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unverständlich ist. Ich hoffe, dass das von mir gesetzte 'urbi' recht bald einer näher liegenden Verbesserung Platz machen wird 1. - 14 hat Mcōpositi' statt des nothwendigen 'conbusti'.

Wem gehören diese Verse an? Dieselben stimmen so sehr zu dem Geiste und der Gesinnung, welche uns in Ged. 427-480 entgegentreten (man vergl. besonders 433, 440, 471), dass man sie ohne weiteres dem Verfasser derselben wird zuweisen dürfen. Dafür spricht ausserdem nicht allein der äussere Umstand, dass das Fehlen jener Verse in dem überhaupt ziemlich nachlässig geschriebenen V erklärt wird durch die Selbständigkeit des M und dass ferner in M das neue Gedicht eingeschlossen ist von in V befindlichen Stücken, sondern auch vorzugsweise noch ein anderer Grund. V. 14 sagt der Dichter:

Ossaque conbusti frater uterque legat.

Zweier Brüder thut aber auch der Verfasser von 441 Erwähnung in einer Weise, welche gleichfalls seine grosse Liebe zu denselben zeigt, v. 1 ff.:

Sic mihi sit frater maiorque minorque superstes

Et de me doleant nil nisi morte mea u. s. w. Sollte nicht hierin, ganz abgesehen von aller äusseren Empfehlung meiner Vermuthung, der zwingendste Grund liegen für die Annahme, dass jene neuen Verse und 441 mitsammt den übrigen Stücken von einem und demselben Verfasser herrühren? Und habe ich 427-480 richtig, wie ich denke, dem Petronius oben vindicirt, so haben wir in jenen Versen ein neues Petronianum gewonnen.

(F. f.)

Jena, im Januar und April 1876.

Emil Baehrens.

1 Zu 'ignotus urbi' vergl. man z. B. Seneca Thyest. 401 ff: 'Illi mors grauis incubat | qui notus nimis omnibus | ignotus moritur eibi', welche Verse jedoch das im selben Thyestes vorausgehende (v. 396) 'nullis nota Quiritibus | aetas per tacitum fluat' nicht schützen können. Hier ist zu verbessern:

Nullis motaque litibus
Aetas per tacitum fluat.

Demeter in Eleusis und Herr François Lenormant.

In dem ersten, bis jetzt einzigen Bande seiner Monographie de la voie sacrée Éleusinienne (Paris 1864), S. 399 ff., theilt François Lenormant eine Volkssage oder Legende mit, welche er in Eleusis während seiner dortigen Ausgrabungen vernommen haben will, und die, ihre Echtheit vorausgesetzt, ein nicht geringes Interesse in Anspruch nimmt, da sie den Mythos vom Raube der Persephone und der Einkehr der Demeter bei den Eleusiniern zur Grundlage hat. Es wird nothwendig sein diese Legende zunächst vollständig in deutscher Uebersetzung wiederzugeben, zumal da das in nicht mehr als 300 Exemplaren gedruckte Werk, worin sie enthalten ist, in Deutschland nur wenigen leicht zugänglich sein dürfte.

'Die heilige Dimitra war eine gute mildthätige Alte in Athen, die ihr ganzes kleines Vormögen auf Ernährung der Armen verwandte. Sie hatte eine Tochter von unvergleichlicher Schönheit: seit den Zeiten der Frau Phrodíti 2 hatte man kein so reizendes Wesen gesehen. Ein türkischer Aga aus der Umgegend von Souli, ein sehr boshafter und der Zauberei kundiger Mann, erblickte sie eines Tages, wie sie ihre goldenen, bis zur Erde hinabwallenden Haare kämmte, und ward von leidenschaftlicher Liebe zu ihr ergriffen. Er wartete eine Gelegenheit ab mit ihr zu sprechen und versuchte sie zu verführen; aber jene, ebenso sittsam als schön, wies alle Anerbietungen des Ungläubigen zurück. Derselbe beschloss nunmehr sie zu rauben, um sie in seinen Harem einzuschliessen. In einer Nacht der Weihnachtszeit also, während Dimitra sich in der Kirche befand, erbrach er die Thüre ihres Hauses, ergriff das

1 ἁγία Δήμητρα.

2 Κυρά Φροδίτη, d. i. Αφροδίτη.

junge Mädchen, welches allein in der Wohnung zurückgeblieben war, trug es ungeachtet seines Angstgeschreis fort und schwang sich, die Geraubte in seinen Armen haltend, auf sein Ross. Das war ein Wunderpferd; es war von schwarzer Farbe, schnaubte Feuer aus den Nüstern und vermochte mit einem Satze vom Morgen bis zum Abend zu gelangen; in einigen Augenblicken brachte es daher den Räuber und seine Beute bis in die Gebirge von Epirus. Als die alte Dimitra aus der Kirche zurückkam, fand sie ihr Haus erbrochen, und ihre Tochter war verschwunden. Ihre Verzweiflung war gross. Sie fragte die Nachbarn, ob sie nicht wüssten, was aus ihrer Tochter geworden sei; allein diese wagten es nicht ihr Auskunft zu ertheilen, weil sie die Rache der Türken fürchteten. Sie wandte sich an den Baum, der vor ihrem Hause grünte; aber der Baum wusste ihr keine Antwort zu geben. Sie fragte die Sonne, aber die Sonne wusste ihr keine Antwort zu geben. Sie fragte den Mond und die Gestirne, aber auch sie gaben ihr keine Auskunft. Endlich sprach der auf dem Dache ihres Hauses nistende Storch zu ihr: 'Schon recht lange leben wir bei einander; du bist ebenso alt als ich. Und du bist immer gut gegen mich gewesen, hast nie mein Nest gestört und bist mir auch einmal gegen einen Raubvogel zu Hülfe gekommen, der mir meine Kleinen nehmen wollte. Zum Danke dafür will ich dir sagen, was ich über das Schicksal deiner Tochter weiss: sie ist entführt worden von einem Türken, welcher ein schwarzes Pferd ritt, das ihn in westlicher Richtung davongetragen. Komm, ich will mit dir aufbrechen, und wir wollen zusammen nach ihr suchen.'

Dimitra machte sich, begleitet von dem Storche, auf den Weg. Es war kalte Winterszeit, Schnee bedeckte die Gebirge. Die arme Alte kam vor Erɛtarrung nur mühsam vorwärts; sie fragte alle, denen sie begegnete, ob sie ihre Tochter gesehen hätten, allein die Gefragten machten sich lustig über sie oder antworteten ihr nicht; die Thüren schlossen sich vor ihr, denn die Menschen lieben nicht das Elend; sie weinte und jammerte. Dennoch schleppte sie sich in diesem Zustande bis Lepsína 1; aber hier angekommen sank sie, überwältigt von Müdigkeit und Kälte, am Rande der Strasse zusammen. Sie war dem Tode nahe, als zum Glück die Frau des Kodscha-Baschi, die von einem Besuche ihrer Heerden zurückkehrte, vorüberkam. Marigo das war der Name dieser Frau hatte Mitleid mit der Alten; sie half ihr aufstehen und führte sie zu

1 D. i. Eleusis.

ihrem Gatten, der Nikolas hiess. Der Kodscha-Baschi war nicht minder theilnehmend als seine Frau; und so nahmen sie beide das arme bekümmerte Weib so gut als möglich auf, pflegten sie und suchten sie zu trösten. Um sie zu belohnen für ihre Gastlichkeit, segnete die heilige Dimitra ihre Felder und verlieh ihnen Fruchtbarkeit.

Nikolas, der Kodscha-Baschi, hatte einen Sohn, der war schön, kräftig, tapfer, gewandt, kurz der beste Pallikar in der ganzen Gegend. Da derselbe sah, dass Dimitra nicht im Stande war ihren Weg fortzusetzen, erbot er sich an ihrer Statt nach dem geraubten Mädchen zu suchen, und forderte zum Lohne weiter nichts als dessen Hand. Das Anerbieten ward angenommen und er brach auf, begleitet von dem treuen Storche, der sich der Unternehmung nicht entziehen wollte.

Der junge Mann wanderte viele Tage lang, ohne irgend etwas zu entdecken. In einer Nacht endlich, da er sich in einem Walde inmitten von Gebirgen befand, erblickte er von weitem ein grosses helles Licht. Er ging eifrig darauf los, aber die Stelle, von der das Licht ausging, war viel weiter entfernt, als es ihm anfänglich wegen des Dunkels der Nacht erschienen war. Indessen kam er doch dort an und fand zu seinem grossen Erstaunen vierzig Drachen vor, die, auf der Erde gelagert, einen ungeheuer grossen Kessel bewachten, dessen Inhalt über dem Feuer brodelte. Bei diesem Anblick hob er, ohne den Muth zu verlieren, mit einer Hand den Kessel weg, zündete eine Fackel an und setzte alsdann das metallene Gefäss wieder auf das Feuer. Die Drachen, erstaunt über eine derartige Kraft, umringten ihn alsbald und sprachen zu ihm: Du, der du mit einer Hand einen Kessel hast aufzuheben vermocht, den kaum wir alle zusammen zu tragen im Stande sind, du allein bist fähig ein Mädchen zu rauben, dessen wir uns schon seit lange zu bemächtigen trachten und das zu bekommen uns unmöglich ist wegen der grossen Höhe des Thurmes, worin ein Zauberer es eingeschlossen (hält '.

Der Sohn des Kodscha-Baschi von Lepsina sah die Unmöglichkeit ein, diesen Ungeheuern zu entgehen. Er begab sich also in Begleitung der vierzig Drachen an den Thurm, und nachdem er denselben genau untersucht hatte, liess er sich grosse Nägel reichen, welche er in die Mauer einschlug nach Art einer Leiter und die er beim Aufwärtssteigen immer wieder herauszog, damit die Drachen ihm nicht folgen könnten. Oben angekommen, wo sich ein kleines Fenster befand, durch welches er nur mit Mühe

eindrang, machte er den Drachen den Vorschlag heraufzusteigen so wie er selbst gethan, einer nach dem andern. Das thaten sie, und so hatte er Zeit den ersten, der oben ankam, zu tödten, indess der andere hinaufstieg, und ihn von der entgegengesetzten Seite des Thurmes hinabzuwerfen, wo ein sehr grosser Hof, ein herrlicher Garten und ein prächtiges Schloss sich befanden. Nachdem er auf diese Weise seiner gefährlichen Hüter sich entledigt hatte, stieg er in das Innere des Thurmes hinab und fand hier die Tochter der heiligen Dimitra, deren Schönheit sofort die feurigste Liebe in ihm entzündete.

Er lag vor ihr auf den Knieen, als der Aga, der Zauberer, dazu kam. Wüthend vor Zorn warf dieser sich auf den jungen Mann, der ihn muthig empfing. Der Aga war von übermenschlicher Stärke, aber der Sohn des Nikolas stand ihm nicht nach. Der Aga hatte auch die Macht nach Belieben seine Gestalt zu wechseln; er verwandelte sich in einen Löwen, in eine Schlange, in einen Raubvogel, in Feuer, hoffend unter einer von diesen Gestalten seines Gegners Herr zu werden; aber nichts vermochte den beherzten Pallikaren zum Wanken zu bringen. Drei Tage lang rangen der Aga und der Jüngling von Lepsina also mit einander, ohne zu ermüden. Am ersten Tage schien der Aga der besiegte, allein am zweiten bekam er wieder die Oberhand, und am Ende dieses Tages tödtete er seinen jungen Gegner und zerschnitt seinen Leichnam in vier Stücke, die er an den vier Seiten des Thurmes aufhängte. Hierauf that er, erhitzt von seinem Triumphe, der Tochter der Dimitra Gewalt an, deren Jungfräulichkeit er bis dahin in Ehren gehalten hatte. Aber in der Nacht flog der Storch eilig von dannen, um in weiter Ferne ein ihm bekanntes Zauberkraut zu suchen. Er brachte es im Schnabel herbei und rieb damit die Lippen des todten Jünglings. Da fügten sich alsbald die einzelnen Stücke seines Leichnams wieder zusammen, und er kam ins Leben zurück. Gross war seine Verzweiflung, als er erfuhr, was nach seiner Niederlage sich zugetragen; aber mit um so grösserer Wuth stürzte er sich nun am dritten Tage auf den Aga, um ihn für sein Verbrechen zu bestrafen. Wiederum war er nahe daran zu unterliegen, aber in diesem Augenblicke kam er auf den glücklichen Gedanken, die heilige Jungfrau anzurufen und das Gelübde zu thun, dass er im Falle seines Siegs als Mönch ins Kloster der Geoffenbarten gehen werde. Der göttliche Schutz verlieh ihm neue Kräfte,

1 Auf der Insel Salamis, im Angesichte von Eleusis.

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