechen verheimlicht, verschiebt er dieses Sühnopfer auf die Zeit nach dem Tode, d. h. die Strafe erreicht ihn nach dem Tode. commissa piacula sind also die verschuldeten, oder als Schuld übernommenen Sühnopfer.

570. continuo, sogleich nach dem Richterspruch. Es war römischer Brauch, den zum Tod Verurtheilten vor der Hinrichtung zu geisseln.

571. insultans, hochmüthig ver

höhnend, wie die römischen Scharfrichter. torvos anguis. Die Furien hatten statt der Haare finster, stier anstarrende Schlangen.

573. tum demum, nach der Geisselung. sacer, geweiht einer Gottheit auch zur Vernichtung, der Gottheit verfallen, dann verwünscht, verflucht. Vgl. Aen. III. 57.

574. custodia qualis, vgl. v. 555. 576. immanis, zwischen atris und hiatibus hebt das Schreckliche des Ungeheuers hervor: eine Hydra, riesig gross, mit fünfzig schwarzen Rachen.

577. saevior, als Tisiphone. intus, hinter dem Thore.

578. in praeceps, jählings abwärts, in die Tiefe. tenditque sub umbras, Epexegese zu patet in praeceps.

579. ad aetherium caeli suspectus Olympum. Der Tartarus erstreckt sich zweimal soweit in die Tiefe, als der Aufblick zu dem Götterwohnsitz in dem himmlischen Olymp reicht. Bei Hom., 16 heisst es: τόσσον ἔνερθ ̓ Αΐδαο, ὅσον οὐρανός ἐστ ̓ ἀπὸ γαίης. - Der freistehende, hohe Olymp mit dem schönen Anblick schien in den Aether des Himmelsgewölbes zu reichen; daher

580 hic genus antiquum Terrae, Titania pubes,
fulmine deiecti fundo volvuntur in imo.
hic et Aloidas geminos immania vidi

corpora, qui manibus magnum rescindere caelum
adgressi superisque Iovem detrudere regnis.
585 vidi et crudelis dantem Salmonea poenas,
dum flammas Iovis et sonitus imitatur Olympi.
quattuor hic invectus equis et lampada quassans
per Graium populos mediaeque per Elidis urbem
ibat ovans divumque sibi poscebat honorem,
590 demens, qui nimbos et non imitabile fulmen
aere et cornipedum pulsu simularet equorum.
at pater omnipotens densa inter nubila telum .
contorsit, non ille faces nec fumea taedis
lumina, praecipitemque immani turbine adegit.
595 nec non et Tityon, Terrae omniparentis alumnum,

bildete sich die griechische Phantasie die Wohnung der Götter auf dem Olymp.

580. genus antiquum Terrae. Der Mythus unterscheidet die Herrschaft des Uranos, des Kronos und des Zeus. Die Söhne des Kronos (Saturnus) und der Gåa (Terra), die Titanen stürzten die Herrschaft des Uranos, wurden aber von dem auf Kronos folgenden Herrscher Zeus durch die Blitze in die Unterwelt geschleudert. antiquum heisst das Geschlecht der Titanen, weil es schon vor Zeus war.

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582. Aloidas. Qtus und Ephialtes, Söhne des Neptunus und der Iphimedia, der Gattin des Aloeus, wollten nach der Erzählung des Homer (2, 305 ff.) den Ossa auf den Olymp und auf den Ossa den Pelion thürmen, um den Himmel zu erstürmen. Bevor sie zur vollen Jugendkraft gekommen waren, wurden sie von Apollo getödtet und in die Unterwelt geschleudert. immania corpora. Schon als Kinder waren sie riesige Gestalten.

585. Salmonea. Salmoneus, der Gründer der Stadt Salmonia in Elis, ging im Uebermuth so weit, dass er sich als Zeus ausgab, indem er Donner und Blitz nachahmte und sich wie dem Gotte opfern liess. Zeus vernichtete ihn sammt der von ihm gegründeten Stadt.

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cernere erat, per tota novem cui iugera corpus porrigitur, rostroque immanis vultur obunco immortale iecur tondens fecundaque poenis viscera rimaturque epulis habitatque sub alto 600 pectore, nec fibris requies datur ulla renatis. quid memorem Lapithas, Ixiona Pirithoumque? quos super atra silex iam iam lapsura cadentique imminet adsimilis; lucent genialibus altis

aurea fulcra toris, epulaeque ante ora paratae 605 regifico luxu: Furiarum maxima iuxta

accubat et manibus prohibet contingere mensas
exsurgitque facem attollens atque intonat ore.
hic quibus invisi fratres, dum vita manebat,
pulsatusve parens et fraus innexa clienti,
610 aut qui divitiis soli incubuere repertis

nec partem posuere suis, quae maxima turba est,
quique ob adulterium caesi, quique arma secuti
impia nec veriti dominorum fallere dextras,

von Iuppiter in den Tartarus ge-
schleudert.

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599. rimatur ausmalend: macht Risse in die Leber. habitat, er ist bleibend dort, hat sich dort eingenistet. sub alto pectore, wie unter einem hohen Felsen.

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601. Ixion, König der Lapithen in Thessalien, trachtete, von Iuppiter zur Tafel der Götter gezogen, nach der Liebe der Iuno und wurde zur Strafe in der Unterwelt mit Händen und Füssen an ein feuriges Rad gebunden, das ohne Unterlass umgetrieben wurde. Nach späterer Sage war er durch Schlangen an das Rad gebunden. Vergil trägt hier auf ihn und seinen Sohn Pirithous, welcher die Proserpina entführen wollte (vgl. v. 393), die Strafen des Sisyphus und Tantalus über.

603. genialibus toris. Dem Schutzgeist zu Ehren wurden reichliche Gelage gehalten. Daher genialis auch reichlich, einladend. genialis

torus ist gleichsam ein Begriff, Festmahlpolster, zu welchem das Attribut altus ohne Verbindung tritt. An den stattlichen Festmahlpolstern glänzen die goldenen Stützen, d. i. von unten bis oben prächtige Sitze sind da.

605. Furiarum: Der scharfe Gegensatz wird durch das Asyndeton hervorgehoben.

608. hic quibus etc. Der Dichter will wohl hier zugleich an die traurige Zeit der letzten Jahre der Republik erinnern, wo derartige Verbrechen in Folge der Proscriptionen und allgemeinen Sittenverderbnis vielfach vorkamen. Davon kann aber Augustus als der verherrlichte Wiederhersteller Friede und Ordnung nicht berührt werden.

von

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inclusi poenam exspectant. ne quaere doceri
615 quam poenam aut quae forma viros fortunave mersit.
saxum ingens volvunt alii, radiisque rotarum
districti pendent. sedet aeternumque sedebit
infelix Theseus, Phlegyasque miserrimus omnis
admonet et magna testatur voce per umbras:
620 "discite iustitiam moniti et non temnere divos."
vendidit hic auro patriam dominumque potentem
imposuit, fixit leges pretio atque refixit;

hic thalamum invasit natae vetitosque hymenaeos.
ausi omnes immane nefas ausoque potiti.

625 non, mihi si linguae centum sint oraque centum,
ferrea vox, omnis scelerum comprendere formas,
omnia poenarum percurrere nomina possim.'

Haec ubi dicta dedit Phoebi longaeva sacerdos, 'sed iam age, carpe viam et susceptum perfice munus. 630 acceleremus' ait; 'Cyclopum educta caminis

dominorum fallere dextras bezieht sich auf die Sklavenaufstände. dextras fallere, metonymisch: die Treue verletzen. Die Rechte, die beiderseits dargereicht wird, ist das Sinnbild der gelobten Treue.

nec, negativ wie v. 609 et.

615. quam poenam, im engen Anschluss an exspectant, wie auch im Deutschen das Zeitwort weggelassen werden kann. -- quae forma mersit formam, quae mersit. Durch aut wird etwas scharf Unterschiedenes angereiht. Verlange nicht zu wissen die Strafen, oder (was denselben vorausgegangen ist) die Art ihrer Verbrechen (forma sceleris) und die Lebensverhältnisse, die Lage (fortuna), durch welche sie zum Verbrechen verleitet worden sind, durch welche sie also in den Tartarus versenkt worden sind.

616. saxum ingens etc. Zu quam poenam werden Einzelnheiten angeführt. Die Strafen des Sisyphus und Ixion (vgl. v. 601) erscheinen hier auf eine Anzahl von Verbrechern ausgedehnt. que bei radiis alii.

618. Theseus, vgl. v. 393. Phlegyas, der Vater des Ixion, wurde, weil er den Apollotempel in Delphi angezündet hatte, in den Tartarus geschleudert.

619. magna testatur voce per umbras, vgl. v. 493. Die lebendige Schilderung macht den Dichter vergessen, dass er nur das Treiben der Schatten schildern will, und veranlasst ihn seine Gedanken als Aussprüche dieser zu geben.

621. vendidit etc. Hier werden Einzelnheiten zu quae forma (v.615) angeführt.

-

622. fixit refixit. Vielleicht spielt der Dichter auf den Antonius an. Die Gesetzestafeln wurden öffentlich angeschlagen. Mit ihrer Entfernung verlor das Gesetz die Geltung.

624. auso potiti. Sie freuten sich im Besitz des gelungenen Wagnisses. ausum, passivisch, wie Aen. II. 535.

626. scelerum formas, poenarum nomina, die gleiche Trennung, wie v. 615, nur in umgekehrter Folge.

628-678. Nachdem Aeneas den goldenen Zweig der Proserpina dargebracht hat, tritt er mit der Sibylla ins Elysium ein.

629. iam, in der Aufforderung: jetzt doch, nun doch. perfice munus, bring das Geschäft, das du übernommen, zu Ende, d. h. bring der Proserpina den Zweig dar.

630. Cyclopum educta caminis moenia, die aus Eisen aufgeführten Mauern des Palastes. Vgl. v. 541.

moenia conspicio atque adverso fornice portas, haec ubi nos praecepta iubent deponere dona.' dixerat et pariter gressi per opaca viarum corripiunt spatium medium foribusque propinquant. 635 occupat Aeneas aditum corpusque recenti spargit aqua ramumque adverso in limine figit. His demum exactis, perfecto munere divae, devenere locos laetos et amoena virecta fortunatorum nemorum sedesque beatas. 640 largior hic campos aether et lumine vestit purpureo, solemque suum, sua sidera norunt. pars in gramineis exercent membra palaestris, contendunt ludo et fulva luctantur harena. pars pedibus plaudunt choreas et carmina dicunt; 645 nec non Threicius longa cum veste sacerdos obloquitur numeris septem discrimina vocum, iamque eadem digitis, iam pectine pulsat eburno. hic genus antiquum Teucri, pulcherrima proles, magnanimi heroes, nati melioribus annis,

631. adverso fornice portas, vgl. v. 523. Hier an dem Thor ist der goldene Zweig abzugeben. - fornix, aus der römischen Bauart ent

nommen.

632. praecepta iubent, vgl. v. 142. 634. corripiunt spatium medium, sie eilen durch den Raum, der noch zwischen ihnen und dem Eingang ist.

635. recenti spargit aqua. Es war ein symbolischer Brauch, beim Eintritt in einen Tempel, dem hier das Elysium als Wohnsitz der Seligen gleich ist, sich mit frischem Wasser zu besprengen.

640. aether, die feine, reine Luft, im Gegensatz zu der dumpfen Atmosphäre der übrigen Unterwelt. largior, in reichlicherer Fülle als gewöhnlich = sehr reichlich (so oft der Comparativ mit einer an den BedeuSuperlativ anstreifenden

tung); lumine purpureo=purpureus. Das Elysium glänzt gleichsam in rosenrothem Licht. Vgl. indessen Aen. V, 79. vestit. Der rosige Duft ist wie ein duftiges Gewand über das Elysium ausgebreitet.

641. solem suum, sua sidera. Das Elysium hat seine eigene, seine ihm allein angehörige Sonne, welche das

vorher beschriebene Licht ausbreitet. Es ist nicht ein Licht, wie das der Oberwelt.

642. pars exercent etc. Die Lieblingsbeschäftigungen auf der Oberwelt werden auch im Elysium fortgesetzt.

643. ludo, im Kampfesspiel.

644. plaudunt choreascarmina dicunt. Gesang und Tanz waren bei den alten Griechen immer verbunden.

645. Threicius sacerdos, Orpheus, der Sohn der Muse Kalliope und des thrazischen Flussgottes Oeagrus, heisst sacerdos als Diener der Musen.

longa cum veste. Das von Sängern und Priestern getragene lange Gewand giebt ihnen äusserlich etwas Majestätisches.

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646. obloquitur, lässt dagegen, dazu erklingen die siebensaitige Leier. numeris, Dativ zu obloquitur,,zu dem Rhythmus", zu den Weisen des Tanzes und Gesanges. 647. digitis pectine, er rührt die Saiten bald mit den Fingern, bald mit dem Kamm, wie er schwächer oder stärker spielen will.

648. Teucri, des aus Kreta nach Phrygien eingewanderten Stammvaters der Troianer.

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