Page images
PDF
EPUB

mich, die Hauptpunkte kurz zusammenzufassen und verweise im Uebrigen auf die erschöpfende Darstellung, die B. Volz a. a. O. über diesen Gegenstand veröffentlicht hat.

Die Schwächen der Argumentation des Baronius wurden schon frühe aufgedeckt, während Tillemonts Aufstellungen erst in neuerer Zeit durch Simonis und Volz einer eingehenden Kritik unterzogen wurden, aus der wenigstens das eine mit Gewissheit sich ergab, dass eine Nothwendigkeit von Prosper abzuweichen sich aus dieser Beweisführung nicht entnehmen lasse. Ich darf deshalb von einer abermaligen Besprechung absehen. Aber auch die Ansicht von Waitz und Simonis vermochte nicht durchzudringen. So hat, wie erwähnt, Pallmann die Schlacht von Verona wenigstens auf 403 verlegt. Erstens schien ihm die Zwischenzeit zwischen April 402 (denn in diesen Monat fällt, wie erwähnt, die Schlacht von Pollentia) und der Mitte des Sommers (dahin fällt die Schlacht von Verona; vergl. Claud. de VI cons. Honor. v. 215: sustinet accensos aestivo pulvere soles' scil. Stilicho) zu kurz für die Reihe der Ereignisse; ferner weisen einige Erlasse vom Ende des Jahres 402 und dem Anfang des folgenden Jahres darauf hin, dass die Kriegsgefahr im Jahre 403 noch nicht beseitigt war. Dies letztere Argument führte Volz noch weiter aus, doch nur um auch die Schlacht von Pollentia wieder dem nämlichen Jahre zuzuweisen. Mit scharfsinnigen Erörterungen versucht er Prosper's Autorität zu untergraben. Weit wichtiger aber als das Wie in seiner Darlegung ist das Warum. Wenn es nicht eine Claudianstelle offenbar zu verhindern schiene, würde er sich gewiss bei Prospers Notiz beruhigt haben; ich meine die auch von Paul hervorgehobenen Worte im Bellum Pollentinum v. 151 ff.

Hic celer effecit, bruma ne longior una

Esset hiems rerum, primis sed mensibus aestas
Temperiem caelo pariter belloque referret.

Diese Stelle scheint ja dafür zu sprechen, dass beide Schlachten in das nämliche Jahr fallen; wäre dies richtig, so müsste Pallmanns Aufstellung verworfen werden. Es lässt sich jedoch darlegen, dass dies nicht der Fall ist. Das vorausgehende bruma beweist hinlänglich, dass aestas hier nicht den eigentlichen Sommer bedeutet ; eine Auffassung, die durch den dritten der angeführten Verse ausser Zweifel gestellt wird. Denn vom heissen Sommer wird wohl Niemand behaupten wollen, dass er im Gegensatz zum Winter das milde Wetter bringe; das thut eben der Frühling. So wird es auch klar, was unter primis mensibus (denn so, nicht messibus,

haben die besten Handschriften) zu verstehen ist. Mit Erkenntniss dieser Thatsache wird aber der Argumentation Pauls auch die letzte Stütze entzogen, während es auf der andern Seite zur Gewissheit wird, dass im 'bellum Pollentinum' nicht ein einziges Faktum erwähnt wird, das nicht auf die mit der Schlacht von Pollentia zusammenhängenden Ereignisse zu beziehen wäre. Wir dürfen mithin vermuthen, dass die Abfassung des Gedichtes in eine Zeit fällt, in der Claudian vom Wiederausbruch des Kriegs noch nichts wusste; also etwa in den Herbst des Jahres 402.

V. Die hier begründete Datirung scheint freilich durch eine Claudianstelle wieder in Frage gestellt zu werden. XXVIII v. 123 ff. lauten:

Sed mihi iam pridem captum Parnassia Maurum
Pieriis egit fidibus chelys. arma Getarum
Nuper apud socerum plectro celebrata recenti.

[ocr errors]

Die letzten Worte beziehen sich auf das Gedicht de bello Pollentino'; da aber der Panegyricus auf Honorius aus dem Anfange des Jahres 404 stammt, so könnte man sich versucht fühlen, in nuper und plectro recenti einen Gegenbeweis gegen die gegebene Datirung zu finden. Bei genauerer Ueberlegung jedoch erweist sich dieser Einwand als hinfällig. Denn erstens konnte der Dichter sein jüngstes Werk sehr wohl als recens bezeichnen, auch wenn er es vor Jahresfrist gedichtet hatte, zumal im Gegensatze zu iam pridem, das von dem Gedichte de bello Gildonico zu verstehen ist. Zweitens aber sind jene Worte nicht auf die Zeit der Abfassung des bellum Pollentinum' zu beziehen, sondern auf den Vortrag in Gegenwart des Stilicho.

Nach dieser Abschweifung kehren wir zurück zu der Frage, von der wir ausgegangen sind. Wir haben also gesehen, dass Pauls Argumente nicht genügen, die den Gothenkrieg behandelnde Partie im VI. Cons. des Hon. von der Stelle, an der sie überliefert ist, zu entfernen; wir werden uns demnach doch mit dem Glauben beruhigen müssen, dass der Dichter selbst die vorhandenen Mängel verschuldet hat. Und wenn mich nicht alles täuscht, so lässt sich wenigstens vermuthungsweise eine Erklärung aufstellen, welche die ästhetischen Anstösse zwar nicht beseitigt, wohl aber einigermassen begreiflich macht. Wenn Claudian im Jahre 402 den Pollentinischen Krieg besang, so lag es nahe, im folgenden Jahre den Ausgang desselben gleichfalls zu verherrlichen. Wie wenn er nun wirklich beabsichtigt hätte, ein zweites Buch hinzu zu dichten, später aber seinen Plan geändert und die bereits ausgearbeitete Partie dem Panegyricus auf das VI. Consulat des Honorius einverleibt hätte? So wäre manche Unebenheit der Composition wenn nicht entschuldigt so doch erklärt.

Leipzig, den 25. April 1876.

Georg Goetz.

Die Arten der Tragödie bei Aristoteles. Ein Beitrag zur Erklärung seiner Poetik und zur Geschichte der ästhetischen Homerkritik bei den Alten.

So gross auch die Zahl der Untersuchungen ist, welche die sachliche Erklärung der aristotelischen Poetik bezwecken, so viel Fragen auch schon gelöst oder ihrer Lösung näher geführt sind, ein Punkt spottete bis jetzt aller Erklärungsversuche: das war die Lehre des Ar. von den Arten der Tragödie (Ar. Poet. Cap. 6 p. 1450 a 12; Cap. 18 p. 1455 b 32; Cap. 24 p. 1459 b7); weder die Bedeutung ihrer Namen war klar, noch hatte Jemand den Gesichtspunkt nachweisen können, aus dem Ar. sie abgeleitet hatte, so dass selbst das, worin die Erklärer den Worten nach übereinstimmten, sachlich oft sehr weit aus einander ging.

Für den Kenner der Ar.-Litteratur ist das eine offen da liegende, schmerzlich empfundene Thatsache, deren Bedeutung auch dem ferner stehenden durch den Hinweis auf folgenden wunderbaren, ja wunderlichen Umstand klar werden wird.

Ar. nämlich beurtheilt das Epos im wesentlichen wie eine Vorstube der Tragödie, und 80. findet er auch die Arten der Tragödie in der epischen Dichtung wieder. Als zwei dieser Arten werden die ethischen und die pathetischen Tragödien genannt. Zur Erläuterung werden uns in dem Abschnitte über die Tragödie freilich nur Titel 1 von Tragödien und zwar solchen Tragödien genannt, von denen durch die Missgunst der Zeiten keine oder nur so geringe Bruchstücke übrig geblieben

1 Dass zu den im 18. Cap. genannten Ajaxtragödien die des Sophokles zu rechnen gar kein Grund vorhanden ist, soll weiterhin (p. 352 und bei der Specialbehandlung von Cap. 18) ausreichend bewiesen werden.

sind, dass sich darauf kein sicheres Urtheil über den künstlerischen Charakter der ganzen Werke bauen lässt.

In dem Abschnitte über das Epos aber sind die Beispiele für die genannten Arten die homerischen Gedichte, die Ilias und die Odyssee, Dichtungen also, die uns fast ganz so überliefert sind, wie sie dem Ar. vorlagen, Dichtungen, mit denen wir alle vertraut sind, und die der hervorragende Gegenstand der philologischen, wie der ästhetischen Studien dieses Jahrhunderts gewesen sind und doch hatte noch Niemand mit auch nur einiger Wahrscheinlichkeit sagen können, warum die Ilias pathetisch, die Odysse aber ethisch hiess.

Und wenn nun dieses Urtheil nur dem Einen Aristoteles angehört hätte! Aber dies Urtheil ist von ihm an das Urtheil des gebildeten Mannes in Griechenland durch alle Jahrhunderte gewesen. Es kehrt wieder bei Longin, der seine glänzende Schilderung der homerischen Gedichte auf den Gegensatz von πάθος und ἦθος zurückführt. Und ein Jahrtausend später spricht Eustath von Ιλιάς παθητική und Ὀδύσσεια ἠθικὴ κατὰ τὴν παλαιὰν ἀλήθειαν. Das heisst also: von den Alexandrinern her denn das sind ihm οἱ παλαιοί war es Schultradition gewesen, mit den beiden Worten die ästhetische Verschiedenheit der beiden Gedichte zu characterisiren. Ueber den Sinn dieser Bezeichnung ist Eustath freilich sehr im unklaren, aber auch für die blosse Notiz verdient er unsern Dank, denn sie enthält einen höchst werthvollen Beitrag zur Geschichte des literarischen Lebens in Griechenland.

Allein diese Rolle, welche darnach die beiden Worte in dem Urtheile der Griechen über die ersten Dichterwerke ihrer Nation gespielt haben, sichert jeder Untersuchung über die Arten der Tragödie die volle Theilnahme der Fachgenossen; denn dass das Urtheil des späteren Alterthums über Homer auf Ar. zurückgeht, diese Ansicht ist nach dem Vorliegenden zu natürlich, als dass wir sie nicht, bis das Gegentheil bewiesen, als wahr gelten lassen sollten.

Doch ehe wir weiter gehen: Was ist denn der Sinn der Thatsache, dass das Urtheil der Alten über Ilias und Odyssee bisher unverstanden war? Sollen wir glauben, dass wir an den Gedichten selbst nicht haben sehen können, was die Alten daran bemerkten? Davon kann nicht die Rede sein, wenn das Urtheil der Alten auch besser geschult war, als es heute aus vielen Gründen bei der Mehrzahl der Gebildeten und Gelehrten möglich ist. Sondern, was uns fehlte, das war die Kenntniss des antiken Stand

F

punktes der Beurtheilung, um nach den Gesichtspunkten, die sich von ihm aus ergaben, die Fülle der Einzelbemerkungen zu gruppiren. Selbstverständlich ist dabei freilich, dass von einem anderen Standpunkte aus Dinge für höchst bedeutend gelten müssen, auf die wir kein oder nur geringes Gewicht legen, selbstverständlich nicht minder die Möglichkeit, dass dort als tadelnswerth erscheint, was unsere Anerkennung hervorruft.

[ocr errors]
[ocr errors]

Und diese blosse Möglichkeit des Tadels ist eine Thatsache, Indem Ar. die Ilias pathetisch, die Odyssee aber ethisch nannte, sprach er einen erheblichen Vorwurf nicht gegen die Dinge, rücksichtlich deren wir uns gewöhnt haben dem Lobe Homers etwas abzuziehen, wie Einheit der Composition u. dergl. aus, sondern gerade das tadelte er, was wir alle bewundern: die Darstellung. Und mag immerhin die ideale Strenge eines Ar. der grossen Menge der Gebildeten fremd geblieben, bei ethisch' und 'pathetisch' mehr nur an den blossen Gegensatz beider Gedichte gedacht sein, bei einem geschulten Kritiker wie Longin klingt auch durch das begeisterte Lob die Vorstellung deutlich genug hindurch, dass auch in diesen höchsten Leistungen der Epik die Natur dieser Dichtungsart nicht ungebrochen zur Entfaltung gekommen ist. Darum dürfen wir wohl annehmen, dass wie die Charakteristik im Ganzen so auch dieser bestimmte Zusatz eines Tadels in ununterbrochener Continuität von Ar. ab durch die Schulen sich fortgepflanzt habe.

Diese Discrepanz des antiken von dem modernen Urtheil, wie sie nach meiner Ansicht besteht, ist zu bedeutend, die Zumuthung an alle, die sich bei ihrer Bewunderung Homers als des offenbarenden Genius der epischen Dichtung in Uebereinstimmung mit dem Alterthume glaubten, zu hart, als dass man nicht alles hervorsuchen sollte, falls diese Ansicht überhaupt Beachtung findet, um meinen Beweis zu entkräften und meine Meinung als ein Product einer gewissen Paradoxiensucht hinzustellen.

Wie steht es denn also mit den Gründen für diese Zumuthung? Ich kann nicht anders sagen, als dass, wenn Ar. nur logisch schrieb, sie auch aus der trümmerhaften Ueberlieferung des einen 18. Cap. seiner Poetik mit Nothwendigkeit folgt. Um aus diesen

Trümmern das Ganze zu erkennen, dazu gehört freilich ausser der unbefangenen Anwendung logischer Gesetze eine genaue Kenntniss der Poetik und Rhetorik um jedes einzelne Moment in seiner Bedeutung würdigen zu können. Es wird natürlich meine Aufgabe sein, diese speciellen Voraussetzungen dem Leser zu bieten und

« PreviousContinue »