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I. Litteraturgeschichtlicher Überblick.

Wenn man jene Entwicklung der dramatischen Dichtung in England verfolgt, die in Shakespeare ihren Höhepunkt findet und deren Nachblüte noch weit in die Stuart-Zeit hineinreicht, so ist in der Auswahl der behandelten Stoffe und bei der Verwendung der dramatischen Kunstmittel eine Vorliebe für das Übernatürliche und Mythische, für die Höllenmächte wie für die Zauber- und Geisterwelt nicht zu verkennen. Gelegentlich einer Besprechung der von Albr. Wagner besorgten Tempest-Ausgabe hat H. Anders im Archiv für das Studium der neueren Sprachen1) eine 31 Dramen dieser Art umfassende Aufzählung, die sich leicht erweitern liesse, gegeben. In einem Teile der dort aufgeführten Bühnenwerke haben sich die Teufel in erster Linie die Herrschaft selbst vorbehalten, bei einem weiteren wirken sie mit den Zauberern im Bunde und in den übrigen treiben sie, unterstützt durch die Hexenkünste, ihr Unwesen. Wann und von wem die Hexen zuerst auf die englische Bühne gebracht wurden, hat mit Bestimmtheit bislang nicht nachgewiesen werden können. Ohne Zweifel hat das Erscheinen des grossen Hexenbuches von Reginald Scot, The Great Discoverie of Witchcraft etc. im Jahre 1584 und der Daemonologie König Jakobs des Ersten im Jahre 1597, die 1616 vom Bischof von Winchester neu herausgegeben wurde, auf die Hexenstücke jener Zeit, in welcher der Glaube an Hexen noch grösstenteils Gemeingut des Volkes war, beeinflussend gewirkt. Bei dreien. solcher Dramen »The Masque of Queens« von Ben Jonson, Shakespeares Macbeth und der Thomas Middleton zugeschriebenen Tragikomödie »the Witch« ist der Streit über die Zeit ihrer Entstehung und die daraus sich ergebenden Beziehungen der Ab

1) Arch. f. d. St. d. n. Sp. 1901. N. F. Bd. 7. Heft 1/2, pg. 182 ff.

hängigkeit noch unter dem Richter.) Als Abfassungszeit kom
für die erwähnten Dramen die Jahre 1609 10 bezw. 1604
in Betracht. Daher ist The Witch of Islington', die noch
1597 entstanden sein muss und schon im Jahre 1597 von
Lord Admiral's men der Hensloweschen Theatergesellschaft a
geführt wurde, sicher als das älteste englische Drama mit Hex
anzusehen.

Nachdem der gelehrte Ben Jonson in The Masque
Queens unter der Benutzung der Vorstellungen von unheilbringe
den und teuflischen Wesen des Altertums und des abergläubisch
Mittelalters elf Maskenspieler in Hexengestalt mit ihrer Meisteri
der unheimlichen Hecate, als die Verkörperung des Bösen ei
geführt hatte. brachte er in dem verloren gegangenen Masker
spiel The May-Lord' und in The Sad Shepherd' wieder Hexe
auf die Bühne.

In den Quellen des weltlichen Dramas vor Shakespeare
(Strassburg 1898, Einleitung C XIX) weist Alois Brand1 auf
einen kulturgeschichtlichen Zusammenhang in Shakespeares Mac-
beth und jenen eingangs dieser Arbeit geschilderten Dramen hin.
indem er in Shakespeares Hexen eine Auffrischung oder Weiter-
entwicklung der Vorstellung jener Zauberer sieht, denen manch-
mal die Entwirrung, häufiger die Knüpfung oder weitere Ver-
wirrung der Intrigue aufgeladen wurde."

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Für Macbeth vermag ich mit Morsbach a. a. O. mich dieser Ansicht Brandls nicht anzuschliessen; denn das Motiv und die Darstellungsweise der Schicksalsschwestern (weird sisters) wird Shakespeare doch seiner Quelle Holinshead entnommen haben, wenn er auch die Quellenangaben im Sinne des damaligen Hexenglaubens umgeprägt hat, wobei ihm verwandte Vorstellungen aus der klassischen Götter- und Geisterwelt mit unterliefen.

Für die weitere Verwendung des Hexenglaubens in anderen Stücken Shakespeares sowohl wie in den übrigen Hexendramen der Stuart-Zeit wird Brandls Hinweis seine Geltung haben.

1) Vgl. L. Morsbach in den Nachträgen der Shakespeare-Vorträge von Fr. Th. Vischer S. 287 ff. Stuttgart 1900 und Herford im Dict. of. Nat. Biogr. XXXVII, S. 362.

Die Darstellung der Jungfrau von Orleans in Shakespeares Heinrich VI, erster Teil, als Hexe nimmt bei der damaligen Zeitanschauung in England, die über die Erzfeindin der Engländer allgemein verbreitet war, kein Wunder. In Heinrich VI, zweiter Teil, erscheint dann die Hexe Grete Jourdain, und in The Merry Wives of Windsor liefert Shakespeare durch den Auftritt, in dem Falstaff in der Verkleidung als Hexe allen Nachstellungen entgeht, einen weiteren Beleg für seine Vertrautheit mit dem Hexenwesen seiner Zeit.

Für das Jahr 1623 ist die Entstehung des Stückes 'The Witch Traveller' (nach Halliwell The Welsh Traveller) anzusetzen. Während in den bisher genannten Dramen die Hexen im Sinne Brandls wesentlich als dramaturgische Darstellungsmittel eingeführt worden sind, werden sie in 'The Late Lancashire Witches' von Thomas Heywood und Richard Brome und in 'The Witch of Edmonton' by Rowley, Dekker, Ford etc. die charakteristischen Hauptfiguren dieser Dramen, was dadurch erklärlich wird, dass in beiden die Dramatisierung eines geschichtlichen Hexenprozesses vorliegt.

Ob wir für die Erstaufführung der 'Late Lancashire Witches' im Globe Theatre zu London das Jahr 1615 oder erst 1634 annehmen, muss sich durch die Quellenangabe entscheiden lassen. Denn wahrscheinlich haben die Verfaser neben einem früheren Stücke von Thomas Pott, 'The Wonderful Discovery Of Witches In The Counties Of Laucaster' (1613), dem ein Drama aus dem wirklichen Leben zu Grunde liegt, die Prozessaussagen eines 1613 der Hexerei beschuldigten Opfers verwertet.

In 'The Witch Of Edmonton', deren Entstehung in das Jahr 1621 (Fleay sagt genauer Sommer 1621) zu setzen ist, haben wir ohne jeden Zweifel die Dramatisierung des Hexenprozesses gegen Elizabeth Sawyer, die am 17. April 1621 zu Newgate hingerichtet wurde, zu erblicken.

Der Zweck der vorliegenden Arbeit ist nun, das Verhältuis des Dramas zu seiner Quelle, einer Flugschrift des Gefängnisgeistlichen Henry Goodcole zu behandeln.

II. Die Quelle.

The Witch of Edmonton von Rowley, Dekker, Ford etc. die wahrscheinlich schon 1623 gespielt wurde, ist erst 1658 in einer Quartausgabe veröffentlicht worden, welche auf dem Titelblatt den Zusatz trägt: A true known history. Die Bemühungen seitens der Herausgeber der beiden ersten Auflagen der Werke Fords 18271, 1869, W. Gifford und Alex. Dyce, die geschichtliche Vorlage aufzufinden, waren nicht allzu erfolgreich. Sie ermittelten aus Caulfield's volkstümlicher Sammlung von Portraits, Memoirs, and Characters of Remarkable Persons 1794 nur den Titel der Quellenschrift, die 1621 in London gedruckt worden war, und in der eine Elizabeth Sawyer erwähnt wird, welche im Jahre 1621 wegen Hexerei hingerichtet wurde. Daneben fand Dyce in Robinsons Geschichte und Denkwürdigkeiten des Kirchspiels Edmonton über die gesuchte Persönlichkeit nachstehende Angaben: Mother Sawyer the Witch of Edmonton. Elizabeth Sawyer was a poor woman that in the superstitious reign of James the First probably incurred the displeasure of some more potent neighbour, who, having no just cause of complaint to allege against her, accused her of witchcraft; a crime. that, of all others was at this period most dreaded: very little time was allowed between the accusation, condemnation, and death of a suspected witch; and if a voluntary confession was wanting; they never failed extorting a forced one by tormenting the suspected person. Neuerdings ist die Flugschrift des Geistlichen aus dem Jahre 1621, welche den Dramatikern den Stoff zu ihrem Stücke geliefert hat,1) wiedergefunden und in der von A. H. B(ullen) mit Zusätzen versehenen Neuausgabe der Werke Fords London 1895 im 1. Bande S. LXXXI bis CVII abgedruckt worden. Ihr vollständiger Titel lautet: The Wonderfull Discoverie of Elizabeth Sawyer A Witch, Late Of Edmonton, Her Conviction And Condemnation And Death. Together With The Relation Of The Divels Accesse To Her, And Their Conference Together. Written by Henry Goodcole, Minister of the Word of God, And Her Continual Visiter In The Gaole of Newgate. Published By Authority.

1) Vgl. Köppels Quellenstudien über John Ford. Weiter unten genau zitiert.

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