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nicht haben, sind sie ihnen selbst ein Gesetz, damit dass sie beweisen, des Gesetzes Werk sei beschrieben in ihren Herzen, sintemal ihr Gewissen sie bezeugt, dazu auch die Gedanken, die sich unter einander verklagen oder entschuldigen Röm. 2, 14. 15. Dass diese Gottesstimmen unter den Heiden heilskräftige Berufungen zur Seligkeit bei Christi Erscheinung werden können, enthalten andere Stellen.

Johannes der Täufer warnt die Juden vor engherziger Selbstüberschätzung und setzt die Worte hinzu: Λέγω γὰρ ὑμῖν, ὅτι δύναται ὁ Θεὸς ἐκ τῶν λίθων τούτων ἐγεῖραι τέκνα τῷ ̓Αβραάμ. Ich sage euch: Gott vermay dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken. Matth. 3, 9.

Christus spricht über den Glauben des Römischen Hauptmanns von Kapernaum: ̓Αμὴν λέγω ὑμῖν, οὐδὲ ἐν τῷ Ἰσραὴλ τοσαύτην πίστιν εὗρον! Λέγω δὲ ὑμῖν, ὅτι πολλοὶ ἀπὸ ἀνατολῶν καὶ δυσμῶν ἥξουσι, καὶ ἀνακλιθήσονται μετὰ ̓Αβραὰμ καὶ Ἰσαὰκ καὶ Ἰακὼβ ἐν τῇ βασιλείᾳ τῶν οὐρανῶν.

Wahrlich ich

sage euch, solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden. Aber ich sage euch: Viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und mit Abraham und Isaak und Jacob im Himmelreich sitzen. Matth. 8, 10. 11.

Petrus aber sagte bei Gelegenheit der Bekehrung des Cornelius: Επ ̓ ἀληθείας καταλαμβάνομαι, ὅτι οὐκ ἔστι προσωπολήπτης ὁ Θεός, ἀλλ ̓ ἐν παντὶ ἔνει ὁ φοβούμενος αὐτὸν καὶ ἐργαζόμενος δικαιοσύνην δεκτὸς αὐτῷ ἐστιν. Nun erfahre ich mit der Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und Recht thut, der ist ihm angenehm. Ap. Gesch. 10, 34. 35.

Die alten Classiker ihrerseits erkennen diese Gottesstimmen unter sich in zahlreichen und erhebenden Stellen an. Ja wir können wohl mit Recht hinzufügen: sie erkennen sie in einzelnen begeisterten Naturen sowie im gewöhnlichen Leben, im Gewissen und Leben des Individuums sowie des Staates, in Natur und Geist weit mehr an, als dieses unsre jetzige Zeit thut. Davon zeugt der ganze religiöse Charakter, den fast alle ihre Einrichtungen nicht blos in Tempeln und auf Altären, sondern auch in Staat und Familie trugen. Was Paulus zu den Athenienser sagte: "Ανδρες Αθηναῖοι,

κατὰ πάντα ὡς

δεισιδαιμονεστέρους ὑμᾶς θεωρῶ. (Ihr Manner von Athen, ich sehe euch, dass ihr in allen Stücken allzu abergläubig [gottesfürchtig] seid. Ap. Gesch. 17, 22.), das lässt sich auf Griechen und Römer im Allgemeinen anwenden, wenn wir sie mit unserer Zeit vergleichen. Davon zeugen viele einzelne Stellen, die insonderheit diese göttliche Nähe und Einwirkung hervorheben. So Homer. Od. 2, 125. 'Ev otÝJeool Tideĩol Jeol. Die Götter geben es ins Herz.

Τὰ μέγιστα τῶν ἀγαθῶν ἡμῖν γίγνεται διὰ μανίας θείᾳ μέντοι Sóσel Sidoμévng. Die grössten Güter erhalten wir durch eine göttliche Begeisterung, die uns als ein Gottesgeschenk verliehen ist. Plato Phædr. 244 a.

Zeno sagte, dopoùs Jelous sival, die Weisen seien von Gott. Diog. Laert. VII, 1.

Poëta bonus nemo sine inflammatione animorum exsistere potest et sine quodam afflatu quasi furoris. Cic. de orat. II, 46. Nemo vir magnus sine aliquo afflatu divino unquam fuit. Ibid. 66; und irgendwo anders: In unoquoque virorum bonorum habitat deus.

Πᾶς ἐστι νόμος εὕρημα μὲν καὶ δῶρον θεῶν. Jedes Gesetz ist eine Erfindung und ein Geschenk Gottes. Demosth. contra Aristogn. 6, 774.

Βροτοῖς ἅπασιν ἡ συνείδησις θεός. Allen Sterblichen ist das Gewissen ein Gott. Poet. gnom. 139. (Weig.)

Sacer intra nos spiritus sedet, malorum bonorumque nostrorum observator et custos etc. Seneca ep. 41.

Cic. de rep. III, 22 beschreibt ausführlich diese Gottesstimme im Gewissen und ein Kirchenvater, Lactantius, urtheilt über diese schöne Stelle so: Hanc legem Tullius paene divina voce depinxit. Quis sacramentum dei sciens (i. e. Christianus) tam significanter enarrare legem dei possit, quam illam homo longe a veritatis notitia remotus expressit?

Doch wir enthalten uns hier weiterer Ausführung und verweisen auf unsre Sammlung selbst, auf die ,,göttlichen Offenbarungen an den Menschen" und auf andere diesem verwandte Capitel z. B. von,, Gottes Allgegenwart, Allwissenheit, Vorsehung, vom Menschen" etc. In diesem Betrachte dürfen wir sicherlich Christi Worte auf unsre Classiker anwenden:

,,Wahrlich solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden!" und die anderen an den Pharisäer: Du bist nicht fern vom Reiche Gottes." *)

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Die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte schätzten bei aller ihrer Entschiedenheit und der tiefen Verehrung, die sie für das Christenthum hatten, die alten Classiker und besonders die Griechischen Philosophen meistentheils nach Verdienst. Sie standen denselben wie äusserlich an Zeit und Ort und socialen Verhältnissen, so auch innerlich an Geistesbildung näher als unsre Zeitgenossen. Die unter ihnen verbreitete Ansicht vom Móyoç giebt schon ein Zeugniss dafür. Nach derselben war die Fülle der göttlichen Offenbarung allerdings erst durch den λóyos im fleischgewordenen Christus erschienen, allein vorher hatte sich Gott den Heiden im λóyos олεрμаτxćç geoffenbart und nach allen Seiten die Wahrheit strahlenweise verbreitet. So Justinus Ap. 2, 97: "Exaotóg τις ἀπὸ μέρους τοῦ σπερματικοῦ λόγου τὸ συγγενὲς ὁρῶν καλῶς épéysato. Indem ein jeder theilweise vom Logos spermaticos das Verwandte sah, redete er recht.

Derselbe Kirchenvater erklärt solche Heiden sogar für Christen: Καὶ οἱ μετὰ λόγου βιώσαντες χριστιανοί εἰσιν. Und die mit dem Logos lebten, sind Christen. Ap. 1, 17. Frühe bildete sich unter Juden und Christen die Ansicht aus, die Heiden hätten ihre schönsten Gedanken aus der Bibel. gestohlen. Κλέψαντες ταῦτα ἐκ τοῦ νόμου καὶ τῶν προφητῶν. Theoph. ad Ant. 2, 378. Man unterschied zwar die Philosophie in eine heidnisch-menschliche und christlich-göttliche, allein auch die erstere vergleicht Clemens Alexandrinus

*) Wo bietet sich denn also dem Homerischen Menschen eine untrügliche Erkenntnissquelle der Gottheit? etc. Antwort: Da wo dieselbe sich finden und erfahren lässt ohne die Mittelglieder, welche das Wissen von ihr nur unzuverlässig gemacht haben, d. h. in ihren Werken, in den Geschicken und Fügungen, in dem Gange der Ereignisse. Nägels b. Hom. Theol. S. 165.

Bei diesem allgemeinen Hellsehen, das sich für uns als der Culminationspunkt göttlicher Offenbarung an die Menschenwelt ergeben hat, ist für die Person des μávtis kraft der göttlichen Eingebung die Scheidewand zwischen göttlichem und menschlichem Wissen aufgehoben. Ebend. S. 165.

mit den aufwärts gehenden Stufen, welche in die oberen Gemächer führen.

Die folgenden Citate werden die Sache noch anschaulicher machen.

Clemens Alex. strom. I. sagt: Omnium enim bonorum Deus est causa, sed aliorum quidem principaliter, ut testamenti veteris et novi, aliorum autem per consequentiam, ut philosophiae. Forte autem principaliter tunc etiam Graecis data fuit, priusquam Dominus quoque Graecos vocasset. Nam ipse quoque Graecos paedagogi more ducebat, sicut lex Hebraeos, ad Christum. Praeparat ergo philosophia, viam faciens, quae a Christo perficitur.

Ferner sagt derselbe strom. lib. VI. Per philosophiam Omnipotens a Graecis gloria afficitur, und: Philosophiam Graecis veluti proprium datum esse testamentum, tanquam fundamentum Christianae philosophiae.

Paene universam veritatem per philosophorum sectas esse divisam; nullam quippe sectam fuisse tam deviam, nec philosophorum quenquam tam inanem, qui non viderit aliquid ex vero; ita ut si exstitisset aliquis, qui veritatem sparsam per singulos per sectasque diffusam colligeret in unum ac redigeret in corpus, a Christianis non sit dissensurus. Lactantius div. instit. VII, 6.

Quam ob rem si sermonum nostrorum ac gentilium est ulla convenientia, nobis illorum valde conferet notitia. Si minus, eos saltem simul conferendo differentiam discere licebit, cum ad melioris optionem atque delectum non parum comparatio faciat et inferiora saepe collata sint potioribus ornamento. Basilius M. ad adolesc.

Sicut Aegyptii non solum idola habebant et onera gravia, quae populus Iraëliticus detestaretur et fugeret, sed etiam vasa atque ornamenta de auro et argento et vestem, quae ille populus exiens de Aegypto sibi potius tanquam ad usum meliorem vindicavit: sic doctrinae omnes gentilium non solum simulacra et superstitiosa figmenta gravesque sarcinas supervacanei laboris habent, quae unusquisque nostrum duce Christo de societate gentilium exiens debet abominari atque vitare, sed etiam liberales disciplinas usui veritatis aptiores, et quaedam

morum praecepta utilissima continent, deque ipso uno Deo colendo nonnulla vera inveniuntur apud eos; quod eorum tanquam aurum et argentum, quod non ipsi instituerunt, sed de quibusdam quasi metallis divinae Providentiae, quae ubique infusa est, eruerunt, debet ab iis auferre Christianus ad usum iustum praedicandi evangelii. Augustin. de doctr. Christ. II, 40.

Ferner: Nam et ipsi gentiles si quid divinum et rectum in doctrinis suis habere potuerunt, non improbaverunt Sancti nostri. Id. de baptismo VI, 44.

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Besonders aber schätzte man Plato hoch. Nannte man ihn doch den attisirenden Moses. Τί γάρ ἐστι Πλάτων ἢ Mwoys άttixiswv; Clem. Alex. strom. 1, 251. Er beherrschte die Kirchenväter, und selbst die kirchlich strengsten unter ihnen konnten sich seinem Einflusse nicht entziehen. Wir übergehen Einzelnes und weisen nur nochmals auf Luthers geistigen Vater Augustin hin, von dessen tiefsinnigem Werke De civitate dei man gesagt hat (Mussmann, Grundriss der Gesch. der christl. Philosophie 1830):,, Es war die reifste Frucht der innigen Vereinigung christlicher und platonischer Weisheit." Viele derartige Beispiele von der Ansicht der Kirchenväter über die Alten im Allgemeinen, insonderheit über die Griechischen Philosophen hat Pfanner im Systema theol. gentil. purioris 1679 cap. I. besonders 6, Philosophiae apud patres ecclesiae auctoritas, gesammelt. Die Vergleichung, Durchdringung und auch der Kampf dieser beiden grössten Geistesmächte trugen nicht wenig zum tieferen Erfassen der christlichen Dogmen bei, und brachten der Kirche unverkennbaren Segen.

Auch im Mittelalter, wo das starre Formelwesen der Kirche vorherrschte, wo die Unkunde der alten Sprachen das Studium der Classiker erschwerte und oft ganz hemmte, waren dieselben nicht ohne Einfluss. Plato lebte noch in den tieferen Gemüthern, Aristoteles aber, welcher nun leitendes Princip wurde, musste selbst in mangelhaften Uebersetzungen und Verstümmelungen dazu dienen, die kirchlichen Satzungen dialektisch zu begründen.

Das Wiederaufleben der Classiker im 14., 15. und 16. Jahrhundert aber wurde der bedeutendste Hebel zur Hebung

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