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lerwelle widerrechtlich aufgekommene Deutung der Souveränetåt als einer unbeschränkten Machts vollkommenheit in den wirklichen unverjährbaren Rech. ten der Unterthanen nichts ändern konnte und durfte, fondern juridisch ganz irrelevant war: wenn end. lich, wie kein Kundiger leugnen kann, in der Eng. lischen Verfassung jener ureigene Geist des Deutschen Volks allein sich möglichst_rein · erhalten und fortgebildet hatte; so lag es offenbar in der Nas tur der Sache, und war unumgånglich nothwendig, daß die lestgedachte Verfassung in dem neu sich vers jüngenden politischen Leben in Deutschland, vorzüglich als Vorbild angesehen und nachgebildet wurde. Hierzu kam dann noch die ebenso unleugbare innere Vors trefflichkeit dieses Vorbilds, und dessen moralischer Einfluß auf das ganze neuere Europäische Leben, theils in Hinsicht der daselbst in der Verfassung begründeten Herrschaft des Mechts und Gesetzes im Gegens faß gegen die Willkürherrschaft: der Premierminister und Maitressen in andern Reichen, theils in Hinsicht des steigenden Wohlstandes und Reichthums Großbritanniens im Gegensatz gegen die Verarmung, die Schuldenlast und die ungleiche Besteurung in andern Staaten. Vorzüglich hierdurch wurde, wie schon ander

warts bemerkt worden, England von der Zeit an, wo die willkürliche Herrschaft im übrigen Europa burch Carl V., Philipp II., Ludwig XI., Richelieu und Ludwig XIV. fast allgemein geworden war, der Punct, von welchem die innere Bewegung Europas ausging und sich den übrigen Völkern desselben mit. theilte. Nicht Montesquieu Lobreden, auf die Englische Verfassung haben diese Wirkung hervors gebracht, sondern wer im ganzen vorigen Jahrhundert den wachsenden Wohlstand Englands. gewahr ward, wer es sah, wie Gesetz und Recht auch über die Großen herrschte, wie geachtet auch der einfache Bürger war, wie ein jedes Verdienst eine freie Bahn zu Wirks famkeit und Belohnung fand; der mußte wohl das Verlangen empfinden, daß auch in seiner Heimath ein so frisches, freies und kräftiges Leben aufblühen möchte.

Daß nun wirklich jenes Vorbild bei den al= lermeisten Deutschen Constitutionen der neuesten Beit in verschiedenen Puncten benußt worden, ist unleugbare Thatsache; namentlich gehört dahin

1) Hermes a. a. D. Vgl. Pólik Staatswissenfch. Th. IV. S. 89.

die hie und da versuchte Umgestaltung des landstånbischen Princips in das eigentlich repræsentative, wonach die Vertreter aus der numerischen Gesammtheit bes ganzen Volks, nicht bloß aus einzelnen Stånden ge= wählt wurden, und daher auch nicht bloß die particu låren Interessen der einzelnen Stände, sondern die bes ganzen Volks zu vertreten hatten. Diese Umgestaltung war übrigens nicht allein durch den Verfall der Landstände, die meistens zu bloßen Jaherren bek Steuer bervilligung, stummen Figuranten auf dem Staats Theater, höchstens zu lebendigen Berichten, die die Regierung einfordert, herabgesunken waren), sowie dadurch, daß die Geistlichkeit ihrer alten Befißthümer größtentheils beraubt, der Adel seiner frühern Bedeutung verlustig, der dritte Stand dagegen durch Reichthum und Intelligenz mächtig, die Güter der Bauern endlich meistens wieder Wehrgüter geworben waren, gefordert und nöthig worden, sondern vornehmlich dadurch, daß man nach dem Vorgange Desterreichs in seinen Manifesten und Aufrufen (1809) *) in

1) Lang histor. Entwickl. d. Deutfch. Steuerverfaff. S. 232.

2) S. Voß Zeiten 1809 April ff.

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dem Befreiungsjahr 1818 sich an das ganze Bolk gewandt, und in diesem die Ueberzeugung bewirkt hatte, es habe auch etwas bei der neuen Gestaltung oder Reconstruction mitzusprechen. 1) — Ferner ahmte man in mehrern der größern Deutschen Länder (in Baiern, Baden, Hannover, Wirtemberg, fogar in Hessen-Darmstadt und Nassau) das Engli, sche Zweikammernsystem nach, obwohl von einer Pairie im Sinne des Brittischen Oberhauses ebenso wenig in jenen Staaten die Rede seyn konnte, als die zweite Kammer dem Brittischen Unterhause wahrhaft ents sprach. Endlich wurden eine Reihe einzelner Staates bürgerrechte, wie sie dem Brittischen Volke zum Theil schon seit vielen Jahrhunderten (und noch früher den altdeutschen Völkern) zukamen, als bestimmte Befug nisse des Volks oder seiner Vertreter anerkannt, und in großerm oder geringerm Maße in der einzelnen Constitutionen wirklich verliehen, als da sind: Mitwirkung der Stände bei der Geseßgebung und Besteues

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1) M. f. die kräftigen Worte des Fürsten v. Hars denberg und W. v. Humboldts über die Befriedis gung der gerechten Ansprüche und Erwartungen der Nation“ in Klüber Act. d. W. C. II. S 16,

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rung Controlle über die Verwendung ber Steuern, Beschwerbeführung oder Anklage gegen ble Minister, Gleichheit der Rechte der christlichen Religionspar teien, Aufhebung der Leibeigenschaft, Freiheit der Aus- und Einwanderung, Unabhängigkeit der Rechts pflege, Presfreiheit u. s. w.

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3 Es fragt sich nun, in welchem Grade haben die neuern Constitutionen wirklich das Hauptproblem gelöst, wie es in der Englischen Verfassung langst gelöst ist, nämlich den Unterthanen wirkliche polis tische Freiheit, nicht bloß bürgerliche gewährt, oder haben sie dieß nicht gethan und können sie vielleicht, weil die Deutsche Bundesverfassung dieß hindert, es gar nicht thun? Um diese Frage zu beants: worten, müssen wir an den wichtigen Unterschieb zwischen bürgerlicher und politischer Freiheit niit wenigen Worten erinnern. Bürgerliche Freis heit ist, wo die bestehenden Gesege, mag diese gege ben haben, wer da will, anerkannt und durch unab=' hängige Rechtspflege aufrecht erhalten werden, wo mithin die richterliche Gewalt von den beiden übri= gen Gewalten, der gefeßgebenden und vollziehenden, getrennt ist. Diese bürgerliche Freiheit kann in allen Staatsformen, in den autocratischen so gut,

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