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einer giftigen Seuche weggerafft. Kurz vor ihrem Ende wurde sie, obwohl sie stets eine gottliebende Seele war, von einer heftigen Angst und Anfechtung ergriffen, die sich dann aber in himmlische Freude auflöste, so daß sie ausrief: Wer kann uns scheiden von der Liebe Gottes ?" Darauf tröstete sie ihre Hinterbliebenen und bat sie, ihr leztes Bettlein mit Blumen fröhlich zu zieren und den schönsten Siegeskranz auf ihr Haupt zu sehen, als gienge sie zum Tanze. Dieses Bild seiner Schwester mag Thilo wohl bei B. 3 seines Lieds vor Augen geschwebt sein. Er sagte einst selbst, er könne sie sein Leben lang nicht vergessen und habe sie allezeit im Gedächtniß.

Dieser V. 3 als der Mittelpunkt des Liedes ist einem berühmten Landsmann Thilo's, Johann Georg Hamann, hundert Jahre später besonders wichtig gewesen. Denn er schreibt seinem Sohn 10. Dez. 1784: Vergiß nicht, dich auch bei gegenwärtiger Zeit derjenigen Verschen zu erinern, welche du in deiner Kindheit gelernt hast: Ein Herz, das Demuth liebet! und: Kindlein, wir erkennen, daß du der Heiland bist! Laß diese Wahrheit dir niemals alt noch kalt werden, sondern dir gleich einem verborgenen Schah im Acker sein, Anfang und Fülle aller Erkenntniß und Weisheit. Sonst ,verdirbt alle Zeit, die wir zubringen auf Erden. Wenn alle Stricke reißen, das hält ewig. Hör und glaube, was dir dein alter Vater aus doppelter Erfahrung sagt!" (Poel, H. Leben. Hamburg 1874.) Das Lied schließt mit V. 4 also:

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Das war Johannis Stimme,
Das war Johannis Lehr:
Gott strafet den mit Grimme,
Der ihm nicht gibt Gehör.

O Herr Gott, mach auch mich
Zu deines Kindes Krippen;
So sollen meine Lippen
Mit Ruhm erheben dich.

Dieser Vers erschien in späteren G.G., namentlich auch im Frl. G. vom Jahr 1704, in folgender Umgestaltung, welche dem Lied einen harmonischeren Abschluß gibt:

Ach mache du mich Armen
Zu dieser heilgen Zeit

Aus Güte und Erbarmen,

Herr Jesu, selbst bereit!

Zeuch in mein Herz hinein

Bom Stall und von der Krippen,
So werden Herz und Lippen

Dir allzeit dankbar sein!

Zur Melodie vgl.: Von Gott will ich nicht lassen. Im 1. Thl. des Frl. G.'s findet sich eine eigene Melodie: cccchhh.

3. Nun jauchzet all, ihr Frommen.

Adventliedlein des Conrektors Michael Schirmer in Berlin (1606-1673), erschienen in Crügers Newem vollkömmlichem Gesangbuch Augsb. Confession. Berlin 1640."

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Bei Schirmer ist der Aufruf: „Nun jauchzet, all ihr Frommen!" aus der Tiefe des Herzens im Kreuze gekommen. Die Zeit, in der dies Lied ihm zu Theil wurde, war eine „böse Zeit“ V. 5. Die Mark Brandenburg war ausgesaugt, von der Pest aufs grauen

hafteste verwüstet, von den Schweden feindlich überzogen und gebrandschaßt. Es galt damals wirklich zu rufen:

Ihr Armen und Elenden

In dieser bösen Zeit,
Die ihr an allen Enden
Müßt haben Angst und Leid:

Seid dennoch wohlgemuth!

Laßt eure Lieder klingen
Und thut dem König singen:
Der ist eur höchstes Gut!

Damals war er noch wohlgemuth. Kaum zum Subrektor an dem Gymnasium zum grauen Kloster berufen, wurde er 1637 zum Dichter gekrönt und ließ fröhlich seine wohllautenden und kräftigen Lieder flingen. Zehn Jahre hernach stands anders. 1644-49 wurde der Vers erst recht auf ihn angewendet. Es überfiel ihn eine schwere Nervenstörung und eine heftige geistliche Anfechtung, von der er selbst sagt: „Ich lag in Noth umstrickt mit eisenfesten Banden." Da war Angst und Leid“, „Klag und Weinen“, so daß er sich hernach den deutschen Hiob" nannte. Aber ob auch nach der Errettungszeit noch manche schwere Schläge ihn bis an's Ende trafen, so konnte ers doch nicht lassen, seinem „König zu singen“, und V. 6 in Übung zu sehen. Er hatte seine Lampe fertig, als er am 8. Mai 1673 unter Lampenschein feierlichst zu Grabe bestattet wurde.

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Die Melodie ist: Aus meines Herzens Grunde. In Johann Crügers geistlichen Liedern" 1653 findet sich hiezu eine eigene Melodie: g ha h cis a h, die in Norddeutschland noch vorkommt.

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4. Auf, auf, ihr Reichsgenossen!

Aus Johann Rists (1607-1667), Pfarrers zu Wedel an der Elbe bei Hamburg, Sabbatischer Seelenlust 1651."

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Eine der Perlen aus seiner Liederfülle, auf welche man das Wort anwenden darf: „Wo kämen Davids Psalmen her, wenn er nicht auch versuchet wär?" oder seinen eigenen Ausspruch: „viele Lieder hat mir das liebe Kreuz ausgepreßt."

V. 2. Zu den betrübten Herzen" gehört auch der Sänger, der in seiner zarten Jugend schon mit Anfechtungen geplagt war und sich gegen Satans Grimm meist mit dem 91. Psalm wehren lernte.

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V. 4. Seine Predigtthätigkeit wendete er besonders gegen die frechen Sünder", denn er erklärte, es seien in seiner Gemeinde kaum zwei Fremdlinge mit irrigen Lehren, viele aber mit einem sündhaften Leben."

V. 6. Einen tiefen Einblick in die Noth jener Zeiten gibt dieser Vers:

Und wenn gleich Krieg und Flammen
Uns alles rauben hin:

Geduld! weil ihm zusammen

Gehört doch der Gewinn.

Wenn gleich ein früher Tod
Die Kinder uns genommen:
Wohlan! so sind sie kommen
Ins Leben aus der Noth.

Die strengsten Nothzeiten folgten aber erst nach, im Jahr 1644 und 1658, wo ihm vor den plündernden Polen und Schweden „nicht

eine einzige Hühnerfeder übrig geblieben"; und wo er trog aller Dichterlorbeeren immer mehr lernen konnte, nach unsrem Lied „den Heiland zu begrüßen, der alles Kreuz versüßen und uns erlösen fann." B. 10.

Melodie: Aus meines Herzens Grunde.

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5. Warum willt du draußen stehen?

Von Paulus Gerhardt, dem edelsten Liedersänger unsrer Kirche (1606-1676). Erschien zuerst in dem sogenannten Rungeschen Gefangbuch „Dr. M. Luthers und anderer vornehmen, geistreichen und gelehrten Männer Geistliche Lieder und Psalmen." Berlin 1653, und ist wohl während des Pfarramts in Mittenwalde entstanden.

V. 1 beginnt das Lied mit einer trefflichen biblischen Erinnerung, da Laban 1 Mos. 24, 31 dem Elieser zuruft: „Komm herein, du Gesegneter des Herrn, warum stehest du draußen ?"

V. 4 und 5 finden sich die herrlichsten Gegensätze, die der Glaube stellt, um über sie hinwegzuschreiten zur Gemeinschaft dessen, der uns die ganze Welt erseßen kann. V. 5 ist ein Lieblingsvers des gesegneten Stiftspredigers, Prälaten Dr. Kapff zu Stuttgart, in seinen Predigten:

In der Welt ist alles nichtig,
Nichts ist, das nicht kraftlos wär:
Hab ich Hoheit, die ist flüchtig;
Hab ich Reichthum, was ist's mehr

Denn ein Stücklein armer Erd?
Hab ich Lust, was ist sie werth?
Was ist's, das mich heut erfreue,
Das mir morgen nicht gereue?

Es klingt dieser Vers mit seinem Anzweifeln irdischer Herrlichkeit wider in dem Worte Hillers und wird durch ihn ergänzt:

Hier ist Ehre, aber nichtig;
Hier sind Schäße, aber klein;
Hier ist Freude, aber flüchtig:
Dort muß alles besser sein.

Hier sind Thränen, hier ist Noth,
Die verkürzt der nahe Tod;
Dort wird Freude ewig währen,
Dahin soll mein Aug sich kehren!

An B. 7 knüpft sich eine liebliche Erfahrung aus dem seelsorgerlichen Verkehre: Pfarrer K. in Ostfriesland hatte in seiner Gemeinde mit vielen Widerwärtigen zu kämpfen, vergalt aber Böses mit Gutem und Schelten mit Fürbitte. Nun wurde eine Frau, welche besonders feindselig gewesen war, trozdem daß ihr Mann den Seelsorger liebte, in Krankheit und große Seelennoth hineingeführt. Täglich besuchte er die Angefochtene, konnte aber lange feinen Zugang zu ihrem Herzen finden. Endlich, als sie wieder einmal so trostlos war, gieng er in der Kammer auf und ab und betete für sie zum Herrn. Der Herr aber schenkte ihm die freudige Gewißheit, daß sie um Jesu willen Vergebung der Sünden gefunden habe. In dieser überzeugung geht er zu ihr hin und spricht mit durchdringender Stimme vor vielen Zeugen die beiden Verse:

Freu dich, Herz, du bist erhöret:
Jezo kommt und zeucht er ein.
Sein Gang ist zu dir gekehret,
Heiß ihn nur willkommen sein

Und bereite dich ihm zu,
Gib dich ganz zu seiner Ruh,
Öffne dein Gemüth und Seele,
Klag ihm, was dich drück und quäle.

Siehst du, wie sich alles seßet,
Was dir vor zuwiderstund?

Der Geist Gottes versiegelte das Wort an dem Herzen der Armen zum Erstaunen der Anwesenden. Alle sahen sofort die Frau aus der tiefsten Finsterniß ins Licht, aus dem Tod ins Leben, aus der Hölle in den Himmel erhoben. Im seligen Glauben gieng sie heim. (Basler Samml. 1786.)

Melodie: Werde munter, mein Gemüthe.

6. Wie soll ich dich empfangen.

Aus derselben Quelle, wie das vorige Lied. Ein Adventgesang von Paulus Gerhardt, vielleicht nach V. 6. 7. 9. noch in der Kriegszeit gedichtet. Doch war ja auch noch nach dem westfälischen Frieden Nothzeit. Es ist eines der herrlichsten aus Gerhardts Munde, und wir dürfen dem Worte wohl zustimmen, welches der selige Friedrich Krummacher in Potsdam in einer Einleitung zur dritten Adventspredigt 1868 niedergeschrieben hat, ehe er am 10. Dez. entschlief: So oft mir das Lied: Wie soll ich dich empfangen?' in hundertstimmigem Chor entgegentönt, ist mir es, als ergöße sich plötzlich ein lichtheller Frühlingsglanz durch die herannahende Winternacht, und ich fühle mich gehoben über den Schwung des Festgesangs, als träte der holdselige Friedefürst persönlich mir entgegen, um mein armes Herz von allem seinem Leid und Weh mit einemmal zu erlösen." (Selbstbiographie S. 261.)

Dieses Festlied ist der evangelischen Gemeinde Adventsgesang im besondersten Maße geworden. Es schließt sich so innig an das Adventsevangelium Matth. 21, 1-9 an und klingt doch wieder so frei in die Gemeinde und in die Zukunft hinaus. Der Sänger versezt sich im Geist V. 1 und 2 unter die Thore Jerusalems. Er fragt: Wie soll ich dich empfangen? und gibt die Antwort: Mein Herze soll dir grünen! (vgl.: Geh aus mein Herz V. 13-15.) Dann überschaut er mit seinem Herrn dessen Liebesthat V. 3-5. Aus Leid zur Freude V. 3, aus Spott zur Ehre V. 4: so hebt er mich und die ganze Welt aus lauter Liebe V. 5. Das hat der Sänger für sich genommen, nun breitet er's aus vor der Gemeinde V. 6, dem herzbetrübten Heer. Es ist Advent. Ihr dürft nicht sorgen: Er kommt mit Lust V. 7. Jhr dürft nicht zagen: Er kommt mit Huld V. 8. Ihr dürft nicht erschrecken: Er kommt mit Macht V. 9. Das ist ein herrlicher Dreiklang, der nur überboten wird durch den Ausklang V. 10: Er kommt zum großen Advent, auf den wir warten: Ach komm, Herr Jesu!

Eine besondere Richtung auf die Zukunft hat sich mit dem Gesang dieses Lieds im Feindesland verbunden, als die deutschen Soldaten ihren Advent vor Paris hielten 27. Nov. 1870. Auch die Württemberger versammelten sich ungestört zum Gottesdienst, und von aller Lippen klang das wohlbekannte, liebvertraute „Wie soll ich dich empfangen?" Dein König kommt! hieß es da beim Gottesdienst an dem Ufer der Marne; aber allen legte sich die Frage nahe:

Wer weiß, wen der Herr schon morgen heimholt? Es war nur drei Tage vor den heißen Kämpfen bei Champigny und Villiers, wo Hunderte von einem jähen Tode ereilt wurden. (Greiner, SchulLiederschat S. 431.)

V. 1 hat neben seinem Plaß in der Festgemeinde der Adventszeit sich schon öfters auch im stillen Kämmerlein bewährt, wo man das Nahen des Herrn verspürte.

Im Jahr 1815 lebten in B. zwei Schwestern beisammen. Die jüngste, welche die Wirthschaft führte, hatte eines Tags einen Traum. Ihr däuchte, sie stünde oben auf einem Birnbaum und bäte: Lieber Heiland, ich bin dem Himmel schon viel näher, als wenn ich drunten stünde; nimm mich vollends hinauf zu Dir! Acht Tagé hernach fühlte sie sich plöglich unwohl, konnte nur noch die Worte rufen: Wie soll ich dich empfangen, und wie begegn' ich dir? Da war auch schon ihr Geist in den Armen dessen, nach dem sie sich wachend und schlafend so herzlich gesehnt hatte. (Basler Samml. 1815.)

Einen anderen Ausgang hatte der Gesang dieses Liedeswortes in folgendem Fall. In einem württembergischen Dorfe erkrankte vor vielen Jahren ein Mann plößlich so schwer, daß der Arzt, ein geschickter Mann, welcher in der Nähe wohnte, bald alle Hoffnung aufgegeben hatte. Die Angehörigen des Kranken aber hiengen an dem Gedanken: bei Gott sind alle Dinge möglich. Sie knieten am Bette nieder und beteten inbrünstig um die Hilfe ihres Herrn. Bald darauf kam der Chirurg des Dorfes, um nachzusehen, allein auch dieser gieng davon mit der Überzeugung: in vier bis fünf Minuten ist alles vorbei. Kein Zeichen des Lebens war mehr zu spüren, dennoch hielten sie daran fest: der Heiland hilft gewiß. Nach 24 Stunden, während welcher man keinen Laut vernommen, bewegte sich der Kranke mit einemmal und sagte mit leiser Stimme: Singt mir das Lied: Wie soll ich dich empfangen?" Bestürzt zögerten die Umstehenden; aber nun fieng er selbst die Weise an und sie fangen weiter. Das war Nachts 11 Uhr. Nachher nahm er etwas Leichte Speise zu sich und bald war er ganz genesen. Noch 10 Jahre wurden von dem Herrn seinem Leben zugelegt. Es war allen ein Wunder göttlicher Errettung. (Christenbote 1849.)

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Die Schlußworte des V. 6: Seid unverzagt, ihr habet die Hilfe vor der Thür!" haben sich im Leben des frommen Handelsreisenden Jakob Häuser recht schön bewährt. Auf einer seiner Reisen kam er einst spät Abends in ein mitten im Waldgebirge gelegenes Wirthshaus. Draußen fiel ein kalter Herbstregen; drum wollte er und seine zwei Begleiter im Vertrauen auf Gottes Schuß und Beistand es dennoch wagen, in dem unheimlichen Hause zu übernachten, ob sie gleich an den wilden und finstern Gesichtern der Bewohner gleich beim Eintreten merkten, daß es hier gelte, auf der Hut zu fein. Als sie nun in einer Dachkammer sich auf das zubereitete Stroh niederlegen wollten, mahnte Häuser seine beiden Gefährten, die Thüre fest zu verrammeln, und wendete dann, als diese sich bereits dem Schlaf überlassen hatten, Angesicht und Herz aus der Dunkelheit und Unsicherheit zu dem, in welchem keine Finsterniß ist,

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