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Zur lateinischen Anthologie.

(Vergl. oben S. 254-272).

IX. Epitaphia.

Oben S. 200 hat Peiper ein, wie er glaubte, unbekanntes Epitaphium aus den Gesta Romanorum nachgewiesen. Wenngleich dasselbe schon bei Meyer unter Nr. 690 zu lesen ist, so ist der Nachweis selbst doch dankenswerth, da er das hohe Alter des Gedichtchens zeigt. Wie Manches, welches heute gemäss unserer Kenntniss nur in Hdschften des 15. Jhrhdts steht, wird als werthloses, modernes Erzeugniss bei Seite geschoben! Und doch ist es, wie ich schon Anal. Catull. S. 76 bemerkte, sehr wahrscheinlich, dass die Cinquecentisten viele solcher kleineren Sachen in jetzt verlornen oder verschollenen Manuscripten vorfanden und abschrieben. Mir rief jenes Epitaphium den codex Lansdowniensis 762 saec. XV-XVI ins Gedächtniss zurück, welcher meist Anglica (dieselben näher zu prüfen erlaubte mir meine Zeit nicht) enthaltend dasselbe unter manchen anderen Gedichten (von Fol. 17 an) darbietet:

Hiis quoque validissimis tum gentilium tum nostrarum litterarum testimoniis non de nichilo venit in mentem stultissimum paridis troiani quod sequitur adiicere1.

Tres dee ad paridem

Tres sumus ecce [om.] dee: forma se quelibet effert.
Hoc in discidio volumus, Paris, arbiter esto.

Cui pomum dederis, titulum simul ipse referto.

Venus ad paridem

Plectra sonora, ioci, lusus [ioco plausus], lasciva voluptas,

--

1 Die drei letzten in der Hdschft undeutlichen Worte hat Prof. E. Sievers nochmals zu prüfen und festzustellen die Güte gehabt. Im folgenden habe ich die Lesarten des codex in Klammern beigefügt, der Kürze halber aber die Orthographie desselben beibehalten.

Hec mea. si reliquis me prefers, ipsa puellam
Pro mercede dabo, qua non formosior ulla.
Juno eidem

Sceptrorum sublimis honor fascesque [fastesq;] tremendi
Divicieque mei iuris. te iudice palmam

Si tulerim, regno per me donabere summo.

Pallas [Panlas] eidem

Que celum, que [q;] terra tenet, que [qui] pontus et orcus

Legibus astringo certis: nil me sine rectum;

[orbis],

Et, si me sequeris, non abstrahet avius [invius] error.
Judicium paridis

Grata michi tua forma, Venus, tua [tu] munera grata;
Plus aliis michi mente sedes: certaminis ecce
Pignus habe victrix auri spectabile malum.

Poeta

Hac in lite triplex hominum mellita poesis [-es]
Depinxit studium, quorum datur optio cunctis.
Falluntur tamen optando plerique: sequaces
Luxus habet multos, honor et sapientia [sapiam] paucos.
Finis

Epitaphium Nevinii poete

Diva tibi vita est, felicia tempora, Nevi!

Me miserum! versa est sors mea morte tua.

Nulla agitur [igitur] requies onerosa in luce moranti:
Te sine dulce nichil, te sine vita dolor.

Occidis ante annos patrie virtutis ymago,
Sic tamen ut vivas in meliore loco.

Accipe supremos tumuli modo, frater, honores [hores],
Quos potius nobis tu dare debueras.

Responsio

Parce, precor, lacrimis. fatum, germane, quid [qa] urges? Omnibus hec solido est scripta adamante dies.

Pulvis et umbra sumus tantum: post funera virtus

Nomen inextinctum [next.] sola superstes [suprestes] habet. Nil aurum, nil pompa invat, nil sanguis avorum

1

Hanc cole [colo] et ante oculos imitanda exempla parentum Pone; sed interdum sit tibi cura mei.

1 Ohne Zeichen der Lücke die Hdschft.

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Die Ueberschrift des letzteren Stückes Nevinii poete' ist ein offenbarer Schreibfehler für 'Naevii', welchen falsche Gelehrsamkeit zum Dichter dieses Namens gemacht hat. Auf diese anmuthigen Verse folgen zunächst einige neuere Epitaphia (auf Papst Eugenius IV und Nicolaus V, eins auf Jugurtha in leoninischen Versen), dann 'Epitaphium publii Virgilii maronis' =239 M. mit zwei neuen Versen 'Ex capris pastis rure sato et hoste subacto | Nec lac nec segetes pascua nulla tuli', welche sich auch in anderen Hdschften damit vereinigt finden, ferner Epitaphium Marci tulli ciceronis' (Largus et exundans leto dedit ingenii fons Ingenio magnus est ceruix cesa nec unquam | Sanguine causidici maduerunt rostra pusilli'), Epitaphium Cathonis portii' = 747 M., Epit. Didonis Affricane:

C

Prebuit eneas et causam mortis et ensem;

Ipsa sua dido concidit usa manu'.

с

Endlich Epitaphium Pallantis = 690 M., Epit. Julii Cesaris', 750 M.,Epit. Octaviani' 754 M., Epit. Herculis'

=

580 M., neuere Epitaphia, darunter auf Ovid. (= Trist. III 3, 73-76) und das bekannte auf Terenz (= 734 R), welches sich in alten Hdschften dieses Dichters findet.

Ich habe das ganze Stück der wenn gleich jungen Hdschft, soweit es unser Interesse in Anspruch nimmt, mitgetheilt, weil es klar zu Tage liegt, dass hier, wenn auch mit Neuerem vermischt, sich manches Korn guter und alter Tradition erhalten hat. Der Schreiber nahm ohne Zweifel sowohl die beiden ersten Stücke wie die meisten der folgenden Epitaphien aus einer alten Handschrift. Wer in den englischen Bibliotheksverhältnissen bewandert ist, weiss wie Manches in den Wirren der Bürgerkriege und durch Feuersgewalt zu Grunde ging, für welches solche dürftigen und getrübten Auszüge, wie der obige, uns jetzt einen schwachen Ersatz geben Wie bei anderen Theilen der lat. Anthol., so stehen wir auch für diese Epitaphien erst am Anfange unserer Erkenntniss von dem Zusammenhange, in welchem dieselben uns aus dem Alterthume überkommen sind. Erst wenn die Bibliotheken methodisch untersucht sein werden, lässt sich aus dem gesammten Materiale darüber ein sicheres Urtheil gewinnen, welches wohl dahin lauten dürfte, dass uns in diesen Epitaphien Reste römischer Bilderchroniken vorliegen, wie dies auch bei Ged. 831-855 (welche wohl unter Traian entstanden sind; 854, 3 enthält übrigens eine Reminiscenz aus Catull, Ged. 11) und bei 855-893 R. der Fall ist.

müssen.

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X. Zu Reposianus.

Ein Zeitgenosse des Dracontius, an den er in manchen Wendungen erinnert, zeigt Reposian in seinem Epyllion de concubitu Martis et Veneris' [253 R]. recht deutlich die Geschmacklosigkeit, welcher in Africa die Poesie anheimgefallen war. Es fehlt ihm, wie den übrigen Dichtern jener Epoche, nicht an Studium der klassischen Muster, auch nicht an Phantasie und schöpferischer Kraft; aber die Verwilderung, welche die Zeit in Bildung und Geschmack aufweist, hat auch bei jenen Dichtern ihre besseren Eigenschaften völlig überwuchert. Es geht ihnen das Gefühl für das Geeignete und Schickliche ab. Die lange Vorrede (V. 1-32), welche Reposian als purpureus pannus' vorausschickt, ist ebenso verfehlt wie das kurz abbrechende Ende, bei welchem ein etwas geschmackvoller Dichter aus Ovid. (met. IV 185–190) die trefflichsten Motive entlehnen konnte. Für diese Fehler aber entschädigt die Beschreibung des Haines von Byblos und die sonstigen Schilderungen mit ihrer wortreichen Ausschmückung wenig.

Bei der Textesgestaltung des Gedichtes ist es dem neuesten Herausgeber, wie auch sonst meist, passirt, unverdächtige Stellen mit überflüssigen Conjecturen zu bedenken. So ist gleich v. 12 'ucharis', vor welchem bei Riese ein Sternchen prangt, ganz richtig: Reposian dachte in allerdings etwas wunderlicher Weise an einen Triumphzug Amor's; ebenso ist Riesc's Vermuthung v. 40 lilia splendent' von ihrer sonstigen Unmöglichkeit abgesehen, überflüssig, da 'pendent' einen durchaus genügenden Sinn gibt. Wirkliche Corruptelen sind dagegen meist übergangen oder falsch behandelt. So wird es v. 21 f.:

Veneris nec brachia laedant,

Inter delicias roseo prope liuida serto

schwerlich gelingen, für

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prope liuida eine einleuchtende Erklärung zu geben. Nur Rosenkränze drücken sonst der liebenden Venus Arme: roseo modo liuida serto'. Die Verwechslung von 'modo' und 'prope' ist nicht selten. Auch in den folgenden Versen: 'Namque ferunt Paphien, Vulcani et Martis amorem,

Inter adulterium uel iusti iura mariti

Iudice sub Phoebo captam gessisse catenas

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ist'uel iusti iura mariti' sinnlos, mag man auch 'uel' für 'et' nehmen. Reposian hat wohl das inter adulterium' in seiner schwülstigen Weise weiter ausgeführt durch nec iusti iura mariti', worin nec iusti', wie bekannt, für 'et iniusti' steht.

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Ohne

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schlagen zu können (nur muss dann mit Beziehung auf Vulcan laedas' geschrieben werden), komme ich zu V. 33 f.:

Lucus erat Marti gratus, post uulnera Adonis

Pictus amore deae.

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Für das unverständliche Pictus' schlug Wernsdorf 'dictus (lectus)'='dicatus' vor; aber die Latinität verlangt dann ́dictus (lectus) amori'. Wernsdorf selbst mag dies gefühlt haben, wenn er weiter dignus amore lesen wollte; aber auch dies ist unstatthaft, da die dignitas loci erst in V. 35 f. berührt wird. Ich vermuthe: Lucus erat Marti gratus post uulnera Adonis, Huius amore deae'; die Venus verehrt den Hain von Byblos, weil sie in ihm einst den Adonis liebte, Mars dagegen erst, als sein Nebenbuhler darin umgekommen war. Bei den Anstalten, welche Venus zum Empfang ihres Geliebten trifft, gibt sie ihren Begleiterinnen verschiedene Aufträge V. 55 ff.:

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Haec modo purpureum decerpens pollice florem
Cum delibuto suspiria ducat odore.

Ast tibi blanda manus . . . . sub pectore condat.
Tunc,.. purpurei laedat te spina roseti,
Destrictis teneras foliis constringe papillas.

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Die Eine soll der Rosen Saft auspressen, dies wird der Sinn der etwa dunklen Verse 55, 56 sein, in deren letzterem S Cum diligatum s..d. odorem' liest. Wernsdorf vermuthete, da Burmann's und Oudendorp's Vorschläge zuweit abgehen, cum delicato s. d.

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adore'. Allein ohne Noth wird man auch Reposian nicht prosodische Schnitzer aufbürden. Jedenfalls ist aber dem Sinne nach delicato' weit besser als Riese's delībuto', in welchem Worte die Quantitätsveränderung nicht durch Prudentius Psych. 312 geschützt wird, da diese Stelle verdorben ist. Das einzig zulässige Verbum ist hier delibare', mag man nun cum delibato s. d. odore' oder vielmehr 'cum delibat eum, suspiria ducat odore' herstellen. Mit dem gewonnenen Rosenöl soll eine Andere der Venus Brust tränken; die Lücke in V. 57 wird demnach also auszufüllen sein 'ast tibi blanda manus sucum sub pectore condat', worin 'tibi' als der sogen. ethische Dativ aufzufassen ist. Wiederum eine Andere soll Rosengewinde um die Brüste flechten, nachdem sie vorher die Dornen entfernt hat. Hinter Tunc' fügt man mit Burmann 'ne' ein; est ist vielmehr Tu ne' zu lesen; sodann dürfte, da es sich hier allein um der Venus Ausschmückung handelt, 'me' statt 'te' das Richtige sein: Tu, ne purpurei laedat me spina roseti,

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