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Ausgaben seines Neuen Testamentes, sowie der ganzen Bibel ein und kommt hierauf auf die, wie er sie selbst nennt, wichtige Frage, ob Luther die frühere deutsche Bibel gekannt und den Sprachschatz derselben berücksichtigt habe.“ Zur Beantwortung dieser Frage führt er zunächst die bekannten Stellen aus den Schriften von Palm, Giese und Panzer über die lutherische Bibelübersetzung an, worin jene Benutzung der alten Bibel durch Luther geleugnet wird, sowie die entgegengesetzte Behauptung Hopfs in seiner Schrift: „Würdigung der lutherischen Bibelverdeutschung mit Rücksicht auf ältere und neuere Übersetzungen (Nürnberg 1847)“, wonach Luther in der That von jener älteren Übersetzung bei seiner eigenen Arbeit Gebrauch gemacht habe. Krafft selbst weils zur Entscheidung jener wichtigen Frage weiter nichts beizubringen als jene Stelle aus dem Briefe Luthers an Nikolaus Amsdorf vom 13. Jan. 1522 (de Wette II, S. 123): „Interim Biblia transferam, quamquam onus susceperim supra vires. Vides nunc, quid sit interpretari et cur hactenus a nullo sit attentatum, qui profiteretur nomen suum", woraus doch nur in ziemlich unbestimmter Weise erhellt, dafs Luther jene vor ihm anonym erschienenen deutschen Bibeln gekannt habe. Wenn der Verfasser darauf mehrere längere Stellen aus der neunten Ausgabe der vorlutherischen Bibel (Nürnberg 1483) solchen aus der Septemberausgabe des Lutherschen Neuen Testamentes vom Jahre 1522 gegenüberstellt, um damit, wie er meint, jeden Zweifel zu heben, dafs „das Zusammentreffen Luthers mit der deutschen Bibel des 15. Jahrhunderts kein zufälliges sei", so wird dadurch für den Kenner der Sache jener Beweis an sich so wenig erbracht, wie aus den zahlreichen parallelen Stellen der beiden Bibelübersetzungen, welche Hopf in der oben erwähnten Schrift zum Beweise derselben Behauptung zusammengestellt hat, so grofs die Ähnlichkeit, ja mehrfach wörtliche Übereinstimmung beider Übersetzungen in den betreffenden Stellen auch ist. Denn man mufs nur bedenken, worauf ich in meinen früheren Aufsätzen über diesen Gegenstand schon hingewiesen habe, dafs, als Luther mit seiner Verdeutschung begann, schon für längere Stellen, ja ganze Teile der Bibel, besonders der bekanntesten und im Kirchendienst am meisten gebrauchten, sich eine Verdeutschung festgestellt hatte, welche schon Gemeingut des deut

schen Volkes geworden war, und die Luther verständiger-, ja selbstverständlicherweise ganz oder nur wenig verändert beibehielt, die er aber nicht aus jener alten Vorgängerin seiner Übersetzung unmittelbar brauchte abgeschrieben zu haben. Denn in Predigten, Plenarien und katechetischen Arbeiten des 15. Jahrh. wurden ganze Stellen des Neuen Testaments, namentlich die Sonntagsevangelien und Episteln, Stellen aus den Psalmen u. s. w. oft und zahlreich deutsch citiert, wie denn überhaupt, worauf namentlich der verstorbene Joh. Geffeken in seinem reichhaltigen Buche: „Der Bilderkatechismus des 15. Jahrhunderts (Leipzig, 1855) hingewiesen hat, die deutsche Sprache im Gottesdienste auch schon vor Luther viel mehr angewandt worden ist, als man seit der Reformation bis auf die neueste Zeit auf evan

gelischer Seite hat zugestehen wollen. Die Ähnlichkeit, ja wörtliche Übereinstimmung solcher bekanntesten Stellen der Bibel in Luthers Übersetzung mit der früheren würde also, wie gesagt, an sich für eine direkte Benutzung seinerseits noch nichts beweisen.

Wohl aber giebt es eine Anzahl Stellen aus Luthers Schriften und denen seiner Mitarbeiter, welche ganz direkt und geradezu es aussprechen, dafs Luther nicht nur die deutsche Bibel vor ihm gekannt, sondern dafs auch er und seine Mitarbeiter dieselbe bei ihrem eigenen Werke mit in Betracht gezogen haben. Ich habe auf diese, in ziemlich viel verbreiteten Schriften Luthers und seiner Freunde befindlichen, aber seltsamerweise weder von so gründlichen und gelehrten Forschern des vorigen Jahrhunderts, wie Palm, Giese und Panzer, noch von neueren Schriftstellern über diesen Gegenstand, also auch von Prof. Krafft nicht in Betracht gezogenen Stellen zum Teil schon früher aufmerksam gemacht, will sie aber hier sämtlich noch einmal anführen, da daraus, wie gesagt, jene wichtige und interessante Frage über die Bekanntschaft Luthers mit der vorlutherischen Bibel und die Art seiner Benutzung derselben, wie mir scheint, endgültig entschieden wird.

Am Samstag nach Misericordias Domini, also im Mai 1522 schreibt Luther von der Wartburg an Spalatin (de Wette II, 195): Mitto tibi gustum nova Biblia nostra, d. h. also: eine Probe unserer neuen Bibel, sed sic ut serves, ne vulgetur.“ Da dies

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eine Probe der ersten Bibelübersetzung war, welche Luther überhaupt anfertigte, so kann das „neu" (nova Bibliæ nostræ) nicht als Gegensatz zu einer alten Fassung seiner eigenen Bibelübersetzung, sondern nur zu einer schon vor ihm vorhandenen gemeint sein, von deren Existenz er also Kenntnis hatte.

Die Vorrede Luthers auf das Buch Jesus Sirach vom Jahre 1533 beginnt mit den Worten: „Dis Buch ist bisher genannt im Latin Ecclesiasticus, welchs sie haben verdeutscht: die geistliche Zucht. Vnd ist fast wohl getrieben vnd gebraucht in der Kirchen mit lesen, singen vnd predigen, aber mit wenigem Verstand vnd Nutz, on das es hat müssen der Geistlichen Stand vnd Kirchen geprenge rhümen.“ „Das Buch der geistlichen Zucht" ist der Titel des Buches Jesus Sirach in der vorlutherischen deutschen Bibel, welche also Luther gekannt haben muss, gleichzeitig wird durch die obige Stelle belegt, wie viel dies Buch schon vor ihm in der Kirche gebraucht und citiert worden ist. Auch aus dem Schlusse der Lutherschen Vorrede erhellt, dafs er die deutsche Bibel nicht nur gekannt, sondern seine neue Übersetzung mit derselben verglichen habe, wie er denn auch seine Leser zu einer solchen Vergleichung auffordert. Was vns aber fur Erbeit gestanden hat", heifst es da nämlich, „dis Buch zu verdeudschen, Wer das zu wissen begert, der mag vnser Deudsch gegen alle ander Exemplar halten, beide, Griechischer, Latinischer vnd Deudscher sprachen, sie sind alt oder newe, so sol das werck den Meistern wol zeugnis geben."

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Eine kritische Prüfung der Ausdrücke der alten Übersetzung mit denen seiner eigenen von seiten Luthers oder, wie Prof. Krafft sagt, eine Berücksichtigung des Sprachschatzes derselben geht ferner aus folgenden Belegstellen hervor. In den Tischreden (Ausgabe von Förstemann und Bindseil, Bd. IV, S. 614) bemerkt Luther: Gott hat seinen Bund in diesem Volk mit diesem Zeichen (nämlich mit der Beschneidung) wollen bestätigen, nur eine Zeitlang, an diesem Stück Leibes. Das Wörtlein azooτouía, præputium, haben wir Vorhaut verdeudscht, denn wir haben kein besseres können finden; die Balbierer heifsens Häublein, die Alten habens verdolmetscht Überwachsung." Überwachsung“ ist aber der stehende Ausdruck für dieses im

Alten und Neuen Testament viel erwähnte Stück Leibes" in der vorlutherischen deutschen Bibel.

In seinen „Historien von des ehrwürdigen in Gott seligen theuren Manns Gottes D. Martin Luthers Anfang, Lere, Leben“ berichtet Joh. Mathesius (Predigt 13, Bl. 155a der Ausgabe von 1580): Wenn nun die arbeit (nämlich die Berichtigung der ersten Dolmetschung der deutschen Bibel, wozu Luther nach dem Berichte des Mathesius ein ganzes Synedrium von Freunden berufen hatte) verrichtet war, behielt unser Doctor Martin Luther bifsweilen seine freunde vnnd mithelffer beim Abendmal, da gefielen (d. h. fielen) sehr gute reden. Ich hab gehört, dafs er von Achabs Hengel (d. h. Wehrgehänge) 1 Regum vltimo, vber Tisch disputirt vnnd fraget. Denn die vorige Biblia war gedeutscht, Achab sey zwischen dem Magen vnnd Lungen geschossen. Nun ists geben, zwischen Bantzer vnd Hengel, daran das Schwert von der achsel hanget, wie das glöfslein auff dem rande meldet." Die Übersetzung: „zwischen dem Magen vnnd Lungen“ ist aber eben diejenige unserer gedruckten deutschen Bibel, wo es drittes Buch der Könige, Kap. 22 V. 34 (ich citiere nach der Ausgabe von 1483) heifst: „Aber ein man spannet den Bogen vnn schickt einen vngewisen schufs vnn schlug von geschicht (d. h. zufällig) den kuenig Israhel zwischen die lungen vnn den magen."

Insofern aus diesen angeführten Stellen unzweifelhaft nicht nur eine Kenntnis der alten deutschen Bibel seitens Luthers, sondern sogar eine kritische Benutzung derselben hervorgeht, wäre es eigentlich überflüssig, auch aus Äufserungen seiner Mitarbeiter noch eine Bekanntschaft mit jener alten Bibel in den Kreisen der Reformatoren zu erweisen, wenn es nicht dazu diente, die tiefe Geringschätzung derselben gegen diese Vorgängerin der neuen Übersetzung darzuthun. So schreibt derselbe eben citierte Joh. Mathesius a. a. O. (13. Predigt, Bl. 150 b, Ausg. v. 1580): „Ich hab in meiner jugend auch ein verdeutschte deutsche Bibel gesehen, ohne zweiffel aufs dem Latein verdeutschet, die war dunckel und finster, denn zu der Zeit achten sich die Gelerten der Bibel nicht fast. Mein Vatter hatte eine deutsche Postill, darin neben den Sontags Evangelien auch etlich stuck aufs dem alten Testament postillirt vnnd aufsge

legt waren, daraufs hab ich ihm offt mit lust gelesen. Wie gern' sagt mein Vatter, möchte ich ein gantze deutsche Bibel sehen!"

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Bugenhagen, der Verbreiter der Lutherschen Bibel in Niederdeutschland, bemerkt in der Vorrede zum Neuen Testament in der bei Ludwig Dietz in Lübeck 1533, kurz vor der ersten Ausgabe der vollständigen hochdeutschen Bibel erschienenen niederdeutschen Bibel: „Dyth nye Testament ys vlitich vordüdeschet, also dath me (d. h. man) vnstrafflik de rechten meninge, also de Euangelisten vnde Apostel geschreuen hebben, hyrynne lesen mach vnde ys nicht, alse de erste vordüdeschinge was, sunder rein vnde fyn, vth vnses werdigen vaders Doctoris Martini vordüdeschinge."

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Noch derber, als ein richtiger grober Pommer, drückt sich derselbe Bugenhagen über die vorlutherische Bibel in seiner Vorrede zu den Annotationen aus, welche er der niedersächsischen Bibel von 1541 beigegeben hat. De olde düdesche Biblia", sagt er dort, van vnuorständigen Lüden vth dem Latine vordüdeschet, ys gegen defse (d. h. also gegen die Luthersche) tho achten Narre werck vnd nicht werdt, dat se düdesch heten schal" (vgl. Göze, Historie der niedersächsischen Bibeln S. 247).

Eigentlich war diese Herabsetzung der alten Bibel durch die Reformatoren recht überflüssig und ungerecht, aus zweifachen Gründen. Einmal hatten sie eine Konkurrenz derselben mit der Lutherschen Bibel in keiner Weise zu befürchten, diese schlug durch ihre unvergleichlichen Vorzüge die alte Übersetzung ja an sich sofort aus dem Felde. Mit dem Jahre 1522, dem Geburtsjahre der Lutherschen Bibel, hörte die alte sogleich auf gedruckt zu werden. Sodann war die alte Übersetzung, worauf ich schon früher hingewiesen habe, ja gewissermafsen von demselben antirömischen Geiste eingegeben wie die Luthersche. Auch sie war aus jener volkstümlichen Strömung hervorgegangen, von welcher das weltbeherrschende Papsttum, das daher die Übersetzung der heiligen Schrift in die Landessprachen stets mit mifsgünstigen Augen angesehen hat, schlechterdings nichts wissen wollte.

Dieser letztere Gedanke von dem antirömischen Ursprunge

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