Page images
PDF
EPUB

thätig sie auch an der Handlung mitwirken, so ist doch ihre Persönlichkeit nur ausgemalt, um durch sie den König noch mehr zu charakterisiren; besonders ist der lakonische Styl, der seine raschen Prozesse begleitet, bis zum Gräßlichen treu. Ihre Bosheit aber hat nichts absolut Tragisches und wird noch aufgehoben durch die Gemeinheit und Erbärmlichkeit, mit welcher sie sich gegenseitig anflagen und ihre Thaten durch Pflichttreue entschuldigen, als sie vom Könige selbst dem Sohne, dem sie sich schon kriechend genähert hatten, als der Tod Louis zu erwarten stand, zur Bestrafung überwiesen wurden. Denn wie auch Louis mit ihnen zusammenhielt; er mußte sie als Schurken kennen und konnte sie nur so lange dulden, als sie ihm nugten; darum gibt er sie im Tode Preis; der Lohn ihrer Schandthaten konnte ihnen nicht entgehen.

Die übrigen Personen dienen nur dazu, die allgemeine Stimmung am Hofe und im Volke zu bezeichnen und einzelne Situationen, wie beim Auftreten des Königs mit dem Grafen Dreur, zu motiviren; sie sind also dienend und dürfen mit der Bemerkung beseitigt werden, daß sie der Absicht gemäß einwirken, die Haupthandlung fördern und durchaus kein ablenkendes Nebeninteresse erwecken.

Durch die eben skizzirten Charaktere wird die mit raschem Schritt, wirksamer Rollenvertheilung und Entschiedenheit durchgeführte Handlung bestimmt. Ohne die Grenzen der klassischen Schule zu übertreten, wird Delavigne auch nicht im Geringsten von ihnen beengt. Die Handlung umfaßt nur einen Tag, weil sich die Begebenheiten natürlich in diesem Zeitraum zusammendrängen, jedoch ohne daß der Tragiker Werth darauf legt sie in diesem engen Zeitraum zu bannen. Sie geht in einem Orte vor sich, d. h. in einer Gegend, hat aber fünf verschiedene Schaupläge, indem mit jedem Akt sich die Scene ändert, und hält also darin eine glückliche Mitte, daß sie die in der Tragödie störenden Verwandlungen beseitigt, und doch die Vortheile des Bühnenwechsels gewährt.

Die Sprache ist in Hinsicht auf Versification und Styl in ihrer Art vollendet und klassisch. Ich sage in ihrer Art, denn oben habe ich gezeigt, wie der Dichter die Sentenzenweise, die Anwen= dung rhetorischer Figuren, den besonders häufigen Gebrauch der Antithesen und die Wirkung auf den Effekt durch Deklamation aus der klassischen Schule beibehielt, während er sich in Anwendung neuer Wendungen und Ausbrücke, in der bilderreichen Phantasieund gemüthvollen Herzenssprache die Vortheile der Romantiker

-

aneignet. Im Allgemeinen ist sehr zu loben, daß die Helden nicht mehr reden, als nöthig ist, um den Charakter zu entwickeln und die Handlung zu motiviren keine Tiraden, keine Reflerionen, höchstens einige entbehrliche Ausschmückungen in der Beichtscene des Königs. Die Empfindungen sind zum Theil tief aus dem Busen des Dichters entsprungen und die Gedanken gewähren eine reiche Ausbeute an scharfsinnigen, treffenden und wahren Aussprüchen. Wie in jedem französischen Gedicht ist auch hier nicht zu verkennen, daß der politische Zustand der Gegenwart bei der Abfassung berücksichtigt wurde. Wie in allen klassischen Tragödien der Hof Ludwig XIV. der Hintergund ist, so auch in Delavigne's Dramen seine d. i. unsere Zeit im Jahre 1831. So sah das Volk mit Applaus einer Tragödie zu, in welcher der Despotismus in seiner ganzen Vollendung dargestellt wurde, wie er in seinem Vaterlande geherrscht hatte, und in welchem so oft Gelegenheit vorkam, Beziehungen auf die Gegenwart zu machen, und im Herbst 1845 habe ich mich selbst, als ich nach langen Jahren die Tragödie auf dem théatre français wieder sah, von Neuem davon überzeugt, daß sie in die Reihe derjenigen Nationalwerke aufgenommen worden ist, an welchen der französische Kunstgeschmack mit seltener Pietät hängt, und die auf jedes Alter und jede Bildungsstufe in Frankreich ihre Wirkung niemals verfehlen.

Da ich in meinem Urtheil manchem deutschen Kritiker ganz entgegentrete, indem ich Delavigne für den musterhaftesten Dichter Frankreichs in diesem Jahrhundert halte: so kann ich mir nicht versagen, schließlich den Ausspruch beizufügen, welchen Alfred de Wailly am 20. Nov. d. J. bei Gelegenheit der feierlichen Aufstellung der Büste des Dichters im Collège Henri IV. in Gegenwart berühmter Männer that und den A. Deschamps in einem edlen und zarten Gedicht bekräftigte.

„Delavigne, sagt Wailly unter Andern, sei es allein gelungen, neben den unerreichbaren Meistern Corneille und Racine gerechten und unvergänglichen Beifall zu erwerben, und zwar sowohl in der Tragödie, wie im Lustspiel. Er, der den Glanz des Kaiserreichs besang, weihte beredte Thränen seinem Unglück und den Schlägen seines Vaterlandes, und er war es wiederum, der die Morgenröthe der neuen Freiheit mit einem ewig denkwürdigen Volksgesange begrüßte. In der glänzenden Reihe seiner Werke möchte auch nicht eine Seite gefunden werden, die nicht den strengsten Anforderungen der Sittlichkeit und des Geschmacks vollkommen Genüge leiste.“ Dr. Kruse.

Elberfeld.

Das euphonische Moment in der englischen

Sprache.

Bon jeher hat man der englischen Sprache Mangel an Wohllaut zum Vorwurf gemacht, was um so auffallender ist, als nicht leicht eine bekannte neuere Sprache, hinsichtlich des Reichthums und Wechsels ihrer Laute, der wahrhaft wunderbar ist, sich mit der englischen wird messen können. Wie vielfacher Laute und Lautschattirungen ist nicht jeder einzelne ihrer Vocale fähig; und auch in ihren Consonantlauten bietet sie eine Mannigfaltigkeit, wie weder die griechische Sprache, noch die lateinische, noch eine der Töchtersprachen der legteren sie kennen. Der Grund davon ist, weil die englische als eine Mischsprache viele andere Sprachen in sich aufgenommen und, diese fremden Elemente ihrem eigenen Genius anpassend, Einheimisches und Fremdes zu einem höchft originellen und gewiß auch lautlich harmonischen Ganzen zu verschmelzen gesucht hat. Aber freilich und darin liegt wohl der eigentliche Grund jenes Vorwurfs - ist der Prozeß dieser harmonischen Verschmelzung und Ausgleichung des Einheimischen und Fremden, namentlich in phonetischer Hinsicht, noch lange nicht durchgemacht; noch liegt die Sprache sogar unter schweren, fast bedenklichen Geburtswehen dieser Ausgleichung. Frägt man aber, was diesen Prozeß, diesen sprachlichen Kampf so schwer und kritisch gemacht hat, so ist die einfache Antwort; der Mangel strenger Gerechtigkeit, oder auch nur vorurtheilsloser Billigkeit des einheimischen Elements der Sprache gegen das ihr unterworfene und mit ihr zu verschmelzende Fremde. Zum rechten Verständniß und zur richtigen Würdigung dieses Kampfes wird aber nothwendig sein, in Kürze zu zeigen, worin hierbei der Charakter oder das eigenste Wesen des einheimischen Elements der Sprache vorzüglich hervortrete, und in wie weit diesem einheimischen Element

Ungerechtigkeit oder Voreingenommenheit gegen das Fremde mit Recht zum Vorwurf gemacht werden könne, eben weil dadurch das Aufgehen beider Elemente in ein harmonisches Ganzes verhindert und so das rechte, volle Verständniß des englischen Idioms überhaupt verkümmert wird. Es tritt aber der eigenthümliche Charakter des einheimischen Elements der englischen Sprache, das wir das germanische nennen wollen, am auffallendsten hervor im Gegensag zu dem romanischen, welche beiden Elemente sich denn auch von jeher am härtesten bekämpft haben und es bis auf den heutigen Tag noch thun, obschon das germanische Element, in neuester Zeit, dem romanischen bereits so manche Rechts - Konzessionen gemacht hat, daß an einem endlichen Friedensschluß, einer sprachlichen entente cordiale wohl nicht mehr gezweifelt werden darf, wenn auch der Kampf weder selbst auf englischem, noch französischem, sondern, wie man das fast schon gewohnt ist, auf deutschem Boden ausgefochten werden dürfte. Fragen wir aber nach dem eigentlichen Träger des germanischen Elements, øder, in unserem Fall, dem personifizirten Befehder des romanischen, so ist dies der Accent oder diejenige sprachliche Großmacht, die, wie oben gesagt, durchaus nicht immer gerecht gegen die verschiedenen Elemente der Sprache, am wenigsten gegen das romanische, gewesen ist, wodurch denn Disharmonie und Mißverständnisse im Bereiche der Sprache nicht ausbleiben konnten. Um aber dieses Unrecht, dessen wir den englischen Accent oder, wenn wir uns diesen unter dem Bilde eines Herrschers vorstellen, vielmehr seine Minister, denn er selbst kann nicht Unrecht thun namentlich rücksichtlich des romanischen Elements der englischen Sprache beschuldigen, an einigen Beispielen und konkreten Fällen zu be weisen und zugleich darzuthun, daß wir selbst nicht etwa zu rebelliren beabsichtigen, sondern nur unser gutes Recht zu wahren gesonnen sind wir bekennen uns hierbei ein wenig als Kosmopolit und sehen fremdes Unrecht für unser eigenes an aber, sage ich, dem Accent sein Unrecht zu beweisen, müssen wir vorerst sein Recht im Gebiete der Sprache überhaupt, also seine sprachlichen Hoheitsrechte selbst, in's Auge faffen. Diese sind aber vorzüglich doppelter Art; 1) erstrecken sie sich auf die einzelnen Sylben der Wörter und charakterisiren dann die Herrs schaft des Accents in der Weise, daß, auf welcher Sylbe immer derselbe seinen Sig nehmen mag, diese die andern Sylben desselben Wortes so weit überragt oder überwiegt, daß sie sie gleichsam alle aufwiegt oder sie alle verdunkelt und in den Schatten

um

stellt; hierin völlig ungleich dem Accent der französischen Sprache, wo bekanntlich jede Sylbe gleiche Geltung hat, in welcher Verschiedenheit zugleich wohl der erste Keim des berührten Kampfes zu suchen sein möchte. So entschieden und überwiegend aber auch der Accent im Englischen auftritt und sich die gesammten Elemente der Sprache unterwirft, so verschieden ihre einzelnen Bestandtheile auch sein mögen, so verfährt er doch dabei keineswegs willkürlich und ist zugleich weit entfernt, seine verschiedenartigen Unterthanen mit Einem Maße zu messen oder sie alle über Einen Kamm zu scheren; im Gegentheil, er schont und berücksichtigt durchaus die verschiedenen Nationalitäten der ihm unterworfenen Wortstämme und muß es thun, wenn er die rechte Harmonie in seinem ausgedehnten Reiche erhalten will. Wollte er z. B., einem ihm eigenthümlichen, angebornen Zuge gemäß, alle mehr als zweisylbigen Wörter auf der drittlegten Sylbe betonen (s. meine Grundsäge der Syllabirung, §. 32, Grunds. 1.), wie nátural, sacrament, magnificent 2c. 2c., so würden dadurch nicht nur die unveräußerlichen Rechte vieler anderer Wortstämme verlegt werden, sondern es würde davon zugleich unerträgliche Einförmigkeit und so zulegt wirkliche Dissymetrie und Disharmonie die unausbleibliche Folge sein. Er läßt daher gern fremden Wortstämmen ihre angestammten Rechte und betont 3. B. decórus, indecórus, inimical, Européan 2c., statt décorus, indécorus, inimical, Európean 2c., wie es ihm vom Hause aus am natürlichsten wäre. Steht nun aber diese Neigung des Accents oder dieser der Sprache angeborne Zug, bei der Sylbenbetonung eines Wortes auf die Nationalität desselben Rücksicht zu nehmen, unbestritten und unbestreitbar fest, so wird natürlich ein gleiches Zurückgehen auf den Ursprung bei der Lautbestimmung der einzelnen Bestandtheile der Sylben und Wörter selbst, namentlich der Consonanten, völlig eben so nothwendig sein, was aber höchst seltsamer und unnatürlicher Weise, seit Sheridan, von denen ganz außer Acht gelassen worden ist, welche die Lautverhältnisse der Sprache zu regeln unternommen haben; so daß mit Recht behauptet werden kann, daß mit Sheridan die Sprache eigentlich aufhört, eine lebende zu sein und gleichsam nur noch als todte Büchersprache, mittelst der sogenannten Aussprache-Wörterbücher, ihr Dasein kümmerlich fristet, wie wir unten noch weiter nachzuweisen Gelegenheit haben werden. Kaum braucht übrigens hier noch bemerkt zu werden, daß bei der Entschiedenheit, mit der sich der englische Accent auf je einer bestimmten Sylbe eines mehrsylbigen Wortes geltend macht, er

« PreviousContinue »