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Capitel V.

Die Elemente des Traumes.

Den Inhalt der Träume bestimmt erstens die durch Anlage und die Summe aller vorangegangenen Eindrücke bedingte Individualität überhaupt, dann zum Theil die specielle Gedankenrichtung und Gefühlsdisposition vor dem Einschlafen und endlich die Art und der Ort gegenwärtiger Reize, welche den Traum entweder auslösen, oder in ihn eingreifen, ihn weiter und auf andere Bahnen leiten. Alles, was man gedacht, gewollt, gefühlt, überhaupt »erlebt hat, die Probleme, welche den Geist herausgefordert, die Stimmungen, Affecte und Leidenschaften, welche das Gemüth beherrscht haben, können im Traum wiederum emportauchen. Ferner machen sich oft die Thätigkeiten der Seele geltend, bei welchen sie vom Schlafe überrascht wurde; halbfertige Gedankenarbeiten und Willenspläne vollenden sich im Traume auf eine sonderbar phantastische Art, Gemüthsstimmungen und nur halb überwundene Erschütterungen klingen aus. Die Eindrücke, welche auf den Schläfer unmittelbar einwirken und Träume hervorbringen, sind verschiedener Art. Zuerst gehören hierher die äusseren der fünf Sinne, welche besonders im Morgentraum sich geltend machen und, obgleich nicht immer wirksam, doch nicht als Ausnahme zu betrachten sind, wie Schopenhauer sie ansieht 164). Die zweite Classe bilden die subjectiven Erregungen der Sinne, sowie die dem eignen Organismus entstammenden Muskelempfindungen und die mannigfachen Reize und Empfindungen, welche wir unter dem Namen »>Gemeingefühl« zusammenzufassen pflegen.

Von den fünf Sinnen ist der des Gesichts der Aussenwelt im Schlafe verschlossen und nur durch stärkere Einflüsse,

die in dem Dunkel der Nacht selten vorkommen, afficirbar. Am meisten sind noch die Strahlen des Vollmondes, wenn sie auf den Schläfer fallen, im Stande, diesem Traumvorstellungen hervorzurufen. So erzählt Krauss 165), dass er sich einst in seinem 27. Lebensjahr in einer verliebten Attitude überrascht habe, die Arme nach dem am gegenüberliegenden Fenster erscheinenden Bilde der fernen Geliebten ausgestreckt; beim Vollwachen bemerkte er, dass der Vollmond diese liebliche Gestalt war. Im folgenden Jahr, wo er den Wohnort gewechselt hatte und sein Gesundheitsgefühl etwas getrübt war, machte er wiederum eine interessante Beobachtung. >> Ein leichtsinniger Schreiber«, so erzählt er, hatte sich im Frühjahr 1835 in dem Oberamtsgerichtsgebäude zu M. erschossen. Die Furchtsamkeit, welche einen Bewohner dieses Gebäudes bestimmte, einige Zeit auswärts zu schlafen, wurde der Gegenstand des Witzes in heiterer Abendgesellschaft. Verf. war im jugendlichen Uebermuth so weit gegangen, dass er sich anbot, in der Bettstelle des Entleibten eine Nacht zuzubringen. Da jedoch niemand darauf bestand, verfügte er sich zu gewohnter Zeit, kaum etwas aufgeregter als sonst, nach Hause. Er mochte einige Stunden geschlafen haben, da erschien ihm der Selbstmörder, in ein weisses Leintuch gehüllt, hohen Wuchses und wankenden Schrittes vom Fenster her langsam dem Nachtlager zuschreitend. Also doch der Schreiber! war der erste Gedanke des Halbwachen; der zweite war: es ist ein Spuk, dem ein Ende gemacht werden muss. Ein entschlossenes Umwenden im Bette hatte auch diese Wirkung und der Spuk war im Momente enträthselt. Vor dem hohen Fenster des mittelalterlichen Gebäudes stand der Vollmond in strahlender Glorie. Der stark vibrirende Lichtreflex der Fensterscheiben hatte der erleuchteten Fläche den Schein der Bewegung gegeben, wozu sodann die Gestaltungskraft des Traumes die menschlichen Umrisse, das Leichentuch und die durch die Abendunterhaltung disponibel gewordene Persönlichkeit fügte«. Grösser als bei uns, wo solche Fälle im Ganzen selten vorkommen, mag der Einfluss des Mondes in südlichen und östlichen Gegenden, wie in Griechenland, am persischen Meerbusen u. s. w. sein, wo Diana alias Luna die Pfeile ihrer Strahlen mit solcher Schärfe versendet, dass Leute, welche im Freien schlafen und

auf deren Gesicht das volle Licht fällt, von Gesichtsrose, ja von vorübergehendem Wahnsinn befallen werden 166). Der Feuerschein der durch das Licht in Brand gerathenen Gardine verursachte einem Schlafenden das Traumbild einer grossen Feuersbrunst; erschrocken erwachte er, sah jetzt die Gefahr, in welcher er wirklich schwebte, und traf die geeigneten Vorkehrungen. Krauss sagt (S. 639), dass er hauptsächlich dann von Feuersbrunst geträumt habe, wenn er, des Genusses geistiger Getränke ungewohnt, solche vorher zu sich genommen. Es möchten also manche von den Träumen, welche, wie Schubert und Andere hervorhoben, auf äusserst wunderbare Weise Feuersbrünste schon lange vorher und in weiter Ferne verkündigten, auf sehr rationelle Weise sich erklären lassen. Scherner träumte, als einst früh zwischen 5 und 6 Uhr die Sonnenstrahlen auf den Schläfer fielen, von einem feurigen Drachen, welcher auf ihn zusprang. Plötzlich sah er den Drachen weichen; erwacht bemerkte er, dass die Sonne augenblicklich durch Wolken verdeckt war. Die auf den Schläfer fallenden Mond- und Sonnenstrahlen mögen besonders ein gutes Theil Material zu der Bildung der religiösen, engelgleichen, mit himmlischer Glorie umgebenen Lichtgestalten abgeben. Ein Nachtlicht wird, da es eine gleichmässige Wirkung während des ganzen Schlafes hat, weniger im Stande sein, Traumvorstellungen zu erwecken, wie dies ein plötzlich einfallender, nicht allzu greller Strahl thut; es hat aber jedenfalls Einfluss auf die Helligkeit des Traumraumes überhaupt. Starke Blitze bei Herannahung eines Gewitters pflegen das Erwachen herbeizuführen.

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Die Eindrücke des Gehörssinns haben nicht immer, wie Lazarus 167) meint, das Erwachen zur Folge, sondern werden bei gewisser Intensität, vorzüglich am Morgen zu Traumvorstellungen. Worte, Reden, die verschiedensten Töne und Geräusche von aussen das Summen der Insecten, die Stimmen der Vögel, der Glockenschlag u. s. w. rufen Associationen wach und bringen dadurch Bilder hervor, welche nach der Individualität, Beschäftigung und dem Beruf eines Jeden bestimmte Gestalt annehmen. Der in der Nähe eines rauschenden Stromes oder Wasserfalles Schlafende glaubt Kanonendonner zu hören. Ist man beim Anhören einer Rede einge

schlummert, so rufen die Worte des Redners entsprechende Träume wach; durch einzelne einwirkende Töne wird oft dem Schlafenden der Genuss eines Concertes verschafft, das in den meisten Fällen höchst harmonisch und anmuthig erscheint. Ein zur Erde fallendes Buch oder eine zugeschlagene Thür führt zur Vorstellung eines abgefeuerten Schusses, der sich dann die aller Einzelheiten eines Duells oder einer Schlachtenscene anreihen. Das Schnarchen des in demselben Zimmer Schlafenden wird wie das eigene zuweilen als das Tosen der Brandung oder eines Bergstroms vernommen. Das Plätschern des Regens wird, besonders wenn eine Reise beabsichtigt ist und die Aufmerksamkeit schon am Tage auf das Wetter gerichtet war, zur Ueberschwemmung, der mässige Wind, welcher um die Hausecke streicht, zum Sturm und Orkan. Die Glockentöne beim Schlagen der Uhren oder Früh-Läuten haben die ver– schiedensten Wirkungen. Dem oder der Liebenden rufen sie das Bild der Trauung, der Hochzeit und aller dazu gehörigen Scenen wach; der besorgte philisterhafte Hausvater vernimmt Sturmgeläute, woran sich die Vorstellungen von Feuersbrunsten und Revolutionen mit allen ihren Einzelheiten anreihen; der Melancholische hört die Todtenglocke und sieht, wie man einen Dahingeschiedenen zu Grabe trägt. Das Pochen an der Thür, in anderen Fällen sogar das Ticken der Uhr führt zu Hammeroder Axtschlägen mit den dazu gehörigen Bildern der Schmiede, der arbeitenden Holzhauer im Walde oder der Zimmerleute. Der krähende Hahn giebt das Motiv zu den mannigfachsten Vorstellungen. Die Stimme des Nachtwächters im Wachen schon für Viele ein Gegenstand des Schreckens kann dem Träumenden ganz fürchterliche Scenen verursachen; zuweilen verwandelt sich aber auch das Singen derselben in ein mehr oder minder liebliches Concert. Scherner wurde einst durch das Blasen des Postillons zu dem Traume veranlasst, dass er auf einem Spaziergange in Breslau fernen Choralgesang aus der Elisabethkirche vernähme. Solche Träume religiösen Inhalts, wo zuweilen selbst die Stimme Jehovahs vernommen wird, ruft oft bei Gewittern der mit nicht allzu grellen Blitzen verbundene Donner hervor, da der tiefrollende Ton des Donners an und für sich eine ernste Stimmung veranlasst. Maury war in seiner Kindheit in Folge starker Hitze eingeschlafen.

und träumte, dass man seinen Kopf auf einen Ambos lege und mit wiederholten Schlägen darauf hämmere. Er hörte im Traum sehr deutlich die schweren Hammerschläge, anstatt dass aber der Kopf dadurch in Stücke ging, zerschmolz er zu Wasser. Beim Erwachen fand sich Maury in Schweiss gebadet und hörte zugleich in einem benachbarten Hofe, wo ein Hufschmied wohnte, den Schall von wirklichen Hammerschlägen.

Auf diese Thatsache gestützt, dass von aussen kommende Gehörseindrücke zu Traumvorstellungen verarbeitet werden, haben schon Viele Versuche angestellt, durch leises Hineinrufen von Namen und einzelnen Worten in das Ohr eines Schlafenden demselben willkürlich Träume hervorzurufen. Scherner erwähnt einen Bericht des Dr. Abercombie, nach welchem einem englischen Officier von der Expedition nach Ludwigsburg im Jahre 1758 dessen Kameraden zur grossen Belustigung Aller jegliche Art von Träumen willkürlich hervorbringen konnten. Wenn ein bekannter Freund ihm einzelne auf ein Duell bezügliche Worte ins Ohr flüsterte, glaubte er alle Einzelheiten desselben zu durchleben; zuletzt drückte man ihm dann eine Pistole in die Hand, er feuerte ab und erwachte. Ein andres Mal spiegelte man ihm vor, er sei über Bord gefallen und forderte ihn auf, sich durch Schwimmen zu retten, worauf er dann alle Bewegungen des Schwimmens machte 168). Nudow bemerkt, dass man einen, der mit offenem Munde schlafe, dazu veranlasse, Schwimmbewegungen zu machen, wenn man ihm mit einem Schwamm Wasser in den Mund tröpfele. Wir werden nicht mit Scherner grosses Gewicht darauf legen, dass ein Freund es war, welcher dem Officier willkürlich Träume verursachen konnte, und nicht annehmen, dass diese durch den Gemüthsconnex und den »>Willensstrahl« des Wachenden, welcher auch Träume in die Ferne bewirke, hervorgerufen wurden. Die Empfindung des geflüsterten Wortes hebt die Association empor, ebenso wie ein im Wachen von uns ausgesprochenes Wort in dem Anderen eine Reihe von Vorstellungen erregt, deren Verlauf durch die weitere Unterhaltung geregelt und nach gewissen Punkten hingelenkt wird. Eines Morgens flüsterte ich einem meiner Freunde, als derselbe noch schlief, den Namen einer uns beiden bekannten Person ins Ohr, worauf er zwar von der Person, welche ich im Sinne hatte, nicht selbst, Radestock, Schlaf u. Traum.

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