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Unverkennbar sind denn auch die Beziehungen, namentlich in Dantes iuferno und purgatorio auf Virgils Aeneide überhaupt, zumeist aber auf das sechste Buch derselben. „Wollte man," so sagt Kannegießer, 1) „in einem Vorgänger den Keim zu Dantes großem Gedichte suchen, so wäre es ja wohl am ersten im Virgil, nämlich im sechsten Buche der Aeneide." Damit stimmen aber wenig folgende Worte desselben Autors: 2) „Die Vorstellung, welche sich Dante von der Hölle macht, seinem Werke zufolge, unterscheidet sich wesentlich von denjenigen, welche andere Dichter in Werken ähnlicher Art niedergelegt hatten, nämlich dadurch, dass diese sie nur in allgemeinen, kanm fassbaren Zügen darstellen, aus denen man sich schwerlich ein Bild zusammenseßen könnte, jener nicht blos den Ort, wohin er seine Hölle verlegt, und die Gestalt desselben ziemlich genau beschreibt, sondern auch in der Bestimmung und Begrenzung des inneren Raumes, des ganzen Weges durch die Hölle ziemlich ins einzelne geht." Nun ist es aber gerade das Bestimmte", was Balmes mit vollem Rechte als charakteristisch an der Höllenbeschreibung Virgils ganz besonders hervorhebt. Den Keim zu dem großen Werke, welchem die Nachwelt in gerechter Bewunderung den ehrenvollen Namen „göttliche Kömödie" zuerkannte, hat Dante in der Aeneide Virgils nicht finden können; denn seine göttliche Komödie ist sowohl hinsichtlich der ganzen Anlage, wie der darin enthaltenen Gedanken und der Tendenz nach etwas wesentlich anderes; sie wurzelt auch in einem ganz anderen Boden: dem des Christenthums. Dr. Hettinger, wegen seiner umfassenden und gründlichen Gelehrsamkeit wohl der verlässlichste Dante-Erklärer unserer Tage, drückt sich darüber aus, wie folgt: 3) „Dante ist der Dichter der christlichen, der katholischen Gottes- und Weltanschauung, der katholischen Kirche"; und wieder: Was Bonaventura, der von Dante gefeierte Lehrer, als den Grundgedanken der christlichen Weltanschauung angedeutet hatte, bildet die centrale Idee der göttlichen Komödie."4) Die weihevolle Conception des erhabenen Grundgedankens, auf dem die großartige Dichtung Dantes sich aufbaut, ist des Dichters eigene Sache und eigenes Verdienst. Was er von Vorgängern entlehnt, das ist nur äußerer Apparat, das sind Zier1) Die göttliche Kömödie des Dante, überseßt und erklärt. Wien 1826; Einl. pag. LXVI.

2) 1. c. pag. LXIII.

3) Die göttliche Komödie des Dante Alighieri, nach ihrem wesentlichen Inhalt und Charakter dargestellt von Dr. Hettinger. Freiburg 1880; S. 58 ff.

*) 1. c. S. 60 ff.

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rathen zur reicheren Ausstattung. Unter den Dichtern aber, die auregend auf Dante gewirkt, denen er derartigen äußeren Apparat abgeborgt hat, freilich so, dass er das Entlehnte immer in feiner Weise und nach seinem Plane umgestaltet, 1) nimmt entschieden Virgil den ersten Plag ein; er ist der Lieblingsdichter Dantes. Virgils Aeneide hatte er ganz im Gedächtnis und suchte sich nach ihm zu bilden; 2) des Dichters eigene Worte zeugen dafür. Er begrüßt seinen Führer durch die Hölle also:

So bist du der Virgil denn und die Quelle,
Draus sich so reicher Strom der Red' ergießet,
Antwortet' ich ihm mit verschämter Stirne:
O du, der andern Dichter Licht und Ehre,
Der lange Fleiß sei und die große Liebe,
Mit der nach deinem Buch ich griff, mir günstig.
Du bist mein Meister, mein erhabnes Muster,
Du bist's allein, aus dem ich sie geschöpfet,

Die schöne Schreibart, die mir Ruhm erworben. 3)

Auch noch an vielen anderen Stellen preist Dante in ähnlicher Weise seinen Meister. 4) Ob er denselben zu hoch geachtet, 5) wer mag das entscheiden? Ehrenvoll für den durch das ganze Mittelalter so hoch geachteten Virgil bleibt das Zeugnis eines so gottbegnadeten Dichters immerhin. Es handelt sich hier nicht um jenes Verhältnis Virgils zu Dante, welches nach allegorischer Deutung der göttlichen Komödie dahin bestimmt wird, dass Virgil demselben als personificierte Vernunftweisheit durch Philosophie und profane Wissenschaft als Führer durch die Hölle dient, und bei Erklärung jener Sünden und Sündenstrafen Beistand leistet, welche schon durch die bloße Vernunft, ohne Offenbarung erkannt werden. 6) Nur auf die wirklichen Beziehungen und unzweifelhaften Spuren der Nachahmung des Werkes Virgils, der Aeneide, soll im Folgenden hingewiesen werden und zwar zuerst im allgemeinen und dann in einzelnen Punkten.

1) vgl. Kannegießer 1. c. pag. LXIV.

*) Dr. Hettinger 1. c. S. 10; Kannegießer, Comment. zu: Hölle 1, 79–87. *) Dante Alighieris göttliche Komödie, metrisch übertragen und mit kritischen und historischen Erläuterungen versehen von Philalethes. Leipzig 1868; 1. Th. Hölle 1, 79-87.

4) vgl. Purg. 21, 97 ff. und besonders 30, 49 ff.

5) vgl. Kannegießer, Comment. zu: Hölle 1, 79–87.

6) vgl. Kannegießer, Comment. zu: Hölle 9, 61; Hettinger 1. c. S. 90 ff. und Philalethes I. Th. S. 6.

Unter den allgemeinen Beziehungen verstehen wir die Uebereinstimmung in Hinsicht auf den Ort, wohin beide Dichter die Hölle verseßen, auf deren Eintheilung und Ausstattung, sowie theilweise auf die verschiedenen Kategorien der Höllenbewohner und auf die Beschaffenheit der Seelen der Abgeschiedenen.

III.

a) über die örtliche Bestimmung der Hölle.

Während noch zur Zeit der Reformation der lutherische Prediger Johann Brem der Ansicht war, die Hölle sei kein bestimmter und abgegrenzter Ort, sondern sie sei überall und ihr Ort das Universum, 1) kennen Virgil und Dante nur eine unterirdische Hölle. Nach Dante ist die Hölle ein kreisförmiger Trichter, dessen Spige im Mittelpunkte der Erde ruht, und dessen Durchschnitt einen Circelausschnitt eines größten Kreises der Erdkugel bildet. 2) Auf dem Gipfel dieses Kreisausschnittes liegt die Stadt Jerusalem. Der Höllenschlund ist durch den Fall Jerufalems entstanden, indem die Erde sich öffnete und der gefallene Engel bis zum Mittelpunkte derselben hinabstürzte. 3) Den Eingang verlegt der Dichter in die Nähe von Florenz: in jenen Wald, in welchem er sich verirrte. 4) Kannegießer 5) ist der Meinung, dass Dante bei der Versegung der Hölle in den Schoß der Erde mehr der Bibel, als seinem Meister Virgil gefolgt sei. Es fragt sich also: was lehrt die Bibel und die darauf sich stüßende allgemeine Ansicht der Theologen über die Oertlichkeit der Hölle? Die alttestamentlichen Schriften bezeichnen die Unterwelt, die Hölle, im allgemeinen mit dem Worte Scheol. Der Scheol (locus infernus) ist ein dunkler Kerker, der alle Abgeschiedenen aufnimmt, die Guten wie die Bösen; das ist eben der Standpunkt des alten Testamentes. Nach dem verschiedenen Zustande dieser Seelen müssen vier Abtheilungen unterschieden werden: die eigentliche Hölle (gehenna) als Strafort der Verdammten, das Fegefeuer, der limbus puerorum und der limbus patrum. Auf das Innere der Erde weist nebst verschiedenen anderen Stellen besonders folgende hin:

1) Bauß l. c. S. 21 ff.

Philalethes, Anhang, über eine mögliche Construction der Hölle I. Th. S. 298; vgl. Kannegießer, Einl. pag. LXVII.

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Penetrabo omnes inferiores partes terrae et inspiciam omnes dormientes et illuminabo omnes sperantes in domino. 1)

Die Bücher des neuen Testamentes sprechen von der Hölle selbst auch meist in Bildern und nennen sie: Abgrund, Reich der Finsternis, Kerker u. dgl. Jene Stelle aus der geheimen Offenbarung, die dem Dichter Dante wahrscheinlich Anlass gab, den Höllenschlund durch den Sturz Lucifers entstehen zu lassen, lautet:

καὶ ἐβλήθη ὁ δράκων ὁ μέγας
δ

εἰς τὴν γῆν. *)

Im Anschlusse an diese und ähnliche Stellen denken sich die Väter und Theologen insgesammt den Höllenraum im Innern der Erde und zwar in allen seinen Abstufungen. Ueberhaupt ist es allgemeine Lehre der Theologen", bemerkt Suarez, 3) „dass es vier unterirdische Räume gebe (quatuor esse loca subterranea), die zur Aufnahme der Seelen nach dem Tode bestimmt sind: der sinus Abrahae nunc vacuus, das purga-· torium, der limbus puerorum und die eigentliche gehenna; dass lettere am tiefsten, dem Centrum der Erde am nächsten liege, oder mit demselben zusammenfalle, ist zwar in den hl. Schriften uirgends bestimmt ausgesprochen, wird aber von allen Theologen angenommen. 4) Bezüglich des Fegefeuers behaupten viele Theologen mit dem hl. Thomas, es befinde sich in unmittelbarer Nähe der Hölle, das Feuer desselben sei mit dem der Hölle identisch. 5) Diese Lehre ist mit Dantes Darstellung des Purgatoriums nicht im Einklang. Der Ort der Reinigung ist ihm ein kegelförmig ansteigender Berg, der antipodisch zur Stadt Jerusalem auf der Erde sich erhebt. 6) Virgils Orcus umschließt sämmtliche unterirdischen Räume, den Reinigungsort nicht ausgenommen, und steht also seine Schilderung der oben entwickelten Anschauung näher. Ueher die Lage der eigentlichen Hölle fand aber Dante in Virgils Beschreibung des Tartarus eine Stelle, die den Mittelpunkt der Erde als die unterste Stufe der Hölle bezeichnet. 7) Eine nähere Andeutung, dass Dante in dem fraglichen Punkte mehr an Virgil sich anschließe, kann man darin erblicken, dass er, wie

1) Eccli. 24, 45.

2) Offb. XII, 9.

3) de angel. I. 8, 16. S. 21.

4) Baut 1. c. S. 26.

5) Bauß 1. c. S. 27.

6) Philalethes zu: Fegefeuer 1, 114 und 2, 3.

7) Aen. VI, 577 sqq.

sie beide auf ihrer Wanderung der Höllenstadt nahe kommen, an den Führer die Frage stellt:

Stieg Einer je vom ersten Grad hernieder,

Dem nur der Hoffnung Mangel ward zur Strafe,
Zu diesem Abgrund des graunvollen Beckens?

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,Den Weg betritt, auf dem ich jezo wandle;
,Wahr ist's, dass ich schon einmal war hienieden,

Ich weiß die Straße wohl, drum sei getrost nur.4 1)

Dass damit auf das sechste Buch der Aeneide hingewiesen wird, liegt außer Zweifel; wir werden später sehen, dass Dante die Höllenstadt selbst nach Virgils Vorgang schildert.

Soviel über die Oertlichkeit.

b) Eintheilung. Bei Dante wie bei Virgil hat das unterirdische Reich eine Vorhalle, die mit dem Acheron noch außerhalb des eigentlichen Höllenraumes liegt. Allein schon zur Vorhalle führt ein Thor; an demselben erblickt Dante, wie die beiden Wanderer nahe kommen, mit dunkler Farbe folgende Ueberschrift:

,,Der Eingang bin ich zu der Stadt der Traner,
Der Eingang bin ich zu dem ew'gen Schmerze,
Der Eingang bin ich zum verlornen Volke!
Gerechtigkeit trieb meinen hohen Schöpfer:
Die Allmacht hat der Gottheit mich gegründet,
Die höchste Weisheit und die erste Liebe.
Vor mir ist nichts Erschaffenes gewesen,
Als Ewiges, und auch ich daure ewig.

Lasst, die ihr eingeht, jede Hoffnung fahren." 2)

Nach der Vorhalle kommt das trügerische Gestade des Acheron. ") Hinter dem Acheron beginnt der eigentliche Höllenschlund und läuft, in der Form von neun immer engeren Kreisen sich verjüngend, in eine Spige aus, welche den Siß des Fürsten der schmerzvollen Stadt (Lucifers), das

1 Inf. 9, 16 (nach Philalethes).

9) Inf. 3, 1 ff. vgl. Anm. 1 des Uebersezers Philalethes.

3) Inf. 3, 78.

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