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lichkeit erregt war, zu widerstehen. Beides besitzt Anna nicht. Ihre gewandte rede spicht nicht gegen ihre grosse beschränktheit; hier, wie an vielen stellen bei Shakespeare, besonders in den erstlingswerken, dient die redeweise durchaus nicht zur charakterisierung der sprechenden person. Auch das gefühl der ohnmacht ist für diese willensschwache frau nur eine wollust mehr. Wie süfs ist es für charakterlose frauen, betört hinzusinken. Eine entschuldigung findet sich dafür immer.

Für Richard ist seine kunstvolle rede nur ein schachspiel, innerlich lacht er über die dumme gans, die es ihm so leicht macht. Wie fein ist der letzte schachzug, dafs er sie bittet, ihn das begräbnis weiter besorgen zu lassen, "For divers unknown reasons". Damit fesselt er auch ihre phantasie. Grofse worte tun wunder, besonders, wenn sie nach geheimnis schmecken, frauen fallen darauf herein, weil sie eine feine witterung für gröfse haben, auch für verbrecherische, wegen ihrer erlösungsmanie, und sich durch einen zusammenhang zwischen dem geheimnis und sich selber schmeicheln. Richard verstärkt durch diesen zug seine gefährliche anziehungskraft, und ihr schicksal ist besiegelt. Aber ihr ist nicht wohl dabei, nicht nur wegen ihres warnenden instinkts: wenn sie denn schon zu leicht gewonnen ist, so mufs dem wenigstens ein mäntelchen umgehängt, das dekorum gewahrt werden: sie hat ihn erhört, um dem himmel einen reuigen sünder zuzuführen: "And much it joys me, too, To see you are become so penitent" (v. 215).

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Wetz entschuldigt Anna damit, dafs für sie, wie bei häufigen beispielen des mittelalters, nur das familiengefühl zu besiegen, die liebe zu vater und gemahl nicht so vergeistigt gewesen sei, dafs sie also keine solche ungeheuerlichkeit begangen habe, indem sie Richard erhörte. 1) Aber sie ist nicht zu entschuldigen. Man kann wenigstens keine edle seele aus ihr machen wollen. Sie wartete darauf, versucht zu werden und zu fallen, darum fällt sie so leicht, wie eine schlecht verteidigte festung.

Vielleicht ist Richards dämonischer zauber ursprünglich von Sh. unbeabsichtigt in diese szene gekommen, von der alten

1) A. a. o.

moralität her, als das urböse in all seiner lockung und macht. Es liegt etwas uraltes in dieser szene, das grausame spiel von katze und maus, derselbe gehalt wie in den alten tiermärchen und -fabeln, von der dummen gans, die sich vom fuchs betören läfst, vom tölpel, der vom teufel geprellt und geholt wird. Wer empfände da mitleid? Es ist ja nur eine gans. Auch Annas schicksal erweckt bei uns kein mitleid, sie wollte ja betrogen sein, es bedurfte nur des lockrufs, so ging der gimpel ins garn - ebensowenig wie das schicksal von Polonius oder der gerechten kammacher, die an Züs Bünzlin scheitern. Gewifs, es ist ein erbarmungsloses geschick, aber warum soll eine Anna davon kommen, wenn eine Cordelia untergehen mufs! Annas kleines schicksal erweckt kaum interesse, was an der szene so fesselt, ist Richard in seinem höllischen glanz. Er ist "ein bluthund, der auf eine schafherde losgelassen wird. Es ist ein teil der tragödie, dafs er edler ist als die schafe, die er vernichtet. Sein ist der einzige grofse intellekt im stück. Intellekt ist immer selten. Bei königen ist er sehr selten. .... Das ansehen all dieser blutigen gräuel ist weniger schrecklich, als anzusehen, wie das schaf triumphiert, was uns modernen so lieb ist ...." 1)

Wohl kann Anna nichts für ihre beschränktheit, nichts für ihren charakter, also auch nicht für ihr verderben, aber die Richard-Anna-szene ist folgerichtig aufgebaut, Annas eroberung genügend motiviert. Wem ihr los nicht begründet erscheint, der rechte mit dem schicksal, das sie so unvollkommen schuf; hier, nicht in der dichterischen fügung der szene selbst, klafft der spalt, den diese arbeit auszufüllen sich bemühte.

1) J. Masefield, Shakespeare. Home University Library p. 96/97.

GÜSTROW i. M.

GERTRUD GOETZE.

SHALL UND WILL ZUM AUSDRUCKE DER IDEALITÄT IM ENGLISCHEN.

Einleitung.

Der gebrauch von shall und will, sowie der ihrer imperfekte should und would, gehört zu den schwierigsten und umstrittensten kapiteln der englischen grammatik. Er ist schwierig sowohl mit bezug auf seine bestimmung als auch seine erklärung. Da er im laufe der letzten jahrzehnte sich sehr verändert hat und die tendenz zeigt, sich auch noch weiter zu entwickeln, so ist er vielfach schwankend, und diese schwankung wird noch dadurch vermehrt, dass der als korrekt geltende gebrauch doch nur für einen teil des englischen sprachgebietes, England selbst, geltung hat. Die grammatische theorie aber hat es nach langem schwanken mit bezug auf den sprachgebrauch wohl zu einer gewissen äufseren konvention über die anwendung dieser wörtchen gebracht, schwankt aber in ihren erklärungsversuchen haltlos hin und her zwischen psychologischen, besonders auch was Wundt nennt, vulgärpsychologischen erklärungsgründen, die die subjektive reflexion über die dinge in die dinge selbst hinübertragen, und historischen.

Dafs die theorie des gebrauches sehr schwierig ist, wird von den Engländern allgemein zugegeben, manchmal indem sie dieser theoretischen schwierigkeit die praktische selbstverständlichkeit gegenüberstellen. So sagt William Cobbett in seiner früher sehr viel gebrauchten English Grammar (1818) von shall und will: "Their uses are as well known to us as the uses of our teeth and noses, and to misapply them argues not only a deficiency in the reasoning faculties, but also a

Also, der richtige

deficiency in instinctive discrimination." gebrauch von shall und will ist eine sache der vernunft, ja des instinktes. Diese naive und nichts erklärende behauptung wird dann gerne mit einem seitenhiebe auf die Schotten verbunden. So sagt Macaulay an einer häufiger zitierten stelle in seinem essay über Bacon: "Nicht ein Londoner unter 10 000 kann den richtigen gebrauch von shall und will darlegen. Dennoch setzt nicht ein Londoner in einer million je sein shall und will falsch. Dr. Robertson hätte ohne zweifel eine lichtvolle abhandlung über den gebrauch dieser wörter schreiben können. Dennoch hat er sie, sogar in seinem letzten werke, in fast lächerlicher weise verwechselt." 1) Macaulay will hier die nutzlosigkeit einer theoretischen erkenntnis zur erreichung praktischen könnens darlegen und wählt dazu dies schwierige kapitel aus der grammatik, natürlich nicht ohne des beweises halber nach seiner art die dinge antithetisch zuzuspitzen und zu übertreiben. Den Schotten gegenüber bezeichnen die Engländer gern den richtigen gebrauch von shall und will als ein "schibboleth", ein unterscheidungszeichen. Dies tut z. b. der englische philologe Edwin Guest in einem aufsatze der Philological Society, 2) indem er hinzufügt, Walter Scott habe der schwierigkeit nie vollständig herr werden können. Andrerseits schimpft ein schottischer kritiker in der Edinburgh Review (1828)3) bei einer besprechung von Jamieson's "Scottish Dictionary" in recht kräftigen ausdrücken auf dieses "grofse schibboleth der modernen englischen Sprache", nennt es "ein unerträgliches system des sprechens, eine der launenhaftesten und inkonsequentesten aller denkbaren unregelmässigkeiten”, die mit der etymologie, wie mit früherem gebrauche, ja mit sich selbst im widerspruche stehe und verhältnismässig neu, nicht einmal zwei jahrzehnte alt sei. Was darauf an auseinandersetzungen über das Gotische und Angelsächsische folgt, zeigt, was man in England zur zeit von Bopp und Jakob Grimm in einer mafsgebenden zeitschrift dem gebildeten publikum als wissenschaft vorsetzen konnte. Wie die Schotten, so stehen

1) Essay on Lord Bacon in den Essays and Lays of Ancient Rome Pop. Edit. p. 408.

2) Proceedings of the Philological Society vol. II.

3) vol. XLVII p. 492 ff.

auch die Iren aufserhalb dieses sprachgebrauchs. Ihre unfähigkeit, shall und will richtig anzuwenden, wird verspottet in der anekdote von dem Irländer, welcher in einen fluss fiel und ausrief: "I will be drowned, and nobody shall save me", worauf er natürlich ertrank. Endlich sündigen auch die Amerikaner in wort und schrift beständig gegen den "korrekten" englischen gebrauch, was gewöhnlich von ihren grammatikern als fehler bekämpft, 1) aber in einem kürzlich erschienenen sehr interessanten aufsatze eines amerikanischen gelehrten in The Journal of English and German Philology als fortschritt und organische weiterentwicklung des englischen gebrauchs gerühmt wird. 2) Ob und wieweit das richtig ist, werden wir im zusammenhange der betrachtung sehen.

An versuchen, den gebrauch der hilfszeitwörter darzustellen und zu erklären, hat es nicht gefehlt. In England sind darüber einige aufsätze in zeitschriften 3) und ein sehr interessantes und im einzelnen lehrreiches, wenn auch etwas dilettantisches buch von Sir Edward W. Head1) erschienen, abgesehen von bemerkungen und grammatiken, namentlich der grammatik von Sweet. 5) In Deutschland sind über den gegenstand aufser aufsätzen und kürzeren betrachtungen in zeitschriften 6) auch unser altmeister Zupitza hat sich einmal mit einem teile dieser frage in einem vortrage in der Gesellschaft für N. Spr. beschäftigt und seine beobachtungen im Beiblatt zur Anglia veröffentlicht 7) eine reihe von disser

1) A. H. Tolman in den Modern Language Notes VII, 4: shall and will, should and would.

2) George O. Curme: Has English a Future Tense? (Journal of English and German Philology XII, 4. Oct. 1913.)

3) Archdiacon Hare im Philological Museum II, Edwin Guest in den Proceedings of the Philological Society 1845, Prof. de Morgan in den Transactions of the Philological Society 1850.

4) Shall and will, or two chapters on future auxiliary verbs. London, John Murray 1856.

5) Henry Sweet, A new English Grammar, logical and historical, Oxford 1892-1903. 2 vols.

6) Vgl. bes. C. F. S. Haupt in Herrigs Archiv XVII s. 228: Bestimmungen über die richtige Bildung des Futurums im Englischen nebst Regeln über die englische Übersetzung des deutschen Zeitwortes "sollen".

7) Zur Lehre vom Gebrauche des englischen Conditionalis, mitgeteilt in der sitzung der Berliner Ges. für das St. der N. Spr. am 9./3. 1884. Beibl. zur Anglia VII s. 150/151.

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