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stößt: «Italiam, Italiam... Je finis le traité des fiefs où la plupart des auteurs l'ont commencé. »

Man beachte, daß das letzte Wort des «Esprit des Lois » (XXXI, 34) nur von einer Beendigung der historischen Sonderabhandlung redet, daß es allein der Historiker ist, der mit dem Virgilischen Ruf die Erreichung des sicheren Bodens begrüßt. Für den Verfasser des eigentlichen «Esprit des Lois » gab es ein so irdisch festes Land nirgends; die ideale Küste aber, die allein für ihn vorhanden war, hatte er viel früher erreicht und längst wieder verlassen, um eben auf Erden seine Pflicht zu tun. ...

Und hier möchte ich ein Wort der Rechtfertigung oder Begründung anknüpfen, für ein Verfahren, das ich in meinem Buch angewandt habe, und das sonst vielleicht willkürlich erscheinen könnte. Ich habe zum ersten Teil des «Esprit des Lois» ausführlich und oft Punkt für Punkt die Beispiele berichtet, die Montesquieu jedesmal anführt. Ich wurde dann immer knapper, faßte lange Kapitel zusammen und unterließ zuletzt fast jede Inhaltswiedergabe. Die Erklärung meines Verhaltens liegt darin, daß ich dem Dichter Montesquieu, und nur ihm, in meinem Buche gefolgt bin. Wo sich das Weltbild Montesquieus aus dem Stoff entwickelte, wo sich Momtesquieus Angst und Haß, seine Freude, seine Sehnsucht, seine Widersprüche im Stoff spiegelten, da habe ich ihn ausgebreitet. Je mehr aber der Dichter verstummte, je mehr sich Montesquieu zwang, das Wirkliche ungefärbt wiederzugeben, um so knapper hatte sich mein Laienbericht über juristische, nationalökonomische, historische Forschungen zu fassen.

Neuntes Kapitel.

Der «Esprit des Lois» als Kunstwerk.

Auf die Frage, ob der «Esprit des Lois» als ein Chaos oder ein Kosmos zu betrachten sei, fand ich bei denen, die vor mir über Montesquieu geschrieben haben, im Wesentlichen drei Antworten.

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Die bequemste bei F. Brunetière1, der ich kann nur sagen: mit der Stirne der Ahnungslosigkeit das Riesenwerk als ein durchaus chaotisches hinstellt: «le désordre y est extrême » Nach Brunetière hat man nur ,,Bruchstücke" eines großen Werkes vor sich, ohne Einheit und Folge, ohne Klarheit und Ordnung.

Demgegenüber bemüht sich Barckhausen mit deutlich kundgetaner Geringschätzung aller literarhistorischen Schriftstellerei über Montesquieu, die genaue juristischeOrdnung des Esprit » nachzuweisen, der wie ein Gesetzbuch gearbeitet sei, mit knappen Paragraphen und ausführlichen Kommentaren. Seine spöttisch «Le désordre de l'Esprit des Lois » überschriebene Untersuchung2 gipfelt in einer stahlfesten aber auch stahlkalten Rubrizierung der einzelnen Bücher. Ich rücke diesen scharfsinnigen Dispositionsversuch hier ein:

1 Etudes critiques sur l'histoire de la litérature française, Bd. 4, 1891,,,Montesquieu".

2 <<Montesquieu. Ses idées et ses œuvres d'après les papiers de la Brède, » 1907.

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1. Conditions directes ou Préservation des Éléments constitutifs de toute Société civile.

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2. Conditions indirectes ou Relations de chaque Société civile avec les Agents extérieurs.

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II. Application des Conditions de Conservation des Sociétés civiles.

1. Choix des Conditions applicables à chaque ordre de choses 2. Mode d'application de ces Conditions

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Die in der Liste nicht aufgeführten Bücher XXVII, XXVIII und XXX, XXXI habe Montesquieu selber «pour des additions, des illustrations en quelque sorte » gegeben.

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Barckhausen in seiner unübertrefflichen Gewissenhaftigkeit hätte den literarhistorischen Sündern an seinem Montesquieu gewiß um eines Gerechten willen verziehen, wenn er eine lange vorher erschienene Studie Lansons gekannt hätte. Ich meine jenen mehrfach von mir erwähnten Aufsatz1, in dem Lanson das Verdammungsurteil seiner Literaturgeschichte («défaut d'ordre dans l'exposition >> » — «manque d'unité dans la conception ») durchaus umstößt. Lanson macht aus Montesquieu in dieser Studie einen völlig überzeugten Cartesianer, der alle Wirklichkeit den vorgefaßten streng einheitlichen Ideen unterordnet und seinem «Esprit des Lois » mit mathematischer Schärfe als ein Cartesianisches System aufbaut. Die von Barckhausen gesehenen Teile treten hier in anderer Beleuchtung hervor: «Je constitue ces trois parties en considérant les données des problèmes que Montesquieu pose. Les treize permiers livres étudient les choses en soi; au livre XIV est introduite la donnée de l'espace, et du livre XIV au livre XXVI sont analysés les rapports qui résultent de la considération des choses dans l'espace; au livre XXVII apparait la donnée du temps, et du livre XXVII au livre XXXI se développent les enchaînements logiques qui résultent de la considération des choses dans le temps» (S. 541). Nur Buch XXIX macht Lanson bei dieser Anordnung Beschwerden: «C'est comme un petit manuel du législateur, » es müßte den dritten Teil des «Esprit des Lois » eröffnen oder, noch besser, schließen. Man sieht sofort, wieviel ich diesen beiden Vorgängern verdanke. Sie suchten beide den Kosmos, wo man vorher das Chaos gesehen. Barckhausen fand im «Esprit » einen

1 Revue de Métaphysique, Juli 96: «De l'influence de Descartes sur la litérature française. >>

wissenschaftlichen Kosmos, die geordnete Darstellung dessen was ist, zum Zwecke fachlicher Sonderregeln; Lanson fand im «Esprit» einen philosophischen Kosmos, die Einspannung des Gegebenen in eine bruchlose Kette klarer Gedanken.

Man sieht aber auch sofort, wie wenig ich im Grunde mit diesen beiden Ordnungsversuchen anfangen konnte. Ich möchte sagen, sie waren mir zu ordentlich, zu einfach, als daß ich ihnen ganz zu trauen vermochte. Im «Esprit » ist ein Quirlen und Zusammenprallen, in diesen Dispositionen ist völlige Glätte, dort ein häufiges Springen, hier ein ständiges, gemessenes Schreiten. Ganz überzeugt von der Richtigkeit ihrer Rubrizierungen sind ja auch weder Lanson noch Barckhausen. Jener gibt die Stellung eines Buches preis, und weiß doch, daß ein einziger Bruch zur Zerreißung einer Kette durchaus genügt. Barckhausen seinerseits salviert sich mit einer liebenswürdigen Bescheidenheit. Montesquieu, sagt er, habe es gewissermaßen nicht nötig gehabt, so sorgfältig seine Schritte zu bemessen: «Les procédés du génie ne sont pas ceux d'une intelligence ordinaire. Il vole, là où nous grimpons péniblement.» Im einzelnen erhoben sich mir gegen die zweite Hauptgruppe Barckhausens (das Dispositionsstück I, 2) starke Bedenken. Er trennt als besondere «Milieux >> Klima und Terrain, während Montesquieu tatsächlich die Bücher XIV-XVIII sehr ineinanderfließen läßt; er faßt den esprit général » nur als «milieu moral » auf und sieht nicht, wie hier alles, aber auch alles Montesquieusche Empfinden, Denken, Forschen zusammenströmt und gipfelt. Er läßt die Handelsbücher den «sociétés semblables, » die Bücher von der Familie und von der Religion den «sociétés dissemblables » gelten, wo man die Begriffe des Ähnlichen und Unähnlichen auch wohl vertauschen könnte, wo sie unklar bleiben, wo sich mit ihnen im Grunde nicht operieren läßt ... Lanson widerum wirft das erste Buch des Gesetzgebers (XXVI) mit den Büchern zu

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