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Programm

des

UNIV. OF
CALIFORNIA

k. k. Ober-Gymnasiums

zu

Meran.

Veröffentlicht am Ende des Schuljahres
1886-87.

Inhalt: Die Darstellung der Unterwelt bei Homer, Odyss. XI und Virgil
Aen. VI; das Verhältnis Virgils zu Dante: dell' inferno. Von

Prof. Isidor Lechthaler.

Schulnachrichten von dem Director.

Meran 1887.
Im Selbstverlage des Gymnasiums.

C. Jandl's Buchdruckerei.

VIMU AMBORLIAD

B4735 1.4

пр

UNIV. OF

Die Darstellung der Unterwelt

bei Homer Odyss. XI und Virgil*) Aen. VI;
das Verhältnis Virgils zu Dante: dell' inferno.

Bon

Professor Ifidor Lechthaler.

Der Gedanke, was mit dem Menschen nach Ablauf seiner Lebenszeit hier auf Erden geschehen werde, ob es nach diesem noch ein anderes Leben gebe und wie dasselbe beschaffen sei, hat von jeher den denkenden Menschengeist beschäftigt, und es war um so weniger möglich, diesem Gedanken aus dem Wege zu gehen, als ja die Vergänglichkeit und Hinfälligkeit dieses irdischen Lebens in den mannigfaltigsten Gestalten jederzeit dem Menschen vor Augen schwebte. Daher denn auch der Schmerzensruf des Dichters:

Eheu fugaces, Postume, Postume,
labuntur anni, nec pietas moram
rugis et instanti senectae

afferet indomitaeque morti. 1)

Zugleich mochten sich aber die wenigsten mit der Versicherung beruhigen, welche Mirabeau kurze Zeit vor seinem Hinscheiden ausgesprochen: Nun wollen wir uns mit Blumen bekränzen, denn in einer halben Stunde sind wir in dem Reiche des Nichts." Vielmehr war schon zu jener Zeit, in die das Licht der Geschichte noch spärlich hereinleuchtet,

"

*) Weil die meisten Werke, welche im Verlaufe der Arbeit angeführt werden, diese Schreibweise bieten, wurde dieselbe beibehalten.

1) Hor. carm. II. 14, 1 sqq.

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10 VIMU AIMBOTLIAD

4

der Volksglaube der Griechen etwas erhaben über diesen frostigen Nihilismus des französischen Materialisten. Dieser Glaube lässt den Menschen nicht gleich dem Thiere verenden und mit dem Tode alles aus sein, sondern er hält an irgend einer Fortexistenz auch nach dem Tode fest. „Wir können annehmen", sagt Nägelsbach, 1) „dass der Grieche, der diesen Dingen nachforschte, innerhalb seines Landes und als einheimisch in demselben, eine dreifache Unsterblichkeitslehre vorfand: 1. die homerische, 2. die orphisch-pythagoreische, 3. die elensinische."

Diese Unsterblichkeitslehre findet nun ihren bestimmten Ausdruck in der Vorstellung von einer Unterwelt als Aufenthaltsort der abgeschiedenen Seelen, einer Vorstellung, die nach dem Zeugnisse Lucians 2) allgemein, ja so allgemein war, dass sie manchem Epikuräer lästig wurde, wie wir aus nachfolgender Aeußerung des Lucretius 3) entnehmen :

et metus ille foras praeceps Acheruntis agendus
funditus humanam qui vitam turbat ab imo,
omnia suffundens mortis nigrore, neque ullam
esse voluptatem liquidam puramque relinquit.

Wir sehen, der römische Dichter wollte sich durch diesen peinlichen Gedanken an den Orcus und was drum und dran ist, die heiteren Freuden des Lebens nicht verbittern lassen. Wie dieser Orcus oder "Egeßos nach Homers Darstellung ausgesehen, das erfahren wir besonders aus dem eilsten Gesange der Odyssee, der darum auch die Nekyia oder Nekromantia heißt. 4) Gerade dieser Gesang befindet sich gegenüber der homerischen Frage in ziemlich bedenklicher Stellung; schon die Alexandriner 5) haben einen bedeutenden Theil desselben als Interpolation erflärt; über die lezte Partie desselben, dessen Unechtheit auch von späteren Commentatoren ®) mit Entschiedenheit behauptet wird, werden wir nachher noch zu sprechen haben. So viel steht jedoch fest, dass die homerische Vorstellung über diesen Gegenstand in den wesentlichen Punkten sich lange Zeit hindurch forterhalten hat und dass die beiden Epopäen, Ilias und Odyssee, gleichviel, ob von demselben oder von verschiedenen Verfassern, ob derselben Zeit entstammend oder ob, wie man annimmt, die

1) Nachhom. Theol. des griechischen Volksglaubens. Nürnberg 1857. S. 405. 2) de luctu § 1-9.

3) de rerum natura 3, 37-40.

4) vgl. Nitsch, Erklärende Anmerkungen zu Hom. Odyss. 3. B. G. 179. 5) La Roche: zur Homerliteratur, Zeitschr. für österr. Gymn. 1862, S. 182. 6) vgl. Nitsch, Sagenpoesie der Griechen, S. 131.

Odyssee einer späteren Zeit angehöre, in Hinsicht auf den fraglichen Punkt die allgemeine Ansicht jener Zeit enthalten, wenn auch in Bezug auf rein äußerliche Dinge, wie z. B. die Dertlichkeit des Todtenreiches, eine Abweichung der Ilias von der Odyssee angenommen wird. 1) Bevor wir zur näheren Beschreibung der homerischen Unterwelt übergehen, ist noch die Frage zu beantworten, wie der Dichter seine Nekyia mit dem Plane des übrigen Epos in Verbindung gebracht hat. Die Nekyia wird bereits im vorangehenden, zehnten Gesange angekündigt. Odyssens, der Held des Epos, erhält dort (X, 512) von der Zauberin Kirke die Weisung, zum Eingang in das Todtenreich zu schiffen und selbst in den Hades hinabzusteigen, damit er vom Seher Tiresias Auskunft über seine Heimkehr erhalte. Der Dichter verfolgt jedoch damit noch eine ganz andere Tendenz, dieselbe, welche er auch bei der Schilderung der vorangehenden Wanderungen seines Helden durch lauter Wunderland im Auge hat, nämlich, seinen Zuhörern unterhaltende Erzählungen vorzuführen und sie damit zu ergößen. 2) Wohin versezt also der Dichter seinen Hades, besser, das Haus des Hades? Man hat geglaubt, über diese Vorstellung bezüglich der Localität einen Widerspruch zu entdecken. 3) Allein die verschiedenen Bezeichnungen, die sich darüber sowohl in der Ilias als in der Odyssee vorfinden, lassen es kaum zweifelhaft, dass der Dichter sich denselben unterirdisch, im Innern der Erde befindlich gedacht habe und zwar mit dem Eingang im Westen, jenseits des Meeres, längs der Strömung des Okeaños. Vor dem Eingange haben die Kimmerier, Männer der Dunkelheit, ihre Wohnsige; ihnen leuchtet ein freundlicher Sonnenstrahl. Dieses mythische Volk ist eine passende epische Personificierung der Eigenschaften, welche dem Eingange in das unterirdische Todtenreich beigelegt werden. 4)

I.

An den bezeichneten Ort hingelangt, bringt Odysseus die von der Kirke anbefohlenen Opfer dar und lässt das Blut der geschlachteten Opferthiere in eine Grube fließen; er selbst sezt sich dorthin und zieht das Schwert, um die Seelen, die sofort sehr zahlreich aus dem Innern des Hades hervorkommen, ferne zu halten. Gleich am Eingange begegnet dem 1) vgl. Nitsch, Anmerk. 3. B. pag. XXXV.

2) Ameis, Anhang zu Hom. Odyss. II. Heft, S. 73 und Nißsch, Sagenpoesie, S. 122

3) Völker, Hom. Weltkunde, S. 141 ff.; Nägelsbach, Hom. Theol. S. 344. Nitsch, Anmerk. 3. B. S. 171 und 187 und Abschn. 4, pag. XXXV.

) Ameis: zu Hom. Odyss. XI, 14.

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