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daß dagegen ein Fürst, der mit und nach dem Wil=' len des Valks regiert, in außerordentlichen Fällen außerordentliche Hülfsquellen der Liebe seines Volks findet: daß die öffentliche Meinung in unserm civilis firten Europa eine Macht ist, welche selbst ein Herr schergenie wie Napoleon fürchten muß: *) daß sie durch jeden Widerstand oder Druck an Federkraft gewinnt,2)

1.

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1) Napoleon sagte zu Madame Campan in Bes treff der öffentlichen Meinung: „daß er sie nicht fürchten würde, wenn er ihr eine Schlacht liefern könnte; da es aber kein Geschüß gebe, womit man sie erreichen könne, müsse man sie durch Gerechtigkeit und Güte zu erlangen suchen. Diesen beiden Mächten widerstände sie nicht; anders auf sie wirs Een wollen, heiße Ehre und Gut daran wagen. Man müsse, ihr gegenüber, fich menagiren lernen; fie laffe fich nicht ins Gefängniß sehen, und indem man sie unterdrücke, erbittre man sie nur“. Die Campan fest hinzu: „man kann sie einem Aal vergleichen, je fester man sie faßt, desto eher ents schlüpft sie einem." (Vgl. Vollgraff Syft. d. Polit. IV. 270.)

2) L'opinion publique est ce qu'il y a de plus élastique au monde; plus on la comprime, plus elle réagit. Segur Mémoir. II. 26, „On for

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und daß nur die Meinung, und nicht die Gewalt, die selbst wieder eine Meinung vorausseßt, die Trags steine und Säulen in dem Gebäude einer jeden Staatsverfassung bildet *).

1.

... Hieraus folgt zugleich, daß jebe, Maßregel oder Einrichtung, die mit der öffentlichen Meinung im unvereinbaren Widerspruch steht, mithin als ein Hemmniß der Entwickelung und Fortbildung des polis tischen Lebens erscheint, nothwendig eine Reibung und einen Kampf veranlassen muß, dessen endlicher Auss gang nach allen, durch die Geschichte begründeten, Wahrscheinlichkeitsschlüssen, nicht zweifelhaft seyn kann. Wie die innere Heilkraft der Natur bei jedem phyfischen Organismus, sobald in denselben ein ihm fchädliches Element eingedrungen ist, mit aller Macht dasselbe wieder zu entfernen und auszustoßen strebt, und wie die wahre Methode des Heilkundigen darin besteht, diesem natürlichen Heilungsstreben und Pros ceß zu Hülfe zu kommen, nicht aber ihn zu hemmen, oder gar zu unterdrücken, so verhält es sich auch mit

tifie presque toujours ce que l'on comprime."

I. 131.

1) Feuerbach üb. Deffentl. und Mündl. d. Ges rechtigkeitspflege. Th. I. S. 7.

dem politischen Organismus, beffen vis medicatrix sich eben als das Streben der öffentlichen Meinung dußert, alles seiner Natur Schädliche auszustoßen, und hierin von einer auf die politische Physiologie, Pathologie und Therapie sich verstehenden Regierung unterstügt werden muß, welche darin um so mehr für ihr eigenes Bestehen forgt, als (nach der treffenden Bemerkung der Mas dame de Staël) in der Geschicklichkeit, diese öffentliche Meinung zu leiten, oder ihr zur rechten Zeit nachzugeben, heutzutage die Regierungskunst besteht, *) und als es ein ebenfalls unbestreitbares politisches Axiom ist, daß die Regierung nur dadurch bestehen kann, daß sie die Principien, auf denen sie und das ganze Staatsge= bäude ruht, schüßt und festhält. 2) Daß auch die Fürsten selbst diese Wahrheit anerkennen, beweist die Entstehung der neuesten Verfassungen, die ja sammt und sonders daraus hervorgegangen sind, daß die Fürs sten, dem allgemeinen Rufe nach Volksvertretung nachgebend, bie Einführung oder Restituirung und zeitgemäße Umgestaltung ständischer Verfassungen feiers

1) Mémoires et considerat. etc. III, 13.

2) Imperium iis artibus retinetur, quibus initio partum cft. Sallust. (Bell. Catil. praef.)

lich zusagten, und bieß: Versprechen größtentheils auch schon gelöst haben. Was dabei herauskommt, wenn die Regenten, bloß um ihrer Minister willen, sich in grelle Opposition mit dem Volke oder der öffentlichen Meis nung sehen, hat die neueste Geschichte genugsam ge= zeigt. Schon längst haben übrigens die Brittischen Monarchen das gegentheilige Verfahren beobachtet und sich babei ganz wohl befunden; obwohl ihnen, wie jeden einherrschaftlichen Staatsoberhaupte, das Recht zus steht, ihre Minister nach iheer Willkür zu wählen, so haben sie diefelben, wenn sie wahrhaft unpopulår waren, doch nie auf die Länge beibehalten, und durch diese weise Mäßigung eine nicht genug zu bes herzigende Lehre gegeben,,Der Thron sagt ein neuerer Politiker; *) muß sich immer auf diejenigén flügen, von welchen er feine Macht empfängt. In frühern Zeiten war dieß bald der hohe, bald der niebere: Adel, bald die Geistlichkeit, bald die Städte; in unsern Lagens ist es (im ganzen westlichen Europa) durchgängig die Masse des Volks. Denn Gelb und Soldaten liefert nur sie, beides ohne Zuthun

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1) Ganilh de la contre- revolution en France

etc.

der höhern Stande, welche nicht mehr, wie sonst, dem Monarchen diefe Quelle abschneiden können. Da her muß jest die Regierung im Interesse des gesamme ten Volks regieren, wenn sie eine wirksame und kraf tige seyn will." $

Abgesehen von einer willkürlichen Aufhebung der Preßfreiheit, wo dieselbe bereits - verfassungsmäßig Statt fand in welchem Falle dann die Minister beßwegen von Rechts wegen in den Anklagestand zu versegen sind — möchte sich wohl kaum etwas dens ken lassen, was mit dem Geiste der neuern ståndis schen oder Repräsentativverfassungen ) mehr in Wi# derspruch wäre, was daher die öffentliche Meinung mehr wider sich haben und mithin zu gefährlichen Reibungen Anlaß geben könnte, als die Recusation der vom Volke verfassung små ßig ge= wählten Deputirten. Daß in einigen neuera Verfassungen die Regierung dieß Recht sich ausdrücks lich vorbehalten hat, kann natürlich nichts für das

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1) Für unsern gegenwärtigen Zweck ist es nicht no thig, den allerdings sonst wichtigen Unterschied zwis schen ständischer und eigentlicher Repräsens tativverfassung zu beachten, daher wir beide Ausdrücke hier als gleichbedeutend gebrauchen.

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