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Erstes Kapitel.

Montesquieu's Versuch einer philosophischen Grundlegung.

Der Verfasser der «Lettres Persanes » war ein junger genialer Mann, der mit einer Fülle von Erfahrungen, Gedanken, Wünschen spielte. Ein Gefühl der Verantwortung seinem Stoffe gegenüber trug er nur als Dichter; gelang es ihm, das Thema dichterisch zu ordnen, ich meine: Glied um Glied, bis ein wirklicher Leib, ein wirkliches Lebewesen daraus wurde, seine Stimmung zu verkörpern, und eben nur diese, so war seiner Verantwortung Genüge geschehen. Gedankliche Widersprüche durften, ja mußten vorhanden sein, wenn jene Stimmung es erforderte. Sie allein, das dichterische, das lyrische Element regierte, Wissenschaft und politisches Bestreben hatten sich unterzuordnen..

Montesquieus Verantwortungsgefühl befindet sich am entgegengesetzten Punkt, sobald er als Verfasser des << Esprit des Lois » auftritt. Jetzt soll es sich um das Ergebnis objektiver Forschung handeln, das Wesen des Staates und seiner Gesetze soll ergründet, dazu soll praktisch untersucht werden, was für die Blüte jedes Staatswesens zuträglich, was ihr unzuträglich sei, und jeder Lyrismus, alles Schwanken bloßer Stimmungen über widerspruchsvollen Gedanken soll durchaus beiseite

bleiben.

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Es soll - und um sich Zwang anzutun, zwängt Montesquieu die philosophische Grundlegung seines Werkes im ersten Buch in drei bis zur Härte knappe Kapitel zusammen. Aber nur über die Form hat er Gewalt, nicht

über das Menschliche im eigenen Herzen. Das ist das gleiche geblieben, das es zur Zeit der Lettres Persanes >> war, und alles was die Anstrengung Montesquieus erreicht, ist nur ein harter Zusammenprall, eine wenig geschickte Verschleierung innerer Widersprüche, was denn von einigen als böswillige Verlogenheit, von anderen als geistige Wirrnis und Schwäche ausgedeutet, von den dritten zwar als Einheitlichkeit aufgefaßt wird, aber immer nur unter Beiseitelassen irgend eines wichtigen Teiles, der ihnen eben nicht in ihre Einheitlichkeit hineinpaßt.

Man erinnere sich der philosophischen Ansichten, die in den «<Lettres Persanes » gefällig beisammenstehen, da sie in heitere Beschreibungen eingetaucht und durch sie isoliert sind, vor allem auch, da sie von einem jugendlich frischen Dichterwillen zusammengeschmolzen werden. Es ging um ein Fünffaches. Der Dichter der « Lettres Persanes » sieht die Welt zuerst unter dem Gesichtspunkt des rein Physikalischen und Naturwissenschaftlichen an. Gesetze der Bewegung, des Stoßes herrschen uneingeschränkt. Sie liefern ihm die wichtigsten, liebsten, häufigsten Bilder, er bringt ihnen gleiche Ehrfurcht entgegen, wie der Mohammedaner seinem Koran. Das ist nicht etwa bloß aufklärerischer Spott. Eine zweite Stufe des Montesquieuschen Denkens zeigt sich hier. Das Gesetz an sich ist ihm -sozusagen räumlich und zeitlich losgelöst vor und über den Dingen. Es war vor ihnen da, wäre ohne sie vorhanden. Es ist Montesquieus Gottheit. Auf dieser zweiten Stufe seines Denkens eine kalte mathematische Gottheit, nur ein Bezug zwischen den Dingen. Ein dreieckiger Gott, ist gespottet worden, so wie der Gott der Dreiecke: Dreieck wäre. Nun aber, zum Dritten, füllt das Gefühl des Dichters die Schöpfung seiner Vernunft mit Ethos, macht aus dem kalten Naturgesetz die menschlich warme Idee der Gerechtigkeit. Und hier ist jetzt, als Viertes, die Möglichkeit gegeben, mit der herrschenden Religion, mit Kirche und Zensur Frieden zu schließen und von Gott

im christlich üblichen Sinn zu sprechen. Ist das eine Verschleierung um jenes lieben Friedens, um des Wirkenkönnens willen, oder ist es eine Verhüllung aus innerem Bedürfnis heraus, weil vor dem unverhüllt Nackten seiner höchsten Vorstellung der Dichter selber frösteln würde? Beides mag im Spiele sein. Aber auch so wird ihm noch nicht warm bei seiner Gottheit. Denn mag er sie nun unpersönlich oder persönlich, mathematisch oder ethisch fassen, so herrscht sie doch unbeschränkt und schließt also die freie Bewegung des Menschen, seine Willensfreiheit aus. Damit aber setzt sie matt, was der lebendigste Drang in Montesquieu ist: seine Sehnsucht zu helfen und zu bessern im weitesten Sinne, seinen Drang zum Legislatorischen. Der Trieb zieht die Vernunft zu sich herüber: der fünfte Hauptpunkt ist die Setzung der Willensfreiheit, allen gegensätzlichen Denkergebnissen zum Trotz.

Und dieses Ineinander widerstrebender Gedanken findet man hart und nackt, ich möchte sagen: rührend plump, im kurzen Auftakt des «Esprit des Lois » wieder.

Das Gesetz ist Herr der Welt, wer den Geist der verschiedenartigen Satzungen ergreift, die in erhöhter Zusammenfassung das Gesetz schlechthin bilden, wird der Welt die vernunftgemäßen, die heilsamen Wege weisen können. Es handelt sich darum, basierend den Begriff des Gesetzes festzustellen, und so handelt Montesquieus erstes Buch: «Des lois en général », und das erste Kapitel weitmaschig: «Des lois dans le rapport qu'elles ont avec les divers êtres ».

Die kalte mathematisch-physikalische Auffassung der Gesetze wird an den Anfang gestellt: sie sind « les rapports nécessaires qui dérivent de la nature des choses », ihre Allmacht wird betont, auch die Gottheit, «la divinité», ist ihnen untertan, und so fest sieht Montesquieu dem antiken Schicksal, von dem Zeus seine Weisung empfängt, ins Gesicht, daß er ausdrücklich zur Bekräftigung den Plutarchischen Satz in einer Anmerkung heranzieht, wonach das

Gesetz,,über Sterbliche und Unsterbliche" herrscht. Sogleich aber lehnt er den Gedanken eines blinden Schicksals entrüstet ab: wie könne Blindheit vernunftbegabte Wesen hervorgebracht haben! Eine «raison primitive » müsse vorhanden sein. Und nun stellt Montesquieu unvermittelt zu dieser abstrakten Vernunft den persönlichen Gott. Gott als ihren Schöpfer wie den des Universums, Gott zugleich aber auch als ihren Knecht. Die Begründung dieser Knechtschaft Gottes bringt ein wenig durchsichtiger Satz: «il agit selon ces règles, parce qu'il les connoît; il les connoît, parce qu'il les a faites; il les a faites, parce qu'elles ont du rapport avec sa sagesse et sa puissance ». Am besten sucht man wohl den Sinn der gewundenen Erklärung hinter, nicht in ihr. Derart, daß das Gesetz und der daran gebundene Gott ein und dasselbe bedeuten, daß Gott eben das Gesetz selber ist.

Man nahm sogleich nach dem Erscheinen des Werkes an, daß Montesquieu dem persönlichen, frei schaffenden, frei waltenden Christengott sehr fernstehe, daß er den Namen Gottes einzig als Schutzmittel gegen kirchliche Zensur eingeführt habe, daß er in die Kerbe Spinozas schlage, daß ihn sein «livre scandaleux » an die Seite der Messieurs de la religion naturelle » stelle. So wurde mit großer Heftigkeit besonders in einer Polemik ausgeführt, die die Nouvelles Ecclésiastiques» am 9. und 16. Oktober 1749 brachten. Zwar wandte sich Montesquieu im Anfang seiner « Défense de l'Esprit des Lois » mit größtem Nachdruck gegen diese Ansicht. «Il est donc Spinoziste lui qui .... » heißt es siebenmal, und siebenmal folgen « des passages si formels », die in der philosophischen Grundlegung des Esprit dem persönlichen Gott, dem freien Schöpfer und Erhalter der Welt gelten. Aber Montesquieu vergißt dabei zu erwähnen, daß jedem seiner Worte vom persönlichen und freien Gott zum mindesten ein Wort von der gesetzgebundenen oder mit dem Gesetz identischen Gottheit die Wage hält. In einer modernen Untersuchung,

die die einzelnen Aussprüche Montesquieus genau betrachtet und neben Spinozas Weltanschauung stellt, ist denn auch Ch. Oudin (« Le Spinozisme de Montesqiueu » Paris 1911) zu der Überzeugung gekommen, daß sich der Esprit wirklich auf rein spinozistische Vorstellungen der Gottheit stütze. Oudin schreibt abschließend (S. 153) das harte Urteil: « . . . quand après avoir lu Spinoza, on aborde Montesquieu, on éprouve une sensation mal définie de déja vu pénible pour l'esprit et qui autorise toutes les suppositions». Das ist so hart geurteilt, weil es Montesquieu der absichtlichen Verschleierung seiner klar erfaßten Weltanschauung beschuldigt. Ich habe nun nicht die Absicht, Montesquieu vollkommen von diesem Vorwurf freizusprechen. Wie ich schon im ersten Bande ausführte: er wollte wirken, auf anderem als theologischem Gebiete wirken, der Name Gottes war ihm ein bequemes Schutzmittel warum sollte er sich seiner nicht bedienen? Und warum sollte er nicht,,Gott" nennen, was er durchaus nicht bloß als Kausalverknüpfung, sondern auch als Sittliches auffaßte? Aber ich glaube keineswegs, daß hinter den Verschleierungen ein konsequent spinozistisches Empfinden wohnte. Was Montesquieu in der « Défense » gegen seinen Spinozismus sagt, mag Spiegelfechterei sein und überzeugt nicht. Doch betrachte man eine Notiz seiner Tagebücher (P. et F. I, 395/96). Dort bekämpft er Spinozas Lehre leidenschaftlich. Er wehrt sich gegen das Untertauchen, das Ertrinken des Ichs im Ganzen und Unendlichen. « Selon lui, je ne suis point un être distingué d'un autre être; il m'enlève tout ce que je me croyois de plus personnel. Je ne sais plus où retrouver ce moi auquel je m'intéressois tant; je suis plus perdu dans l'étendue qu'une particule d'eau n'est perdue dans la mer. Pourquoi la gloire ? Pourquoi la honte? Pourquoi cette modification qui n'en est point une? Veut-elle, pour ainsi dire, faire un corps à part dans l'Univers? Elle n'est celle-ci, ni celle-là; elle n'est rien de distingué de l'être, et, dans

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