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von den ähnlichen Dingen hier-, das andere dorthin zu sehen. Dieses ist das schwächste unter ihren Beweisthümern.

Die Leibnizianer sind also berechtigt, sich eines Sahes, den ihr Gegner nicht widerlegt hat, zu ihrer Vertheidigung zu bes dienen. Nimmt man nun den Sah des Nichtzuunterscheidenden in der allgemeinsten Bedeutung, so kann man in dem streng sten philosophischen Sinne niemals sagen, diese Ausdehnung, dieser Grad verhalte sich zu einem andern, wie 1:3. Denn dieses seht zum voraus, daß ein Theil der größern Quantität der kleinern völlig gleich sei. Man kann nicht sagen, zwei Summen von Realitäten wåren sich einander völlig gleich, weil die eine durch die Menge dasjenige ganz genau erseht, was ihr am innern Werthe fehlt. Man kann eben so wenig sagen, zwei verschiedene Ausnahmen könnten einen gleich großen Mangel verursachen. Wenn ein Ding dem andern gleich groß, oder vollkommen ähnlich seyn soll, so muß es eben dasselbe Ding seyn. Nunmehr laufen Sie des Hrn. Reinhard Abhandlung noch einmal durch, wenn Sie Geduld übrig haben, und fagen Sie mir, ob ein einziger von seinen Einwürfen Stich hålt? Was kann er ausrichten, wenn er solchen Gegnern arith metische Gründe vorlegt, ohne zu beweisen, daß sie in der Me taphysik angewendet werden können?

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25ster Brief.

Ich muß einem Einwurfe zuvorkommen, den Sie mir viel leicht machen könnten. Wenn kein genaues Verhältniß zwischen den Graden statt findet, dürften Sie einwenden: wie haben denn einige Weltweise eine Mathesin intensorum gewünscht, und Baumgarten sogar die ersten Linien dazu entworfen? Doch Sie können mir diesen Einwurf nicht machen. Das richtige Verhältniß findet sowohl in der Meßkunst der Grade, als in der Meßkunst der Ausdehnung statt, wenn man die Quantität im abgesonderten Begriffe betrachtet, und die Qualität bei Seite seht. Daraus aber rückgängig zu schließen, daß es auch im concreten Begriffe eine völlige Gleichheit oder ein genaues

Verhältniß geben müsse, heißt, am gelindesten davon zu reden, ein entsehlicher Sprung.

Der Herr von Leibniz hat zwar die völlige Gleichheit niemals, so viel ich mich erinnere, mit ausdrücklichen Worten gelåugnet, und dürfte Einigen scheinen, den Sag des Nichtzuunterscheidenden bloß auf die völlige Ähnlichkeit eingeschränkt zu haben. Allein Baumgarten hat unumstößlich dargethan, daß fich diese beiden Säße nicht trennen laffen. Er beweist *), daß weder zwei unåhnliche Dinge völlig gleich, noch zwei ungleiche Dinge vollkommen ähnlich gedacht werden können.

Brucker **) führt einige Stellen aus Jordani Bruni Schriften an, in welchen dieser Weltweise mit ausdrücklichen Worten behauptet, es gebe weder zwei völlig gleiche, noch zwei völlig ähnliche Dinge in der Natur. Es ist dieses keine von den Stellen, in welche man hineinlegt, was man nicht darinnen findet. Wenn Brucker anders recht anführt, so kann man sich nicht deutlicher ausdrücken, als Brunus sich hierüber ausge= drückt hat. Mich důnkt, Leibnik müßte Brunus Schriften nicht so fleißig gelesen haben, als Einige glauben. Er würde sonst gewiß nicht vergessen haben, den Sah des Nichtzuunterscheidenden auch auf die völlige Gleichheit auszudehnen. Mit seinem übrigen System stimmt die Allgemeinheit dieses Sahes vortrefflich überein.

Die Stoiker sollen schon, wie abermals Brucker bemerkt, den Sah des Nichtzuunterscheidenden gelehrt haben. Er glaubt dieses aus folgender Stelle des Cicero zu beweisen: dicis, nihil esse idem, quod sit aliud. Stoicum est quidem, nec admodum credibile, nullum esse pilum omnibus rebus talem, qualis est alius, nullum granum. Allein, mit dieses großen Gelehrten Erlaubniß, aus dieser Stelle läßt sich nur beweisen, daß die Stoiker die völlige Congruenz zweier Dinge geläugnet. Nihil esse idem, quod sit aliud, sagt der römische Philosoph. Von der geläugneten Congruenz aber bis auf den Sah des Nichtzuunterscheidenden des Leibniß war noch ein ziemlicher Schritt zu thun.

*) Metaph. §. 272. 273.

**) Hist. crit. phil. Period. III. p. 2. lib. 1. S. 404.

Eine andere Stelle im Eicero hat mich aufmerksamer ges macht. Eine von seinen unterredenden Personen widerlegt die Meinung des Democritus, welcher unendlich viele Welten geglaubt, darunter sich viele völlig gleich und ähnlich sind; cui non assentior, sagt der Römer, propter id quod dilucide docetur a politioribus physicis, singularum rerum singulas proprietates esse *). Dieser Saß der feinern Naturkündiger, wie sie Cicero nennt, scheint weiter zu gehen als auf die bloße Congruenz. Ein jedes einzelne Ding, sagten sie, hat seine eins zelne Eigenschaften; mit andern Worten: nichts kommt einem Dinge völlig auf eben die Weise zu, wie es einem andern Dinge zukommt. Ist dieses nicht der Saß des Nichtzuunterscheidenden in der weitesten Bedeutung, die man ihm geben kann, und die ihm noch von keinem Neuern gegeben worden? Denn daß zwei wirkliche Dinge nicht eine einzige Bestimmung völlig gemein haben können, hat noch keiner von den Neuern behauptet, ob es sich gleich aus ihrem System beweisen läßt, und überhaupt ein fruchtbarer Begriff zu seyn scheint.

XI. Den 15 März 1759.

26ster Brief.

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Hier sind zwei Abhandlungen von den Saamenthierchen, die ein Freund der Leeuwenhoekischen Entdeckungen, wie Sie, nicht ungelesen lassen wird. Die erste ist im Jahr 1756 zu Nürnberg gedruckt, und führt den Titel **) Jedoch der völlige Titel würde eine ganze Seite einnehmen. Sie enthält physikalische Beobachtungen der Saamenthierchen in einem Sendschreiben von M. F. L. Die zweite ist von eben demselben Verfasser im Jahr 1758 zum Vorschein gekommen, und dies ses Mal hat es ihm beliebt, sich zu nennen. Er heißt Martin

*) Acad. Quaest. lib. IV. c. 18.

**),Philosophische Beobachtungen derer Saamenthiergens".

Der Herausg.

Frobenius Ledermüller, und ist Notarius und Procurator zu Nürnberg. Man findet darin einen Versuch zu einer Rettung der Saamenthierchen, eine kurze Beschreibung der Leeuwenhoekischen Mikroskope, und einen Entwurf zu einer Geschichte des Sonnenmikroskops. Sie werden über die Unannehmlichkeit des Vortrags desto leichter hinwegsehen, da man in dergleichen Abhandlungen mehr auf die Sache als auf den Vortrag zu sehen gewohnt ist. Durch die Erfindung und Verbesserung der opti= schen Werkzeuge hat man in den neuern Zeiten der geheimnißvollen Natur so manches Geständniß abgezwungen. Von der einen Seite hat man durch vortreffliche Ferngläser die entlegen= ften Weltkörper gleichsam heruntergezogen, und die Schöpfung im Großen bewundern gelernt; von der andern Seite ist es uns gelungen, die allerkleinsten Räume durch die Kunst zu vergröBern, und neue Welten im Unendlich Kleinen zu entdecken. Da es unmöglich war, den Bezirk unserer sinnlichen Empfindungen zu erweitern, so hat man die Gegenstände in die Gränzen der Sinne hineingetragen, welche die Natur weit über dieselbe hinaus gesezt hatte. Was von den Alten durch den kühnsten Flug des Genies nur gemuthmaßt werden konnte, was ihre eingeschränkten Köpfe niemals eingestehen wollten: daß nämlich die Natur im Allerkleinsten so wie im Allergrößten voller Ordnung, Vollkommenheit und Organisation sei; das haben die Neuern den Sinnen gleichsam unmittelbar dargestellt. Wer nunmehr zweifelt, der braucht nur die Augen aufzuthun; und wer hartnåckig seyn will, muß weder dem Verstande noch den Sinnen

trauen.

Die scharfsichtigen Weltweisen unter den Alten hatten die rauhe und unorganische Materie schon längst aus der Natur verbannt. Wenn man die Herrlichkeit der Schöpfung zwischen den Gränzen unserer Empfindungen einzåunen will, so muß man albern genug seyn, die Allmacht mit dem Maaßstabe unserer Sinne ausmessen zu wollen. Plato und Hippokrates haben sogar schon von den Saamenthierchen geredet. Allein sie haben sie nur gleichsam geweifsagt. In dem vorigen Jahrhunderte sind sie von Ludw. von Hammen durch die Vergrößerungsgläser entdeckt, von Leeuwenhoek, Hartsoeker und Andern sorgfältig beobachtet, mit allen Umständen beschrieben, und beinahe auBer Zweifel gesezt worden. Sie fanden zwar immer noch einigen Widerspruch; allein die Einwürfe, die dawider gemacht

wurden, waren von keiner sonderlichen Erheblichkeit *). Buffon war der Einzige, der wichtige Zweifel dawider zu erregen schien.

Dieser sinnreiche Naturforscher will beobachtet haben, daß die Leeuwenhoekischen Saamenthierchen nichts als Kügelchen wåren, die sich vielleicht maschinenmåßig und ohne thierisches Leben in der flüssigen Materie bewegen können. Die Schwänzchen, mit welchen sie Leeuwenhoek, Wolf und Andern im Flüssigen wie fortzurudern schienen, waren zufolge seiner Beobachtungen nichts als zåhe Faden, die sich den Kügelchen anhängen, indem sich diese von der klebrigen Materie losreißen, aus welcher sie hervorkommen. Diese Faden, sagt er, hat Leeuwenhoek für Schwänze der Thiere gehalten, die sie lebhaft hin und her bewegen. Sie sind aber nichts als angehångte Theile, die den leblosen Kügelchen in ihren maschinenmäßigen Bewegungen eine Zeit lang folgen. Nach und nach werden sie dünner, und endlich schwimmen die Kügelchen frei herum, und die Faden verschwinden. Das seltsame System, das Hr. Buffon auf diese und andere Beobachtungen gründet, ist bekannt, und bestätigt die gemeine Anmerkung, daß es schwerer sei, zu bauen, als niederzureißen.

Man feßte zwar gleich Anfangs einiges Mißtrauen in die Buffon'schen Beobachtungen. Es schien fast unglaublich, daß alle die großen Naturforscher, die den Saamenthierchen willkührliche Bewegung und angewachsene Schwänze zuschreiben, nicht recht gesehen haben sollten. Man widersprach dem französischen Naturkundigen vielfältig; und Needham selbst, auf den er sich so oft beruft, schien mit seinen Behauptungen nicht völlig zufrieden zu seyn. Niemand aber hat, so viel ich weiß, so deutlich gezeigt, worin Hr. Buffon geirrt haben mag', als Hr. Ledermüller. Er beweist aus desselben eigenen Schriften, daß er sich weder des rechten Vergrößerungsglases bedient, noch den Gegenstand gehörig beobachtet habe.

Buffon hat sich, in der Vignette vor dem 2ten Theile seiner allgemeinen und besondern Naturgeschichte, vor einem zusammengefeßten Vergrößerungsglase stechen lassen, in welchem man

*) S. Haller's Anm. über Boerhave's Vorles. §. 657. Not. L.

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