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Zum näheren Verständniß der Fremdwörter.

Daß wir in unserer neueren deutschen Sprache noch ein Uebermaß von Fremdwörtern haben, läßt sich nicht leugnen. Wer daran zweifeln wollte, dürfte nur unsere Zeitungen, unsere s. g. publicistischen und philosophischen Schriftsteller, oder unsere „Fremdwörterbücher“ nachsehen. In legteren ist jedoch manches Wort als fremd angeführt, daß in seiner Wurzel deutsch ist. Mehrere solcher vermeintlichen Fremdlinge sind aus Deutschland in die Fremde, besonders nach Frankreich gewandert und dann in veränderter Aussprache und Schreibung zu uns zurückgekommen. In nachfolgenden Zeilen soll der Versuch gemacht werden, mehrere der Art (auch einige andere, von den Unkundigen meist falsch verstandene) zu erklären.

Bresche, bei Stieler (in seinem Wörterbuch vom Jahre 1691) auch Preße, der Bruch in einer Mauer oder in einem Walle, ist in der Aussprache und Schreibweise dem französischen brêche genähert, stammt aber aus dem deutschen brechen, goth. brikan, althochb. brëchan, mittelhochd. brëchen. Davon mittelhochd. brëche das Instrument, womit man den Flachsstengel bricht; das Instrument, wodurch das Eis gebrochen wird; auch eine Vorrichtung, in welcher Strafbare der öffentlichen Beschämung ausgestellt wurden. Bresche hat mehr die passive Bedeutung das Gebrochene, während in Breche die aktive, das Brechende, vorwiegt. Zu derselben Wurzel scheinen auch

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Brocat (franz. brocard, ital. brocato, span. brocado, engl. brocade) ein mit Blumen gesticktes durchwirktes Zeug, und

Brockeln (franz. broques de choux, ital. broccoli) Kohlsproffen, Art Blumenkohl, zu gehören. Jenes hat den Sinn des Brechens, wie wir auch Durchbrochen gebrauchen von Zeugen, Stickereien u. f. w. Brodeln kommt zunächst von Brocken, dieses von Brechen. Goethe hat beide Wörter: Sie tragen

brocatene oder gestickte Westen (röm. Carneval); Broccoli Artischocken 2c. (ital. Reise).

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Der Kneif, die Kneife ein kurzes Messer, wird grade nicht für französisch gehalten. Das Wort heißt althochd. chnîf (? nach Schmitthenner), angels. cnîf, altnord. knîfr und hnîfr, engl. knife, schwed. knîf, dän. kniv, mittelniederl. knîve, lan= guedoc. cannive (große Messer), franz. canif (Federmesser), mittellat. canipulus und canivus. Alle diese Formen sind wahrscheinlich verwandte und vocalische Nebenformen vom goth. hniupan zerreißen, brechen, angels. hnipan = schneiden, haben also ein deutsches Wort zur Wurzel.

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Fant ein junger Mensch, wird gewöhnlich vom ital. fante für infante, lat. infans abgeleitet. Diefenbach (goth. Wörterbuch S. 415) ist nicht abgeneigt, darin eine Wurzelverwandtschaft mit Fuß, goth. fotus, altsächs., angels. fôt, altnord. fotr, dän. fod zu finden. Das Wort lautet althochd. fendo, aber auch fuozfendo = Fußgänger (fendeo = Menge); mittelhochd. vende = Fußgänger, Bauer im Schachspiel; angels. fêtha = Menge, fêthan = Fußgänger; mittelniederl. vent, vönnt, veyn = Bursche; dän. fiante, fante = Troßknecht. Vielleicht liegt diesen verschiedenen Wörtern eine gemeinschaftliche Wurzel zum Grunde?

Chemise ist in dieser Form franz. chemise, aus mittellat. camisia. Zum Grunde liegt das goth. hamôn = bekleiden, bedecken, davon althochd. hamo = Bedeckung, angls. hama = Haut, altnord. hamr, hamr=Haut, althochd. hemidi Hemd, d. i. die Decke, das Schüßende. Die Wurzel ham, him findet sich, wie es scheint, auch im griechischen iμátiov.

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Hanthieren, auch handthieren, hantthieren, hantiren, bei Goethe handieren (Campagne von Frankreich 30. Aug.) geschrieben, wird gewöhnlich vom franz. hanter (dieses aus altfranz. hanste, lat. hasta) abgeleitet, also mit der ursprünglichen Bedeutung mit der Lanze fechten. Schwenk führt isländ. handtiera, schwed. hantera, dän. hantere, niederf. hanteren an. Goethe scheint an Hand (goth. handus, althochd., mittelhoch. hant) gedacht zu haben, von welchem Wort auch Handel, handeln gebildet find. Im Sinne von Handel und handeln kommt auch schon frühe handieren und Handierung vor. (S. bair. Wörterbuch von Schmeller 2, 208 f.) Man läßt wohl besser das franz. hanter und das lat. hasta fahren, leitet mit Stieler und Schmeller das von Hand ab, und schreibt mit Goethe handiren, oder eigentlich und besser handieren.

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Koffer (althochd. chovar führt Schmitthenner an) ist zunächst das franz. coffre. Zum Grunde liegt eine Wurzel cuph, koph (cap, cup?) mit der Bedeutung fassen, umschließen. Davon griech. zógios Korb, Tragforb, lat. cophinus, althochd. chôf(v)ina Tragkorb, althochd. Koben und Kober (althochd. chopo, mittelbochd. kobe Schweinstall); auch lat. capere, cupere? Marschall, richtiger Marschalk (franz. maréchal, ital. mariscalco, span. mariscal, schwed. marahscale, engl. marshal, althochd. marahscalh, marschal, mittelhochd. marschale, marschalch) heißt zunächst Pferdediener und ist zusammengesezt aus althochd. marah, mittelhochd. march und marc, celt. marca, griech. μáoza = Mähre (im edlern Sinne) und Schalk, goth. skalks, althochd. scalh, mittelhochd. schalc, angels. scëalc = Diener.

Ordal erklärt Kaltschmidt in seinem Fremdwörterbuche (Leipzig 1843) folgendermaßen: „Ordal, das, - lien, die (gr.) pl. Gottesurtheile, Unschulds-, Feuer- und Wasserproben (bei den alten Deutschen).“ Daraus ist nicht viel Wahres zu lernen. Es ist unser Urtheil, althochd. urteil, urteilî, urteila, mittelhochd. urteile, urteil, altfächs. urdêli, angels. ordâl (daraus lat. ordalium). Weil im Mittelalter ein Urtheil über Schuld oder Unschuld eines Angeklagten durch eine besondere (Wasser-, Feuer-) Probe bewirkt wurde, so nannte man solche Prüfungen vorzugsweise Urtheile.

Rente, pl. Renten, in der frühern Sprache auch Ranten und Ränten weiset zunächst auf das franz. rente hin, von dem es jedoch nicht herkommt; vielmehr liegt beiden eine andere Wurzel zum Grunde, nämlich lat. reddere, woraus ital. rendere, althochd. rentôn= sagen, Rechenschaft geben, mittelhochd. renten = mit dem Ertrag von Grundstücken schalten und walten, altnord. renta Gewinn bringen. Daher altnord., angels. renta, ital. rendita, span. renta = 3ins, Gewinn, mittelhochd. rant, pl. rente Einkünfte von Grundstücken.

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Sergeant, bei Stieler Serfchant, in gemeiner Aussprache Scherschant (franz. sergent, engl. sergeant, ital. sergente, span. portug. sargento) ist deutschen Ursprungs; das Wort ist, mit ausgestoßenem c (wie sollen, Schuld von goth. skulan, skulds; althochd. sculan, scult), das neuhochd. Scherge, althochd. scaro, scarjo, mittelhochd. scherge, scherige, scherig, ursprünglich Ehrentitel s. u. a. Schaarführer, Schaarhauptmann; dann Ausrichter höherer Befehle, Herold; sofort Frohn-, Gerichtsbote, Ausrichter richterlicher Befehle, dann niedriger Ausrichter peinlicher

Gerichtspflege; neudhochd. niederer vollstreckender Diener des Gerichts und der Polizei, besonders zur Vollstreckung von Strafen. Wie in Sergeant die ursprüngliche Bedeutung im edlern Sinne beibehalten, so ist sie in Scherge nach und nach ins Schlechtere verändert worden. Im gemeinen Leben gilt der Ausdruck für niedrig, in höherer Sprache für alterthümlich, auch mit edlerem Anstrich. So sagt z. B. Gordon, Commandant von Eger (Schiller, Wallensteins Tod 4, 2): Wir sind nur Schergen des Gesezes.

Hadamar.

J. Kehrein.

Zur Beurtheilung des Chaucer.

Sn meiner Beurtheilung von Craif's history of English literature and learning (Blätter für literarische Unterhaltung 1846, 154-56) habe ich gegen Craik und Andere zu zeigen versucht, daß Chaucer wirklich italienisch verstanden haben muß, und daß er aus den großen italienischen Dichtern des vierzehnten Jahrhunderts nicht nur Stoffe für seine Gedichte entlehnte, sondern häufig lange Stellen Wort für Wort übersegte. Um Chaucer richtig würdigen. zu können, muß man ihn auf seiner Studirstube belauschen, muß sehen, wie er den ganzen Bereich seiner Belesenheit aufbietet, um hier den Stoff, dort die Behandlungsweise, hier einzelne Bilder, dort ganze lange Schilderungen in seine Gedichte zu übertragen. Den Maßstab, den man in unserer Zeit an Dichter anlegt, kann man bei Chaucer so wenig brauchen, als bei Virgilius, der vor Chaucer nur das Eine voraus hat, daß er mit Entschiedenheit einem Vorbilde nachstrebt, während Chaucer mit ungewissem Geschmacke von den verschiedenartigsten Dichtern, von Virgilius und Ovidius, von Dante und Boccaccio zugleich zu borgen strebt. Ein freies Schaffen darf man kaum irgendwo bei ihm vermuthen; keine seiner Erzählungen ist von ihm selbst erfunden, und viele der schönsten Stellen in seinen Gedichten sind fast nichts als wörtliche Uebertragungen. Außer dem trefflichen Prologe zu den Canterbury - Erzählungen, Chaucer's unbestrittenem Eigenthum, wird wohl nur wenig diese Bezeichnung verdienen.

In dem Folgenden wollen wir diese Behauptungen zu erweisen suchen. Dabei werden wir in Chaucer einen Mann von ausgebreiteter Gelehrsamkeit für seine Zeit kennen lernen; wir werden ihn gleichbewandert in den römischen Klassikern wie in den mittelitalienischen Schriftstellern, in den französischen wie in den italienischen Dichtungen finden. Er wird uns zugleich das Bild eines feinen, vielseitig gebildeten und gelehrten Hofmannes seiner Zeit geben, und einen neuen Beweis liefern, daß die Bildung

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