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er im Jahre 1843 den Professortitel erhielt. Sie ist von einem seiner vieljährigen Freunde, der in früheren Jahren als sein Kollege, in späteren als sein Direktor mannichfache Gelegenheit hatte, ihn in seiner praktischen Lehrthätigkeit zu beobachten, in kurzen Zügen treffend folgendermaßen geschildert *).

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Die ihm anvertraute Jugend nach Maaß der Kräfte, die ihm der Herr verliehen, zu fördern sowohl durch gründliche Unterweisung in den ihm übertragenen Fächern, als durch Leitung und Ausbildung ihres ganzen Wesens, war ihm die aus inniger Liebe zu seinem Berufe erwachsene Hauptaufgabe seines Lebens: er war Jugendlehrer in vollem Sinne des Wortes. Daher kam die strenge Gewissenhaftigkeit in der Ausübung aller der Pflichten, die ihm fein Amt auflegte; daher das unermüdliche Streben, durch ein immer erneuertes Durcharbeiten des zu behandelnden Lehrstoffes eine immer größere Klarheit und Einfachheit im Lehren und damit eine immer größere Sicherheit des Erfolges zu erlangen; daher die nie ermüdende Geduld in der immer sich erneuernden Unterweisung auch der weniger begabten oder nachlässigen und leichtsinnigen Schüler; daher aber auch der Ernst, mit welchem er stets auf die Erfüllung der Pflichten von Seiten seiner Schüler drang, ein Ernst, in welchem er sich als ihr treuster und wahrster Freund bewährte, und welchem man die reinste Quelle, aus der er floß, nämlich eifrige Sorge um das Wohl der ihm anvertrauten Jugend, stets anfühlte. Einem solchen Streben und Wirken konnten die Erfolge nicht fehlen, die allein die wahre Belohnung des Lehrers sind: kräftige wissenschaftliche Förderung und herzliche Achtung und Liebe seiner Schüler. Beides hat der Verstorbene während seiner verhältnißmäßig kurzen Lehrerlaufbahn in reichem Maße erfahren. Aber wenn er so in seinem speciellen Verhältnisse zu den Schülern, die er zu unterrichten hatte, seinen Pflichten in so ausgezeichneter Weise genügte, so that er es nicht minder in seiner ganzen Stellung zu den Anstalten, denen er angehörte, im Allgemeinen. Denn er war weit entfernt, zu glauben, daß, wenn er den ihm aufgetragenen Unterricht nach besten Kräften ertheilt und alles darauf Bezügliche erfüllt habe, nun Alles geschehen sei, was ihm obliege: er fühlte lebhaft, daß eine Schule ein lebendiges Ganze sei, in welchem sich die Thätigkeit der Einzelnen nicht mechanisch aneinander seßen und von einander trennen läßt, sondern in welchem jeder wirksam thätig das Ganze stets im Auge haben, sein Wohl, feine Förderung nach allen Kräften anstreben müsse. Freilich läßt sich die Art, wie das geschehen muß, nicht in bestimmte Regeln fassen, weil die Aufgabe unter den stets wechselnden Verhältnissen eine immer neue ist: die Erkenntniß dessen, was da zu thun sei, kann nur hervorgehen aus der vollen Hingabe, der lebendigen Theilnahme an dem Wohle des Ganzen. Und diese Hingabe, diese Theilnahme besaß der Verstorbene in hohem Maße: daher seine rege und kräftige Thätigkeit für Alles, was zur Förderung der Zwecke der Anstalt dienen konnte, seine nie ermüdende, entgegenkommende Bereitwilligkeit im Helfen, wo es nur immer Noth that, sein eifriges und dabei stets besonnenes Denken auf Verbesserungen des vorhandenen Zustandes."

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Aus diesem eifrigen und dabei stets besonnenen Denken auf Verbesserung des vorhandenen Zustandes“- ging auch seine literarische Thätigkeit hervor. Zwar mit demselben Feuer wie in früheren Jahren die reine Wissenschaft ver

*) Programme d'invitation à l'examen public du coll. etc. Berlin 1846.

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ehrend und von dem sehnsüchtigen Verlangen erfüllt, ihr mehr leben zu können als es sich mit seiner Berufsthätigkeit einen ließ, war doch sein immer den praktischen Gesichtspunkt festhaltender Sinn durch das Leben so sehr gesteigert, daß der größte Theil seiner literarischen Erzeugnisse aus dem Kreise der strengen Wissenschaft heraustrat und die Schule sich zur Aufgabe stellte. Ihm, dem wissenschaftlich gebildeten Manne, dem scharfen Denker, dem einsichtsvollen Lehrer, konnte der Zustand, in welchem er viele der literarischen Lehrmittel vorfand, nicht genügen.

Vor allem war es der englische Unterricht, der ihm der angemessenen Lehrbücher zu entbehren schien. So entschloß er sich, zunächst auf diesem Gebiete für Abhülfe zu sorgen und schon im Jahre 1840 gab er sein „Lehrbuch der englichen Sprache" heraus. Die Einfachheit und Klarheit des Ausdrucks, die Kürze und Schärfe der Regeln, die richtige Gruppirung des Lehrstoffes, der pädagogische Takt in der Wahl der Beispiele verschaffte dieser Grammatik so schnell Verbreitung, daß im Jahre 1842 eine zweite Auflage derselben nöthig wurde. Diese zweite, vielfach verbesserte und erweiterte Ausgabe war in gleicher Weise bald vergriffen. Der Verfasser hatte so eben die leßte Feile an die dritte Bearbeitung seines Lehrbuches gelegt — wenige Stunden danach war er nicht mehr unter den Lebendigen *).

Ueberzeugt, daß Geist und Gemüth der lernenden Jugend erstarken und erwarmen an den Erzeugnissen der größten Dichter, führte er seine Schüler bei dem Unterrichte in der englischen Sprache frühzeitig zu Shakespeare. Ueberzeugt aber andrerseits, daß, was dem Manne fromme nicht überall auch dem Knaben und Jüngling eigne; überzeugt, daß der Jugend nur das Sittige und Unanstößige gegeben werden müsse, veranstaltete er eine besondere Schulausgabe Shakespeare'scher Dramen („Dramen von Shakespeare, zum Schulgebrauch bearbeitet. Berlin 1843."), in welcher alle Schlüpfrigkeiten weggelassen sind, ohne daß der Poesie der Dramen dadurch Eintrag geschieht.

So wie er auf dem Gebiete der englischen Grammatik selbstständig sich eine Bahn brach, so auch in einem anderen sehr heterogenen Zweige des Unterrichts, im praktischen Rechnen. Hier erschien ihm die übliche Methode zu sehr losgelöst von dem wirklichen Leben, ohne Rücksicht auf die Natur des Knaben entwickelt. Was er hier Neues geleistet, ist ersichtlich aus seinem „Rechenbuch für die preußischen Gymnaften und Bürgerschulen.“ (2 Theile. 1844 und 1845.)

Was sonst von seinen ausgeführten und bis jezt schon `ans Licht gestellten literarischen Erzeugnissen genannt werden muß, gehört drei sehr verschiedenen Gebieten an. Zuerst eine mathematische Abhandlung in dem Programme des französischen Gymnasiums von 1841 (,, Mémoire sur la substitution d'une variable imaginaire dans une intégrale définie"), über welche Kenner ein sehr günstiges Urtheil gesprochen haben. Dann eine grammatische Abhand

lung (Ueber Tempora und Modi der englischen Sprache"), von deren geistigem Gehalte die Leser dieser Zeitschrift sich schon selbst werden überzeugt haben. Endlich Reiseerinnerungen im Ausland 1845.

Der wunderbare Zauber, der für den klassisch Gebildeten schon in dem Namen Italien liegt, übt seine Allgewalt auf das Gemüth aus, wenn die

*) S. die Vorrede der von Brenneke besorgten dritten Ausg. Berlin 1846.

Hoffnung des Jünglings, den Boden des herrlichen Landes zu betreten, durch die günstige Lage der Lebensverhältnisse im Mannesalter entgegenreift.

Auch in Foelsing erwachte schon in früheren Jahren die Sehnsucht nach Italien. Aber dieser Sehnsucht nach Italien, dem Ausdrucke seiner, poetischen Natur, trat die Sehnsucht nach Frankreich als der Ausdruck seiner praktischen Natur gegenüber und errang in der oben erwähnten Reise nach Paris den Sieg. Während nun bei der Mehrzahl das poetische Feuer bald erlischt, spätere Reisen mehr praktische Lebenszwecke verfolgen, Wanderungen aber, wie fte die Jugend im poetischen Drange unternimmt oder zu unternehmen sich sehnt, bei Seite gelassen werden, finden wir bei unserem Freunde fast das umgekehrte Verhältniß.

Etwa ein Decennium war seit seiner praktischen Reise verflossen, da begann er seine poetische Wanderung. Er nahm seinen Weg von Berlin über Paris, lebte dort der Erinnerung einige Wochen und ging dann in den Süden, um von Marseille aus den schnellsten und kürzesten Weg nach Rom einzuschlagen.

Wie er aber in Marseille die deutlichen Spuren naher und schneller Verbindung mit dem afrikanischen Leben wahrnahm, da ergriff es ihn mächtig, erst einen schnellen Blick zu thun in die fabelhafte Natur dieses glühenden Südens. Und so fuhr er hinüber nach Afrika, fah die leuchtende Piratenstadt, sah die dunklen Söhne Afrika's, die frei schwärmenden Kinder der Natur gebändigt, wie sie mit stiller Wuth ihr Joch trugen, sah das bunte Gemisch der Völker: Araber, Neger, Juden, Franzosen, Italiener, Deutsche, sah den Triumph der Civilisation über die rohe gewaltige Natur.

Von Algier hätte er unmittelbar nach Italien gemacht, aber dahin geht keine geregelte Seeverbindung. Ueber Marseille ging sein Weg nach Nom und Neapel. Er verlebte den Winter 1844/45 in Italien.

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Aber in Italien wie in Afrika war es wiederum das Leben, das ihn vorzugsweise anzog. Die eigenthümliche Gestaltung des oft so phantastischen Lebens hier wie dort beschäftigte seine Einbildungskraft mehr als was Afrika an Natur, Italien an Kunst und Natur darbietet. Der poetische Duft, von dem hier die Erscheinungen aller Lebensformen erfüllt sind, der war es was ihn entzückte. Kunst, Natur und Leben fie alle drei haben ihre Poesie. Foelsings Gemüth war minder geöffnet für die Poefte der Kunst und der Natur als für die Poesie des Lebens. Dies hatte zum Theil einen physischen Grund, den, daß er an dem Genusse der bildenden Kunst wie an dem Genusse der Naturschönheit durch Schwäche und Kurzsichtigkeit seines Auges gehindert wurde. Das war ein Grund, aber es war nicht der einzige. Der andere und wesentliche war die Eigenthümlichkeit seiner Natur, wie sie schon oben näher bezeich net ist. Die verschiedenen Zweige der Kunst standen ihm nahe oder fern je nachdem sie die Wirklichkeit des bewegten Lebens als die Möglichkeit ihrer Eristenz seßen. Während ihn daher die Dichtkunst, besonders die dramatische, als derjenige Kunstzweig, der die Mannigfaltigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse zu seiner nothwendigen Grundlage hat, zur höchsten Begeisterung zu erheben vermochte, stand er in einem fast feindlichen Verhältnisse zur Musik, d. h. zu der Kunst, die ihrem innersten Wesen nach nichts zu thun hat mit der Wirklichkeit des bewegten Lebens, die ihrem Inhalte nach gedacht werden kann ganz ohne das Substrat des Menschen und der bürgerlichen Gesellschaft. Er hat nie Freude an der Musik gehabt, nie durch sie sich erhoben gefühlt.

Aber er war darum nicht ungerecht gegen die Verehrer dieser Kunst. Er erkannte sich als einen Ungeweihten auf diesem Gebiete und beschied sich eines weiteren Urtheils. Wie denn das überhaupt eine der schönsten und charakteristischen Seiten seiner Natur war, daß er immer nach einem gerechten, unbestochenen Urtheil strebte. Wo er seine Ansicht als eine irrthümliche erkannte, da war er gern und freudig bereit, sie auch als solche zu bekennen. Nichts lag ihm ferner als aus falscher Schaam seine einmal aufgestellte Behauptung gegen beffere Ueberzeugung hartnäckig zu behaupten, oder vorschnell und unüberlegt ein Urtheil über Dinge oder gar über Personen zu fällen. Hat er je mit Entschiedenheit und in strenger, selbst verlegender Weise inen Unwillen ausgesprochen, so war es gegen ein solches vorschnelles Abr

Daher war es so wohlthuend, mit ihm einen Ideenausta. zu pflegen in leichter Unterhaltung wie in wissenschaftlicher Disputation, daher war er so gern gefchen im geselligen Verkehr. In den zahlreichen Kreisen, die sich ihm öffneten, war er gar häufig der Mittelpunkt der Gesellschaft; feine liebenswürdige Laune, seine unverwüstliche Heiterkeit wirkten elektrisch auf die übrigen Mitglieder der Gesellschaft und selten verließ man einen solchen Kreis, ohne die angenehmsten Erinnerungen an ihn mitzunehmen.

Und doch konnte er verkannt werden. Wer ihm nicht näher stand, der hielt ihn wohl für kalt und berechnet wo er besonnen war, für kalt und theil: | nahmlos wo er ruhig war. Er kalt und theilnahmlos! Ihm fehlte, bei aller Gewandtheit, die er sonst besaß, das gefällige einschmeichelnde Trosteswort in leichtem wie in schwerem Mißgeschick und Ungemach, aber in seinem Innern nagte auch ihm der Seelenschmerz des Freundes. Daß er die Forderungen des Lebens sich klar machte und nicht in jugendlicher Schwärmerei die Welt sich anders träumte, als sie ist darum galt er als berechnet. Er fühlte zart und innig, tief und herzlich. Aber die Tiefe seines Gemüthes hat sich nur wenigen ganz erschlossen. Sie sollte sich einem geliebten weiblichen - Wesen noch erschließen es war sein fester Wille, nur zuvor follten die kräftigenden Fluthen der Ostsee ein körperlich verstimmendes Mißbehagen hinwegspülen - die Fluthen der Ostsee rissen ihn selbst hinweg den Freund, den Geliebten ! *) Ὃν θεοὶ φιλοῦσιν ἀποθνήσκει νέος.

Berlin.

R. Holzapfel.

*) Er starb im Seebade Colberg am 8. Juli 1846 während des ersten Bades vom Schlagfluß getroffen.

I.
1. Abhandlungen.

Studien über deutsche Dichter.

I. Freiligrath.

Vor vier Jahren begann ich eine größere Arbeit, die

Studien, Kritiken, Parallelen u. s. w. zur Kenntniß, deutscher Dichter der Gegenwart" enthalten sollte, aber mit dem zweiten Heft einging. Daß ich sie nicht fortsegte, dazu trug theils der Umstand, daß der Verleger das zweite Heft zu spät nach dem ersten ausgab, wodurch die Käufer stugig wurden, theils der unangenehme Zufall bei, daß C. Hense ein Buch erscheinen ließ, welches seltsam genug gerade denselben Titel führte und in einigen Monaten vollständig da war. Meine „deutschen Dichter der Gegenwart" fanden übrigens in den mir zu Gesicht gekommenen Beurtheilungen den Beifall der Kritik, oder kamen doch, wenn sie neben Hense recensirt wurden, besser weg als dieser. Ich halte auch noch immer solche Studien für zweckmäßig. Wenn ich daher hier im Archiv einige derselben niederlege, so geschieht es nicht etwa, um alte, nun vergilbte Vorarbeiten an den Mann zu bringen, sondern um die Poeten der Jestzeit dem Lehrer im frischen Andenken zu halten und für den Unterricht im Deutschen so weit auszubeuten, als es geschehen mag. Gerade darum fange ich hier wieder mit Freiligrath an, wie dort; man wird sehen, daß derselbe sich auch noch aus einem andern Standpunkte betrachten läßt und daß ich zugleich in den legten Jahren unsere Dichter nicht aus den Augen verloren habe. Es gibt nur wenig moderne Poeten, an welchen man das Wesen der heutigen Poesie vielseitiger

Archiv II.

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