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bekannt gemacht hat? Ich gestehe es, ich kann mir von der menschlichen Vernunft noch keinen so demüthigenden Begriff machen.

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Ich bat einst einen jüdischen Gelehrten, der bei seiner Nation in großem Rufe steht, mir einen Begriff von dem Talmud zu machen. Wir befanden uns beide als Brunnengåste in F***, wo uns der Ort und die Gelegenheit zu einiger Vertraulichkeit Anlaß gab.,,Der Talmud", gab er mir zur Antwort,,,ist der ,,Inbegriff aller unserer Geseße, Sitten und Gebräuche, unserer ,,Glaubenslehren und unserer Weisheit". Sie werden über diese „Beschreibung vielleicht lachen“, seßte er hinzu, „vielleicht auch ,,fich verwundern. Ich weiß, was für einen armseligen Begriff sich die Weisesten unter Ihrem Volke von unserm Wissen zu ,,machen pflegen; und da unsere Sache niemals Vertheidiger ge,,funden, so hat ihnen ein Jeder einbilden können, was er uns ,,entweder aus Unwissenheit oder aus unlöblichen Absichten hat „aufbürden wollen. Wie viel Verspottung, unbillige. Verachtung „und Nationalhaß haben diese unseligen Vorurtheile nicht zuwege ,,gebracht! und wollte Gott, sie hätten nur keine blutige Ver,,folgungen nach sich gezogen! - Jedoch ich will Sie und mich ,,mit diesen traurigen Erinnerungen verschonen. Es war ein ,,Unglück für uns, daß sich unsere Gelehrten nie darum bekům ,,merten, was man in andern Sprachen zu ihrem Nachtheile ,,geschrieben; und wenn sie sich auch darum bekümmerten, so ,,verstanden sie doch die Sprachen nicht, in welchen sie sich hát: ,,ten vertheidigen müssen". Stehen aber die Mährchen nicht wirklich in dem Talmud, fragte ich, die man uns daraus überfeht hat? Die mehresten", gab er zur Antwort, befinden sich „wirklich darin“. Was kann aber in einem Buche vernünftiges seyn, erwiederte ich, in welchem solche abenteuerliche und abge= schmackte Dinge vorkommen? „Wir schließen gerade umgekehrt", versehte mein Rabbi;,,die Dinge, die dem ersten Anblicke nach ,,ungereimt scheinen sollten, machen etwa den zwanzigsten Theil „des Talmuds aus. Im übrigen enthält er nichts als gründ,,liche Abhandlungen und Betrachtungen über unsere Rechte, unfern Gottesdienst und andere Gebote des alten Testaments. „Sollten wir also glauben, daß Leute, die so viel Proben von ,,ihrer Weisheit abgelegt, auf einmal allen Menschenverstand vers ,,loren haben, und auf Dinge verfallen seyn sollen, die sich kein ,,Kind weiß machen läßt? Ist es nicht vernünftiger, diese wenigen

,,Stellen, die uns anstößig scheinen, für allegorische Vorstellungen ,,solcher Wahrheiten zu halten, die man zu alten Zeiten dem Volke mit Fleiß zu verbergen, und nur Leuten von mehrerem ,,Nachdenken zu verstehen zu geben gewohnt war? Wir glauben ,,hiervon überzeugt zu seyn, und haben auch schon wirklich den Sinn von einigen räthselhaften Stellen herausgebracht. Die „wir nicht erklären können, betrachten wir mit einem ehrfurchts,,vollen Stillschweigen, und gestehen unsere Unwissenheit“.

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"Indeffen", fuhr er fort, find diese Allegorien selbst, in ,,welchen sie die Wahrheit eingehüllt, nicht alle so widersinnig, ,,als man glaubt. Öfters enthält auch ihr planer Sinn sehr ,,gute Sittenlehren, die heilsam und ersprießlich seyn können. ,,Unsere Lehrer haben hierin die Natur nachgeahmt. Sie be,,kleidet öfters die Früchte mit äußern Schalen, die an und für ,,sich selbst schmackhaft und köstlich sind; nicht selten aber um,,hüllt sie den zarten Kern mit einer ungenießbaren Schale, das ,,mit man, ohne bei derselben sich aufzuhalten, sogleich den köst,,lichen Kern suchen möge".

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Ich habe meinem gelehrten Juden nichts von der Rabe'schen Ankündigung der Mischna gesagt. Er scheint unsern Gelehrten die Geduld und Arbeitsamkeit nicht zuzutrauen, die nach seiner Meinung erfordert wird, wenn man den wahren Sinn der Mischna oder des Talmuds allenthalben erreichen will. So= bald die übersehung heraus seyn wird, werde ich sie ihm zur Beurtheilung vorlegen.

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Der Hr. Profeffor Eschenbach zu Rostock hat eine Metaphysik geschrieben (denn welcher Deutsche wird über eine Wissenschaft lesen, ohne ein eigenes Lehrbuch zu verfertigen?), in welcher das Wolfische Lehrgebäude ganz ohne Verschonen niedergeriffen wird. Da bleibt keine einzige Erklärung unangefochten, kein Sag unbestritten; und fast keine Seite in Wolf's

Schriften, auf welcher der Hr. Verf. nicht augenscheinliche Widersprüche finden sollte. Ich versprach mir recht viel von diesem Buche. Je mehr ich den vornehmsten Lehren der Wolfischen Weltweisheit anhange, mit desto größerer Begierde lese ich die Zweifel und Einwürfe, die dawider gemacht werden. Denn wenn sie von einem philosophischen Kopfe herrühren, so geben sie immer Gelegenheit, die Wahrheit von einer neuen Seite zu betrachten. Ich machte mir also Hoffnung, bei einem Welts weisen, der mit so vieler Freiheit von der betretenen Bahn abgeht, wenigstens einige neue philosophische Aussichten gewahr zu werden, die man gemeiniglich übersieht, wenn man immer in dem alten Gleise fortgeht. Allein ich ward betrogen. Zweifel von dieser Art muß man nur bei einem Weltweisen suchen, der nicht selber ein System aufrichten will. Hr. Eschenbach aber hat den Kopf von seiner eigenen Philosophie so voll, daß er sich nie verläugnen und in die Gedanken eines Undern versehen kann. Er tadelt, widerlegt und verwirft, weil ihm außer seinen eigenen Gedanken gar nichts gefällt. Aber ein jeder Schüler in der Wolfischen Philosophie, der nur etwas mehr als Worte hat begreifen gelernt, muß ihm die Spise bieten können.

Sagen Sie mir doch: kann ein Weltweiser, der nicht bloß mit Worten spielen oder dem Unwissenden ein Blendwerk vormachen will, aus der Lehre, daß die endlichen Dinge einer be ständigen Veränderung unterworfen sind, die Folge ziehen, „daß, ,,wenn ein Räuber nach Verlauf von vierzig Jahren ertappt und ,,gerådert werde, nicht eben derselbe, der die Mordthat begangen, ,,sondern ein ganz Anderer, und also ein Unschuldiger, gerådert ,,werde"? Hr. Eschenbach wärmt S. 43. diese elende Consequen zienmacherei wirklich wieder auf; aber sie verdient keine ernsthafte Widerlegung !

S. 55. trifft die Reihe die Wolfische Erklärung von der Vollkommenheit. Wolf seßte die Vollkommenheit in die Zufammenstimmung des Mannigfaltigen. „Vermöge dieser Erklärung“, sagt Hr. Eschenbach,,,kann manches, das nach dem Redegebrauch ,,unvollkommen und fehlerhaft ist, eben deswegen, weil es uns ,,vollkommen ist, dennoch vollkommen heissen. 3. E. eine Uhr, ,,darinn alle Råder dahin zusammen stimmen, daß sie allemal ,,die Zeit unrichtig anzeigt, wird eine vollkommene, oder wie man ,fpricht, eine gute Uhr seyn". Possen! das macht Hr. Eschenbach den Wolfianern nicht weiß, daß eine Maschine, deren Theile

und Bewegungen ohne Ausnahme zusammenstimmen, die Zeiten alle Augenblicke anders anzuzeigen, noch eine Uhr seyn kann. Sie könnte eben so gut eine Wassermühle heißen!

Hr. Eschenbach ist überhaupt sehr sinnreich an Erfindung der Instanzen. S. 93. widerlegt er den Sat, daß die Substanzen die Quelle ihrer Veränderungen in sich haben. Wenn

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„ż. E. eine Pulvermühle springt“, sagt er, und einen Haufen Soldaten in die Luft schmeißt: kann man wohl sagen, daß ein Soldat einen beständigen Trieb habe, aus eigener Kraft in die „Luft zu springen, daß seine Hände und Füsse einen beståndigen ,,Trieb haben aus einander zu fliegen?" Ich will Ihnen diese ganze Stelle herseßen. Sie enthält lustiges Zeug. „Wolf selbst", fährt Hr. Eschenbach fort, sagt, daß der Trieb der Körper ,,herunterwärts zu fallen, von dem Druck eines äussern Körpers ,,herrühre. Ist dieses wahr (welches mir hier gleich viel ist), so ,,kann man ja nicht schliessen, daß die Handlungen eines Dinges ,,allemal von seiner innern Kraft herrühren, sondern von der be,,stimmenden Kraft eines andern Dinges. Und ist das Herunterfallen der ursprünglichen Kraft des Körpers zuzuschreiben, wie ,,er eben daselbst behauptet; wozu ist der Druck der subtilen Ma= ,,terie nöthig? und warum fällt der Körper nicht im leeren Raume ,,herunter?" Mit welchen Augen muß Hr. Eschenbach die Wolfischen Schriften gelesen haben, wenn er geglaubt hat, nach den Meinungen dieses Weltweisen könne eine Bewegung plöglich und ohne eine vorhergehende andere Bewegung entstehen? Ist wohl das Einmaleins für die Einwürfe eines Menschen sicher, der mit offenen Augen nicht sehen will? Doch Hr. Eschenbach hat noch eine Instanz, und hierauf weiß ich nichts zu antworten. Ein ,,Dieb", fagt er,,,hat eine Kraft zu stehlen: kann man deswegen ,,sagen, daß sie immer thatig sey, und der Dieb beständig stehle, ,,auch so gar im tiefsten Schlafe?", Gewiß! die Kraft des Hrn. Eschenbach, Einwürfe zu machen, muß immer thatig seyn! denn er kann diesen nicht anders als im tiefsten Schlaf gemacht haben.

Von diesem Schrot und Korne sind die mehresten Einwürfe dieses Weltweisen. Ihnen und mir aber die Zeit nicht zu verderben, will ich nur noch einen einzigen anführen. Den Beweis, den Wolf für die Existenz Gottes aus der Zufälligkeit der Welt hernimmt, verwirft Hr. Eschenbach S. 499. aus folgen den Gründen. Denn erstlich", sagt er, deswegen kann ein

Ding noch nicht zufällig genennt werden, weil deffen Gegentheil ,,fich gedenken läßt; sonst kann man mit eben dem Recht ,,das unendliche Ding und Gott, ja selbst das schlechterdings ,,Nothwendige, noch immer zufällig nennen - (§. 39, Anm. ,,2, 3.)". Wir wollen nachschlagen! §. 39. Anm. 2. heißt es: ,,nach dieser Erklärung“ (des Zufälligen nämlich) „kann man ,,fagen, daß das unendliche Ding (ens infinitum) zufällig ser, ,,weil dessen Gegentheil (ens finitum) möglich ist". Wie armselig! wird hier ein Schüler Wolf's ausrufen. Das heißt mit Worten gespielt; ich sage, der Sas:,,das unendliche Ding existirt", sei schlechterdings nothwendig, weil das Gegentheil, „das unendliche Ding existirt nicht", unmöglich ist. Wenn ich also das Lestere erweise, so steht das Erstere fest; und ich erweise es daher, weil die Welt den Grund ihres Daseyns nicht in sich haben kann.

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Der zweite Einwurf des Hrn. Eschenbach klingt noch seltfamer: „daraus“, heißt es ferner, daß Dinge in der Welt ent stehen und vergehen, Menschen gebohren werden und sterben, ,,u. d. g. folgt auch nach den eigenen Grundsäßen des Herrn v. Wolf nicht, daß sie zufällig sind, d. i. (wie es hier genommen ,,wird) einen Anfang im Daseyn haben". Und rathen Sie, warum?,,weil Herr v. Wolf glaubt, die Menschen wären schon ,,in den Saamenthierchen, und kámen durch die Geburt nur ,,in einen andern Zustand der Wirklichkeit". Hr. Eschenbach hat geglaubt, die Verwandlungen, die ein Saamenthierchen leidet, könnten mit einem Dinge vorgenommen werden, das nicht zu fällig, das also nothwendig ist; oder wenn er dieses selber nicht geglaubt hat, so hat er es seinem Gegner aufbürden wollen, um ihm desto leichter ankommen zu können. Ich will aus Liebe noch die Schuld auf Hrn. Eschenbach's Philosophie schieben, um feine Aufrichtigkeit nicht in Verdacht zu haben.

38ster Brief.

Sie werden vermuthlich auch etwas bach's eigenem System wissen wollen. eines und das andere daraus anführen.

von des Hrn. Eschen Ich werde Ihnen also Seine Meinungen ver

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