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erlangen, scheint uns noch nicht deutlich zu seyn. In der Tonkunst ist uns dieses noch ein weit größeres Geheimniß; und wir bedauern es aus dieser Ursache desto mehr, daß sich das Publi= kum von unserm Weltweisen keine practische Ästhetik zu verspre= chen hat, da in derselben diese Schwierigkeiten vermuthlich würden erläutert worden seyn.

vor.

Ein Theil der Lehre von der Gewißheit in den schönen Wissenschaften macht den Überrest dieses zweiten Theils der Ästhetik aus. In derselben kommen die Materien von den erläuternden Argumenten, von den Vergleichungen, vom Gegen= fake, von den ästhetischen Briefen, Widerlegungen u. s. w. Da diese Materien in allen Rhetoriken abgehandelt werden, so haben freilich viele bekannte und ausgemachte Wahrhei= ten darin vorkommen müssen; allein sie erlangen in der syste= matischen Ordnung unsers Schriftstellers, durch die strenge Richtigkeit der Erklärungen, und durch den bündigen Zusammenhang, in welchem sie sich ausnehmen, das Ansehen der Neuheit. Man findet überall den denkenden Weltweisen, der, wenn er auch alte Wahrheiten vortrågt, sie aus sich selbst hervorzubrin= gen scheint. Wenn es auch hier und da scheinen möchte, daß man sich bei müßigen und unfruchtbaren Eintheilungen und Untereintheilungen aufgehalten habe; so wird man hingegen in den mehrsten Fällen finden, daß unser Verf. die verwickelten Schönheiten nur deswegen so sorgfältig zergliedert, damit er die verschiede nen Verrichtungen der Seele wahrnehmen möge, welche zusammenkommen müssen, eine solche Schönheit zu erfinden.

So lehrreich und wichtig indessen diese Subtilitäten in einem System immer seyn können, eben so trocken und unfruchtbar werden sie unter der Hand des Recensenten werden, der einen Auszug daraus liefern soll. Wenn er von einem fleischigen Körper nichts mehr als das Gerippe zeigen kann, so wird von einem Gerippe unter seinen Hånden kaum der Drath übrig bleiben, auf welchem die Glieder angereiht sind.

Wir werden also unsere Leser entweder auf den Hrn. Prof. Baumgarten selbst, oder auf den Hrn. Prof. Meier verweisen müssen, welcher uns die Lehre von der ästhetischen Gewißheit mehr nach dem Sinn des Erfinders ausgeführt zu haben scheint, als die Lehre von dem ästhetischen Lichte.

Nur einige Anmerkungen erlaube man uns noch über den XXXVIII. Abschnitt, welchen der Hr. Verf. thaumaturgia IV, 1.

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aesthetica betitelt hat. Admiratio, sagt Hr. Prof. Baumgarten, est intuitus novitatis. Dieses verdeutscht Hr. Meier:,,die ,,Verwunderung ist eine anschauende Erkenntniß der Neuigkeit". Aus der Verwunderung entspringt die Neubegierde, und die Neubegierde macht die Aufmerksamkeit rege. Die Kunst, durch die Verwunderung die Neubegierde, und durch diese die Aufmerksamkeit zu erregen, wird von beiden Schriftstellern die ,,ästhetische Thaumaturgie“ genannt.

Alle schönen Gedanken müssen in einem gewissen Verstande neu, d. i. nach dem Hrn. Prof. Meier wunderbar seyn. Daraus folgert dieser Schriftsteller, daß das Wunderbare in allen schönen Gedanken statt finde, fie mögen niedrig oder erhaben. feyn. Es ist ein Irrthum", seht er hinzu,,,wenn man das ,,Wunderbare allein in das Ausnehmende und Große einschränken ,,will. Wir können mit Recht fordern, daß alle schöne Gedanken ,,wunderbar seyn müssen, wenn es der ganze Inbegriff aller ,,ästhetischen Regeln erlaubt".

Wo wir nicht irren, so haben diese Weltweisen das Neue, das Wunderbare und das Bewunderns würdige (novum, mirabile, admirabile) mit einander vermengt. Eine Sache ist neu, wenn wir sie entweder noch gar nicht, oder noch nie von dieser Seite erkannt haben. Sie ist wunderbar, wenn sie übernatürlich ist, und ästhetisch wunderbar, wenn sie dem schönen Verstande (analogo rationis) übernatürlich scheint. Hingegen bewundernswürdig ist sie nicht eher, als wenn wir eine gute Eigenschaft, eine Vollkommenheit an derselben wahrgenommen, die unsere Erwartung übertrifft *). Verwundern und be wundern sind im Deutschen von eben so verschiedener Bedeutung, als im Lateinischen mirari und admirari. Man verwundert sich über eine Sache, die dem Laufe der Natur zuwider zu seyn scheint; man bewundert hingegen nur erhabene Dinge, an denen wir eine vorzügliche Vollkommenheit wahrnehmen. Der Gegenstand ist in jenem Falle wunderbar oder verwundernswür dig, in diesem aber müßte er bewundernswürdig genannt werden.

*) Admirantur communiter illi (homines) omnia, quae magna et praeter opinionem suam animadvertunt; separatim autem in singulis, si perspiciunt nec opinata quaedam bona.

Cic. de offic. lib. II. 10.

Man wird also wohl sagen können: alle schönen Gedanken müssen neu seyn, d. h. man muß sie noch gar nicht, oder selten von dieser Seite betrachtet haben; daraus aber folgt nicht, daß alle schöne Gedanken auch wunderbar seyn müssen. Dieses sind sie nur alsdann, wenn sie Wunderdinge betreffen, als z. B. die Zwischenkunft der Götter und anderer übernatürlichen Wesen, die an den menschlichen Begebenheiten Theil nehmen. Mirabile dictu, fagt Virgil, wenn er Begebenheiten erzählt, die übernatürlich find. Die Bewunderung endlich bleibt für erhabene Gegenstånde, und entspringt aus der anschauenden Erkenntniß einer ungewöhnlichen Vollkommenheit. Des Cartes *) sagt zwar: ,,à l'admiration est jointe l'estime ou le mépris, selon que ,,c'est la grandeur d'un objet ou sa petitesse, que nous „admirons"; allein dieses ist allem Sprachgebrauch zuwider. Wer hat jemals von einer verächtlichen Sache gesagt, sie ver= diene Bewunderung, und zwar bloß ihrer Kleinfügigkeit halber? Wenigstens scheint die deutsche Sprache diese Verwirrung nicht zu vertragen, sondern verwundern und bewundern sorgfältig von einander zu unterscheiden.

Wir halten uns vielleicht über eine Kleinigkeit auf. Allein diese Kleinigkeit kann in dem practischen Theile der Ästhetik, und besonders in der Lehre von der Epopee wichtige Folgen haben. Möchte doch der Himmel unserm großen Weltweisen Kräfte ge= nug verleihen, den theoretischen Theil der Ästhetik zu vollenden, und auch den practischen Theil mit der ihm eigenen Gründlichkeit auszuarbeiten! Wie vieles würde sich alsdann aufklåren, das uns jest dunkel und unbegreiflich ist!

*) Les Passions de l'ame, Article LIV.

An Essay on the Writings and Genius of Pope, Vol. I. London, printed for M. Cooper at the Globe in Paternoster Row. MDCCLVI. 334 Seiten in gr. 8o.

Das ist:

Versuch über Pope's Schriften und Genie, erster Theil. (aus der Bibliothek der schönen Wiss. und der fr. K. Bd. 4. Stück 1. 1758 . 500-532 und Stück 2. 1759. S. 628-669.)

Der Name eines Pope ist auch unter uns allzu berühmt, als daß ein Werk über dessen Genie und Schriften, welches mit so vieler Einsicht abgefaßt ist, als das gegenwärtige, nicht einen jeden Liebhaber der schönen Wissenschaften interessiren sollte. Diejenigen von unsern Lesern, welche die Schriften dieses unsterblichen Dichters nicht in der Ursprache gelesen, werden ihn doch vermuthlich aus einigen guten und schlechten übersehungen haben kennen lernen. Es ist wahr, die besten prosaischen Übersehungen eines Gedichts sind mit der umgekehrten Seite einer gewirkten Tapete zu vergleichen. Diese Vergleichung hat in Anfehung solcher Dichter, wie Boileau und Pope, die allergenaueste Richtigkeit; denn ein großer Theil ihrer Verdienste besteht in der überaus reinen Diction und in dem vortrefflichen Wohlklange ihrer Verse; und was kann hiervon in einer prosaischen Übersegung übrig bleiben?..

Dem fei, wie ihm wolle, so glauben wir dennoch, daß ein Auszug aus diesem kritischen Versuche auch demjenigen ́ Theile von unsern Lesern, welche der engländischen Sprache nicht kundig sind, angenehm seyn werde. Außer dem gründlichen Geschmacke und der wohlangebrachten Belesenheit, welche aus dieser Schrift allenthalben hervorleuchtet; werden sie nicht ohne Vergnügen bemerken, wie streng man außerhalb Deutschland, die größten Dichter zu beurtheilen gewohnt ist, und wie sehr man einen Dichter verehren kann, ohne alles, was aus seiner Feder geflossen ist, für Meisterstücke zu halten. Wir haben uns bemüht, die Stellen aus den engländischen Dichtern, die wir anführen mußten, in deutsche Verse, bald mit, bald ohne Reime, zu übersehen. Wer das Engländische versteht, der findet das Original dabei, und

mag sich bei unserer Überseßung nicht aufhalten. Wer es aber nicht versteht, wird es uns vermuthlich Dank wissen, so unvoll= kommen auch unsere übersehung gerathen seyn dürfte. mag uns auch allenfalls tadeln; wir wollen uns gewiß nicht mit der Herausforderung schüßen, der Tadler folle es besser machen. Noch eine Entschuldigung für die Weitläuftigkeit dieses Auszugs! doch wir werden entweder keine brauchen, oder man wird keine von uns annehmen. Wir eilen also zur Sache.

In der Zueignungsschrift an Dr. Young sagt unser Verfaffer: Ich habe Hochachtung für das Andenken eines Pope, ,,ich verehre seine Talente; aber ich glaube nicht, daß er die ,,Vollkommenheit in seiner Kunst erreicht habe. In derjenigen „Art von Gedichten, auf welche er sich vorzüglich gelegt, find „ihm zwar alle andere Schriftsteller nachzusehen; aber eben diese ,,Art, glaube ich, ist die vortrefflichste nicht in seiner Kunst. Man ,,giebt, wie es scheint, auf den Unterschied nicht genug Achtung zwischen einem wißigen Kopfe, einem sinnreichen Schriftsteller (a man of sense) und einem wahren Dichter". Donne und Swift, Fontenelle und La Motte hålt unser Kunstrichter für mißige und scharfsinnige Köpfe, aber für nichts weniger als für Dichter. Die allergründlichsten Beobachtungen des sittlichen Lebens der Menschen sind nach seiner Meinung, wenn sie auch noch so kurz und so lebhaft vorgetragen werden, moralische Ausarbeitungen, aber keine Poesie; und Boileau's gereimte Briefe verdienen ihm eben so wenig den Namen Poesie, als die Cha= raktere des La Bruyère in Profa. Eine schöpferische und ,,glühende Einbildungskraft", seht er hinzu,,,acer spiritus ac „vis, und nichts anders als diese, ist das wahre Kennzeichen ,,eines gepriesenen und ungemeinen Talents, das so Wenige be= „sigen, und von welchem nur so Wenige urtheilen können".

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Wir wissen nicht, ob man mit dem Namen Poet nicht etwas freigebiger seyn könnte; ob ihn z. B. ein Haller nicht eben so gut verdiene, als ein Klopstock. Vielleicht ist es überall nichts als ein Wortstreit; denn wer weiß, ob ein scharfsinniger Kopf" in dem Verstande, in welchem dieses Wort hier genommen wird, nicht ein eben so großer Vorzug' sei, als eine „glühende und schöpferische Imagination"? Indessen scheint unser Schriftsteller von seiner Meinung so sehr überzeugt zu seyn, daß er in der Folge seiner Zueignungsschrift kein Bedenken trägt, zu dem berühmten Young zu sagen: Håtten Sie nichts anders als

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