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Zweites Kapitel.

Der Staat an sich.

1. Grundformen und Triebfedern.

Sobald Montesquieu das Gebiet des eigentlich Philosophischen verläßt, hat der selbstquälerisch dunkle Ton, hat das mühsame Tasten ein Ende. Mit einer schlichten Natürlichkeit umzeichnet er im zweiten Buche (« Des lois qui dérivent directement de la nature du gouvernement ») den festen Boden seines Werkes. Und doch wäre die Kindlichkeit des Anfangs auch hier Maske, hätte man es mit einem Forscher allein zu tun; in Wahrheit aber offenbart sich sogleich im völlig unoriginellen Stoff der kindliche Dichter. Montesquieu will die Natur dreier Grundformen des Staates nach den Gedankengängen auch,,der ungebildetsten Menschen" festlegen. Republikanisches Regiment bestehe, wo das Volk als Ganzes, oder wo ein Teil des Volkes herrsche, monarchisches, wo ein Einzelner nach festen Gesetzen regiere, despotisches, wo ein Einzelner gesetzlos und willkürlich die Gewalt ausübe. Eine wirklich einfache, dem Sinn der «moins instruits » entsprechende Dreiteilung könnte doch nur sein: die Gewalt liegt bei allen, bei einigen, bei einem, ist republikanisch, aristokratisch oder monarchisch. Nun führt aber Montesquieu sofort die komplizierte Idee des Gesetzmäßigen ein; man könnte sagen, er schmuggele sie ein, wäre er nicht davon besessen. Und nun stellt er die gesetzmäßige Herrschaft der Gesamtheit, des Teiles und des Einzelnen der Willkürherrschaft des Einzelnen gegenüber. Daß es sich hierbei für ihn um einen innerlichen Zwang, um einen Akt der Leidenschaft handelt, daß er sozusagen ein dichteri

sches Hauptthema anschlägt, und sein persönlichstes dazu, zeigt die Sprache: während die Definition der Republik (die also hier noch die Aristokratie mit umfaßt) und der Monarchie kühl und sachlich gehalten ist, nennt er das despotische Regiment die Herrschaft des Einzelnen, der << seul, sans loi et sans règle, entraîne tout par sa volonté et par sa caprice ».

Erst das zweite Kapitel holt die unterschlagene Trennung zwischen Demokratie und Aristokratie nach. Aber wieder geht es nicht ohne leisen Selbstbetrug ab. Die Herrschaft aller, von deren Natur zuerst die Rede sein soll, ist durchaus nicht die Herrschaft ,,aller". Montesquieu hat antike Republiken im Auge, in denen eine verhältnismäßig kleine, ängstlich umzirkte Anzahl gebildeter und besitzender Bürger den Staat darstellt, während die Masse des Volkes, la populace », rechtlos ist oder doch nur Scheinrechte besitzt. Das Volk, sagt er, ist in der Republik gleichzeitig Herrscher und Untertan, Herrscher durch sein Stimmrecht, und so zeige sich die Weisheit des Gesetzgebers in der Auswahl der Stimmberechtigten. Nicht nur dem Fremden sei das Stimmrecht vorzuenthalten wie denn die Athener gelegentlich den Fremden, der sich in die Volksversammlung mischte, mit dem Tode bestraft hätten als einen Usurpator der Souveränität, sondern auch einem großen, wenn nicht größten Teil des Volkes selber. Eine Reihe antiker Beispiele, wobei den Quellen skrupellos Glauben geschenkt wird, beleuchtet das. Bald erhält die Masse überhaupt kein Stimmrecht, bald sind Klasseneinteilungen vorhanden, die das niedere Volk mindestens tatsächlich entrechten, und an Roms Untergang trägt die Schuld zum guten Teil das zu allgemein gewordene Stimmrecht, also das Umsichgreifen der eigentlichen Demokratie. Bei solcher Einschränkung gewinnt der Hymnus auf die Einsichtsfähigkeit des Volkes ein anderes Gesicht, als wenn er wirklich der ganzen Masse einer Nation gälte.,,Bewunderungswürdig" nennt Montesquieu das

Volk in seiner Fähigkeit, gut zu wählen. Mit praktischem Verstand, auf Erfahrung gestützt und mit gutem Herzen treffe es vernünftige Wahlen für den Richterstand, die Regierung, die Heeresleitung. Den Beweis dafür müssen gerade diejenigen antiken Staaten liefern, in denen der kleine Teil der Gebildeten und Begüterten ,,das Volk" darstellte. Und selbst da noch reckt sich vor Montesquieus Auge das düstere Bild der Masse in ihrer Sinnlosigkeit auf. Sie,,stürzt bisweilen alles mit hunderttausend Armen, schleicht bisweilen insektenhaft mit hunderttausend FüBen". So spricht er auch der Gruppe, die er,,Volk" nennt, 'alles Recht des Handelns ab. Ein durchaus nicht allen erteiltes Stimmrecht macht die ganze Souveränität des Volkes aus. Alles Handeln bleibt den erwählten Beamten und Körperschaften vorbehalten. Die freilich den Wählern Rechenschaft schuldig sind aber auch diese nicht in ausnahmslos allen Fällen und nicht sofort. Und schließlich erfährt auch jenes eigentliche und einzige Volksrecht des Erwählens und Erwähltwerdens die stärksten Einschränkungen. Am demokratischsten, meint Montesquieu, sei die Erlosung. Aber dann solle sich ein ausgeloster Beamter so ernstlichen Prüfungen unterziehen, daß der Unwürdige oder Unfähige gewiß davor zurückschrecken werde. Widerum, wenn das Volk wirklich wähle, so sei geheime Stimmabgabe der sichere Verderb der Republik. « Il faut que le petit peuple soit éclairé par les principaux, et contenu par la gravité de certains personnages ». Wie weit ab steht man hier von modernen republikanischen oder demokratischen Ansichten, denen Wahlbeeinflussung ein Verbrechen scheint! Hier tritt wohl der innere Grund, die Berechtigung dafür zutage, daß Montesquieu ursprünglich unter dem Begriff der Republik Demokratie und Aristokratie zusammenfaßte: er kennt eben eigentlich nur die Herrschaft Einiger, die Aristokratie, oder zum mindesten weiß er gar nichts anzufangen mit der Herrschaft aller, der Demokratie, die ihm in Unfähigkeit, Sinnlosigkeit und

Staatsruin ausmündet, genau so wie seine große Herzensfeindin, die Despotie.

Wenn er nun doch der ,,Natur der Aristokratie“ (3.) einen besonderen Abschnitt widmet, so ist die Abtrennung eine sehr lockere; er hat bereits im vorigen Kapitel die Aristokratie erwähnt, indem er ihr das geheime Stimmrecht zuwies, weil in wenigen adligen Familien die « brigue », das Bewerben um Ämter, zu Zettelungen führen würde, während sie im Volke, dem nur auf Leidenschaft gestellten, das Gefühl für den Staat wachhalte; er erklärt am Schluß des Abschnittes über die Aristokratie diejenige für die beste, die auf breitester Basis stehe, den größten Teil des Volkes umfasse, sich also am meisten der Demokratie nähere ich muß es aber wieder und nicht zum letztenmal betonen: der Demokratie, wie er, Montesquieu, sie versteht. Im Grunde ist ihm die aristokratische Staatsform, die er in Italien studieren konnte, nur eine peinliche und gefährliche Verengung der Republik, und allein Ausweitung, Demokratisierung also, kann ihr günstigen Bestand sichern.

Was ihn besonders interessiert, ist das Amt des venezianischen Staatsinquisitors. Er vergleicht es der römischen Diktatur: «ce sont des magistratures terribles qui ramènent violamment l'état à la liberté. » Er fragt sich, warum der Diktator nur zeitweise, der Inquisitor ständig im Amt war, und warum jener mit geringerer Grausamkeit als dieser sein Ziel erreichen konnte. Die Antwort ruht auf gleicher Basis wie jene Unterscheidung zwischen Stimmrecht in Republik und Aristokratie: weil das Volk nach augenblicklichen Gefühlen handle, eine kleine Adelskaste aber Familienränke weit ausspinne. Das Interesse des Lesers aber wird über diese psychologisch scharfe Unterscheidung hinausgreifen und sich an die Selbstverständlichkeit heften, mit der Montesquieu den Diktator in die Republik einführt, mit der er einem Staat ,,gewaltsam die Freiheit wiedergeben" läßt. Hier führt

ein erster Weg von Montesquieu zu Robespierre; hier tritt mit äußerster Deutlichkeit hervor, daß er eine demokratische Republik nicht kennt und also auch nicht als Ideal empfinden kann. Was er wirklich ins Auge faßt, ist nur eine gemäßigt aristokratische und eine im engeren Sinn (nach venezianischer Art also) aristokratische Staatsform. In jener herrschen die eigentlich,,Besten“, die Gebildeten und Wohlhabenden in größerer, in dieser die Adligen in kleinerer Anzahl. Wenn Montesquieu von der Gefahr spricht, die die plötzliche Machtübertragung an einen Bürger mit sich bringe, der Gefahr des Despotismus, indem solch ein neuer Souverän nicht die Bindung überkommener Gesetze und Sitten kenne, so ist auch hierin keine Trennung zwischen den beiden republikanischen Staatsformen zu verspüren, und das Gegenmittel, jedes Amt nur auf kurze Zeit zu übertragen, gilt wieder für beide Staatsarten und wird in beiden (durch Diktatur und Inquisition) gelegentlich um seine Wirkung gebracht.

So ist denn schon hier im Grunde die Herzensmeinung des Mannes erkennbar, und nur deshalb liegt sie unter Schleiern verborgen, weil er durchaus bloß,,ein Amt und keine Meinung" haben, weil er als objektiver Denker die einzelnen Staatsformen sachlich herausstellen will. Es hat sich bisher ergeben, daß er die Herrschaft Aller ausschließt, die Herrschaft Einiger von der Gefahr bedroht sieht, einem traditionslosen und somit willkürlichen Einzelnen anheimzufallen. So muß er mit Notwendigkeit das Heil in einer Aristokratie sehen, die ständig in einer sozusagen gebundenen Spitze gipfelt. Eine solche Form nennt er schlechthin Monarchie - und er braucht sie nicht gemäßigte oder konstitutionelle Monarchie zu nennen, weil er für die ungebundene Alleinherrschaft ständig den Namen und das Schreckbild der Despotie zur Hand hat.

Nur aus dem eben gekennzeichneten Gedankengang heraus finde ich es verständlich, daß Montesquieu im nächsten Abschnitt (4.), wenn er von der Monarchie handelt,

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