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Namen nach noch ein teutsches Reich; in der That aber hatte sich dieses Reich in einen Staatenbund verwandelt, wenn auch das neue Grundgesetz noch einige Stiftungen oder Vermächtnisse der Vorzeit unangetastet gelassen hatte. Dem Namen nach, oder nach der Theorie des teutschen Staatsrechtes, war die landesfürstliche Gewalt der Gewalt des Kaisers und des Reichs untergeordnet; in der That aber und im Leben war sie, wenigstens in den größeren Reichsländern, eine selbstständige, eine von der Souverainetåt kaum zu unterscheidende Gewalt. Der dreißigjährige Krieg hatte nur zu laut die Lehre geprediget, daß die Ge walt der Waffen über das Schicksal der Staaten entscheide; und, auch nachdem der Friede wieder hergestellt worden war, verstummte das Geräusch der Waffen nicht sofort; es war Friede, aber nicht Ruhe; endlich minderte sich zwar die Fürcht, aber nicht das Mißtrauen. Bald kamen die Zeiten Ludwigs 14; neue Kriege brachen über Teutschland herein; von neuem machte man die Erfahrung: quam' fallax sit potentia non sua vi nixa.

Alles dieses hatte nun unmittelbar die Folge, daß sich, von den Zeiten des westphälischen Friedens an, die auswårtige Politik der teutschen Reichsfürsten, insbesondere die der mächtigeren, umgestaltete, und neu gestalten mußte. Die teutschen Fürsten betrachteten sich nicht mehr blos als Glie der des teutschen Reiches; ihr Blick ging weiter, er war auf den politischen Zustand von Europa überhaupt ge= richtet. Das neue Grundgesek, der westphälische Friede, hatte ihnen das Recht der Bündnisse verliehen; bald machten sie, ein Jeder in seinem Interesse, Gebrauch von diesem Rechte. Die Kriegskunst hatte schon in den vielen

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Kriegsjahren bedeutende Fortschritte gemacht, auch, nach wieder hergestelltem Frieden, ward sie mehr und mehr ver vollkommnet; man hatte mit der Befestigungskunst den Werth der Festungen besser kennen gelernt; schon hatte man den Anfang gemacht, auch in Friedenszeiten ein Heer, oder eine Anzahl Bewaffneter, zu unterhalten. Die teutschen Res gierungen konnten nicht zurück bleiben. Ein Bundesgenoffe ist nur dann willkommen, wenn er wohl gerüstet ist. Einige teutsche Länder (z. B. Bayern) waren wegen ihrer geogra phischen Lage noch besondern Gefahren ausgefeßt.

Allein mit dieser neuen Politik der teutschen Regierun gen stand nicht immer die Macht des Fürsten im Innern des Staates (oder des Landes) im Verhältnisse. Die Teutschen sind von jeher mit ihrem Blute verschwenderisch, mit ihrem Gelde dagegen haushälterisch gewesen. Eine Erinnerung an die Vorzeit (wenn auch nicht an die Zeiten des Varus,) vielleicht eine Sage, die sich im Volke erhalten hatte, machte sie auch jezt noch widerspenstig gegen neue Abgaben. Daher, als die Zeitumstånde den Fürsten die Nothwendigkeit auferlegten, neue Opfer von ihren Unterthanen zu fordern, traten dieser Forderung fast überall herkömmliche Vorrechte, oder Verträge, oder die Unwillfährigkeit der Landstånde, entgegen.

Um diesen Widerstand zu beseitigen, nahmen die Fürsten und Stände zur Reichsgesetzgebung ihre Zuflucht. Reichssteuern, d. i. Steuern, welche ein Reichsgeseß den gesammten Fürsten und Stånden und deren Unterthanen zum Besten des Reiches, z. B. zur Führung eines Reichskrieges, auferlegte, waren schon seit lange in Gebrauch *). Es kam *) Die chursächsischen Landstände hatten von einer eigenen Vorsichts.

also nur darauf an, die neuen Bedürfnisse der Regierungen den, im Interesse des gesammten Reiches nothwendigen, Ausgaben geseßlich gleichzustellen. Und die Analogie zwi= schen beiden, welche für diese Gleichstellung sprach, war wenigstens infofern treffend oder scheinbar genug, als die neuen Bedürfnisse der Regierungen die Kriegsverfassung eines jeden einzelnen Landes zum Gegenstande hatten. Denn, konnte ein Reichskrieg mit Erfolg geführt werden, wenn nicht ein jeder einzelne Reichsfürst schon im Voraus zum Angriffe und zur Vertheidigung wohl gerüstet und gewaffnet war?

Es ward also in dem berühmten Reichsabschiede vom Jahre 1654. §. 180 festgesetzt:

„Gleichwie dieses hochangelegene Werk (die Erhaltung - des Landfriedens im teutschen Reiche nach Maasgabe der Executionsordnung vom Jahre 1555) zu allgemeiner Wohlfahrt und des heiligen Reichs beständigem Ruhestande zieles, wovon kein Churfürft oder Stand, noch desselben Unterthanen zu erimiren; also soll auf den Fall sich Je mand obbesagter Executionsordnung widersehen und an unsern kaiserlichen Reichshofrath oder kaiserlichen Kammergericht einigerley Proceß dargegen zu suchen sich gelüsten lassen würde, ein solcher keinesweges angehört, sondern a limine judicii ab und zu schuldiger Parition angewiefen werden, in dessen Entstehung aber noch laut der Erecutionsordnung wider denselben zu verfahren erlaubt und freygelassen, und hiervon einiger Immediat- oder Mediatstand, Stadt, Landsaß und Unterthan nicht ausge

maasregel Gebrauch gemacht. Sie bewilligten die Steuern nur unter der Bedingung, daß, so lange die Bewilligung stehe, der Churfürst alle Reichssteuern allein trage.

nommen seyn; sonderlich aber sollen jedes Churs fürsten und Standes Landsassen, Unterthanen und Bürger zu Beseh- und Erhaltung der einem oder andern Reichsstande zugehörigen nöthigen Vestungen, Plåße und Guarnisonen ihren Landesfürsten, Herrschaften und Obern mit hülflichem Beytrage gehorsamlich an Hand zu gehen schuldig seyn.“

So ward also durch den Reichsabschied vom Jahre 1654 an die Steuerpflichtigkeit der Unterthanen zur Erhaltung des innern Friedens die zur Sicherung des äußern Friedens geknüpft. Doch ward die leßtere Unterthanenpflicht damals nur sehr schwankend und unbestimmt ausgesprochen. Eben deswegen aber konnte der §. 180 (zu Ende) den Bedürf nissen und Absichten der Regierungen keinesweges Genügeleisten. Sehr bald kam daher die Sache oder, wie man sich ausdrückte, die Extension des §. 180 - von neuem zur Sprache; besonders (denn ich übergehe einige minder bedeutende Zwischenverhandlungen) im Jahre 1670. In diesem Jahre wurden auf dem Reichstage (welcher der ims merwährende ward) zuerst im Fürstenrathe die Verhandlun gen über die Steuerpflichtigkeit der Unterthanen zur „Landesdefensionsverfassung“ wieder aufgenommen und fortgesezt.

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An der Spize der Fürsten, welche diese Angelegenheit damals von neuem in Unregung brachten und betrieben (sie selbst nannten sich die Interessenten"), stand Bayern. Das Haus Bayern war durch den westphälischen Frieden in dem Besize der, ihm während des Krieges verliehenen, Chur würde bestätiget worden; die Regierung hatte in den Kriegsjahren Gelegenheit genug gehabt, ihre, in mehr als einer

Hinsicht eigenthümliche, Stellung gegen das Ausland genau kennen zu lernen; alles dieses aber mußte dem Fürsten die Hemmnisse doppelt fühlbar machen, welche die Landesverfassung seiner Macht, und namentlich dem Besteuerungsrechte, sette. Bayerns Antrag auf Ausdehnung des §. 180 des Reichsabschiedes vom Jahre 1654 fand im Allgemeinen, oder was die qu. an. betraf, keinen Widerspruch. Desto mehr und desto lebhafter ward über den Umfang der, dem §. zu gebenden, Ausdehnung gestritten. Besonders im Fürstenrathe, in welchem zwei Parteien hervortraten, eine heftigere und eine gemäßigtere. An der Spiße der erstern stand Bayern, welches sogar mit Zurückhaltung einer jeden, dem Reiche zu leistenden, Hülfe, so wie mit Ausübung des, den Reichsstånden durch den westphälischen Frieden zugesicherten, juris collectandi nach eigenem Ermessen drohte. Zu der lehtern Partei gehörte z. B. Oestreich. (Die damaligen Abstimmungen sind durch ihre Fassung ein tref= fendes Bild jener halb lateinisch, halb französisch-teutschen Zeit. So lautet es z. B. in einer Abstimmung des Halberstädtischen Gesandten so: „Die Ursach, so Ihn zu Ablesung der Formalien seiner Instruction [so Er nicht eben gerne gethan,] bewogen, seye diese: Daß, nach vorgestern geendigter Umfrage, sich ein paar Gesandten, die Er doch freundlich und bescheidentlich meyne, darüber formalisirt, daß er sich mit dem bayerischen Voto, oder abgelesenen Project, was die ipsissima verba betreffe, nicht conformiret, auch, [welches Er jedoch denen primis motibus zuschreibe, oder calori iracundiae imputire,] so viel Er verstanden, gesagt: Man wolle, was Er gethan, berichten, seine Instruction seye Ihnen bekannt, Ihn anklagen, expresse

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