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Gegenstand menschlicher Betrachtung, das Idealschöne, das den Sittenlehrern zwar leicht zu schildern, dem Menschen aber unendlich schwer nachzueifern, und unmöglich zu erreichen ist. Diese Tugend in leiblicher Gestalt würde uns der allerliebenswürdigste Gegenstand seyn; allein unter die erdichteten Personen eines dramatischen Stücks muß sie sich selten mischen. Die Absicht des Drama ist, die Handlungen und Gemüthsneigungen der Menschen nach dem Leben vorzustellen, und gesellige Leidenschaften zu erregen. Seine Idealschönheiten sind also solche Charaktere, die zur Erreichung dieser Absichten die allerglücklichsten sind; und siehe! die vollkommen tugendhaften Charaktere sind es am wenigsten. Wenn ich die Wahl hätte, so wollte ich freilich lieber der fromme Aeneas, der strenge Cato des Addison, als der jähzornige Achilles oder der eifersüchtige Othello seyn;aber erdichtet haben? Auf diese Frage würde ich mich zum Besten der Lestern erklären. Sie geben mehr Gelegenheit zu Handlungen, sie erregen heftigere Leidenschaften; ihre Erdichtung hat dem Dichter eine größere Anstrengung des Geistes gekostet. Kurz, sie kommen der poetischen Idealschönheit näher, sie sind in ihrer Art vollkommen.

So erhaben, so göttlich der Charakter des Cato in der Natur ist, so wenig nimmt er sich in der Nachahmung aus. In der Natur entzückt er; die Standhaftigkeit in den größten Gefahren, und troß aller verführerischen Leidenschaften nach den Gefeßen der Natur zu handeln, die herrliche Übereinstimmung der sinnlichen und vernünftigen Begierden erregt Liebe, Bewunderung, uud den stillen Wunsch, über unsere eigene Begierden eben so viel Gewalt zu haben. Allein in der Nachahmung? was kann hier für Bewunderung statt finden? Der Dichter hat keine Leidenschaften zu besiegen; und also kann er seinen erdichteten Personen so viel philosophische Gleichmüthigkeit geben, als er immer will. Es ist keine Kunst, die Schule des Sokrates zu plündern und sich einen rechtschaffenen Mann danach zu dich ten, so schwer es auch seyn mag, sein eigenes Leben danach einzurichten. Womit soll uns also der Nachahmer interessiren? Ich weiß ein einziges Mittel: er muß die Illusion so weit treiben, daß wir die Sache selbst, und nicht die Nachahmung zu sehen glauben. Nur alsdann kann der Künstler seiner Nachahs mung einen Theil von der Bewunderung versprechen, die der Sache selbst in der Natur zukommt. Allein wodurch ist dieser

glückliche Betrug zu erhalten? Bloß durch die künstliche Erregung der Leidenschaften. Nur diese sind mächtiger als die Sinne, und verführen die Seele, die täuschenden Vorstellungen für wirklich zu halten; daher interessirt die vollkommene Tugend in der Nachahmung nur alsdann, wenn sie zur Action Gelegen= heit giebt; wenn sie Leidenschaften erregt, und vermittelst der= selben den Leser oder Zuschauer täuscht, daß er eine Wirklichkeit vor sich zu haben glaubt; d. h. wenn sie mit der poetischen Idealschönheit verbunden werden kann; und wie selten ist dieser Fall!

Plutarch hat also Recht, wenn er die vermischten Charaktere den vollkommen tugendhaften vorzieht; aber der Grund ist falsch, den er davon angiebt. Nicht weil in der Natur Böses mit Gutem vermischt ist; der Künstler hat ja die Freiheit, die Natur zu verschönern. Warum kann er dieses in Ansehung der Schönheit? warum in Ansehung der Leibesstärke, der Tapferkeit und der übrigen Naturgaben? Homers Helena ist schöner als die Natur, sein Achilles tapferer, und vielleicht sein Nestor weiser. Nur die Tugend hat er in der Epopee nicht bis auf den höchsten Gipfel treiben wollen, weil sie in den mehrsten Fällen den Absichten des Dichters zuwider ist und sich nicht mit seiner Idealschönheit verbinden läßt.

Die Alten scheinen dieses überhaupt vortrefflich eingesehen zu haben. In ihren prosaischen Erzählungen, die mehr die Absicht haben, den Verstand zu erleuchten als das Gemüth zu be= wegen, trugen sie kein Bedenken die vollkommensten Charaktere den Sterblichen zur Nachahmung vorzubilden. Aber sie hätten mehr als stoisch gesinnt seyn müssen, wenn sie ihren vollkomme nen Weisen für alles in allem, und sogar für die geschickteste dramatische Person gehalten håtten. Ich weiß kein einziges dramatisches Stück von den Alten, in welchem vollkommen tugendhafte Personen vorkommen sollten. Ich nehme weder den Oedip noch die Alceste aus, so sehr Sie auch geneigt scheinen, diese beiden Charaktere für moralische Idealschönheiten zu halten. Dedip hat zwar nicht solche Fehler, daß man sein Unglück eine verdiente Strafe nennen könnte. Er zeigt doch aber seine menschliche Seite allzu sehr, und ist von der vollkommenen Tugend eines Sokrates, eines Cato weit entfernt. Es ist eine Ver= mischung von Tugenden und Schwachheiten, die einen indivi duellen Charakter ausmacht. Der Charakter der Alceste ist mehr

übermäßige Zärtlichkeit als Tugend; und die Haupthandlung der= selben, die Aufopferung für ihren Gemahl, ist vielleicht nach den strengsten Regeln der Vernunft eine zu weit getriebene Zärtlichkeit, eine Schwachheit; aber zu welchen vortrefflichen Situationen hat diese Schwachheit Gelegenheit gegeben!

67ster Brief.

Die Staatskunft hat sich in den neuern Zeiten so weit von der einfältigen Bahn der Weltweisheit verirrt, daß man sie kaum für ein philosophisches Studium mehr erkennen follte. Jene ungekünftelten Plane der alten Staatskunst scheinen sich so wenig als das arkadische Schäferleben mit unsern jezigen Umstånden zu vertragen. Und dieses ist viel mehr eine nothwendige Folge der Zeiten, als ein Fehler der Gefeße oder der Gesetzgeber. Lassen Sie einen neu aufkommenden Staat nach den einfältigsten Ges segen regiert werden, so werden sich in Kurzem seine Verhältnisse mit den benachbarten, und vermittelst dieser mit den übrigen Völkern der Erde vermehren, und seine Bedürfnisse sich vervielfältigen; daraus werden dann neue Gefeße entstehen; und so oft diese mit den alten collidiren, werden Ausnahmen und Einschränkungen hinzugethan werden müssen. Zulegt wird das Regierungssystem dieses Volks so verwickelt und in einander laufend seyn, als immer eines von den Systemen, nach welchen die jezigen Staaten regiert werden. Die Weltweisen werden unzufrieden seyn und sich die erste Einfalt zurück wünschen; allein so vergebens, als man sich zuweilen die unschuldigen Jahre der Kindheit zurück wünscht.

Indessen gehören sowohl die Klagen der Weltweifen als die Verwirrung der Staatskunst mit zum Laufe der besten Welt, und sie sind auch nicht ganz ohne Nußen. Indem sie die Einbildungskraft mit den angenehmen Bildern einer einfältigen Staatsverfassung beschäftigen, prägen sie den Gemüthern ihrer Mitbürger eine heilsame Liebe zur unschuldigen Natur ein, da= durch sie abgehalten werden, dem hinreißenden Strome allzu leicht nachzugeben.

Diese Gedanken hatte ich, als ich die Schriften eines J. J. Rousseau, die „philosophischen Träume" eines Iselin, und verschiedene andere Tractate dieser Art gelesen; und sie wurden lehthin bei mir erneuert, als mir erwähnten Herrn Iselin's Versuch über die Gefeßgebung *) zu Gesichte kam. Man sieht mit Vergnügen die inbrünstigen Wünsche eines Menschenfreundes, der, unzufrieden, daß er sie nicht erfüllt sieht, in seiner Einsamkeit die öden Straßen der gefunden Politik", wie er sich in der Vorrede ausdrückt, durchwandert, auf denen man ,,die Glückseligkeit der Menschen, und nicht die Größe und den Glanz ihrer Beherrscher sieht“.

Ich werde Ihnen von dieser kleinen Schrift wenig zu fagen haben, denn sie enthält wenig neues: ungefähr die allgemeinen Züge eines vollkommenen Gesezgebers, so wie man sie nach den Grundsägen der Weltweisheit entwerfen würde; Forderungen eines mit den Welthåndeln unbekannten Weltweisen, deren Beurtheilung man dem Mann in Geschäften überlassen muß. Hr. Iselin hat weder durch Beispiele aus der Geschichte noch durch neue Vorschläge die Möglichkeit seiner Forderungen dargethan, und die meisten tragen offenbar das Zeichen der Unausführlichkeit an der Stirne. Er sagt z. B. (S. 37.): „In ,,sonderheit aber müssen sie (die Geseße) den Reichthümern den ,,Rang bestimmen, der ihnen gebührt, und denselben nicht er,,lauben zu den Vortheilen, die sie ohne diß gewähren, noch ,,die Ehre, welche die Belohnung der Tugend und der Verdienste ,,ist, sich zuzueignen. Die Gefeße wåren ungerecht und unver,nünftig, wenn sie den Reichthümern die Bequemlichkeit, das Wolleben und eine große Pracht versagen wollten. Sie find ,, aber zernichtet, wenn der Reiche, nur weil er reich ist, die „Achtung und die Ehre auf sich ziehet. Alsdenn ist es um den Staat geschehen". Die Warnung ist vortrefflich! aber was müssen die Gefeße thun, diesem Mißbrauche vorzubeugen? Können sie den Reichthümern die Bequemlichkeit, das Wohlleben und eine gewisse Pracht nicht versagen; so können sie auch nicht verhindern, daß der Reiche diejenigen Mitbürger an seiner Bequemlichkeit und Pracht Theil nehmen läßt, die ihm zu gefallen

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Versuch über die Gesezgebung, von dem Verfasser der philosophischen Träume. Zürich bey Drell u. Co. 1760.

leben; daß diese hinwiederum dem Reichen zur Vergeltung dies jenige Achtung und Ehre bezeigen, welche die Belohnung der Tugend und der Verdienste seyn sollte; und alsdann ist es ja um den Staat geschehen! Es ist leicht zu sagen, was die Gefaße thun sollten; aber, wie? ist eine Frage, die sich der Weltweise allezeit erst selber thun muß, ehe er eine Forderung an den Tag legt.

Den Frieden mit den Benachbarten", heißt es ferner (S. 42.),,,fo viel es immer möglich, zu unterhalten, die kriege,,rischen Tugenden in den Herzen der Bürger zu pflanzen und „zu ernähren, sind die zwey Hauptgrundsäße, nach denen ein ,,Gesetzgeber sich zu richten hat". Wer wird dieses läugnen? Wenn aber diese beiden Hauptgrundsåhe, wie es öfters kommen kann, mit einander streiten, was soll der Gesetzgeber thun? Hr. Iselin hat ihm an einem andern Orte untersagt, seine Völker einer andern Macht zu leihen. Soll er nun einen Krieg anfangen, um die kriegerischen Tugenden in den Herzen der Bürger zu pflanzen und zu ernähren? Baco und fast alle erfahrne Pos litiker sagen ja, die Menschlichkeit aber seufzt nein; was sagt nun der Weltweise dazu? Diese schwierige Aufgabe ist der Untersuchung eines Menschenfreundes würdig, so wie überhaupt nicht die allgemeinen Geseße, sondern die nöthigen Ausnahmen in besondern Fällen die größten Schwierigkeiten machen. Wenn die Politiker mit den Weltweisen irgend in einen Streit ges rathen, so ist es mehrentheils über die Ausnahmen; in dem Allgemeinen der Geseze stimmen sie vollkommen überein. Warum beobachtet also Hr. Iselin über jene ein tiefes Stillschweigen?

In der darauf folgenden Stelle ist er etwas weniger allge mein. Ohne einen Blick auf die jeßigen Zeitläufte würde der Weltweise schwerlich auf diese Betrachtungen gekommen seyn. „Unglückselig ist das Volk“, heißt es, dessen Råthe und Be ,,herrscher groß, mächtig, und selbst gesicherter durch die Unord,,nungen des Krieges, nur darauf bedacht sind, wie sie den ,,Tempel des Janus eröfnen können. Welch ein glückseliges Geheimnis wäre es nicht, wenn man anstatt neue Auflagen ,,auszudenken, ein Mittel ausfündig machen könnte, wodurch die größte Last des Krieges auf diejenigen gewälzt würde, die dens ,,selben anrathen! Welch eine weise Marime wäre es nicht, ,,wenn der siegende Theil insbesondere diejenigen Minister des ,,Besiegten, die den Krieg angesponnen, verfolgte, und sich mehr

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