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Nachweisungen über die Quellen bekannter und im Unterricht oft gebrauchter Gedichte.

Was man auch von den neuerdings aufgekommenen Erläuterungen halten, wie verschieden man Göginger's, Viehoff's und Anderer Vorarbeiten beurtheilen möge: es ist für den Lehrer von Bedeutung, die Quellen der Gedichte, welche er in seinem Lese= oder Deklamationsbuche mit den Schülern behandelt, durchspricht, verarbeitet, möglichst genau zu kennen. Viele Dichter stehen in einem ganz anderen Glanze, wenn man sieht, wie der Stoff unter ihren Händen Leben und Regsamkeit gewann, wie sie mit dem feinen Maaßstab der Schönheit herzutraten und wahrhaft schöpferisch umgestalteten. Als Beispiel diene Schiller's Taucher, verglichen mit dem kargen, sogar spröden Bericht vom Pesce Cola, der bei einigen Commentatoren zu lesen ist. Hingegen entblättert sich auch der Kranz auf dem Haupte Anderer fast zusehends, wenn man gewahrt, aus welchen Quellen sie schöpften und wie ärmlich ihre Zuthat ist. Ich möchte daher, daß im Archiv ein ständiger Raum für Nachweisungen über die Quellen solcher Gedichte aufgehalten würde, die häufig in Sammlungen für die Jugend stehen, aber noch weniger auf die Quellen zurückgeführt sind. Ich fordere die Mitarbeiter, welche grade in diesem Fache sich umsehen, zu weiteren Beiträgen auf. Manches wird sich aus andern Zeitblättern u. s. w. herbei holen lassen, ohne daß wir grade nachdrucken; im Archiv sucht man die beabsichtigten Nachweisungen wohl am Ersten, das Archiv kann dadurch für künftige Erklärer unserer Volksdichtungen einen noch besondern Werth erhalten, was ich wünsche.

1. Die beiden Todtenköpfe.

G. E. Guhrauer hat in den Blättern für literar. Unterhaltung 1846, Nr. 295. die Quelle des bekannten, wohl in allen Sammlungen für die Jugend stehenden Gedichtes:

Beim Graben einer Grube sah

Ein Todtenkopf den andern liegen u. s. w.

• in einem französischen Madrigal nachgewiesen, welches den Peter Patrir, einen nur wenig gekannten lyrischen Dichter aus der Zeit von Louis XIV. zum Verfasser hat. Patrir - geb. zu Caen in der Normandie 1583, gest. 1671, soll dies bekannte Madrigal" nach dem historischen Wörterbuch von Ladvokat wenige Tage vor seinem Tode gedichtet haben. Es heißt:

Je songeais cette nuit, que de mal consumé
Côte à côte d'un pauvre on m'avait inhumé:
Mais que, n'en pouvant pas souffrir le voisinage,
En mort de qualité je lui tins ce langage:
Retire-toi, coquin, va pourrir loin d'ici;

Il ne t'appartient pas de m'approcher ainsi!
Coquin, ce me dit-il, d'une arrogance extrême,
Va chercher tes coquins ailleurs, coquin toi-même!
Ici tous sont égaux, je ne te dois plus rien,

Je suis sur mon fumier, comme toi sur le tien!

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nur

So findet sich dasselbe in Recueil de plus belles pièces des poëtes français, Paris 1752, vol. IV., 222. Die deutsche Be arbeitung hat, wie sich dies auch bei andern Nachbildungen aus dem vorigen Jahrhundert nachweisen läßt, das Ganze nur vermattet. Schon der Anfang ist weniger werth, weil die Todtenköpfe sich erst beim Graben einer neuen Grube, also zu einer Zeit begegnen, wo der Kopf des Reichen längst zur Besinnung ge= kommen sein mußte. Auch ist nicht unerheblich, daß Patrir von sich selbst erzählt und somit sich des Dünkels auf seine Geburt und andere Verhältnisse anklagt. Guhrauer versichert, er kenne den Verfasser der deutschen Bearbeitung nicht; ich bin auch nicht gewiß, vermuthe aber, daß es Pfeffel ist; die Sprache hat mit der seinen große Aehnlichkeit.

2. Das Crucifix von Leffing.

In der neuen Ausgabe der gesammelten Werke Lessing's (Leipzig 1841) findet sich Thl. I. S. 115. f. diese Schnurre. Ihre Quelle ist bei Pauli Schimpf und Erust, 173: Drei Bawren kamen zu einem Maler, vnnd hetten gern ein Crucifir, ein Gott an dem Creug auff den Kirchhoff gehabt. Vund da er verdinget war für Fünffegehn Gülden, sprach der Maler, wolltet ihr einen lebendigen oder todten Gott haben? Sie sprachen, Wir wöllens zu Rath werden. Vnd traten beseits ab. Vnd da der Rath auß war, sprach einer, lieber Meister, wir wöllen einen lebendigen Gott haben, gefellet er den Bawren nicht, so können wir ihn wol selber zu todt schlagen. Die Lessingische Bearbeitung steht meines Wissens nur in Einer Anthologie für die Jugend, nämlich in,, Lesestücke von Tegner," einem sonst sehr verbreiteten Buche. Sie verdient aber mehr bekannt zu sein.

3. Der Milchtopf von Gleim.

Wer kennt nicht die Geschichte der Frau Martha, die
Gehörig aufgeschürzt, mit starken Schritten

Den Milchtopf auf den Kopf

nach der Stadt geht, unterwegs Luftschlösser baut, aber diese selbst zerstört, weil sie zu voreilig den besten Erfolg träumt? Gleim hat seine Erzählung dem Franzosen La Fontaine nachgebildet. Beide kannten schwerlich die älteste Quelle, auf welche ich hier zurückweise. Das Buch von den alten Weisen" enthält Kap. VII. folgende Erzählung: Man sagt es wondt eins mals ein bruder der dritten regel der got vast dienet by eins künigs hoff dem versachr der künig alle tag zu vffenthalt seins lebens (d. h. zu seinem Lebens unterhalt) ein küchin spyß vnd ein fläschlin mit honig. Diser af alle tag die spyß von der küchin vnd den honig behielt er in ein irdin väßlin daz hieng ob finer bettstat so lang bis es vol ward. Nun kam bald eine große türi in das honig vnd eins morgens frü lag er an seinem bett vnd gewart des honigs In dem väßlin ob finem houbt hangende. Do viel Jm in finen gedanck die türi des honigs vnd fing an mit im selbs zu reden wan dig väßlin ganng vol honigs wirt, so verkoff ich das vmb fünnff guldin, darumb fouff ich mir zehen guter schaff vnd

die machen alle des jares lember vnd der werden eins Jars zwiengig vnd die vnnd das von in kommen mag in zehen jaren werden tusig dann kouff ich vmb vier schaff ein ku vnnd kouff da by ochsen vnd erdtrich vnd die fü meren sich mit ir frucht da nym ich die ochsen zur arbeit der äcker Von den andern küen vnnd schaffen nym ich milich Vnnd so also andre fünf iar für komen so wirt es sich also meren das ich eine grosse hab vnd richtung überkommen würd Dann will ich mir selbs hoch vnnd hübsch büw thon vnd mir selbs knecht vnd fellerin kouffen vnnd darnach so nym ich mir ein hübsch wyb von einem edlen geschlecht vnnd die beschlaff ich mit kurgwiliger liebi vnnd so empfecht sie vund gebirt mir einen schönen glücksälgen vnd gogfürchtigen sun vnd der wirt wachsen in lere und künsten vnd in wyßheit. Durch den laß ich mir ein guten lümbden (d. h. Leumund) nach meinem tod aber wurde er mir geföllig sein vnd meiner straff nit achtuemen so wölt ich in mit minen stecken über sein rücken on erbermde hart schlahen, vnd nam den stecken damit man pflag das bett zu machen im selbs zu zaigen wie freuenlich er finen sun schlahen wölt vnd schlug das irdin väßlin dz ob sinen houbt hieng zu stucken das im das honig vnder sein antlit vnd an das bett troff vnd ward jm von allen sinen gedencken nicht dan das er sein antlit vnd bett wäschen must.

Nach meinem Dafürhalten ist diese Erzählung noch komischer, als die vom Milchtopf. In sprachlicher Beziehung läßt sich viel daraus bemerken! Der Lehrer wird dies aber leicht selbst heraus finden.

4. Der Kater und der Fuchs.

F. Rückert hat unter dieser Ueberschrift in seinen Brahmanischen Erzählungen“ eine Fabel S. 102 bis 104 — die so anfängt:

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Vernimm vom Katerstolz, wie er auf Fuchses Rath

Zulegt das Weib, das ihm gebührt, bekommen hat.

Der Kater als Freier zieht nämlich den Fuchs zu Rath und nachdem dieser ihm mehrere glänzende Partieen vorgeschlagen hat, bleiben sie zulegt dabei, daß der Kaze Tochter" sich für den Kater am besten eigene. Diese Fabel muß im Mittelalter allge= mein verbreitet gewesen sein. Sie scheint auch wirklich indischen

Ursprungs, wie Rückert annimmt. Bei Polier II, 577-580 findet sich die indische Erzählung. Dort bittet ein Weiser die Gottheit, ein armes Mäuschen, welches er den Klauen von zwei Kagen entriß, in ein Mädchen zu verwandeln. Als dies sein Pflegekind mannbar wird, sucht er einen Gemahl, kommt zum Mond, zur Sonne, zu Maich, (ou nuage) zum Berg Parbut u. s. w. Alle schicken ihn unter einem Vorwande fort, bis endlich: „le Muny confus reconnut, qu'il avait en tort en voulant déranger l'ordre établi dans les décrets du destin, et que sa fille née souris, était destinée à la rester jusqu'à une autre existence, déterminée aussi dans les decrets éternels. Il lui ordonna donc de reprendre sa nature originaire, et elle devint femme de la souris montagnarde." So der Schluß der Meta= morphose. Woher der Stricker dieselbe genommen, weiß ich nicht. Er hat sie als Bispel bearbeitet, welches unter andern bei Wackernagel altd. Lesebuch, 2. Ausg. S. 561 nach Grimm in den altd. Wäldern abgedruckt ist. Der Kater kommt hier zum vohe Fuchs und holt sich Rath. Der Dichter wendet die Moral der Fabel einzig auf die hôhvart an:

=

Alsam geschiht dem tumben man
der daz niht bedenken kan,
wer er ist und war er sol:
dem ergêt ez selten wol.
swenne er sich sô vergâhet,
daz er diu dinc versmâhet

diu im ze mâze waeren u. s. w.

Auch im Buch von den alten Weisen," Kap. 5. steht die Erzählung; ich lasse sie nach demselben hier folgen, weil gerade dies Buch jezt zu den Seltenheiten gehört:

Man sagt es wär ein einfidel der got dient vnd nach dem er ein volkomner mensch waz Do erhort in Gott in sinen gebett Vff ein zit saß er by einem wasser darüber flog ein sperber der trug ein müßlin in sinen fuß vnd dis müßly empfiel dem sperber für die fuß des einfidels Der einfidel erbarmdt sich ir vnd band die in ein lind tüchlin und hed begird die In sinem huß zu ziehen vnd forcht doch dz sein huß gesind darab vnlust het vnd batt got das er das müßly ließ werden zu einem töchterlin Dise bett ward von got erhört vnd ward das müßly verwandelt in ein mätlin vast schön Der einfidel furt die heim in sein huß vnd zoch die vnd seyt finem hußgesind nicht dauon dz es ein müßlin gewesen wär Dann sy gedachten das dis kind sein gesippter wär oder koufft

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