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unterdrücken, daß fast sämmtliche Dichter, welche das eigentliche Drama begründen und bisher fortbilden halfen, eine gelehrte Erziehung erhalten hatten, und es erklärt sich daraus, daß nicht nur die Form, sondern auch der Geist der alten Stücke eine klassische Färbung besaß. Vor allem beweist die ganze Diction der besprochenen Werke, daß ihre Verfasser gelehrte Studien getrieben hatten und die Latinität auf die kräftige aber oft klanglose angelsächsische Sprache einwirken ließen. Die bedeutendsten unter ihnen hatten aber außer ihren Büchern auch das Leben zugleich gehörig kennen gelernt und die Triebfedern des menschlichen Handelns wie auch das ganze Treiben der Welt mit scharfem Auge sorgfältig beobachtet. Shakspeare fand in diesen Vorgängen freilich kein vollendetes Vorbild, wohl aber viele einzelne Elemente, welche er in sich aufnahm, veredelte und zu einem harmonischen Ganzen in genialer Weise verband. Fehlte ihm freilich eine gelehrte Bildung, so vermied er eben dadurch um so leichter die Gefahren, denen der verbildete Geschmack der Zeit die Dichter ausseßte, und er konnte ungehemmt auf das große Ganze die Kraft seines Genies in solcher Weise wenden, daß wir bei dem Lesen seiner Tragödien mit unserm Goethe fühlen müssen, gleichsam vor den ungeheuren Blättern des Schicksals selbst zu stehen, in denen der Sturmwind des bewegtesten Lebens saust und sie mit Gewalt rasch hin und wieder blättert. Nicht sowohl in dem Glanze einzelner Scenen oder in der Haltung einzelner Personen mußte das Drama fortentwickelt werden, sondern vielmehr durch den eigentlichen Fortschritt der Fabel und den ganzen Schwung des Dialogs, und äußerst treffend ist in dieser Hinsicht das Wort des „Dr. Johnson," daß derjenige, welcher es versuchen wollte, Shakspeare durch einzelne Citate zu empfehlen, nicht besser erscheinen möchte, als der Pedant in Hierocles, welcher bei dem Feilbieten seines Hauses einen Dachziegel zur Probe vorzeigte. Shakspeare wandelte anfangs die Bahn seiner Vorgänger, wich aber allmählig mehr von den Einzelnen ab, je mehr sich die Blüthe des Genius in ihm entfaltete und je mehr sich die verschiedenen Elemente in ihm harmonisch gliederten, bis er endlich die Regelmäßigkeit der Disposition, die Symmetrie der einzelnen Theile und die planmäßige Gegensäglichkeit der Charaktere und Handlungen erreichte, welche die Nachwelt in vielen seiner Stücke nicht genug bewundern kann.

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Zwei Fabeln von Lafontaine.

S b wir schon eine vollständige Uebersegung von Lafontaine'schen Fabeln besigen, weiß ich nicht. Die mir bekannten Nachahmungen, in denen sich unsere frühere Literatur gefiel, entfernen sich so sehr vom Original, daß man dasselbe kaum daraus kennen lernen kann. Sie stehen etwa in demselben Verhältniß zu Lafontaine, wie dieser zu Aesop, Babrius und Phaedrus, nur mit dem Unterschiede, daß Lafontaine, der sorglose Liebling der Musen, den oft noch rohen Stoff mit unnachahmlicher Laune, Anmuth und Feinheit zum neuen Kunstwerk umschmilzt und ihm durch neue Anwendung und Beziehung ein selbstständiges Leben einhaucht, während jene ihr Original nur verwässern. Unsere Zeit glaubt sich der Fabel entwachsen, ohne zu bedenken, daß selbst die Politik, der sie sich besonders zuneigt, grade in dieser Dichtungsform ein anspielungsreiches, ausdrucksvolles Organ finden könnte, in dem sich, Lafontaine beweist es, allerlei Wahrheiten aussprechen lassen, die dem directen Ausdruck verschlossen bleiben. Ob die Herausgabe einer Sammlung Lafontaine'scher Fabeln in möglichst treuer Nachbildung Anklang finden würde, ist zweifelhaft. Die beiden folgenden Proben mögen als ballon d'essai dienen.

Der Rabe und der Fuchs.

Herr Rabe faß auf einem Ast gehockt,
Im Schnabel einen Käse haltend,
Herr Fuchs, von dem Geruch herbeigelockt,
Spricht, alle seine List entfaltend :

Wie freut michs, Herr von Rabe, Sie zu sehn.

Doch, ach mein Herr! wie find Sie schön!

Wie blühen Antlig und Gestalt!
Entsprechen Ihre Lieder

Dem strahlenden Gefieder,

Dann nenn' ich Phönir Sie im Wald.

Vor Lust weiß kaum der Rabe sich zu fassen,

Es drängt ihn, hören sich zu lassen,

Er reißt den Schnabel auf und läßt die Beute fallen,

Der Fuchs greift zu, er hat sie schon in seinen Krallen Und spricht: Mein Herr, der Schmeichler pflegt zu leben Auf Kosten derer, die Gehör ihm geben,

Dies ist die Lehre, die mein Thun erklärt,

Sie ist schon, denk ich, einen Käse werth.
Der Rabe, wie er das vernimmt,
Schwört, ganz beschämt und ganz ergrimmt,
Nur etwas spät: "Durch Schmeichelein
Zieht Niemand mehr mich in sein Neß hinein!“

Die Eichel und der Kürbis.

Was Gott thut, das ist wohlgethan,

Um diese Wahrheit zu beweisen

Brauch' ich mit Euch nicht durch die Welt zu reisen,

Ein Kürbis führt uns auf die Bahn.

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Wie schwer ist diese Frucht, wie schwach ihr Stengel,
Woran, sprach Hans, hat Gott gedacht,

Das Ding hat, scheint mir, seine Mängel,

Ich hätt' es anders wohl gemacht,

Der dicke Kürbis sollte hangen

An jener Eiche starkem Zweig,

Das, mein ich, wäre schon gegangen.

Wie schade, Hans, daß er um Rath dich nicht

Gefragt, von dem der Pfarrer Sonntags spricht,

Gewiß, es würde Manches besser sein,

Die Eichel, wie mein Finger klein,
Pflanzt' ich an diesem Plaße ein,
Sie paßt hier wahrlich besser her,
Als jener Kürbis, groß und schwer.
Je mehr ich finne, wird mir klar,
Daß Gott in großem Irrthum war.“
Geblendet so von seiner Weisheit Licht

Sprach Hans: Mit so viel Geist, da schläft man nicht,

und läßt im Schatten jener Eichen

Gar bald vom Schlummer sich beschleichen.

Da sieh, fällt eine Eichel 'runter,

Sie fällt just auf die Nasenspiße

Und, wie geweckt vom Blize,
Wird Hans auf einmal munter,

Und greift, von Schmerz und Angst gedrängt,
Zur Eichel, die im Bart ihn hängt.
O weh! o weh! mein Nasenbein,
Was aber würde dann es sein,

Wenn mir ein Kürbis mit der ganzen Schwere
Statt jener Eichel in's Gesicht gefallen wäre.
Gott wollt es nicht, das Ding hat seinen Grund,
Schon fang ich an, es einzusehn,

Drum will ich nun nach Hause gehn,

Gott preifend mit bescheidnem Mund.

Bremen.

A. Laun.

Ueber eine Art der Attraktion des Nelativs im Französischen und Italienischen (Lateinischen, Deutschen, Englischen.)

Im

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m Griechischen ist es häufig, daß das Relativum den Casus des ausgelassenen Demonstrativums annimmt. Bisweilen wird dieser Casus von einer Präposition regiert, bisweilen nicht. Vgl. einerseits Xen. memorab. Socr. 2, 6, 34: ¿μoì ¿yyíɣvɛtai ɛvvoia πρὸς οὓς ἂν ὑπολάβω εὐνοϊκῶς ἔχειν πρὸς ἐμέ, vergl. 4, 7, 2. μέχρις οὗ für μέχρις ἐκείνου, ὅπου, Anab. 1, 9, 25; Plat. Phaedon. p. 61 c; andrerseits Thuc. 1, 4: Mivos παλαιότατος, ὧν ἀκοῇ ἴσμεν, ναυτικὸν ἐκτήσατο, ναf. 5: ὧν πυνθάνονται ἀπαξιούντων τὸ ἔργον. Im Deutschen ist ein ähnlicher Sprachgebrauch, doch seltner, und im Neuhochdeutschen für anomal zu achten. So sagt Kleist im „Käthchen von Heilbron" Aft 1 Auftr. 2: „Als ich auf der Schwelle saß und weinte, und dir auf was du sprachst, nicht Rede stand" und etwas vorher: Du sollst sogleich vor jene Schranken treten und Rede stehen auf was man fragen wird.“ Bei Häring (Aleris) heißt es (Shakespeare und seine Freunde B. 3. S. 270): „Kümmre dich nicht nicht um was ich sagte, schier dich nicht um was ich that;" bei Oehlenschläger (Corregio Ausg. von 1820 S. 101): „Ihr seid kein blinder Greis, der artige Sachen in Holz ausschneidet ohne Auge für was Andere thun;" bei Hans Sachs (f. Kunisch B. 3. S. 251): „Die zween (Erstochenen) ich auch alltag besich, daß sie zu rach ergrimmen mich über die sie entleibten“ und Heinr. von Morrungen singt (Wackernagels Leseb. B. 1. Ausg. 1. S. 229 V. 11): Singe ab ich durch die mich frout hie bevoren, sô velsche dur got nieman mîne triuwe." Möglicher Weise kann man über diese Säge dreifacher Ansicht sein. Man kann einmal das Relativ von der Präposition regiert denken, wie das im Griechischen augenfällig ist, man kann ferner den aanzen Relativsag als ein unwandelbares Substantiv ansehn und

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