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Bewegungen, und endlich in den Tönen und Farben näher erklåren zu können. Dieses fordert man mit Recht von einer Ästhetik, von einer Theorie der Schönheit überhaupt.

Betrachtet man aber die Ästhetik das Hrn. Prof. Baumgarten, oder die Anfangsgründe des Hrn. Meier (denn die leßtern sind nichts als eine weitläuftigere Ausführung der erstern), so scheint es, als wenn man bei der ganzen Einrichtung des Werks bloß die schönen Wissenschaften, d. i. die Poesie und Beredsamkeit, zum Augenmerke gehabt hätte. Nicht nur alle Beispiele sind aus diesen entlehnt (welches gewiß unschicklich ist, wenn die Grundsäße und Erklärungen allgemein seyn sollen), sondern der ansehnlichste Theil der abgehandelten Materien bezieht sich offenbar bloß auf die Poesie und Beredsamkeit; und wo die Erklärungen irgend ja allgemein sind, da zeigt es sich mehrentheils, daß sie nur in Absicht auf diese Gattung der schönen Erkenntniß die Fruchtbarkeit haben, welche man sich von den Erklärungen eines Baumgarten versprechen kann, in den übrigen schönen Künsten aber von keinen erheblichen Folgen sind.

Man glaube ja nicht, daß man nur die Natur der untern Kräfte zu untersuchen habe, um auf Folgerungen zu gelangen, die in allen schönen Künsten und Wissenschaften zu fruchtbaren Grundsäßen dienen können. Dieser Leitfaden führt uns nicht sehr weit. So wenig der Weltweise die Erscheinungen in der Natur, ohne Beispiele der Erfahrungen, bloß durch Schlüsse a priori errathen kann, eben so wenig kann er die Erscheinungen in der schönen Welt, wenn man sich so ausdrücken darf, ohne fleißige Beobachtungen ergründen. Der sicherste Weg allhier, so wie in der Naturlehre, ist dieser: man muß gewiffe Erfahrungen annehmen, den Grund derselben allenfalls durch eine Hypothese erklåren, alsdann diese Hypothese gegen Erfahrungen von einer ganz verschiedenen Gattung halten, und nur diejenigen Hypothesen, welche durchgehends Stich halten, für allgemeine Grundsäte annehmen; diese Grundsäße muß man endlich in der Naturlehre durch die Natur der Körper und der Bewegung, in der Ästhetik aber durch die Natur der untern Kräfte unserer Seele zu erklåren suchen. Alsdann nur kann man hoffen, ein System aufzurichten, das mit der Natur und mit der Wahrheit übereinkömmt, und eben so gründlich als fruchtbar ist.

Versucht man dieses, so wird man erfahren, daß uns eine jede besondere Art der schönen Künste auf Entdeckungen leitet,

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die sich nachher zwar mit einiger Veränderung auf alle Arten derselben anwenden lassen, auf welche uns aber weder die Vernunft, noch die fleißigste Beobachtung der übrigen Künste gebracht haben würde. Eine Anmerkung, die in der Musik z. B. klar und leicht zu machen ist, kann nach geschehener Reduction ihren Nußen in der Baukunst und Malerei haben, ob sie gleich ohne diesen Kunstgriff der Erfindungskunst vielleicht niemals in derselben entdeckt worden wäre. So bringt uns die Beobachtung, daß diejenigen Laute, deren Schwingungen sich in leicht zu fassenden Verhältnissen ausdrücken lassen, wohlklingend, und im Gegentheile übellautend sind, auf die Entdeckung der Ursache, warum ein allzu sehr verschlungener Tanz, warum gothische Zierrathen an einem Gebäude, ob sie gleich einer gewissen Ordnung folgen, dennoch nicht gefallen können. Die Austheilung von Licht und Schatten in der Malerei führt uns auf die allgemeine Lehre von dem ästhetischen Lichte und dem ästhetischen Schatten, die in allen schönen Künsten und Wissenschaften von unsäglichem Nußen sind, u. s. w.

Eine Ästhetik also, deren Grundsåge bloß entweder a priori geschlossen, oder bloß von der Poesie und Beredsamkeit ab= strahirt worden sind, muß in Ansehung dessen, was sie hätte werden können, wenn man die Geheimnisse aller Künste zu Rathe gezogen hätte, ziemlich eingeschränkt und unfruchtbar seyn. Daß aber die Baumgarten'sche Ästhetik wirklich diese eingeschränkte Gränzen hat, ist gar nicht zu läugnen. Wir wollen die Hauptstücke der deutschen Ästhetik zu diesem Endzwecke vor uns neh men, weil diese bis jest vollständiger ist als die lateinische.

Der erste Theil der Meier'schen Anfangsgründe handelt von den verschiedenen Arten der Schönheit der sinnlichen Erkennt niß. Allein man findet nichts anders erwähnt, als die Schónheit der Gedanken. Der Figuren, Linien, Bewegung, Töne und Farben wird mit keiner Sylbe gedacht; und alle`Lehren und Grundsäge sind so vorgetragen, als wenn diese lehteren Schönheiten gar keinen Anspruch auf dieselben machen könnten. Die verschiedenen Grade des Styls, der ästhetische Reichthum, Größe und Würde, das sinnliche Leben u. f. w. sind nur in Absicht auf solche Schönheiten ausgeführt worden, welche vermittelst der Sprache ausgedrückt werden; und dieses sind die Poesie und die Beredsamkeit.

Der zweite Theil handelt von den finnlichen Kräften der

Seele, und von ihrer Verbesserung. Dieser Theil ist zwar sehr philosophisch ausgeführt, allein er gehört theils zur Ethik, theils zur Psychologie. Die allgemeine Ästhetik seht ihn viel mehr zum voraus, als daß sie sich aufhalten sollte, ihn zu lehren. Dieser Einwurf ist von keiner Erheblichkeit. Wir gestehen es gern: man kann aber so viel daraus ersehen, daß der zweite Theil nicht tiefer in die Geheimnisse der schönen Künste eindringe, als der erste.

In dem dritten Theile wird erstlich von schönen Begriffen, schönen Urtheilen und schönen Schlüssen gehandelt. Übermals nichts von den Künsten. Statt der Lehre von der ästhetischen Methode, welche hierauf folgt, hatten wir eine allgemeine Theorie der ästhetischen Ordnung erwartet, welche nicht nur auf die schöne Lehrart, sondern auch auf die Ordnung in der Baukunst, auf die Ordnung in der Malerei, so wie auf die Ordnung in der Musik muß angewendet werden können. Endlich folgt die Semiotik, oder die Lehre von der Bezeichnung der Gedanken. Allhier wird nun ausdrücklich bloß von willkührlichen Zeichen gehandelt. Kaum wird §. 711. 712. der natürlichen Zeichen mit einigen Worten gedacht, so fährt Hr. Meier schon §. 713. fort: ,,weil die Rede das vornehmste Zeichen schöner Gedanken ist, so ,,will ich bloß die Grundregeln festseßen, nach welchen die Schön,,heiten der Rede bestimmt werden müssen". Wir halten zwar die Rede für das vornehmste Zeichen der Gedanken", aber nicht der Schönheiten". Man übergeht unsers Erachtens den wichtigsten Theil der Semiotik, wenn man nicht auch ausführlich und fruchtbar von den natürlichen Zeichen der Schönheit, von ihrer Verbindung mit den willkührlichen, von ihren Gränzen in einer jeden Kunst u. s. w., insoweit sie zur allgemeinen theoretischen Ästhetik gehören, handeln will.

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Alle diese Anmerkungen finden nur alsdann statt, wenn man die Ästhetik als die allgemeine Theorie aller schönen Wissenschaften und Künste angesehen wissen will. War aber die Abficht des Erfinders, bloß die allgemeine Theorie der Dichtkunst und Beredsamkeit zu schreiben, so kann man dieses Werk für eines von den wichtigsten unter den philosophischen Schriften halten, die Deutschland Ehre bringen. Die Weltweisheit macht dadurch eine neue Eroberung, und eignet sich einen ganzen Theil der menschlichen Erkenntniß zu, der man vorher den Namen Wissenschaft nicht geben konnte, ohne dieses Wort zu mißbrauchen.

Alle Liebhaber der schönen Wissenschaften wünschen ohne Zweifel dem Hrn. Prof. Baumgarten Gesundheit und Muße, annoch den practischen Theil" hinzuzuthun, damit ein Anderer auf diesen Grund bauen und eine philosophische Poetik und Rhetorik verfertigen könne, in welcher die Erklärungen eben so bestimmt, die Beweise eben so überzeugend und so bündig wären, als man sie in allen übrigen Theilen der Weltweisheit zu finden gewohnt ist.

Das Recht der Vernunft, in fünf Büchern, von M. G. Lichtwer, Königl. Preuß. Hof- und Regierungs-Rath_im Fürstenthum Halberstadt. Leipzig, verlegt's Bernhard Christoph Breitkopf 1758, 127 S. in 4o.

(aus der Bibliothek der schönen Wiss. und der fr. K. Bd. 3. Stúďk 2. 1758. G. 263-280.)

Herr Lichtwer, der mit seinen Fabeln den Beifall der Kenner erworben, wagt sich jest in ein ander Feld, in das weitläuftige Feld des Lehrgedichtes, und trägt die wichtigsten Wahrheiten des Rechts der Natur und der Sittenlehre in der Sprache der Dichter vor.

Einige Kunstrichter scheinen Fabeln und Lehrgedichte für Werke von einerlei Art zu halten, weil beide moralische Gedichte sind. Es wird nöthig seyn, dieses Vorurtheil zu widerlegen, bevor wir fortfahren. Was ist eine Fabel? Der Vortrag einer allgemeinen Marime, eines allgemeinen Lehrfaßes, auf eine ein zelne schöne Erdichtung angewendet. Der Fabeldichter wählt also einen allgemeinen Sas; giebt dem Prädicat sowohl als dem Subject alle die Bestimmungen wieder, die der Weltweise davon abgesondert hat, und führt sie dadurch auf eine individuelle Begebenheit zurück. Diese Begebenheit verwandelt er in eine schöne Geschichte, die er in einen schönen Ausdruck einkleidet, und entweder dramatisch oder historisch vorträgt. Um die Beweise feines Sakes bekümmert er sich nicht. Das Exempel ist ihm Beweises genug.

Der didactische Dichter hingegen ist ein Weltweiser. Er trågt eine Menge Lehren, eine Menge Wahrheiten in ihrem Zusammenhange vor, unterstüßt sie durch Gründe, erläutert sie durch Beispiele, und weiß den allerabgesondertsten Begriffen den Grad der Lebhaftigkeit zu geben, der zur schönen Erkenntniß erfordert wird. Die Fabel und das Lehrgedicht beschäftigen also ganz verschiedene Seelenkräfte, und erfordern ganz verschiedene Talente, die man selten bei einem Dichter in eben dem Grade antreffen wird. Ist ein großer Haller in dem Lehrgedichte vortrefflich, und in der Fabel nur mittelmäßig, so kann ein an= derer Dichter um so viel eher in jener Art ein Muster seyn, und in dieser sich kaum über das Mittelmäßige erheben.

Unsere Leser mågen urtheilen, inwieweit diese Betrachtung auf unsern Dichter angewendet werden könne. Das Lehrgedicht ist die einzige Gattung, in welcher wir unsere Nachbarn, die Franzosen, übertreffen, und den Engländern gleich kommen. Die vortrefflichen Stücke, die wir von dieser Art besißen, haben unfern Geschmack verwöhnt. Wir erwarten allenthalben den denkenden Kopf und den Dichter, und sind gewohnt, jeden Vers der strengsten Kritik zu unterwerfen.

Zwar übersieht man gern nach Horazens Rath einzelne Flecken in einem Gedichte, wenn sich die mehresten Stellen durch ungemeine Schönheiten ausnehmen. Wenn sich aber ein Gedicht nie über das Mittelmäßige erhebt, und die besten Stellen darin kaum etwas mehr als erträglich sind, so beleidigt uns der kleinste Fehler, die geringste Unrichtigkeit, die wir in einem bessern Gedichte kaum gemerkt haben würden.

Wenn unser Dichter auch die trockne Art von Lehrgedichten gewählt hat, in welcher man weniger große Schönheiten. erwartet, so hätte er auch bedenken sollen, daß Lucrez nur alsdann trocken ist, wenn er die Spitfindigkeiten des epikurischen Lehrgebäudes vortrågt; daß er aber öfters den Ton verändert, sein System verlåßt, und seiner poetischen Ader den freien Lauf läßt; ja daß Lucrez die trocknen Stellen selbst durch Kürze und Deutlichkeit angenehm zu machen gewußt hat:

obscura de re tam lucida pango

Carmina, musaeo contingens cuncta lepore. (Luer, lib. IV.)

Das Werk ist keines Auszuges fähig. Der Verf. hat, wie er in der Vorrede selbst erinnert, die Hauptlehren des natürlichen

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