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Der modernen Philologie wird førtdauernde Rücksicht auf die antike empfohlen *)

von Dr. Fr. Tr. Friedemann.

Wie ehedem die hebräische und die neutestamentliche Eregese Namen und Methode ganz von der griechisch - römischen Philologie

*) Wenn mir die Einladung zu Beiträgen für diese Zeitschrift zuging, fo durfte ich sie theils als ein Zeichen der Pietät von Seiten des Herrn Dr. Herrig, eines mir werthen Schülers von Braunschweig, betrachten, theils die Veranlassung in den Rücksichten finden, welche meine Paränesen (namentlich Bd. I. und II. 2. Aufl. und Bd. VI.) von jeher dem täglich sich erweiternden Begriffe der Philologie widmeten; theils hat auch wohl das persönliche Zusammensein mit den Herren Herausgebern zu Darmstadt im Jahr 1845 und meine zufälligen zustimmenden Aeußerungen über das antike und moderne Sprachelement für die höheren Unterrichtsanstalten jeder Art dazu Anlaß gegeben. (Vergl. die gedruckten Verhandlungen der ersten Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner, Darmstadt bei Lange, S. 87 ff.). Obwohl nun der besondere Gegenstand der Zeitschrift meine volle Aufmerksamkeit an sich in Anspruch nimmt und der reiche Inhalt des ersten Heftes dieselbe aufs Beste befriedigt hat; so fühle ich mich doch nicht in der Lage, andere als indirekte Beiträge dazu zu liefern, und bitte daher für das Gegenwärtige vielmehr um Entschuldigung, als um geneigte Aufnahme. Kaum darf ich hinzuseßen, um meine alte Verwandtschaft mit den modernen Philologen nachzuweisen, daß ich in früherer Zeit, zur Ausfüllung des zufällig herrschenden Mangels, Jahre lang den französischen Sprachunterricht auf mehreren Gymnasten allein durch alle Klaffen nach Kräften ertheilt habe, so daß ich alle Leiden und Freuden der modernen Sprachmeister aus eigener Anschauung kenne, weßhalb auch die seit 10 bis 20 Jahren für dieses Fach gewonnenen Fortschritte meine vollste Sympathie erregen mußten.

Archiv II.

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entnehmen konnte und mußte, wegen der Aehnlichkeit des Substrates und des Zweckes, nur daß sie sich philologia sacra*) nannte, bis in die neuere Zeit, wo der Ausdruck „Profangeschichte“ und Profanscribenten" noch in Schneider's griechischem Wörter buche **) erscheint; so hat auch die moderne Philologie ganz an der Hand der antiken sich emporgerichtet und ebenfalls Namen und Methode sachgemäß von ihr entlehnt, wenn auch, wie natür lich, mit mancherlei Modifikationen ***). Daß einige Männer, welche mit der altklassischen Philologie sich beschäftigen, zugleich auch in der modernen mit Erfolg arbeiten, wie jezt C. Lachmann in Berlin, M. Haupt in Leipzig, ist ein weiterer anschaulicher Beweis der vorhandenen Gemeinsamkeit, und wird dazu dienen, daß Vorurtheile und beschränkte Ansichten der antiken Philologen, oder wenigstens eines Theiles derselben, immer mehr schwinden, wie sie denn seit langer Zeit im Abnehmen begriffen sind und einer gründlicheren und freisinnigeren Auffassung Plag gemacht haben, wodurch der alte Spruch Cicero's von dem vinculum commune litterarum omnium, zumal so nahe verwandte, neue und wahrhaftere Geltung erhalten muß.

*) Vergl. Sal. Glassii philologia sacra Tom. I. Gramm. et Rhet. Ed. 3 cur. J. A. Dathe. Lips. 1818. T. II. Sect. 1. 2. Crit. et Hermen. Ed. nov. cur. G. L. Bauer. Ibid. 1795.

**) Selbst im Jahr 1846 trägt manche bischöfliche Bibliothek noch die Aufschriften historia sacra et profana; scriptores sacri et profani. ***) So nahm die moderne Philologie sogar die Kritik auf, nicht etwa blos die ästhetische, oder die historische sogenannte höhere, über Aechtheit der Schriftwerke von Autoren, sondern sogar die niedere Wortkritik, mit Einschluß der Verbesserung verderbter Lesarten durch Conjecturen u. s. w., mag in Schreibfehlern der Handschriften oder in Druckfehlern der Ausgaben der Grund liegen. Es ist daher sogar bei Schriftstellern, die nach Erfindung der Buchdruckerkunft lebten, von einer kritischen Ausgabe die Rede, von einer editio princeps, vom Collationiren der verschiedenen Ausgaben zu rein kritischen Zwecken, für die Herstellung eines unver fälschten Tertes. Um das Altdeutsche und Indische zu übergehen, wozu Handschriften die nächsten Quellen sind, hat z. B. Dr. Mager an ver schiedenen Orten aus neueren deutschen und französischen Schriftstellern Proben hierzu in hinreichender Zahl und Bedeutung gegeben; vergl. dessen Schrift über moderne Philologie (Stuttg. 1840) S. 19 ff. und des Herrn Dr. Bromig Beiträge zu der Terteskritik des Corneille in dieser Zeitschrift Heft 1. S. 189 ff. Die Shakespeare-Literatur ist reich in diesem Stücke. Selbst die slavische Philologie kann nicht anders: man darf nur an Kopitar (denn so, und nicht Kópitar accentuirte er seinen Namen) in Wien erinnern.

Nur entsteht hierbei wiederum das Bedürfniß und der Wunsch, daß auch die moderne Philologie fortdauernde Rücksicht auf die antike nehmen möge, um so mehr, da die legtere jene engen Grenzen, in welche sie ehedem pedantisch sich einschloß, täglich erweitert und fester stellt, wodurch sogar ihr ganzes Gebiet eine andere Eintheilung erhält und die Gemeinsamkeit mit der modernen immer mehr hervortritt. Können doch auch zugleich in praktischer Hinsicht die Lehrer der neuern Sprachen auf Gymnasien für ihre gedeihliche wissenschaftliche und disciplinarische Wirksamkeit nicht besser forgen, als wenn sie das altklassische Element möglichst in sich aufnehmen oder wenigstens mit ihm sich befreunden und in Bekanntschaft zu erhalten suchen. Sagt doch ein Vertreter und Vorkämpfer der modernen Philologie*) selbst wörtlich: billig, lassen wir der klassischen Philologie, welche Hellas und Latium bewohnt, den Vorrang; ihr, als der Erstgeborenen, ist das schönste Erbtheil zugefallen. Auch sei Keinem, der sich Philologe nennen will, der Zugang zu einem andern Volke gestattet, er habe denn seinen Weg dahin über Rom und Athen genommen."

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Wollte die moderne Philologie der antiken entgegnen, daß sie selbst in ihrem Wesen noch zu keinem Abschlusse gelangt sei, daß alle Encyclopädieen und Darstellungen von ihr noch die Zeichen großer Unvollkommenheiten an sich tragen, daß somit das Muster, welches der modernen vorgehalten werde, gar nicht maßgebend erscheine; so kann man den Vorwurf zwar zugeben als wohlbegründet, aber doch zugleich auch Allez das zur Abwehr entgegen halten, was bereits dafür seit Jahrhunderten Großes von allen den Männern gethan worden ist, welche in der Literatur einen ewigdauernden Ruhm sich erworben haben, durch alle europäische Länder. Denn, wie überall die Praris naturgemäß der Theorie vorangeht, und jeder Wissenschaft, besonders im historischen Gebiete, durch Thatsachen erst die Gegenstände der Be

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*) Mager a. a. O. S. 8. Vergl. Paränes. Bb. 6. S. 89 ff. So hat ebenderselbe in andern Schriften ganz gleiche Grundfäße aufgestellt, wenn er auch viele pia desideria auf seinem Wege für die Lehrer der alten Sprachen findet und unverholen ausspricht. Vergl. dessen Ueber Wesen, Einrichtung und pädagogische Bedeutung des schulmäßigen Studiums der neueren Sprachen und Literaturen und die Mittel ihm aufzuhelfen. “ (Zürich 1843.) Noch mehr schlägt hier ein dessen „Die genetische Methode des schulmäßigen Unterrichts in fremden Sprachen und Litera= turen nebst Darstellung der analytischen und der synthetischen Methoden.“ Dritte Bearbeitung. (Zürich 1846.)

trachtung zugeführt werden müssen, so hat man auch das Wesen der altklassischen Philologie für Namen, Umfang, Zweck und Gliederung der Theile erst in neuerer Zeit fester zu stellen begonnen, und ein kurzer Blick auf die Geschichte des Studiums der altklassischen Schriftwerke wird darthun können, daß und wie hier die Theorie erst spät sich entwickeln konnte *).

Im Mittelalter nahm man die Schriftwerke der alten Griechen und Römer (denn von den Kunstwerken war weniger die Rede) als unmittelbare Quellen für eigene höhere menschliche Bildung (Humanität), um aus ihnen das Fehlende für sich zu ergänzen, so daß in die Beschäftigung mit ihnen sowohl die Gelehrten als die nach Bildung Strebenden sich theilten. Dadurch entstanden die Humanisten, d. h. alle Lehrer auf den allgemeinen Vorbildungsanstalten (ehedem lateinische Stadtschulen, jegt Gymnasien genannt) und diejenigen Lehrer der allgemeinern Fachbildungsanstalten (Universitäten), welche dort griechische und römische Schriftsteller in höherer Potenz erklärten. Die Fachwissenschaften selbst mußte man damals noch ausschließend von den Griechen und Römern entlehnen, sowohl in der höheren Sphäre, als besonders in der niederen. Auf den Universitäten hatten die Theologen ihre griechischen und römischen Bibelterte und Kirchenväter, und sonst hieß es: Dat Galenus opes dat Justinianus honores; die Philosophen schworen auf Aristoteles. Auf den Gymnasien, wo die Anfänge der sieben freien Künste gelehrt**) wurden, geschah dies, was damals sehr leicht möglich war, nach und aus alten Autoren ***). So creirten nun auch wieder die Universitäten doctores theologiae oder sacrae scripturae, juris utriusque, medicinae, philosophiae øder magistros artium liberalium. Jahrhunderte sind darüber hingegangen, ehe Jemand an dem gewohnten Geleise Anstoß nahm. Die Buchdruckerkunst vervielfältigte nur äußerlich die Bildungsmittel. Höchstens überschritt Tag für Tag die Geschichte

*) Gräfenhaus Geschichte der klassischen Philologie im Alterthume (Bonn 1844, 2 Bbe.) schlägt eigentlich in ein ganz anderes Gebiet ein, liefert aber viele hierher gehörige Beweise indirekt.

**) Gram loquitur, Dia vera docet, Rhe verba colorat; Mus canit, Az numerat, Geo ponderat, As colit astra. Das Nähere gibt K. v. Raumer in der Geschichte der Pädagogik vom Wiederaufblühen der klassischen Studien bis auf unsere Zeit. 2 Bde. Stuttgart 1843.

***) Noch im neunzehnten Jahrhundert wurde Pomponius Mela auf Gymnaften öffentlich gelesen, um die alte Geographie durch ihn zu lehren.

die alten Grenzen, aber begnügte sich mit einfachen Chroniken. Die Entdeckung Amerika's freilich brachte in die Geographie eine unerwartete Erweiterung, aber anfangs ohne alle wesentliche Folgen. Die Reformation, deren Vorgänger schon in Italien mehr oder minder bewußt auf einem viel tieferen und breiteren Fundamente standen, als dem bloßen Uebermaße kirchlicher Mißbräuche aller Art, wiewohl dies überall zufällig den ersten, aber freilich handgreiflichsten, Anstoß gab, mußte bei ihrer Entwickelung mit der Theologie auch die Philosophie, und damit wieder alle Grundlagen der Geistesbildung, berühren und beleuchten. Dadurch erfolgte auch eine ganz andere Schäzung und Behandlung der Schrift- und Kunstdenkmäler des griechischen und römischen Alterthums.

Wiewohl nun zwar erst von hieran die bessere Ausbildung der Philologie sich datirt, so geschah dies doch nur sehr allmälig, obschon alle europäischen Länder einige Matadore dieser Wissenschaft aufweisen können. Denn die philosophische Fakultät auf den Universitäten war immer noch lange die Fackelträgerin der übrigen, und was sie lehrte, gehörte nur zur Vorbereitung auf die drei eigentlichen und dominirenden Wissenschaften; sie war gewissermaßen nur die Fortsegung der Schule in etwas erhöheter und erweiterter Art. Ist doch dieses Verhältniß bis auf den heutigen Tag in der äußeren Form meist überall noch vorhanden; nur das Innere und die Selbstständigkeit der einzelnen Wissenschaften, deren Lehrer in dieser Fakultät ohne Unterschied eingepfercht sind, hat sich emancipirt. Auf der andern Seite blieb das klassische Alterthum noch lange zugleich Quelle und Muster der Bildung, und so dauerte auch der Name der Humanisten und der Humanitätsstudien. Zugleich war die Schule, sowohl die Elementar- als die Gelehrten-Schule, von Haus aus die Tochter der Kirche, und alle Lehrer, dem theologischen Stande in allerlei Abstufungen angehörend, waren Kirchendiener.

Sachsen und Preußen haben in Deutschland zuerst auch hier die Reformation, freilich anfangs ohne alle amtliche Sanction und nur thatsächlich und gleichsam ausnahmsweise an einzelnen Beispielen, hervorgebracht. Ruhnken, aus Pommern, studirte in Wittenberg, ging nach Holland und wurde dort, als Universitätsprofessor, insofern Reformator der Philologie ohne Theologie, als er in zwei Schriften Wesen und Umfang des philologischen Wissens und Thuns an zwei entgegengesezten Punkten darstellte. Die Verkehrtheiten der Pedanten schilderte er im Allgemeinen in

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