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des vierzehnten Jahrhunderts keine so geringe, einseitige und unpraktische war, als man sich heut zu Tage noch so oft vorstellt.

Wir wenden uns zuerst zu den römischen Schriftstellern. Die Anzahl der römischen Schriftsteller, die wir in Chaucers Werken theils nur erwähnt, theils nachgeahmt finden, ist sehr groß. Was zuerst die Dichter anbetrifft, so stellt er im House of Fame III. 365-422 die ihm am Wichtigsten erscheinenden folgendermaßen zusammen:

Beisammen sah ich stehen dann,
Von denen ich bereits begann.
Auf einer Säul' aus Eisen gar,
Die ganz und gar bemalet war
Mit Tigerblut an jedem Ort,
Statius stand aus Tolosa dort,
Den sah man auf die Schulter heben
Den Namen und den Preis von Theben
Und auch den Ruhm des Achilles

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Auf einer Kupfersäul' zur Seiten

Ovid, der Venus Sänger war,
Der hat verbreitet wunderbar
Des großen Liebesgottes Lob;
Und seinen Namen er erhob
Auf dieser Säulen bis zur Höhen
Als ich mit Augen konnte sehen.

Auf einer Eisensäule da,
Die rauh geschmiedet war, ich sah
Den großen Dichter Dan Lucan,
Und sah auf seinen Schultern dann
So gut als ich nur mochte sehen
Den Ruf von Caesarn und Pompeen.
Bei ihm stand der Gelehrten Schwarm,
Die sang von Romas mächt’gem Arm;
Nennt' ihre Namen euch mein Sang,
Fürwahr es dau'rte allzulang.

Auf einer Sulphursäule stand
Dabei, als wär er vom Verstand
Dan Claudian, der für gewiß
Den ganzen Ruhm der Hölle pries,
Des Pluto und der Proserpin',

Des dunkeln Hades Königinn.

Wir wollen zuerst bei diesen fünf Dichtern verweilen. Zunächst
Virgilius. Er wird häufig von Chaucer erwähnt (z. B. 1. T. 7161.
Leg. Hom. 934. Leg, of Dido 1. House of Fame 449.). In der
zweiten Stelle heißt es:

Dein Name sei geehret und gepriesen:
Virgil von Mantua! Du hast gewiesen
In der Aeneis wie Aeneas brach

Der Dido feinen Schwur; wie ichs vermag

Will deiner Leucht' ich folgen; in der Rührung
Und in dem Ton folg' ich Ovidens Führung.

d. h. den Stoff will er aus Virgilius entnehmen, Ton und Färbung aber dem Ovidius nachbilden. Die Erzählung schließt sich daher auch ziemlich eng an Virgilius, aber überall ist das Bestreben sichtbar, abzukürzen und zusammenzuziehen. Er sagt selbst: Ich könnte folgen Wort für Wort Virgil,

Doch ließe mich das kommen nicht zum Ziel,

und in der That ist der Gang der Erzählung gegen Chaucers sonstige Gewohnheit rasch und lebhaft. Einige Proben des Verhältnisses beider Dichter zu einander mögen hier folgen. Man vergleiche zuerst Vers 265-88 bei Chaucer:

Die Dämmerung hob sich aus dem finstern Meer;
Die Königinn befiehlt der Diener Heer,

Daß sie für Nez' und scharfe Speere sorgen;
Denn jagen will die Königinn am Morgen;
So stachelt sie das neue freud'ge Leid.
Ihr ganzes Volk hält sich zu Roß bereit,
Und ihre Hunde sie nach Hofe bringen,
Und ringsum ihre jungen Ritter schwingen
Auf Roffe sich, die schnell find, wie der Wind.
In Menge Damen auch versammelt sind.
Auf einem Roß, Papier an Weiße gleich,
Mit rothem Sattel, der gestickt ist reich,
Und goldnen Streifen, die sich hoch erheben
Sigt, ganz mit Gold und Edelstein umgeben
Die Königinn, an Schönheit gleich dem Morgen,
Der Kranke heilet von der Nächte Sorgen.
Ihr Roß das flog wie Funken aus dem Kies
Und doch vom kleinen Draht sichs lenken ließ.
Aeneas an Gestalt dem Phoebus gleicht;
Wie jener war geschmückt er frisch und leicht;"
Den schäum'gen Zügel mit dem Goldgebiß
Er grade wie Apollo hängen ließ,

Und fort zur Jagd die edle Königinn reitet
Und überall Aeneas sie begleitet.

Des Wildes Herden findet man alsbald
Und vorwärts! rufen sie, frisch zu! halt! halt!
Warum kommt nicht ein Löw' und nicht ein Bär,
Daß ich ihn möcht' empfangen mit dem Speer;
So sagt das junge Volk und ein sie dringen,
Zu Falle fie die wilden Hirsche bringen.

mit Virgilius IV. 129 ff. (da ich die Vossische Uebersegung nicht bei der Hand hab) gebe ich diese Stelle ebenfalls in eigener Uebertragung:

Aber Aurora war indessen entstiegen dem Meere

Aus dem Thore strömt hervor die erlesene Jugend,

Schling' und Neß in der Hand und eisenbeschlagene Speere
Dann die Nassylischen Reiter und dann die witternden Hunde:

Noch verweilet im Zimmer die Königin; aber es warten

Draußen die Ersten der Puner; geschmückt mit Gold und mit Purpur
Steht ihr Roß und beißt vor Wuth in die schäumenden Zügel.
Endlich kommt sie hervor, umgeben von großem Geleite,

In Sidonisch Gewand mit gesticktem Saume gefüllet.
Ganz von Gold ist der Köcher, in Gold die Haare gewunden,
Und das purpurne Kleid von goldener Spange gehalten.
Auch die Phrygischen Reiter zugleich und der frohe Jolus
Kommen daher; der Schönste von Allen den Andern, Aeneas,
Stellt als Genossen fich dar, vereinigend beiderlei Schaaren,
Gleich dem Apollo, sobald er, verlassend Lvciens Fluren
Und den Xanthus, wieder besucht das heimische Delos,
Chör' anführt, wenn u. s. w.

Auf dem Cynthus schreitet er dann; die wogenden Haare

Schmückend mit zartem Laub und mit goldenem Bande fle flechtend.
An den Schultern rauschet der Köcher; nicht trägern Schrittes
Ging Aeneas einher und Würde strahlt aus dem Antliß.
Als man erreichet die Berg', erreicht die unwegsame Wildbahn,
Siehe da stürzen im Sprung vom Gipfel des Berges die Gemsen
Nieder und fliehen ins Thal; von der andern Seite durchfliegen
Heerden von Hirschen das offene Feld in eilendem Laufe,
Staub aufwühlend im Fliehn und aus den Bergen sich ziehend.
Aber Askanius freut sich im Thal des feurigen Rosses,

Eilet vorüber im Lauf an Diesem bald und an Jenem;

Wünscht, daß ein schäumender Eber sich ihm statt des harmlofen Wildes
Darbiet', oder ein bräunlicher Löw' entsteige den Bergen.

Im Allgemeinen hält Chaucer sich streng an Virgil; am schnellsten weiß er mit den Reden fertig zu werden, die Virgil seinen Personen in den Mund legt. Die ersten Verse derselben finden wir gewöhnlich auch von Chaucer fast wörtlich wiedergegeben; dann

bricht er plöglich ab und hängt wohl noch eine Entschuldigung an; daß die Reden zu lang wären, um sie wiederzugeben. So ist er 3. B. gleich in der Unterredung zwischen Dido und Anna verfahren. Die ersten 6 Verse aus Dido's Rede:

Schwester Anna, ich werde von schrecklichen Träumen gepeinigt;
Ach daß der neue Gast zu unserm Wohnfiß gekommen,

So majestätischen Blicks, so stark an Muth und an Waffen!

Wahrlich ich glaub’' und ich täusche mich nicht, er ist göttlichen Stammes. Furcht verräth die entarteten Seelen; ach welches Verhängniß

Hat er geduldet! wie hat er vergangene Kriege geschildert.

hat auch Chaucer:

Was mag es sein doch, theure Schwester, sprich!
Das so in meinen Träumen ängstigt mich.
Der fremde Troer liegt im Sinne mir

Und traun, mich däucht, er ist der Männer Zier,
Und durch und durch so ganz und gar ein Mann,
Und obendrein er so viel Gutes kann.

In ihm ruht meine Lieb' und mein Glück!
Vernahmst aus seinem Mund du sein Geschick.

Darauf aber fügt er einen Schluß, der von Virgil abweicht:

Wofern du nicht dagegen sicherlich

Will ich mit diesem Mann vermählen mich;

Was sag' ich mehr; darauf geht all mein Streben.
Er kann den Tod, kann Leben auch mir geben.

Die Schwester Anna, segt er kurz hinzu, habe ihr etwas widersprochen; ihre Unterredung sei aber viel zu lang gewesen, als daß er sie wiedererzählen könne. Bekanntlich erklärt Dido bei Virgil das Gegentheil von dem, was sie Chaucer sagen läßt, und Anna muß ihr noch zureden. Es ist übrigens vollkommen klar, daß die ganze Aenderung von Chaucer bloß der Kürze wegen vorgenommen ist.

Es ist schon oben bemerkt worden, daß Chaucer bei dieser Erzählung auch Ovid vor Augen hatte; natürlich konnte er aber bei seiner Abneigung vor langen Reden, wie sie in dieser Erzählung klar sich zeigt, nur wenig aus dem Heldenbriefe Ovids entnehmen. Der Schluß der Erzählung gehört jedoch dem Ovid an, und um nicht weiter unten bei Ovid wieder auf diese Erzählung zurückkommen zu müssen, wollen wir sogleich von ihm sprechen. Nachdem nämlich Chaucer den Tod der Dido berichtet hat, fügt er hinzu, sie habe vor ihrem Tode noch folgenden Brief geschrieben:

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Gerade so, wie der milchweiße Schwan
Zu fingen noch beginnt vor seinem Tod,
So will auch ich noch klagen meine Noth:
Nicht, daß ich glaubt' an deine Wiederkunft,
Vergebens wär's, so sagt mir die Vernunft,
Da friedlich gegen mich der Götter Sinn.
Doch da durch dich mein Ruf einmal dahin,
So mag umsonst auch diesen Brief ich schreiben,

Auch wenn er ohne Wirkung sollte bleiben.

Der Wind, der dein Schiff trieb ins Meer aufs Neue

Derselbe Wind blies weg auch deine Treue.

Doch wer den Brief zu kennen ganz begehrt

Der aus Ovid das Uebrige erfährt.

Wie Chaucer es mit der Rede der Dido aus Virgil gemacht hatte, so hier mit Ovids Heldenbriefe; nur die ersten vier Distichen hat er wiedergegeben:

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So wenn das Schicksal ruft, auf feuchten Wiesen sich bettend,
Singet der glänzende Schwan, an dem Maeandrischen Strom
Nicht, daß ich hoffte dich noch durch meine Bitten zu rühren;
Nuglos wäre mir dies, da mir zuwider der Gott.
Aber nachdem ich verloren einmal den rühmlichen Namen
Keuschen Leib und Geist, sei auch verloren ein Wort;
Aber es ist dein Entschluß zu verlassen die traurende Dido,
Segel und Treue führt fort ein und derselbige Wind.

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Im Hause des Ruhms Buch 1, V. 140-467 finden wir eine ungefähre Uebersicht des in der Aeneis" Erzählten; die Liebesgeschichte der Dido und des Aeneas muß Chaucer aus der ganzen Aeneis am meisten angesprochen haben; denn während fast Alles Andere nur kurz erzählt ist, wird er hier fast wieder eben so weitläufig, wie in der eben behandelten Erzählung. Auch vergißt er nicht, auf seine Legenden der guten Weiber hinzudeuten und eine gute Anzahl Frauen herzuzählen, die ebenso wie Dide von ihren Männern betrogen worden seien. Auch verweist er hier von Neuem auf seine beiden Vorbilder Virgil und Ovid. Ich will aus dem ganzen langen Berichte nur die ersten hundert Verse hersegen, welche die Geschichte des Aeneas bis zu seiner Bekanntschaft mit Dido enthalten*):

*) Beiläufig sei hier bemerkt, daß Chaucer, wenn er Virgils Aeneis erwähnt, stets den Befizfall gebraucht: Aeneidos House of fame v. 378 (rede Virgile in Aeneidos) oder Eneidos C. T. 15365 (as says us Aeneidos). Auf dieselbe Weise gebraucht er auch Metamorphoseos 1260

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