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Unterwelt: Tityos, welcher der Länge nach auf dem Boden hingestreckt daliegt, während ihm zwei Geier die immer nachwachsende Leber abzehren, Tantalos, der seinen brennenden Durst nicht stillen kann und umsonst die Hände nach den saftigen Birnen u. s. w. ausstreckt, endlich Sisyphos, welcher sich mit seinem Stein so sehr abmüht, dass der Schweiß rings den Gliedern entfließt (Vers 568-600). Es gab allerdings alte Sagen von solchen Büßern, die sich namentlich durch Frevelmuth und Auflehnung gegen die Götter oder Meineid u. dgl. derartige Strafen zugezogen hatten. Itaque so sagt Cicero 1) ut aliqua in vita formido improbis esset, apud inferos eiusmodi quaedam illi antiqui supplicia impiis constituta esse voluerunt, quod videlicet intelligebant, iis remotis non esse mortem ipsam pertimescendam. Solche_Typen__mag der Verfasser des hier eingeschobenen Stückes aufgegriffen und sie in die homerische Unterwelt versezt haben, wohin sie durchaus nicht passen, und zwar aus folgenden Gründen: 1. Die Strafen der hier genannten Büßer sind ganz unvereinbar mit der Vorstellung von der Kraftlosigkeit und Nichtigkeit der Psychen, wie sie uns überall sonst bei Homer begegnet; ohne Vorausseßung eines Leibhaften an den Psychen sind derartige Mühen und Plagen unmöglich. 2) 2. Das Zeitalter Homers keunt aber auch keine Büßung nach dem Tode; dieser ethische Charakter der Strafen in der Unterwelt gehört erst einer späteren Zeit an. Homer hat eine hohe, sehr ausgebildete Anschauung von der Strafgerechtigkeit der Götter. 3) Das Schlechte ist den Göttern verhasst; sie lieben nur die Frömmigkeit und gebührliches Handeln der Menschen:

οὐ μὲν σχέτλια έργα θεοὶ μάκαρες φιλέουσιν,

ἀλλὰ δίκην τίουσι καὶ αἴσιμα ἔργο ἀνθρώπων. 4)

Sie wandeln sogar auf Erden umher, um das Thun und Treiben der Menschen zu beobachten:

καί τε θεοὶ ξείνοισιν εοικότες ἀλλοδαποῖσιν,

παντοῖοι τελέθοντες ἐπιστρωφῶσι πόληας,

ἀνθρώπων ὕβριν τε καὶ εὐνομίην ἐφορῶντες. 5)

Allein die Strafe trifft den Frevler im Leben; sie ist oberweltlich.

- Davon überzeugen uns sowohl einzelne Beispiele als auch die Entwickelung

1) in Catilin. IV. 4, 8.

2) vgl. Nitsch, Anm. 3. B. S. 334 und S. 188 ff.

3) Nägelsbach, Hom. Theol. S. 297.

*) Odyss. XIV, 83.

5) Odyss. XVII, 485 sqq.

der Handlung in beiden Gedichten. Odysseus selbst, der von Poseidon über alle Länder und Meere verfolgte Dulder, ist der sprechendste Bürge dafür. Die Götter strafen entweder durch Missgeschick im Leben oder sofortige Tilgung aus demselben. 1) Allein Strafen nach dem Tode kennt Homer ebenso wenig wie Belohnung. Wir finden in seiner Unterwelt feinen besonderen Plaz für die Frommen und Guten. Dazu kommt noch, dass, so lange die Unterwelt nichts anderes ist als eine dunkle Dede, solche Phantasiegebilde, wie Seen und Gärten mit allerlei Obstbäumen darin, sehr übel angebracht erscheinen. 2) Das Schattenbild des Herakles, welches Odysseus zulezt noch sieht, gehört seiner Erscheinung nach zu denen des Minos und Orion und bildet mit denselben das Gegenstück zu den drei Büßern; dass es aber passender an das Ende gestellt sei, um mit der Person des großen Nationalhelden der Nekyia einen möglichst wirksamen, befriedigenden Abschluss zu geben, mag man immerhin gelten lassen; 3) allein diese glanzvolle Erscheinung des Heros, der im prächtigsten Waffenschmucke sich darstellt, bildet einerseits einen zu grellen Gegensatz zu den düsteren, trostlosen Räumen des Todtenreiches, wie sie mehrmals von den Psychen selbst genannt werden, andererseits ist diese Doppelnatur, diese Scheidung des eidwλov von der Person des Helden, durchaus nicht im Geiste der homerischen Zeit gezeichnet; das höhere Alterthum erkennt an Herakles eine solche ebenso wenig an, wie an anderen Söhnen der Götter. Selbst für seinen eigenen Sohn Sarpedon kann der höchste Gott, Zeus, weiter nichts thun, als seinen Leichnam behufs einer sorgsameren Bestattung in die Heimat befördern. 4) Von Herakles selbst sagt Achilles: 5)

οὐ δὲ γὰρ οὐδὲ βίη Ἡρακλῆος φύγε κῆρα,

ὅς περ φίλτατος ἔσκε Διὶ Κρονίωνι ἄνακτι,

ἀλλὰ ἑ μοῖρ ̓ ἐδάμασσε καὶ ἀργαλέος χόλος Ηρης.

Da ist nicht die leiseste Andeutung von einer Apotheose; wollte man an eine Entrückung des Helden glauben, so könnte es kein eldhov desselben in der Unterwelt geben. Wie man sich im Alterthum die zur Aehnlichkeit der Olympier erhöhten Heroën, Hercules und Romulus vorstellte, erfahren wir aus folgender Stelle bei Cicero: ")

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Nam cum Herculem et Romulum ex hominibus deos esse factos adseveraret, quorum non corpora, inquit, sunt in coelum elata; neque enim natura pateretur, ut id, quod esset e terra nisi in terra maneret.

Odysseus möchte, nachdem Herakles sich entfernt hat, auch andere Helden sehen, allein es drängten sich unzählige Scharen von Geistern heran, und so entflieht er aus Furcht vor dem Schreckbild der Gorgo und eilt zum Schiffe zurück. Von dem Vorhandensein solcher monstra erfahren wir sonst nirgends etwas in der homerischen Nekyia.

So erhalten wir, wenn das Unechte ausgeschieden wird, folgendes Gesammtbild von der homerischen Unterwelt:

Sie ist ihm ein einförmiger, dunkler Ort im Innern der Erde ohne jede Abgrenzung oder Eintheilung in verschiedene Bezirke. Selbst die Asphodillwiese ist nichts anderes, als eine Art Wandelbahn für die Schatten der Helden, die sich durch das ganze Gebiet des Hades erstreckt. 1) Dass der Dichter nicht an einen besonderen Raum für einzelne Abgeschiedene gedacht hat, ersehen wir aus den mehrfach wiederkehrenden Worten: ὡς φαμένη ψυχὴ μὲν ἔβη δόμον "Αιδος είσω. 2) 2ustattung: Trüffe der Unterwelt scheint die ursprüngliche Nekyia nicht zu kennen. Kirke erwähnt zwar solche und benennt sie auch; allein jene Stelle, sowie Vers 157 ff. der Nekyia, wo von mächtigen Strömen und furchtbaren Fluten gesprochen wird, werden schon von den Alten athetiert 3) Es wäre auch merkwürdig genug, dass die Psychen, ungeachtet dieser Ströme ohne Anstand in den Hades gelangen. Es gibt keinen Fährmann, der dieselben über den Fluss brächte. Selbst in der zweiten Nekyia wird eines Fährmannes nicht gedacht. 4) Vom Höllenhunde wird nur beiläufig erwähnt, dass Herakles ihn heraufgeholt habe, ohne dass sein Name genannt würde (Vers 223 ff.), also in der interpolierten Partie. Auch eines Schreckbildes der Gorgo geschieht nur hier Erwähnung. Die Ausstattung der homerischen Unterwelt ist somit sehr einfach und ärmlich. Dasselbe gilt von dem Zustande der Seelen. Die Mutter des Odysseus schildert ihn, wie folgt:

ἐπεί κε πρῶτα λίπῃ λεύκ ̓ ὀστέα θυμός,

ψυχὴ δ' ηύτ' ὄνειρος αποπταμένη πεπότηται. Sers 221 f.

1) vgl. Nitsch, Anmerk. 3. B. G. 207.

2) Odyss. XI, 150; 563 und von Achilles, 539.

3) Ameis, Anh. II. S. 63.

*) Odyss. XXIV; vgl. Nißsch, Anmerk. 3. B. S. 181.

Wie ein Traum flattert die Seele, nachdem sie davongeflogen, hin und her, sobald einmal die Lebenskraft aus dem Körper gewichen ist. 1) Bei der Zerstörung des Leibes, beim leiblichen Tode, gehen der vuós und die yvxý hinweg, d. i. die geistige und die animalische Seele, aber nur leßtere geht in die Unterwelt; 2) die Existenz der ersteren hört vollends auf mit der Existenz des Körpers, die yvzý aber dauert in der Unterwelt fort in der Gestalt eines Scheinbildes. Wollte der Mensch sich eine Vorstellung von dieser Fortexistenz machen, so müsste er sich dieselbe in der gleichen äußeren Form denken, die den Lebenden kenntlich gemacht hatte. So sehen wir die yvyý des Achilles auch drunten in der Unterwelt noch uangà ßißãoα über die Asphodillwiese hinschreiten (Vers 539); ist es ja die Seele oder der Schatten des Fußstarken oder schnellen, die damit bezeichnet wird. Ein eigentliches Leben ist also diese Existenz nicht, denn es mangelt dazu die Grundbedingung nach Homer, nämlich die poéves, die Träger des geistigen Lebens. Allein bezüglich mancher Punkte zeigt sich ein gewisses Schwanken in der Vorstellung und Ausdrucksweise. Wir haben bereits früher bemerkt, dass der Dichter sich nicht consequent bleibt in Bezug auf das Bedürfnis der Schatten nach einer Stärkung durch das Blut. Die darauf bezügliche Weisung des Tiresias (Vers 147-149), die wir oben dem Sinne nach angeführt haben, kann so viel nicht enthalten, wie Völker 3) ihr beilegt: „Der Bluttrank belebt und stärket die Verstorbenen so durch die Gewinnung des Körperlichen, dass sie ohne Unterschied die Zukunft vorauszusehen verstehen." Das konnte wohl Tiresias aus dem bereits oben angeführten Grunde. Auch kann man nicht mit Nägelsbach behaupten, dass der Blutgenuss conditio sine qua non für die Rückkehr des Bewusstseins sei, denn das Verhalten des Aias, des Patroklos und des Antilochos und deren Begleiter (Vers 541 und 542) sprechen dagegen. Auch bei der Mutter des Odysseus sehen wir, wie schon bemerkt, irgend einen Grad des Bewusstseins schon früher vorhanden; allein gekräftigt wird dasselbe, und, was das wichtigste ist, sie kommt zur Sprache, durch welche sich eben das Dasein des Bewusstseins erst dar*thun kann. Der Todte ist also nach Homers Vorstellung ein ganz eigenartiges Wesen; er hat keinen Leib und doch etwas von leiblicher Existenz, wie besonders aus der Erscheinung des Achilles hervorgeht; er hat auch keinen Geist mehr, aber dennoch zeigt er geistige Thätigkeiten, Stimmungen von 1) Ameis: zur Stelle.

2) vgl. Nägelsbach, Hom. Theol. S. 339 ff.

3) Ueber Yvyý und eïdwλov. Gießen 1825. S. 17.

Freude, Schmerz, Groll; ja ɛidwλa weinen auch. 1) Von der yvyý des Patroklos wird gesagt, sie sei ihm in allen Stücken, auch der Stimme nach ähnlich. 2) Eines also zeigt sich an dieser ganzen Auffassung, nämlich das Widerstreben der menschlichen Natur gegen den Gedanken einer völligen Vernichtung durch und mit dem Tode; sie klammert sich mit aller Gewalt an den Gedanken irgend einer Fortdauer auch im Jenseits. 3) Das ist eben der Gedanke, von dem unsere Betrachtung der homerischen Nekyia den Ausgang genommen.

II.

Wir kommen zur Schilderung des Orcus bei Virgil und treten damit gleichsam in das zweite Stadium der menschlichen Vorstellung über die Beschaffenheit der Unterwelt. Allerdings, das muss hier voraus bemerkt werden, haben wir es da nicht mehr mit der allgemeinen Volksanschauung zu thun, sondern der römische Dichter kleidet die herrschenden Meinungen über die Fortdauer im Jenseits und den Zustand der Abgeschiedenen in ein philosophisches Gewand, um derselben eine bestimmte Gestalt zu geben und sie in ein System zu bringen. Die pythagoreisch-platonische Lehre über die Seelenwanderung gibt der Nekyia Virgils ein anderes Gepräge und entrückt sie aus dem Kreise der allgemeinen Ansichten in das Gebiet philosophischer Doctrin, wie schon Servius mit Bezug auf den legten Theil des sechsten Gesanges der Aeneide bemerkt hat. Es ist darum wohl nur der allgemeine Umriss, der dem römischen Dichter als Vorbild vor Augen schwebte; allein er hat aus seiner Nekyia etwas wesentlich Verschiedenes gemacht von der homerischen. Nicht nur die Darstellung, die äußere Form erscheint hier um vieles glänzender und kunstvoller als bei Homer, sondern Virgil verfolgte dabei auch andere Ziele und seine Nekyia bietet auch eine bedeutend vollkommenere Anschauung über das jenseitige Leben. *) Der Zusammenhang mit dem vorangehenden und nachfolgenden Theile des ganzen Epos ist in ähnlicher Weise vermittelt, wie bei Homer; auch hier wird bereits im vorausgehenden Gesange auf dieses Episodium hingewiesen, und zwar ist es die Erscheinung des Vaters Anchises, welche den Helden des Epos, Aeneas, ermahnt, ungeachtet des Verlustes mehrerer Schiffe durch den verhängnisvollen Brand am Gestade Siciliens weiter1) II. XXIII, 106.

2) II. XXIII, 67.

Nägelsbach, Hom. Theol. S. 350 ff.

*) Heyne-Wagner, Vol. II. Exc. I. 3u lib. VI; Bittner: Quomodo Virgilius loca inferna animarumque conditionem „descripserit." Programm. Komotau 1869, pag. 1.

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