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der vorlutherischen deutschen Bibel nun ist es, welchen der Verfasser der obengenannten ersten Schrift über den Codex Teplensis, Dr. Haupt, wiederholt und insofern näher präcisiert hat, als er die Abfassung jener Übersetzung, zunächst der im Codex Teplensis enthaltenen Übersetzung des Neuen Testaments, den mittelalterlichen waldensischen Ketzern zugeschrieben haben will. Seine Beweisführung, welche sich auf vier Kapitel verteilt, ist kurz gesagt folgende:

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1. Jener Codex enthält, aufser der Übersetzung des Neuen Testamentes selbst, noch einige von Herrn Klimesch ebenfalls mit veröffentlichte kürzere dogmatische Stücke, welche, nach Haupts Ansicht, unzweifelhaft waldensischen Ursprungs sind. Es sind dies einmal die VII stucke des heiligen cristlichen gelauben", welche den Schlufs jenes Codex bilden und welche nach Haupts Versicherung nichts anderes sind als die Übersetzung der sieben „articuli fidei“, auf welche nach dem Zeugnisse der von C. Schmidt benutzten, seitdem verloren gegangenen Handschrift der Strafsburger Bibliothek die Geistlichen der mittelalterlichen Waldenser vor ihrer Weihe verpflichtet wurden. Und zwar seien diese articuli fidei" identisch mit den waldensischen „articles de la fe“, welche in romanischer Sprache in einer Genfer und Dubliner Handschrift enthalten sind. Ebenso sei die Fortsetzung dieser Artikel, das Verzeichnis der sieben heilikheiten", d. h. Sakramente der Kirche, ferner die der Übersetzung des Matthäus - Evangeliums im Codex Teplensis vorausgeschickten Bemerkungen über die Krankenbeichte und endlich namentlich das beigefügte Verzeichnis der Lesestücke für das kirchliche Jahr unzweifelhaft auf waldensische Quellen zurückzuführen. Zunächst sei ein solches Verzeichnis, dem die in der Waldenser Handschrift von Grenoble enthaltene Liste der sonn- und festtäglichen Perikopen durchaus entspreche, für die Hausandachten der Sekte bestimmt gewesen.

2. Wenn sonach schon diese Zugaben des Codex Teplensis auf seinen waldensischen Ursprung hindeuteten, so bewiese eine Vergleichung der in dem Codex enthaltenen Übersetzung des Neuen Testamentes selbst mit der romanischen Bibelübersetzung der Waldenser, dafs jene aus der letzteren geflossen sei. Von

dieser romanischen Übersetzung der Waldenser giebt es vier Handschriften: je eine zu Dublin, Paris, Grenoble und Zürich. Haupt legt seiner Vergleichung die Dubliner Handschrift zu grunde, und zwar die von J. J. Herzog angefertigte, im Besitze der hiesigen königlichen Bibliothek befindliche Abschrift derselben. Für besonders beweiskräftig hält es Haupt, dafs in der Tepler Übersetzung, abweichend von der Vulgata, aber genau entsprechend der romanischen Übersetzung stets statt „des Menschen Sohn“, „der Sohn der Jungfrau“, „sun der maid" (romanisch: filh de la vergena) gesagt sei und das Wort gehenna, Hölle, stets durch Angst" oder „Angst des Feuers" (romanisch pena) wiedergegeben werde.

3. Die erste gedruckte deutsche Bibel stimme gerade an den Stellen, welche für die romanische und deutsche Bibelübersetzung der Waldenser charakteristisch seien, ausnahmslos mit dieser überein. Einen weiteren Beweis dafür würde voraussichtlich eine, vom Verfasser noch nicht angestellte Vergleichung der Übersetzung auch des Alten Testaments in der ersten gedruckten deutschen Bibel mit den in Dublin, Genf und Grenoble befindlichen Handschriften der romanischen Bibelübersetzung der Waldenser ergeben.

4. Die Modernisierung, welche mit dem in den drei ersten Ausgaben der Bibel enthaltenen Texte später vorgenommen worden ist und welche, wie ich in meinem früheren im Archiv abgedruckten Aufsatze bewiesen habe, zuerst in dem Texte der vierten, bei Frifsner und Sensenschmidt in Nürnberg enthaltenen Ausgabe wiedergegeben, später von den sämtlichen folgenden Ausgaben recipiert worden ist, ist nach Haupt im kirchlichen katholischen Sinne gehalten. Daher sei es ein charakteristisches Zeichen dieses modernisierten Textes, dafs häufig die populären deutschen Worte des alten Textes nun wieder mit latinisierenden, im Kirchengebrauch üblichen vertauscht sind, z. B. „ee" mit „testament“, „wunniglich“ mit „glori“, „boten“ mit „apostel“, ,,enthabung" mit substanz" u. s. w. Die Kirche habe, nach Haupts Ansicht, da sie nun einmal die waldensische deutsche Bibel allgemein acceptiert sah, derselben wenigstens nach Möglichkeit ihr eigenes orthodox katholisches Gepräge in der Sprache aufdrücken wollen.

Allen diesen, von Dr. Haupt für seine Hypothese angeführten Beweisgründen tritt sein Gegner Dr. Jostes in der oben erwähnten zweiten Schrift mit Entschiedenheit entgegen. Ad 1 bemerkt derselbe, es müsse zunächst auffallen, dafs der Codex Teplensis aufser den von Haupt angeführten deutschen Zugaben auch drei lateinische enthalte. Schon das mache seinen Ursprung aus waldensischen Kreisen verdächtig, deren theologische, überhaupt gelehrte Bildung so gering gewesen sei, dafs z. B. nach einer im Jahre 1392 veröffentlichten Liste die sogenannten „Meister", welche der Sekte im Österreichischen vorgestanden, aus drei rusticorum filii, zwei fabri, zwei sutores, je einem sartor, molendinator, carnifex und rasor pannorum bestanden hätten. Hinsichtlich der sieben Glaubensartikel und des Verzeichnisses der sieben Sakramente, welches der Codex enthält, mufs Jostes zugeben, dafs dieselben allerdings mehrmals in damaligen waldensischen, bez. hussitischen Handschriften vorkommen, während sie aus der damaligen orthodoxen Litteratur nicht bekannt seien. Er hilft sich, freilich in etwas gewundener Weise, über diesen Beweisgrund mit der Versicherung hinweg, dafs beide Stücke an sich nichts speciell Waldensisches enthielten, sondern mit den orthodoxen Glaubensstücken identisch seien. Das Perikopenverzeichnis, welches der Codex enthalte, sei einfach nach dem römischen Mefsbuche angelegt und der Übersetzer habe sich streng an die römische Liturgie angeschlossen.

Ad 2 und 3. Den Kern der Frage betreffend, leugnet Jostes zunächst schlankweg, dafs das Lesen deutscher Bibeln zur Zeit der Abfassung des Codex Teplensis von der Kirche verboten gewesen sei. Eine solche Übersetzung könne also ebenso gut aus orthodoxen Kreisen hervorgegangen und von diesen benutzt worden sein. Die Übertragung unserer im Codex Teplensis enthaltenen deutschen Übersetzung aus der romanischen Waldenserübersetzung sei durchaus nicht zu erweisen. Die vier verschiedenen Handschriften derselben böten vier verschiedene Textrecensionen dar. Was speciell die Dubliner Handschrift betreffe, aus welcher nach Haupts Versicherung die vorliegende deutsche geflossen sei, so differiere dieselbe allerdings an zahlreichen Stellen mit der Vulgata. Aber gerade an diesen Stellen schliefse sich unsere deutsche Übersetzung an die Vulgata an,

während andererseits sich in der Tepler Handschrift eine Menge von charakteristischen Zusätzen und Interpolationen befinde, nach welchen man in der Dubliner Handschrift vergeblich suche. Es sei also im Gegenteil höchst unwahrscheinlich, dass die deutsche Übersetzung eine Übertragung dieser romanischen sei. Der Ausdruck sun der maid", statt des filius hominis der Vulgata, sei im Mittelalter ganz gewöhnlich gewesen, komme z. B. in Konrad von Würzburgs „Goldener Schmiede“ wiederholt vor.

Ad 4 stellt es Jostes durchaus in Abrede, dafs die Modernisierung und sprachliche Überarbeitung, welche in der vierten Ausgabe der gedruckten deutschen Bibel mit dem in den drei ersten Ausgaben enthaltenen ursprünglichen Texte vorgenommen worden, vom orthodox katholischen Standpunkte ausgegangen sei. Wäre dies der Fall gewesen, so würde doch, meint Jostes, dieser angeblich gereinigten orthodox katholischen Ausgabe sowie den späteren ihr folgenden sicherlich von den Herausgebern ein Vermerk hinzugefügt worden sein, worin dieser speciell orthodox katholische Charakter derselben hervorgehoben und vor den älteren ketzerischen Ausgaben gewarnt worden wäre. Schliefslich spricht Jostes den Wunsch nach einer gründlich gearbeiteten Geschichte der deutschen Bibelübersetzung aus, welche, wie er sich nicht gerade höflich ausdrückt, allen windigen Hypothesen von vornherein einen Riegel vorschieben würde."

Dies die Gründe für und gegen den Ursprung der alten deutschen Bibel aus den Kreisen der Waldenser! Eine definitive Entscheidung darüber zu treffen ist zur Zeit schwer, ja unmöglich, wenn ich auch sagen mufs, dafs ich mich der Beweisführung des Dr. Haupt mehr zuneige als der Entgegnung des Dr. Jostes, welcher mir hin und wieder seine Sache mit etwas mehr Selbstbewusstsein als Überzeugungskraft zu führen scheint. Dafs die alte deutsche Bibelübersetzung überhaupt aus ketzerischen, wenigstens von der orthodoxen Kirche abweichenden Kreisen hervorgegangen sei, scheint mir aus mehr als einer Ursache gewifs.

Von Anfang an hat in allen ketzerischen, doch hauptsächlich aus Laien zusammengesetzten Kreisen die Neigung und das Verlangen geherrscht, das Wort Gottes in der Muttersprache zu

haben. Man vergleiche die zahlreichen Belege, welche Hoffmann von Fallersleben dafür in dem vierten Paragraphen seiner „Geschichte des deutschen Kirchenliedes" beibringt. Nicht nur die Waldenser haben von ihrer Entstehung in den achtziger Jahren des zwölften Jahrhunderts ab mit den Versuchen, die Bibel in ihre Landessprache, d. h. also in das Romanische, zu übersetzen, begonnen und dieses Beginnen trotz aller päpstlicher Verbote und Verfolgungen hartnäckig fortgesetzt. Auch andere Sekten in Deutschland haben das Werk der Bibelverdeutschung unzweifelhaft betrieben. Ein Beschlufs der von Theodorich II., Erzbischof zu Trier, im Jahre 1231 abgehaltenen Diocesansynode eifert gegen die Häretiker in jener Gegend, welche heilige Schriften bei sich führten, quas habebent in Theutonicum translatas. Der Pseudo-Reinerius (Hoffmann S. 56) weifs sogar von einem Bauer zu erzählen, welcher das Buch Hiob Wort für Wort habe hersagen können, und von anderen, welche das ganze Neue Testament vollständig auswendig gewulst hätten. Wenn man will, klingt auch in den oben angeführten späten Äufserungen von Bugenhagen und Mathesius über die „unverständigen Leute“, welche die alte Bibelübersetzung angefertigt hätten, und über die Geringschätzung, welche die eigentlichen Gelehrten gegen solche Arbeiten gehegt hätten, noch etwas über den laienhaften Ursprung dieses Werkes durch.

Die eigentliche klassische Zeit für diese Versuche der Übertragung der Bibel ins mittelalterliche Deutsch war unstreitig die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, und dieser Epoche verdankt auch allem Anschein nach unsere gedruckte deutsche Bibelübersetzung ihre Entstehung. Dafür spricht nicht nur der Charakter der Tepler Handschrift, welche, wie ihr Herausgeber bezeugt, unzweifelhaft auf die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts hinweise, das beweist auch die Vorrede, welche der Herausgeber der ersten niederdeutschen, ungefähr um 1480 in Köln gedruckten Ausgabe derselben vorausgeschickt hat. Es heilst darin (vergl. Geffcken, Bilderkatechismus S. 9), dafs diese Bibel schon vor manchen Jahren gemacht sei (geschiet unde ghemaket), auch in geschriebenen Exemplaren in vielen Klöstern und Konventen vorhanden, auch lange vor dieser Zeit im Oberlande und in einigen Städten beneden (unten) gedruckt und verkauft sei (langhe

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