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A. Tennysons Enoch Arden. Aus dem Englischen übersetzt von Robert Waldmüller (Eduard Duboc). Hamburg, Grüning.

Robert Waldmüllers Übersetzung von Tennysons Enoch Arden erfreut sich mit Recht so andauernder Beliebtheit, dafs bereits die 25. Auflage vor uns liegt. Der Übersetzer trifft in bewunderungswürdiger Weise den tief-innigen, wehmütigen Ton des Originals. Das traute Fischerdörfchen am Strande der englischen Südküste mit den treuherzigen und einfachen Menschen voll tiefen, leidenschaftlichen Empfindens; die blendende und doch kalte Pracht der fernen Tropeninsel; das verzehrende Heimweh des Verschlagenen; die traurige Rückkehr und das tiefe Leid der Entsagung des heldenhaften Dulders die ganze einfache und doch so ergreifende Geschichte verliert in Waldmüllers Übersetzung nur wenig von dem schwermütigen Zauber der Tennysonschen Dichtung.

Schlufswort in Sachen Lanfreys.

A. Hamann.

Obschon der Ton der Ramslerschen Erklärung (pag. 343 ff. des 75. Bandes) jegliche Antwort überflüssig macht, und jedes Eingehen auf Klopffechtereien in der Seele mir zuwider ist, so kann ich doch nicht umhin, Ramslers Kühnheit zu bewundern. In seinem Unvermögen, die Beschuldigung des an Einleitung und Kommentar meiner Lanfreyausgabe, also an meinem geistigen Eigentum begangenen Raubes zu entkräften, klagt er mich naiv an, ich hätte den Text Lanfreys von ihm abgedruckt, als ob derselbe Ramslerscher Privatbesitz wäre. Wenn an zwei Stellen (3, 41 und 71, 9 meiner Ausgabe) einige Worte wegfielen, so stört dies den Zusammenhang keineswegs; ebensowenig störend ist der Druckfehler tout autre chose (72, 29). Die zwei anderen Stellen (12, 32 56, 36) en égard à, statt der beziehungslosen Participialkonstruktion eu égard à, sind absichtlich geändert, wie aus der Anmerkung hervorgeht. Dafs aber R. diese einzige Fufsnote ergreift, um den nicht von mir, sondern von Ulbrich ihm erteilten Vorwurf krasser Ignoranz" mir zurückzusenden, beweist nicht allein, wie richtig Ulbrich die französischen Kenntnisse dieses Herrn taxiert, sondern auch dafs Ramsler die verschiedenen Exekutionen noch nicht verschmerzt hat, die seine erste Auflage ihm eingetragen. Auch ich appelliere an das Urteil der Fachgenossen, werde aber allenfallsigen weiteren Liebenswürdigkeiten Ramslers robur et æs triplex entgegenbringen.

Baden-Baden.

Joseph Sarrazin.

Miscelle n.

Die Geschichte des mehrstimmigen Gesangs und seiner Formen in der französischen Poesie des 12. und 13. Jahrhunderts.

Über obengenannten Gegenstand hielt auf der Philologen-Versammlung in Giefsen der Privatdocent Dr. Schwan aus Berlin nachstehenden Vortrag:

An dem diesjährigen Zusammenkunftsort der Philologenversammlung dürfte es nicht unangemessen erscheinen, wenn auch die romanische Philologie aus dem engeren Kreis der Sektionssitzungen heraustritt und in den allgemeinen Versammlungen Zeugnis ablegt von ihrem Dasein; stand doch in dieser Stadt die Wiege von Friedrich Diez, die Wiege des Mannes, der sie aus dem Zustand dilettantischer Sprachmeisterei zur Wissenschaft umschuf, dem sie nicht nur ihre ganze Existenz, sondern auch die sichere, exakte Methode verdankt, welche sie berechtigt, sich ebenbürtig der älteren Schwester zur Seite zu stellen. So darf ich wohl Ihres wohlwollenden Interesses sicher sein, wenn ich es unternehme, der Pflicht der Pietät und der Dankbarkeit, welche die Romanistik dem heimgegangenen Meister schuldet, hier nachzukommen, insbesondere da auch der Gegenstand, über welchen ich die Ehre habe zu sprechen: Die Geschichte des mehrstimmigen Gesangs und seiner Formen in der französischen Poesie des 12. und 13. Jahrhunderts, den speciellen Studien desselben nicht zu fern liegt. Gerade die erste, in Wahrheit Epoche machende Arbeit des Meisters galt ja der mittelalterlichen Lyrik, im speciellen allerdings der provençalischen, aber auch die Entwickelung und die Formen der nordfranzösischen Lyrik, welche mit dieser in der engsten Beziehung steht, fanden in dem Werk grundlegende Erörterung. Mein heutiger Vortrag wird gewissermafsen eine Ergänzung des dort Gegebenen bilden, insofern als bei den dort behandelten Formen der höfischen Poesie: der Kanzone (dem Liebeslied), dem Sirventes (dem politischen und moralischen Gedicht), der Pastourelle (dem Hirtengedicht) das Bestimmende der Text war, dessen Inhalt die Melodie nur dem Hörer vermitteln half, während bei den Formen der französischen Poesie, welche ich besprechen will, die Musik das Ursprüngliche, das Frühere ist, welches die Form des Textes beeinflusste, während der Text ursprünglich nur der Melodie als Unterlage diente. In dem einen Fall war, um es prägnant auszudrücken, der Dichter auch Musiker, in dem anderen Fall der Musiker auch Dichter. Bei den poetischen Gattungen der letzteren Art, zu denen insonderheit die von uns zu behandelnden Formen des mehrstimmigen Gesangs gehören, wird

demnach von der Musik als dem Früheren und Ursprünglichen auszugehen sein.

Die Harmonie ist dem Mittelalter, auch wenn man mit Coussemaker und anderen ihr Vorhandensein bei den Griechen und Römern annehmen sollte, jedenfalls nicht von diesen überkommen, sie ist vielmehr, wie Ambros in seiner Geschichte der Musik wahrscheinlich macht, auf eine Eigentümlichkeit der Instrumente der nordischen Völker, insbesondere der bretonischen Rotte, aus welcher das Hauptinstrument unseres Orchesters, die französische Vielle, die deutsche Fiedel oder Geige hervorging, zurückzuführen. Als diese nämlich zum Bogeninstrument umgewandelt wurde, ergaben sich durch die besondere Form derselben eigentümliche Klangwirkungen, welche auch bei anderen Instrumenten der nordischen Völker, z. B. dem Dudelsack, der französischen Cornemuse, vorhanden waren. Da die Vielle nämlich keine seitlichen Einbuchtungen hatte, wie unsere moderne Geige, so mufsten alle Saiten zu gleicher Zeit durch den Bogen in Schwingungen versetzt werden, so dafs mit der Melodie, die auf der einen Saite gespielt wurde, zugleich der Grundton_und die Quinte auf den anderen Saiten ertönten. Diese eigentümliche Harmonie, wenn man das schon so nennen will, wurde, da das Ohr sich an diese Klangverstärkung gewöhnt hatte, auch auf das Organum (die Orgel) übertragen, welche zur Begleitung des Kirchengesangs diente. Da dieses Instrument jedoch noch nicht die Beweglichkeit der heutigen Orgel hatte die Tasten (Claves) mufsten nämlich mit den Fäusten oder Ellbogen in Wahrheit angeschlagen werden, so konnten stets nur zwei Töne zu gleicher Zeit gespielt werden. Daher ging die Begleitung mit der Melodie in parallelen Quinten nebenher. Wir haben so die eigentümliche Erscheinung, dafs die Harmonie mit einer Accordenfolge anfing, die nach den heutigen Gesetzen strengstens verpönt wäre.

Es lag nahe, besonders für die Kirchen, welche kein Organum besafsen, diese Harmonie auf den Gesang zu übertragen, und so entstand die älteste Form des mehrstimmigen Gesangs, welche nach dem Instrument, das die Veranlassung dafür gewesen war, Organum genannt wurde. Diese Form war schon im 9. Jahrhundert üblich, wie aus dem Traktat des Mönchs Hucbald von St. Amand hervorgeht, der am Ende dieses Jahrhunderts ein Handbuch der Musik (Musica Enchiriadis) verfafste, in welchem er die Kompositionsregeln für das Organum aufstellte. Dieses Organum bestand aus zwei Stimmen, von welchen die Hauptstimme den ritualmäfsigen Gregorianischen Kirchengesang vortrug, während die Oberstimme ihn mit den gleichen liturgischen Textesworten in parallelen Quinten (oder auch Quarten) begleitete.

Neben diesem Parallelorganum", dessen Härte man schon früh empfunden haben mochte, erwähnt Hucbald noch eine andere Art, das schweifende Organum, in welchem gestattet war, als Durchgang zu den Konsonanzen (der Quinte, Quarte und Oktave) auch Dissonanzen zu gebrauchen, als welche die Sekunde und auch die grofse und kleine Terz galten. Diese Form des schweifenden Organums, welche durch die Zufassung von Dissonanzen im Durchgang schon einen bedeutenden Fortschritt gegenüber dem Parallelorganum darstellt, wurde im 11. Jahrhundert die übliche, bis sie von einer neuen, vollkommeneren abgelöst wurde, welche in Frankreich im 12. Jahrhundert sich daraus entwickelte, dem Diskantus.

Der Diskantus unterscheidet sich im wesentlichen von dem alten Organum dadurch, dafs zu einem Ton der Unterstimmen (des Tenors, wie man ihn nunmehr nannte, da er die ursprüngliche Melodie festhielt) zwei und mehr Töne der Oberstimme gesungen werden konnten. Diese Neuerung, so geringfügig sie auf den ersten Blick auch scheinen mag, hatte eine gewaltige Umwälzung zur Folge, aus der allmählich die mo

derne Musik hervorging. Die Melodie des Gregorianischen Kirchengesangs zerfiel nicht in Abschnitte von gleicher Dauer, in Takte, wie unsere modernen Melodien, sondern sie erhielt nur durch die Textesworte eine freie rhythmische Gliederung, bei welcher die einzelnen Noten beliebig lang ausgehalten werden konnten. Auch bei dem Organum erregte diese Art der Melodie keinen Anstofs, da ja die beiden Stimmen stets gleichzeitig einen neuen Ton anstimmten. Bei dem Diskantus dagegen, bei welchem zwei und mehr Töne der Oberstimme zu einem Ton des Tenors gesungen werden konnten, mufste die Dauer jeder Note genau bestimmt sein, und so entstand mit und durch den Diskantus die Mensuralnotation. Eine zweite wichtige Errungenschaft, welche dem Diskantus verdankt wurde, und die für die Entwickelung dieser Form von der gröfsten Wichtigkeit wurde, ist das Kunstmittel der Gegenbewegung der beiden Stimmen, welches die Theoretiker für den Diskantus vorschrieben. Sie forderten, dafs die Oberstimme falle, wenn der Tenor steige, und steige, wenn der Tenor falle, also immer die entgegengesetzte Bewegung habe. In dem schweifenden Organum hatten wir schon eine Andeutung dieses Gesetzes, doch blieb dort die Oberstimme stets nur ein Spiegelbild des Cantus firmus, welches dessen Auf- und Niederwogen getreulich wiederspiegelte, während sie hier auch Gegen melodie wurde, wodurch sich ihr Name Dis-cantus (franz. Deschant) erklärt, der dann neben der Bezeichnung der Oberstimme auch für diese Art von mehrstimmigen Kompositionen gebraucht wurde. Damit wurde die Oberstimme, welche im Organum nur dazu diente, den Gregorianischen Kirchengesang zu verzieren, von diesem unabhängig: der Diskantus bildete sich zur Hauptstimme heraus, während der Tenor, der die alte Melodie des Cantus planus festhielt, zur Begleitungsstimme herabsank. Damit verliert auch die Harmonie ihre seitherige Bedeutung als Ausschmückung des Kirchengesangs, damit wird sie Selbstzweck und damit tritt sie aus der Kirche heraus und wird der Keim, aus welchem sich die weltliche Musik entwickelt. In diesem Stadium tritt nun zu dem Gregorianischen Kirchengesang, der auch bei dem Austritt aus der Kirche in die freie Welt mit hinübergenommen wird, ein neues Element hinzu, welches für die weitere Entwickelung des mehrstimmigen Gesangs von der gröfsten Bedeutung sein sollte, und an dem sich später Musik und Poesie noch öfter erfrischt haben, das Volkslied.

Das französische Volkslied besitzt die charakteristische Eigentümlichkeit, welche sich schon bei den ältesten uns erhaltenen Liedern, den fälschlich so genannten Romanzen, zeigt, dafs jede Strophe einen oder mehrere regelmäfsig wiederkehrende, inhaltlich und musikalisch besonders charakteristische Verse enthält, welche wir gemeinhin mit dem Namen „Refrains" bezeichnen, die aber in den höfischen Romanen und den Pastourellen, in welche sie sich sehr zahlreich eingestreut vorfinden, „Motets“ (Wörtchen) genannt werden.

Diese Motets“, die, ihrem vielfachen vereinzelten Vorkommen nach zu schliefsen, auch losgelöst von dem Lied gesungen wurden, bildeten das neue Element, welches zu dem weltlich gewordenen Diskantus hinzutrat und dessen musikalische und poetische Umbildung bewirkte. Die selbständig gewordene Oberstimme nämlich sang solche leichte, graziöse Motets", während der Tenor die feierlich gemessenen Noten des Cantus firmus erklingen liefs, wonach auch diese den Namen Motetus erhielt, ein Name, welcher sich nachher, gleich wie der des Diskantus, auf die ganze Form übertrug. Einige Motette dieser ursprünglichsten primitivsten Form sind uns in einer Handschrift der Nationalbibliothek zu Paris erhalten und deren Text von G. Raynaud in seinem Recueil de Motets français abgedruckt worden, so z. B. eines, in welchem die Oberstimme singt:

Mieuz vueil sentir les maus d'amer
Que faillir a amie!

(Lieber fühl ich der Liebe Leid

Als dafs ich Liebchen täusche!),

wozu der Tenor die Noten des Alleluja erklingen läfst.

Interessant ist ein vierstimmiges Motet der berühmten Motettenhandschrift zu Montpellier, welches jedenfalls zu den ältesten gehört und vielleicht einen berühmten Diskantator des 12. Jahrhunderts, Magister Perotinus, zum Verfasser hat, da es uns den Übergang vom kirchlichen zum weltlichen Diskantus anschaulich macht. Die vier Stimmen nämlich intonieren gemeinschaftlich die feierliche Melodie des Viderunt omnes“ aus dem Graduale der dritten Weihnachtsmesse, wobei der Tenor die Melodie des Cantus planus singt und die anderen Stimmen dazu diskantieren. Während aber der Tenor den Gesang zu Ende führt, singen die drei Oberstimmen nach dem „Viderunt" drei ziemlich ähnlich klingende Motets mit leichten, lebhaften Melodien."

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Nachdem so einmal der Anfang der Loslösung der Oberstimme von dem Cantus firmus gemacht war, wurde sie immer selbständiger und umfangreicher gestaltet, und damit wird der Diskantator, der seither nur Musiker gewesen war, zum Dichter. Die Grundlage seines Gedichts aber bleibt zunächst, so mannigfach dieses sich auch gestaltet, das alte volksmäfsige Motet", welches den mehrstimmigen Gesang in die weltliche Kunst eingeführt und von welchem dieser den Namen erhalten hatte.

Eine Reihe der verschiedenartigsten Formen sprofsten aus diesem Keim hervor; in allen erscheint das „Motet" als die Pointe, auf die alles abzielt. Zunächst lehnt sich der Text, welcher das Motet einführt, an das Volkslied, dem dieses entnommen war, an, und zwar an das erzählende Volkslied, die Romanze": man könnte daher diese Gruppe als Romanzenmotette bezeichnen. In einem solchen wird z. B. erzählt, wie Schön Isabel im Garten sitzt, und ihr Geliebter, Graf Gui, trüben Herzens vor sie hintritt und sie anfleht:

"

Ma douce dame loiaus,

Merci!

(Süfse Dame, die Ihr es ehrlich meint,

Erbarmen!)

Der Tenor singt dazu die Antiphone: Propter veritatem. Hierher gehört auch ein vierstimmiges Motett der Handschrift von Montpellier, deren drei Oberstimmen die ersten Zeilen eines Volkslieds singen:

Trois serors sor rive mer

Chantent cler.

(Drei Schwestern an dem Strand des Meers

Singen hehr.)

An diese Romanzenmotette schliefsen sich die einer anderen Gattung des Volksliedes nachgebildeten Postourellmotette an, die den Stoff zur Einführung des Refrains dem Hirtenleben entnehmen: das stereotype Liebespaar derselben sind Robin und Marion, welche durch das Liederspiel Adams de la Halle so berühmt geworden sind. Hierher gehören auch die Texte, welche der höfischen Pastourelle nachgebildet sind,

Raynaud, Recueil de Motets français des XIIe et XIIIe siècles, Bd. II, p. 59. 2 Vgl. Coussemaker, L'Art harmonique au XIIe et XIIIe siècles, Monuments, p. LXXXIV u. p. 100.

3 Raynaud, Bd. II, p. 85, Nr. LXXXIV.

4 Ibd., Bd. I, p. 16.

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