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scheidung bringe. «Toute la différence est que, dans la monarchie, le prince a des lumières, et que les ministres y sont infiniment plus habiles et plus rompus aux affaires que dans l'état despotique ». Ursprünglich sollte diese Stelle aber so lauten: «Il est vrai que les ministres, dans la monarchie, doivent avoir plus d'habileté. Aussi en ontils davantage. Ils y ont plus d'affaires; ils y sont donc plus rompus. Il est vrai que, pour s'en débarrasser ils veulent souvent renverser les lois. Ce gouvernement, en formant de pareils génies, est cet oiseau qui fournit la plume qui le tue » (Archiv S. 31). Das zeigt, wie Montesquieu unter jenem Schreckbild des Wesirs, des allmächtigen Günstlings und Ministers, sehr wohl auch einen. französischen Minister verstand, und erst recht einen solchen, denn dieser war eben «plus rompu aux affaires ». Er hat hier, wie noch oft, eine Einzelheit gemildert und (freilich wohl mehr für die Nach- als die Mitwelt) verhüllt, um das Werk als Ganzes vor der Zensur zu sichern und so zur Wirkung zu bringen.

Eine letzte Milderung des schroffen dritten Buches, das doch schließlich im Kern den schwersten Angriff gegen den Staat Ludwigs XIV. enthielt, zugleich auch ein Zurechtrücken der wenn nicht entglittenen, so doch verschobenen Forschermaske bedeuten die wenigen isolierten Schlußzeilen: das elfte Kapitel betont, daß die ganze Prinzipienlehre abstrakt und dogmatisch gemeint sei, und daß es nicht in jedem einzelnen wirklich bestehenden Staat so aussehe, wie es in ihm aussehen müßte er dem Ideal seiner selbst entspräche.

wenn

2. Erziehung unter staatlichem Gesichtspunkt. Mit Natur und Prinzip der Staatsformen hat Montesquieu das Gehäuse seiner Welt aufgerichtet. Er geht nun daran, es zu bevölkern, aber ausdrücklich noch nicht mit Menschen oder Individuen an sich, sondern mit Staats

Klemperer, Montesquieu. II.

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bürgern. Er stellt sich die Aufgabe, den paßlichsten Bürger für jeden Staat zu suchen, zu formen. Sein viertes Buch trägt den scharf umgrenzenden Titel: «Les lois de l'éducation doivent être relatives aux principes du gouvernement ». Es kann sich hier also nur um die staatsbürgerliche Erziehung handeln, um die Harmonisierung des Einzelnen mit jenen Staatsprinzipien der Tugend, Ehre und Furcht. Erziehungsfragen im rein menschlichen Sinn haben Montesquieu nie lebhaft ergriffen, und so sind sie auch nirgends in den « Esprit » gedrungen; in dessen viertes Buch aber hätten sie auf keinen Fall hineingehört.

Nachdem Montesquieu, wieder in einer paragraphenartigen Einleitung (1), die kalte Enge seiner Absicht klargelegt hat, geht er diesmal sofort auf das ihm Wesentliche ein, auf die Erziehung in monarchischen Staaten (2). Man hat bisher, wenn ich so sagen darf, den kalten und den heißen Montesquieu wechselweise am Werk gesehen; der gegenwärtige Abschnitt enthält das merkwürdigste Ineinander der beiden Ausdrucksarten. Man glaubt über Welt und Hof den Misanthrope sprechen zu hören oder La Bruyère oder Saint-Simon. Dennoch wird kein Gefühl frei. Sondern Montesquieu begründet so haarscharf, warum dies alles so sein muß, nicht anders sein kann und nicht anders sein darf, daß seine Theorie des Höflings. zugleich die Verteidigung und das Postulat des Höflings ist, daß seine Anmerkung: « on dit ici ce qui est, et non pas ce qui doit être » eine Abwehr nach zwei Seiten bedeutet: Abwehr gegen solche, die Montesquieu einer Verächtlichmachung der monarchischen, wie gegen solche, die ihn der Mißachtung sittlicher Einrichtungen anklagen werden.

So ganz und gar ist Montesquieu auf den Staat Ludwigs XIV. eingestellt, daß er auch diesen nicht ganz, sondern nur in seiner Lichtquelle betrachtet; was er darstellt, ist eigentlich nur Versailles, kaum noch Paris, gewiß nicht ganz Frankreich. Er sieht kein Bürgertum, keine Beamtenschaft, keine Geistlichkeit: nur und einzig den

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Hofadel, nicht einmal den Beamtenadel, dem er selber mit so vielem Stolz angehörte. Ganz unberechtigt ist seine Einschränkung gewiß nicht, denn der Hof Ludwigs XIV. gab den Ton und die Farbe für das ganze damalige Frankreich an; aber immerhin enthält so dieses Kapitel eine Stilisierung und keine volle Wahrheit. Am Hof herrscht jenes «préjugé », jener Drang nach Auszeichnung, das adlige Ehrgefühl. Ihm hat sich alles unterzuordnen. Aus Ehrsucht, aus egoistischem Grund also, ist man um den Staat, um den Nebenmenschen bemüht. Man liebt das Außerordentliche, nicht das Gute; man ist aufrichtig nicht um der Wahrheit willen, sondern aus Stolz — wird es also mit der Aufrichtigkeit nicht genau nehmen und plumpen Wahrheiten aus dem Wege gehen. Man braucht weder Schmeichelei noch List zu verschmähen, wenn es sich um hohe Ziele handelt, man wird höflich sein, um seinen höfischen Schliff glänzen zu lassen, man wird in gleicher Absicht auch künstlerischen Geschmack offenbaren, man wird in Liebesdingen die Galanterie pflegen. Alle diese feinen Dinge wird die Erziehung im monarchischen Staat begünstigen müssen, und wird es um so eher tun, als sie vor allem in der ,,Welt“ vor sich geht, im Salon, am Hofe alle aber um ihrer Feinheit, keine um des Guten an sich willen. Dabei wird sie auch mancherlei ernsthaft Gutes pflegen, weil «cet honneur bizarre auch ernsthaft gute Dinge erfordert. So darf ein Edelmann zwar um Lebensstellung und Vermögen besorgt sein, aber nie um sein Leben selber. Das muß er mit Anmut wegwerfen können, und gerade den militärischen Mut wird die Erziehung zu begünstigen haben; denn das Kriegswesen ist das eigentliche Feld des Adels, hier vor allem kann er sich auszeichnen. Auch wird die Ehre jede offenkundige Niedrigkeit und Schmach immer verbieten. Sodann auch eine gewisse Freiheit geben, denn wer sich in seiner Ehre verletzt fühlt, muß sich zurückziehen können: Ehrgebot geht über Fürstengebot. So

erfährt wieder ein düster begonnenes Gemälde einige Aufhellung, die sich durch den nun folgenden Kontrast mit den Zuständen der Despotie verstärkt.

Das Kapitel «De l'éducation dans le gouvernement despotique» (3) ist eine einzige Verneinung. Erziehung formt Menschen, der Mensch aber, der sich seiner Würde bewußt ist, bildet eine Gefahr für den despotischen Staat. Hier also kann es der Erziehung nur darauf ankommen, den Bürger in Unwissenheit, in Dumpfheit zu erhalten, in Furcht und bedingungslosem Gehorsam.

So groß nun der Gegensatz zwischen den Erziehungsprinzipien in Monarchie und Despotie sein mag, so verschwimmt er doch beinahe, wenn diesen beiden Arten die Erziehung in Montesquieus antiken Märchenrepubliken gegenübertritt. Dann sind jene beiden eben die falschen, die auf Falsches gerichteten Erziehungen, und diese, die republikanische, ist die einzig echte, denn sie soll ja zur Tugend selber führen. Eine schöne eingeschobene Bemerkung (4) hebt einen großen Vorteil der antiken Erziehung vor der modernen ins Licht. Montesquieu sagte schon, wo er von der Ehre sprach: sie bestehe auf ihren Geboten am unbeugsamsten dann, wenn diese Forderungen mit denen einer andern Macht feindlich zusammenstießen. Nun nennt er als den Mangel aller modernen Erziehung, daß der Einzelne durchaus nicht einheitlichen, durchaus nicht immer den gleichen Gesetzen zu folgen habe: Väter, Lehrer und Welt gäben ein jedes ganz verschiedene Vorschriften. Diese Zerrissenheit habe der antiken Erziehung gefehlt: « elle n'étoit jamais démentie ». Es gab dort keinen Zwiespalt zwischen Religion und Welt, zwischen Privatem und Staatlichem. Vielmehr ganz einheitlich richtete sich eben republikanische Erziehung (5) auf die Herausarbeitung der Bürgertugend, auf die Überwindung des Ichgefühls um des Staatsgefühles willen, auf Vaterlandsliebe. Sie war nicht allzu schwer zu gewinnen, denn was man besitzt, liebt man, der Despot haßt nicht

die Despotie, der Monarch nicht seine Monarchie — und der Bürger einer Republik ist ja doch Mitbesitzer, Mitregent des Staates: er lernt also nur sein Ich unterdrücken um des erweiterten Ichs willen. Von hier aus geht gewiß ein gefährlichster Weg zu der fürchterlichen Freiheit des Rousseauschen Staatswesens.

Damit hat Montesquieu in den eigentlichen Linien das Thema seines Buches durchgeführt. Nun erprobt und belebt er an bunten und außerordentlichen Beispielen die gewonnenen Sätze, indem er zum erstenmal (wie nachher noch so oft im Verlauf des Werkes) dem Montaigneschen Zug seines Wesens die Zügel freigibt. Ich wies im Anfang meiner Monographie auf das Schmerzhafte dieses Vergnügens hin. Montesquieu prüft so lange sein Ergebnis am außerordentlichen Faktum nach, bis er auf Widerspruch stößt und modeln muß. Dieses erstemal fügen sich die außerordentlichen Fälle (6) sehr leicht dem Hauptsatz ein, daß die republikanische Erziehung dahin ziele, den Einzelnen der « vertu » zu gewinnen; was aber sichtbar wird, sind die vielen widerspruchsvollen Möglichkeiten dieser «vertu» selber. Das Kapitel handelt der Überschrift nach,,Von einigen Einrichtungen der Griechen", und hebt im besonderen die Anordnungen des Lykurg heraus, die unter Vernichtung aller individuellen Sittlichkeit die Hingabe an den Staat erzwangen. Hier ist also die Bürgertugend ein Ding, das sich auf Kosten aller Menschlichkeit behauptet. Daran schließt Montesquieu als moderne Beispiele einige Worte über Pennsylvanien und den Jesuitenstaat in Paraguay, indem er das friedliche Wesen des einen Landes und die Kulturschöpfungen in dem anderen rühmt. Womit denn die « vertu » ein vollkommen anderes Gesicht erhält.

Welcher Art aber auch die mannigfaltigen Ziele sein mögen, denen die Hingabe, die « vertu » eben, zu dienen hat: darüber ist sich Montesquieu nicht im Unklaren, daß solche Gesinnung durch ein Getriebe erzieherischer Vor

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