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GENERAL

Aus der Vorrede zur ersten Auflage.

ΑΙ

1876 MAIN

Die Elegie ist diejenige Dichtungsgattung, in welcher die römische Literatur der klassischen Zeit - neben den unsterblichen Werken des Vergil und Horaz etwas absolut Gültiges geleistet hat. Wenn es nun richtig ist, dass das Beste grade für die Jugend gut genug sei, so bedarf die vorliegende Auswal römischer Elegien an sich keiner Rechtfertigung. Denn dass es nicht möglich sei, die elegischen Autoren ganz den Schülern in die Hände zu geben, wird jeder, der sie kennt, von vornherein einräumen. Es ist nun aber die Auswal so getroffen, dass aus denjenigen Stücken, die überhaupt nur in Frage kommen konnten, solche ausgewält sind, die bei einem gewissen konkreten Inhalt auch die besondere Art des Dichters zu veranschaulichen dienen konnten.

Um indessen auch von einer ich möchte sagen negativen Seite her den Schüler zu einer recht klaren Erkenntnis des aidos des ¿λɛyos zu füren, schien es zweckmässig, auch einige Stücke, welche keine Elegien sind, sondern nur das eine oder das andere Merkmal der Elegie an sich tragen, aufzunehmen. Denn wenn Fr. Schlegel Recht hat zu sagen, dass die Elegie aus dem menschlichen Gemüt hervorgegangen sei, und Böckh das Wesen der Elegie in das nos zu setzen, und wenn nach dem Beispiel der Alten das Distichon die notwendige Form der Elegie ist: so sind z. B. manche Stücke aus den Fasti des Ovid, obgleich in Distichen geschrieben, keine Elegien; eben so wenig wie die herrliche vergilische Episode oder mehrere (lyrische) Stücke des Catull, wenngleich gewiss os darin ist, zu den Elegien gerechnet werden dürfen. Auch die Klage Ariadnes von Catull ist nicht elegisch, denn die Klage an sich macht keine Elegie, wenigstens nicht im strengeren Sinne der Alten. So, denke ich, sollen grade diese Stücke durch ihre Unänlichkeit bei aller Änlichkeit dazu dienen, das Wesen der Elegie in ein noch klareres Licht zu stellen.

Am befremdlichsten mag auch so noch die vergilische Episode manchem erscheinen, da sie nicht einmal von einem sonst elegischen Dichter herrürt. Indess ausser ihrer ganzen Färbung liegt in dem iniqunva, welches die gemütvolle Teilname des Dichters an seinem Stoffe ausspricht, eine Begründung des Anspruchs in eine elegische Sammlung, welche sich freiere Grenzen setzt, aufgenommen zu werden. Aber, könnte man einwenden, wird sie nicht in der regelmässigen Vergillectüre widerkehren? Nach Ausweis der Programme bewegt sich die Klassenlektüre überwiegend innerhalb der ersten sechs Bücher der Aeneis und mit Recht. So ist vielmehr zu fürchten, dass Nisus und Euryalus für viele

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Sekundaner ganz verloren gehen. Darum glaubte ich dem geäusserten Wunsche nachgeben zu dürfen, jene Stelle wenigstens als Anhang der Auswal hinzuzufügen, und so dem Schüler meinethalben zu erhalten.

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Ich habe oft bei der Erklärung des Horaz den Wunsch gehabt, dass die Schüler die Elegiker kennen möchten. Denn in manchem Betracht lässt sich dem Horaz eine hellere Beleuchtung geben, wenn man ihn den Schülern unter den Mitstrebenden seines Zeitalters zeigt oder auch nur bei einzelnen Stellen oder ganzen Oden für die Sermonen gilt es viel weniger die Auffassung desselben Verhältnisses oder Ereignisses oder persönlichen Momentes bei seinen poetischen Genossen vergleichen kann: ich erinnere als an ein recht sprechendes Beispiel an die Auffassung des Sieges von Actium und des Todes der Cleopatra bei Horaz und Properz. Allein Properz und die andern Zeitgenossen sind dem Primaner leere Namen.

Wie leicht könnte da die Privatlektüre nachhelfen? Damit ist der eine Zweck dieser Auswal bezeichnet und zugleich erklärt, warum in den Anmerkungen gern und oft an Horaz erinnert ist. Natürlich lassen sich diese Reminiscenzen leicht vermehren — ja ein ordentlicher Primaner wird es selbst schon können. Es sollen auch nur gelegentliche Aufmunterungen sein.

Noch besser wäre es freilich, wenn sich in der poetischen Schullektüre Platz für die Elegie gewinnen liesse. Ich denke, wenn ich dies sage, daran, dass zwei Jare für die Metamorphosen des Ovid überaus reichlich sind vielleicht auch für Vergil. Zudem ist der Sprung sehr gross, den der Tertianer von seinem Ovid zum Vergil in Secunda bei der Versetzung machen muss. Da könnte die Auswal wol als Brücke dienen. Die Unterbrechung der sonst vierjarigen epischen Lektüre durch Elegisches würde von vornherein das Interesse anregen. Zudem fült sich der Schüler diejenige Periode des römischen Altertums, mit welcher er sich am meisten zu beschäftigen hat, menschlich näher gebracht. Denn es liegt im Wesen der Elegie, dass sie die Teilname des Gemütes anspricht.

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Diese zwiefache Aufgabe der Auswal hat auf die Einrichtung der Erklärung massgebend eingewirkt. Sprachliche Erläuterungen sind im allgemeinen nicht gegeben, ausser etwa ein seltner Wink für das Verständnis besonders schwieriger Stellen. Dagegen sind die litterarischen, historischen, geographischen und, wo es not tat, antiquarischen Beziehungen teils in Einleitungen, teils in Anmerkungen erläutert. Was ein ordentliches Schullexicon genügend bietet, ist selbstverständlich weggelassen. Dabei habe ich versucht, die Anmerkungen möglichst so einzurichten, dass nicht gleich dem Schüler alles mundrecht gemacht würde, sondern dass aus demjenigen Autor, der das Material zur Erklärung bietet, nur die betreffende Stelle selbst unter den Text gesetzt ist, wenn nicht be

stimmte Gründe dagegen sprachen. Bloss citirt sind in der Regel nur diejenigen Schriftsteller, welche ein Schüler selber besitzen muss. So wird dem Schüler zugemutet, sich auf die Anmerkungen auch zu präpariren: aber ich hoffe, das nützt ihm mehr, als wenn ihm durch Anmerkungen Arbeit und Nachdenken gar zu sehr erspart wird. Ein solcher Kommentar kann nicht die Absicht haben, die Erklärung des Lehrers überflüssig zu machen. Er will nur im Interesse der Koncentrirung und Intensität des Unterrichts helfen, dass der Lehrer nicht immer durch die Erklärung der Sachen aufgehalten werde: denn eine rechte Erklärung, zumal eines Gedichtes, hat besseres zu tun.

Zur zweiten Auflage.

Die Beurteilungen, welche die erste Auflage teils in Zeitschriften, teils brieflich erfaren hat, sprechen sich zu dem Plane der Auswal wie zu dem Standpunkte, auf welchen die Erklärung sich stellt, alle bis auf eine - zustimmend aus. Hervorzuheben ist unter diesen die freundliche Recension des Literarischen Centralblattes von Zarncke 1871, No. 20 S. 512. Nur die Zeitschrift für das Gymnasial-Wesen (1875, Februar S. 69) verlangt noch mehr Stücke aus Catull für Prima und wundert sich über die Auslassung von etlichen einzelnen Versen, von denen ich besorgte, dass sie den Schüler von der Hauptsache abziehen würden. Zu jenem Verlangen aber kommt sie, indem sie für die Auswal einen andern Zweck substituirt, als ich ihr bestimmt habe.

Demgemäss ist die Anlage des Buches im wesentlichen unverändert geblieben. Nur ein Gedicht von Catull (No. 70) ist neu hinzugekommen, um diesen genialsten Dichter Roms vonseiten seiner Originalität noch heller zu beleuchten.

Dagegen ist für die schwierigeren Stücke der Sammlung zumal die des Properz der Kommentar in etwas, besonders auch nach der sprachlichen Seite hin, erweitert worden, um eine raschere Lektüre dieser Stücke zu vermitteln.

Für die Textgestaltung der Stücke aus Catull sind durchgehends die Arbeiten von Mähly und Peiper verglichen.

So möge denn von neuem dieser Versuch, der römischen Elegie in unsern Schulen eine festere Stätte, wie sie dem Werte der Dichter entspricht, zu gewinnen, der wolwollenden Nachsicht der Amtsgenossen empfolen sein. Für diesen Zweck das Buch immer geschickter zu gestalten, haben die Herren Directoren Meyer in Parchim, Stier in Zerbst und Herr Oberlehrer Mehmel in Kiel die Güte gehabt, durch Beiträge mich zu unterstützen: geziemendermassen sage ich denselben auch an dieser Stelle dafür meinen herzlichen Dank.

Potsdam, den 23. Juni 1876.

V.

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