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Es ist wol schon seit lange eine von englischen sowol als

nichtenglischen kritikern anerkannte tatsache, dass Byron, der im allgemeinen zu den originellsten dichtern gehört, in seinen jugendschriftenbewust oder unbewust grossenteils nachahmungen heimischer und ausländischer klassiker lieferte. Die kritik unserer zeit hat längst aufgehört, derlei nachahmungen einem dichter vorzuwerfen, wenn er nur später bewies, dass er auch originelles und schönes schaffen könne. Besonders die alten sind es, deren studium in der neuzeit bereits soweit in fleisch und blut der denkenden menschheit übergegangen ist, dass nachbildungen derselben kaum mehr als solche empfunden werden. Weniger werden schon nachahmungen neuerer klassiker nachgesehen, und der nachweis hiervon selten dem dichter geschenkt. Um so auffälliger muss es daher erscheinen, dass sich bis heute kein kritiker der aufgabe unterzogen hat, zu untersuchen, ob und wie weit eine nachahmung neuerer muster bei einem dichter vom range Byron's vorliegt. Zum teil erklärt sich dies daraus, dass die hohe schönheit und zweifellose originalität der mehrzahl der reifern dichtungen die früheren verdunkelte, daher es lohnender erschien, zur erweiterung des verständnisses jener beizutragen, als nach der grössern oder geringern originalität dieser, nur zum kleinen teile wertvollen poesien zu forschen. Wie aber das leben, wachsen und gedeihen der entwickelten pflanze unverständlich ist, so lange beschaffenheit und nahrungsquellen der wurzel nicht ergründet sind, ebenso wird ein vollkommenes verständnis der reifern werke eines dichters erst durch das studium seiner ersten geistigen entwicklung und jugendschriften er

möglicht. Jene lässt sich bei Byron nach den sowol von ihm selbst als von seinen zeitgenossen zahlreich vorliegenden aufzeichnungen verfolgen, und das um so leichter, da diese eben durch den biographen Byron's, Thomas Moore, chronologisch und übersichtlich geordnet sind; die beurteilung der jugendschriften aber verlangt ein aufmerksames durcharbeiten derselben, wie auch der in ihnen nachgeahmten werke älterer und neuerer dichter. Hieraus ergibt sich dann, dass von antiken schöpfungen keine von einiger bedeutung Byron fremd war: Virgil und Homer, Catull, Tibull und Horaz, Euripides, Aeschylos und Anacreon finden wir angeführt und nachgeahmt. Von neueren dichtern sind es jedoch, trotz ausserordentlicher belesenheit in in- und ausländischer literatur nur wenige, deren studium Byron in seiner jugend bis zur nachahmung verfolgt hätte, ein dramatischer, ein lyrischer und ein epischer dichter: Shakespeare, Moore und Pope.

Shakespeare ist am wenigsten benutzt und das aus zwei gründen: erstens hatte Byron anerkanntermassen kein dramatisches talent; zweitens widerstrebte es seinem eigenartigen charakter, das vorbild aller auch zu dem seinen zu machen. Nebenbei tritt der Shakespearesche einfluss so allgemein bei den später geborenen dichtern Englands auf, dass er eben so wenig wie der altclassische sich bei den einzelnen nachweisen lässt. Moore wird schon mehr nachgeahmt, aber erstens nur teilweise, nämlich in den lyrischen gedichten und selbst in diesen nicht durchweg, da das verschiedene temperament die beiden dichter zumeist auf verschiedene bahnen führte 1) --, zweitens versteckt, weil Byron dem zeitgeist huldigte, der Moore zwar als dichter vergötterte, aber wegen seiner lascivität angriff. Am meisten und offenbarsten aber Pope, dessen einfluss sich nicht nur in den poesien Byron's durchweg geltend machte, sondern auch das denken und fühlen Byron's beherscht hat.

Andere hervorragende englische dichter, wie Chaucer, Spenser, Milton, Dryden finden wir wol auch anerkannt und verehrt, aber nicht ganz vorurteilsfrei, sondern im Popeschen lichte, nach Popescher kritik und moral, einer tugend, deren

1) Moore ist auch patriotisch, Byron nur erotisch, zum mindesten egoistisch in seiner lyrik.

stätes verteidigen seitens des eher unmoralischen Byron schon auf Pope, den moraldichter par excellence, hinweist. 1)

Der nachweis des einflusses Pope's, als ethischen denkers, auf Byron ist jedoch von mehr psychologischem interesse; den literarischen einfluss des dichters Pope auf die jugenddichtungen Byron's nachzuweisen ist aufgabe dieser abhandlung.

1) Den einfluss Scott's auf Byron, der bis zur stunde ebenso wie derjenige Pope's unterschätzt wurde, macht sich erst im 'Giaur' geltend. Ein genaues eingehen auf diese behauptung würde hier zu weit führen; es genüge auf den bis dahin Byron fremden vierfüissigen jambus (abgesehen von kleineren gedichten) hinzuweisen und aus der legion ähnlicher stellen die folgenden hervorzuheben:

but ere he passed

One glance he snatch'd as if his last
A moment checked his wheeling steed,
A moment breathed him from his speed,
A moment on his stirrup stood . . .

'A moment gazed adown the dale
A moment snuff'd the tainted gale
A moment listen'd to the cry.'

Byron, Giaur.

Scott, The Lady of the Lake.

I.

Welche dichtungen Byron's sind als jugendschöpfungen zu bezeichnen, und wie äussert sich im allgemeinen der einfluss Pope's auf dieselben?

Die erste frage wird gewönlich dahin beantwortet, dass mit der ersten abreise von England die periode originellen schaffens bei Byron beginne; doch ist dies nur insofern richtig, als die während seiner reise in den orient geschriebenen zwei ersten gesänge des 'Childe Harold' wirklich schon den stempel der meisterschaft tragen. Aber die gleichzeitig mit diesen verfassten, nur viel später gedruckten satiren 'Hints from Horace', 'Curse of Minerva' und (zwei jahre darauf) 'the Waltz' bilden gerade mit den 1807 und 1808 veröffentlichten 'Hours of Idleness' und 'English Bards and Scotch Reviewers' jene gruppe von dichtungen, die ihrer unfertigkeit und geringeren originalität halber als jugenddichtungen bezeichnet werden

müssen.

Die 'Hours of Idleness' sind eine sammlung von gedichten, von denen manche bis in das knabenalter des dichters zurückreichen, doch aber schon eine menge von vielversprechenden schönheiten zeigen. Schon ihr weiterer titel: 'A series of poems, original and translated' verrät, dass man nicht an alle den massstab der originalität anlegen dürfe. Treffend beurteilt sie Byron's grosser zeitgenosse Scott im gegensatze zu der bekannten misgünstigen kritik in der 'Edinburgh Review' folgendermassen: 'Sie waren, wie alle jugenddichtungen, mehr aus der erinnerung an das, was dem autor bei andern gefallen

hatte, als aus eigener schöpfungskraft geschrieben; trotzdem enthielten sie nach meinem urteil so manche vielversprechende stelle.' Ihre weitern schicksale sind bekannt.

Die satire 'English Bards and Scotch Reviewers' erschien als entgegnung auf die schon erwähnte kritik in der 'Edinburgh Review' und ist weitaus die wertvollste aller dichtungen dieser periode; ärger und verletzter stolz verleihen ihr ein von den andern abstechendes originelles gepräge, und es ist nur zu beklagen, dass der mit ihr erzielte erfolg den dichter auf die seinem genius minder zusagende bahn der satire führte. Je mehr die spöttische aufnahme seiner zum grössern teile lyrischen 'Hours of Idleness' mit dem ungeteilten beifall, welcher der satire zu teil ward, im widerspruche stand, um so mehr glaubte Byron sich zu dieser befähigt und berufen.

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Schon die nächste satire 'Hints from Horace' zeigt einen gewaltigen rückschritt. Ihre kritische beleuchtung gehört nicht in dieses kapitel, nur ihrer schicksale sei hier kurz gedacht. Sie datiert ihrem ganzen umfange nach wenn wir dem autor glauben schenken wollen - von einem tage, dem 12. März 1811 und zwar aus dem Capuchin convent in Athen. Im sommer nach England zurückgekehrt, übergab sie Byron seinem freunde Dallas zum drucke mit dem bemerken, es sei eine fortsetzung zu den 'English Bards and Scotch Reviewers' in der form einer paraphrase der Horazischen 'Ars poetica'. 'Er sagte, er halte die satire für seine force und verspreche sich wachsen seines ruhmes von ihr', teilt uns derselbe Dallas mit.1) Auf drängen seiner freunde liess sich aber Byron bewegen, zunächst die zwei ersten gesänge des 'Childe Harold' herauszugeben, und diese drängten die satire in den hintergrund. Schon im herbste finden wir sie nur noch beiläufig erwähnt; neun jahre darauf denkt Byron wieder an ihre veröffentlichung, aber erst nach seinem tode kam diese zu stande (1831).

Die dritte satire 'Curse of Minerva' erfuhr ein ähnliches schicksal. Hervorgerufen im jahre 1811 durch die nur zu gerechte entrüstung Byron's über den schacher mit griechischen altertümern, wurde sie bald fallen gelassen, um anstoss zu vermeiden, und nur teile derselben erblickten während der

1) Moore, Life of Byron p. 121.

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