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die Basis für ein höher entwickeltes Denken. Bei Zerstörung einzelner seiner Partien gehen die psychischen Thätigkeiten nicht mehr so lebhaft vor sich 56). Die Seele hat diese oder jene Empfindung, wenn die Nerven treffende Schall- oder Lichtwellen und sonstige äussere oder innere materielle Einflüsse in denselben Processe hervorrufen, welche sich bis zum Gehirn fortpflanzen. Die Gefühle sind dann am intensivsten, wenn bedeutende Vorgänge und Veränderungen im Körper stattfinden.

Das Seelische ist nichts Selbständiges neben oder in dem Leibe, sondern es ist mit einem körperlichen Substrate verbunden. Geist und Materie, Seele und Leib, sie sind zwei verschiedene Erscheinungs- oder Betrach tungsweisen eines und desselben Seienden, je nachdem dies durch die äussere oder innere Erfahrung erfasst wird. Mit den Sinnen nimmt man als Körper wahr, was dem Bewusstsein als Seele sich kund giebt; körperliches Substrat und Geist erscheinen aus verschiedenen Standpunkten als verschieden, während sie ihrem Wesen nach eins sind. Da Leib und Seele in ihren Verrichtungen einander parallel gehen und der Veränderung im Einen eine Veränderung im Anderen correspondirt, vergleicht Leibnitz das Verhältniss zwischen beiden mit dem zweier Uhren: es kann Jemand die Zeiger beider Uhren so schieben, dass sie immer harmonisch gehen, das ist die occasionalistische Ansicht, nach welcher Gott zu den körperlichen Veränderungen die geistigen und umgekehrt in beständiger Harmonie erzeugt; sie können auch von vorn herein so eingerichtet sein, dass sie, ohne der fortwährenden Nachhülfe zu bedürfen, von selbst immer genau mit einander gehen, das ist die Ansicht von der vorausbestimmten Harmonie derselben. Leibnitz hat nun dabei, wie Fechner bemerkt, eine Ansicht, und zwar die einfachste, vergessen. »>Sie können auch harmonisch mit einander gehen, ja gar niemals aus einander gehen, weil sie gar nicht zwei verschiedene Uhren sind. Damit ist das gemeinsame Bret, die stete Nachhülfe, die Künstlichkeit der ersten Einrichtung erspart. Was dem äusserlich stehenden Beobachter als die organische Uhr mit einem Triebwerke und Gange organischer Räder und Hebel oder als ihr wichtigster und wesentlichster Theil erscheint, erscheint ihr

selbst innerlich ganz anders als ihr eigener Geist mit dem Gange von Empfindungen. Trichon und

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Bei Zerstörung

selbst innerlich ganz anders als ihr eigener Geist mit dem Gange von Empfindungen, Trieben und Gedanken« 57).

Wenn man somit den Gedanken nicht als eine Eigenschaft der Materie betrachten darf und es der Naturwissenschaft nicht gelingt aus körperlichen Vorgängen geistige Verrichtungen abzuleiten, so sind die Forschungen und Entdeckungen der letzteren doch nicht ohne Bedeutung für die Psychologie. Durch Erforschung der materiellen Ursachen und Wirkungen fällt ein nicht zu unterschätzendes Licht auf den Mechanismus von Ursachen und Wirkungen der ihnen parallel gehenden psychischen Erscheinungen, und durch Erforschung des Psychischen erhält manches im Reiche des Physischen eine bessere Beleuchtung. Aeussere und innere Erfahrung sollen, wie sie bei jedem Menschen sich vereinigt finden, auch in der Wissenschaft mit einander gehen, um sich gegenseitig zu unterWir werden deshalb bei den folgenden Erörterungen die physischen Vorgänge neben den psychischen nicht unberücksichtigt lassen.

stützen.

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Capitel III.

Die normale und anormale Reproduction der Vorstellungen.

Für unser psychisches Leben ist Nichts von grösserer Bedeutung als die Reproduction, die Fähigkeit, vergangene Eindrücke, welche wir vor längerer oder kürzerer Zeit hatten, wieder in das Bewusstsein zurückzurufen. So intensiv auch eine gegenwärtige Empfindung sein mag, wenn sie den Blickpunkt des Bewusstseins einnimmt und eine mehr oder minder grosse Herrschaft auf das ganze Blickfeld ausübt, so nachhaltig und unvergänglich uns eine Gemüthsstimmung, ein Affect oder eine Leidenschaft erscheint in dem Augenblicke, wo sie den Grundton aller percipirten und appercipirten Vorstellungen bildet und ihnen eine charakteristische Färbung giebt, sodass wir Alles nur wie durch die von ihr gefärbten Brillengläser bald in rosigem Lichte, bald blutig roth, bald schwarz oder auch grau und nebelhaft erblicken, so behalten sie diese Intensität doch nur kurze Zeit. Die lebhafteste Freude, der quälendste Schmerz verringert sich mit der Zeit; die stärksten Vorstellungen treten vor neuen Eindrücken zurück und sinken unter die Schwelle des Bewusstseins in die Tiefe der Alles begrabenden Lethe. Der Inhalt des Bewusstseins ist in stetem Wechsel; die Vorstellungen, welche heute das Blickfeld desselben erfüllten, erfüllen es zum Theil schon morgen nicht mehr; im Verlauf einiger Zeit hat es sich ganz verändert, einen neuen Typus erhalten, und wir sehen aus ihm heraus, indem wir die neu hinzukommenden Vorstellungen zu den schon im Bewusstsein vorhandenen in Beziehung setzen, die Sachen mit ganz anderen Augen an als früher.

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Wie die Gedanken veränderlich sind, so auch die Gefühle. Hass, Liebe, Furcht, Schrecken, Hoffnung, alle Affecte und

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