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Gedankenspäne über Sprachunterricht; mit Bezugnahme auf Mager's „genetische Methode des schulmäßigen Unterrichts in fremden Sprachen und Literaturen.“

Das oben genannte pädagogische Werk Mager's ist so voll gesunden Urtheils und gesunder Ansichten, daß es auf die künftige Gestaltung unseres Schulwesens und speciell der Methodik des Sprachunterrichts nicht ohne Einfluß bleiben kann. Je trefflicher und beherzigungswerther aber diese Schrift im Ganzen ist, desto weniger kann ich mich enthalten, unumwunden hier auszusprechen, was mir im Einzelnen daran verfehlt oder mißlungen scheint. Eine Kritik des Mager'schen Werkes soll aber das Folgende durchaus nicht sein, sondern nur einzelne Gedanken enthalten, von denen Schreiber dieses glaubt, daß sie bei einer künftigen Reform des Sprachunterrichts auch ihrerseits eine Berücksichtigung beanspruchen dürften.

Das Erste, worin ich mit Hrn. Mager nicht einverstanden bin, ist seine Benennung gelehrtes Gymnasium und Bürgergymnasium,“ wofür ich lieber die Ausdrücke: klassisches Gymnasium und Realgymnasium gebraucht gesehen hätte, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil wir, denke ich, einer Zeit entgehen gehen, wo Gelehrtenthum und Bürgerthum nicht mehr als ein só Getrenntes erscheinen, sondern mehr und mehr sich decken und in einander aufgehen wird. Wie unter den Gelehrten selbst die hervorragenden Größen in dem Maße verschwinden als die Bildung sich verallgemeinert, so wird auch die Kluft zwischen dem Bürger und Gelehrten immer kleiner werden, und darum sollten wir nicht Schulen bekommen, die Gelehrte oder Bürger, sondern Gelehrte und Bürger, oder vielmehr erst Bürger und dann Gelehrte erziehen. Eben deshalb sollten wir aber unsere männliche Jugend nicht schon im zehnten Jahr, wie Hr. Mager will, durch ein sogenanntes

gelehrtes Gymnasium und Bürger - Gymnasium von einander abschließen, sondern sie bis zum Abschluß des Knabenalters durch die Confirmation, also bis zum vierzehnten Lebensjahre zusammen gehen lassen, wo dann die Lebenswege von selbst aus einander gehen. Damit hängt aber noch ein zweiter Uebelstand zusammen, der mir im Folgenden zu liegen scheint. Einmal will Hr. Mager, daß der Unterricht in einer fremden Sprache erst im zehnten lebensjahre beginne, und das ist höchst vernünftig. Nun soll aber der Knabe, noch ehe er überhaupt eine fremde Sprache zu lernen begonnen hat, sich entweder für das' gelehrte oder das BürgerGymnasium entscheiden, wo gleich vom ersten Anfang an der Sprachunterricht völlig aus einander geht, indem das gelehrte Gymnasium denselben mit der lateinischen, das Bürger-Gymnasium mit der französischen Sprache beginnt. Bei dieser Einrichtung soll sich aber einmal der Knabe schon im zehnten Jahr für einen bestimmten Lebenslauf entscheiden, was im Allgemeinen wohl viel zu früh ist; und dann soll er sich entweder für eine alte oder neuere Sprache entscheiden, wo er doch außer der Muttersprache noch gar keine kennen gelernt hat. Sollte er nicht erst eine fremde Sprache überhaupt ein wenig gesehen haben, ehe er sich für die eine oder andere entscheidet, zumal diese Entscheidung so genau mit seiner ganzen Zukunft zusammenhängt? Wie mir aber ein solcher Griff auf gut Glück hin mißlich erscheint, so wie mich diese frühe Trennung unserer Jugend überhaupt nicht befriedigt (3ersplitterung haben wir ja so schon genug), eben so kann ich mit Hrn. Mager darin nicht übereinstimmen, daß die erste fremde Sprache für das gelehrte Gymnasium die lateinische, für das Bürger- Gymnasium die französische sein soll. Beides scheint mir unnatürlich und ist unnatürlich, daß ich es offen heraussage. Die Natur, meines Wissens, thut niemals Sprünge, sondern Alles entwickelt sich in ihr in homogener Stufenfolge. Aber ein moderner Knabe von zehn Jahren und ein alter römischer Schriftsteller mit seinem Ideengang und seiner Sprache scheinen mir nicht minder heterogene Gegenstände zu sein als z. B. deutsches Wesen und französisches. Will man daher einmal zu den Grundsägen unserer großen alten Pädagogen, wie Ratich und Comenius, d. h. zur Natur zurückkehren, so sollte man doch einen zehnjährigen Knaben dieser unserer Zeit nicht zuerst Lateinischlehren, sondern die erste fremde Sprache, die er lernt, doch ebenfalls ein Produkt dieser unserer Zeit, also eine neuere sein lassen, wie es schon vor 200 Jahren der treffliche Comenius gewollt hat und

wie es endlich Zeit wäre, daß wir es auch wollten. Ist aber diese Forderung Natur und nichts als Natur, so ist auch Hr. Mager nothwendig im Widerspruch mit der Natur; denn weder die lateinische noch französische Sprache reiht sich naturgemäß der deutschen an oder steht mit ihr in einem natürlichen Zusammenhang. Dieses thut unter allen neueren Sprachen, die zu lernen überhaupt der Mühe sich lohnt, am meisten die englische, die nicht nur mit der unsrigen in nächster natürlicher Verwandtschaft steht, sondern auch, nach und neben der unsrigen, selbst wieder der reinste Abdruck der Natur ist, und zugleich die Sprache eines der tüchtigsten und mächtigsten Völker der Welt. Englisch wäre es also, was unsere Jugend - naturgemäß — zuerst zu lernen hätte, sobald sie einmal fremde Sprachen lernen soll und diese nicht auf einmal lernen kann, sondern mit Einer den Anfang machen muß. Soll aber diese eine und erste von natürlicher Wirkung und dem gehörigen Erfolg sein, soll sie, mit Einem Wort, durchschlagen, so muß sie gleich tüchtig und völlig, und vor Allem schnell gelernt werden, wie die Muttersprache. Darum werden wir als die erste fremde Sprache eine solche wählen müssen, die in ihren Formen möglichst einfach und leicht sei, damit unser Lehrling möglichst bald durch die äußere Schale hindurch zu dem Kern und Inhalt, zu dem Geist derselben vor und in denselben eindringe, denn nur Geist zeugt und bildet wieder Geist, und geistbildend soll ja vor Allem der Sprachunterricht sein. Auch dieser Anforderung entspricht die englische Sprache vollkommen; denn ein zehnjähriger deutscher Knabe, vorausgeseßt, daß er mit der deutschen Muttersprache schon einigermaßen umzugehen gelernt hat, kann die englische Sprache, bei wöchentlich sechs Stunden Unterricht, binnen zwei Jahren schon ziemlich fertig sprechen und schreiben lernen, auch wenn er den Unterricht mit mehreren zusammen hat. Noch wäre für die Wahl dieser ersten fremden Sprache wünschenswerth, daß sie ihrem materiellen und geistigen Inhalt nach schon die Elemente der Sprache oder Sprachen enthielte, die der Schüler zunächst nach ihr lernen soll. Und auch dieser Anforderung genügt die englische Sprache, denn sie enthält von dem Griechischen und Lateinischen, und folglich Französischen, nicht nur viele Wörter, sondern auch Vieles von dem ganzen Bau und Geist jener Sprachen. Diese verschiedenen Bestandtheile nun müssen unsere Zöglinge vom zwölften Jahre an aufsuchen und unterscheiden lernen, so daß sie also erführen, daß z. B. catastrophe und philosophy ursprünglich griechische, religion und pronunciation aber lateinische und

französische Wörter sind (wobei kaum bemerkt zu werden braucht, daß das deutsche Element der Sprache vorzugsweise genügt werden muß, als vorläufig das allinteressanteste und allerbildendste). Zu dem Ende müßte etwa vom zwölften Jahre an unseren Schülern ein Buch in die Hände gegeben werden, das in übersichtlicher Zusammenstellung die Formenlehre der griechischen, lateinischen und französischen Sprache- böte; denn sie sind nunmehr gedächtniß- und geistesstark genug, um diese drei Sprachen in ihren ersten Anfängen zu übersehen und zusammen zu betreiben. Würden für diese vergleichende Formenlehre, in die gerade durch die Vergleichung ein gewisser Sporn und Reiz käme, noch wöchentlich zwei Stunden angesezt, so würden unsere Schüler im vierzehnten Jahre griechische, lateinische und französische Wörter nach ihren verschiedenen Formen sattsam unterscheiden, und diese Formen selbst nach ihren verschiedenen Wandlungen innehaben, deutsch und englisch aber mittlerweile gleich gut, d. h. das Englische wie eine zweite Muttersprache gelernt haben.

Jezt ist das Knabenalter zurückgelegt und unsere jungen Leute entscheiden sich, je nach Neigung und Beruf, für das klassische oder das Realgymnasium. Im ersteren tritt jegt Griechisch, Lateinisch und Französisch vorauf und Englisch zurück; und wie früher die Formenlehre dieser Sprachen, so wird jezt auch ihre Syntar, woran sich noch Deutsch und Englisch knüpft, vergleichend behandelt; in dem Realgymnasium dagegen tritt jezt das Französische, der Stundenzahl nach, vorauf, Englisch zurück, Griechisch und Latein natürlich noch mehr zurück, doch so, daß auch der Realgymnasiast wenigstens einen leichten lateinischen Schriftsteller lesen und verstehen lernt. Dies wäre, so weit ich die Natur des menschlichen Geistes begriffen zu haben glaube, der naturgemäße Gang des Sprachunterrichts für unsere deutsche Jugend. Im klassischen Gymnasium würde nunmehr in zwei bis drei Jahren sicherlich mehr Griechisch und Latein gelernt werden als früher in sechs und mehr Jahren; auch würden wohl die klassischen Schriftsteller nicht mehr so allgemein gleich mit oder nach der Universitätszeit bei Seite gelegt werden, und geschähe es doch, so würde wenigstens Eine fremde Sprache fortgeübt und mit Dank fortgeübt werden, die neben und mit der Muttersprache erlernte Englische.

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Aber auch noch andere, äußere und innere Gründe gibt es, die uns bei einer Reform des Sprachunterrichts bestimmen sollten, die zu erlernende erste fremde Sprache für uns die englische sein

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zu lassen. Die Aussprache des Englischen; ob es gleich keinen Laut enthält, den ein schon sprachlicher geübter Knabe von zehn Jahren nicht alsbald eben so gut wie der Eingeborne wiedergeben könnte *), erfordert jedoch junge, noch geschmeidige Organe und eine lange Uebung, wiewohl sie binnen drei bis vier Wochen in Bausch und Bogen schon ziemlich fertig erlernt werden kann. Ein Student lernt sie, nach meiner Erfahrung, schon nicht mehr vollkommen, auch wenn er sich wirklich Mühe gibt; ein Professor noch weniger. Die alten Sprachen sind der Ausbildung unserer Sprachorgane mehr hinderlich als förderlich, weil es fast Niemand damit genau nimmt. Was würde wohl ein alter Grieche dazu sagen, wenn er z. B. sein d, und von uns so gar nicht unterscheiden hörte? Er würde gewiß mit jenem abgerichteten Deutsch Griechen (in Hauff's Memoiren des Satan) sagen: „mein Herr, das ist nicht Griechisch.“ Dagegen würde ein frühzeitiges Erlernen des Englischen, d. h. eine frühe allseitige Entwicklung und Ausbildung unserer Sprachorgane gewiß auch sehr vortheilhaft auf den Betrieb der alten Sprachen, von phonetischer Seite betrachtet, zurückwirken. Bedächten z. B. unsere klassischen Philologen, daß die englische die einzige neuere Sprache ist, in der wir die Doppellauter ae, oe, th (ai, oɩ, 9) nicht in die Monothongen äh, öh, t verflacht und verkümmert finden; daß vielmehr die englische Sprache Laute wie äh und öh gar nicht kennt, so würden sie bei der sonstigen nahen Verwandtschaft der englischen und griechischen Sprache, mit ziemlicher, wo nicht voller Sicherheit, von der erstern auf die legtere zurückschließen und darum 1) sich nicht streiten, wie man z. B. zaι aussprechen soll ; 2) aber würde keiner von ihnen so inconsequent sein, a als Monothong (äh), or aber als Diphthong zu betrachten. Ein viel triftigerer und tieferer Grund aber, warum unsere erste fremde Sprache die englische sein sollte, liegt noch darin, daß die englische Sprache ihren geistigen Anhalts- und Hauptstügpunkt an England selbst mehr und mehr zu verlieren scheint; gewiß ist, daß sie sich dort von Tag zu Tag verschlechtert und so zersegt und zerklüftet, daß sie eines wissenschaftlichen Anbaues mehr als jede andere bedarf, um nicht allmälig völlig sich aufzulösen und ganz zu verderben. Sollten wir ihr, die wir es mehr als jede andere Nation,

*) Ganz anders verhält es sich in dieser Hinsicht schon mit dem Französischen, dessen Nasenlaute von dem deutschen Organ sehr selten völlig erreicht werden.

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