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daß die Verfassung darunter leide. Daher manche Staatsrevolution, die in der kleinsten Volksregierung nicht ohne heftige Erschütterungen vorgenommen werden kann, in großen despotischen Reichen, oft ohne alles Ungemach, das Spiel einer Viertelstunde seyn kann.

Man sieht hieraus, wie der Begriff von stillschweigenden Verträgen und der Grundsah von der Verpflichtung zum Gehorsam nicht nur gar wohl neben einander bestehen können, sondern auch sich einander bestimmen und ins Licht sehen. Wer in einer Gesellschaft bleibt und sich die Vortheile und Rechte der Gesellschaft zu Nuke macht, der versteht sich eben dadurch stillschweigend zur öffentlichen Verbindlichkeit, und übernimmt die. gesellschaftlichen Pflichten. Ja er versteht sich eben dadurch zur Unterwürfigkeit und zum Gehorsam, im Falle die durchgängige Einstimmung nicht zu erhalten oder ohne größere Gefahr nicht abzuwarten ist. Durch diese stillschweigende Einwilligung geht also die innere Verpflichtung, sich der Führung eines Bessern zu überlassen, in eine äußere vollkommene Verpflichtung über; und ein Nothfall macht denjenigen zum Tüchtigsten, der die Gewalt in Hånden hat, und dem sie ohne Gefahr nicht entrissen werden kann. Denn in diesem Falle ist der Zwang des Gehorsams ein geringeres Elend, als der unzeitige Gebrauch der Freiheit. Die Frage: ob und wie weit es einem Cardinal Richelieu oder Mazarin erlaubt gewesen wäre, sich die Oberherrschaft anzumaßen, läßt sich nach diesen Grundsägen leicht entscheiden. Der Regent mag durch überredung oder Macht, durch List oder Zufall zur Regierung gelangt seyn; sobald jedes Mitglied der Gesellschaft sich die Vortheile gefallen ließ, die aus dieser Verfassung entspringen, so hat die Nation stillschweigend in die Bedingung eingewilligt, und das unvollkommene Recht des Regenten ist in ein vollkommenes Zwangsrecht übergegangen. Der Fall ergiebt sich von selbst, in welchem eine Revolution unvermeidlich wird, und jedem Staatsglied, das die Macht hat, auch die Befugniß zuwächst, der Gesellschaft einen bessern Führer zu geben.

Ich habe diesen Auffah långer als gewöhnlich aufgehalten, um mir Zeit zu lassen, etwas ausführliches über diese weit um fich greifende Materie zu sagen. Am Ende habe ich mir dennoch selbst nicht Genüge gethan, und muß sowohl um Nachsicht, als um Verzeihung bitten.

IV, I.

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Die Bemerkungen des Hrn. D. C. R. Dieterich über den in der That paradoxen Aufsaß des Hrn. Prof. Kant sind eben so richtig als gründlich, und verdienen es, daß man den von Hrn. Kant freigegebenen öffentlichen Gebrauch davon mache. Indessen dünkt mich, daß einiges davon dem Hrn. Kant nicht gänzlich entgangen sei. Er ist vielleicht mehr im Ausdrucke, als in den Gedanken paradox.

1.

Was Hr. Dieterich Aufklärung heißt, nennt Hr. Kant Aufgeklärtheit, und unterscheidet es ausdrücklich von der Aufklärung. Der Unterschied scheint in der That nicht umsonst in der Sprache zu liegen. Aufklärung ist der Zustand, in welchem die Bemühung, sich von Vorurtheilen zu befreien und in wichtigen Dingen des Lebens vernünftigen Grundsägen zu folgen, herrschend geworden ist. Aufgeklärtheit aber verdient der Zustand genannt zu werden, in welchem die Vorurtheile ab= geschafft und die vernünftigen Grundsähe selbst herrschend gewor den sind. Beide Hauptwörter scheinen dor französischen Sprache zu fehlen, und machen einen Vorzug unserer Muttersprache aus, die dergleichen Abstracta nach Gefallen bilden kann. Zustand der Aufklärung ist zuweilen besser, als Zustand der Aufgeklärtheit. Wenn der Widerstand gehoben ist, so erschlafft die Federkraft. Der Trieb zur Wahrheit verliert seinen Sporn, und die herrschenden Grundsäge verkennen die Vernunft, von der sie herstammen, und hören auf vernünftig zu seyn. Ohne Kampf mit Vorurtheilen verwandelt sich die Vernunft selbst in eine frostige Nachahmung, und der Trieb zur Originalität führt wieder zu Vorurtheil und Aberglauben zurück.

2.

Was Hr. Kant öffentlichen und Privatgebrauch der Vernunft nennt, hat bloß etwas fremdes im Ausdrucke. Wenn ich ihn recht verstehe, so unterscheidet er bloß Berufsgeschäfte von Außerberufsgeschäften. Berufsgeschäfte sind diejenigen öffentlichen Verrichtungen, die mir von der Gesellschaft aufgetragen sind. In Ansehung dieser bin ich verbunė den, mich der Mehrheit der Stimmen zu unterwerfen, weil ich sonst, wie Hr. Klein richtig bemerkt, einen Eingriff in die Freiheit Anderer thun und meine Vernunft Andern aufdringen

würde. Die Berufsgeschäfte können nur auf Eine Weise verrichtet werden, entweder nach der Gesinnung der Mehreren oder nach der Gesinnung der Wenigern. Jenes also muß geschehen, wenn die Gesellschaft bestehen soll. Außerberufsgeschäfte aber find solche Verrichtungen, in welchen jedem Bürger seine Freiheit und Willkühr gelassen werden muß, sobald die Nation im Zustande der Aufklärung ist. Diese Freiheit in Außerberufsgeschäften nennt Hr. Kant öffentlichen Gebrauch der Vernunft. Er will sie aber, so viel ich einsehen kann, nicht bloß auf Freiheit der Presse und des Schriftstellers einschränken, sondern wird gern einem jeden Volkslehrer die Freiheit gönnen, Vorurtheile zu bekämpfen und Wahrheit auszubreiten, so oft er nicht in Amt und Beruf ist.

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3.

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Aber auch alsdann, wenn der Lehrer in Amt und Beruf ist, wird er sehr oft berechtigt seyn, den Grundsägen zu widersprechen, auf welche er angenommen worden, und Neuerung einführen. Es ist wider den Vertrag," sagt man,,,den er mit der Gemeine eingegangen." Ich antworte: es muß mir zuweilen erlaubt, ja sogar meine Schuldigkeit seyn, wider einen Vertrag zu handeln, und zwar unter folgenden Bedingungen. 1) Ich muß überführt seyn, daß es zum Besten des Gegentheils selbst geschehe, und er bei besserer Einsicht mein Verfahren billigen werde. 2) Sobald diese bessere Einsicht nicht erfolgt, und von Seiten der Gegenparthei auf Haltung des Vertrages ge= drungen wird, so muß ich willig seyn, von meinem Vorhaben abzustehen, und mir nicht das Recht anmaßen, ihr meine Einsicht aufzudringen. 3) Endlich muß ich die feste Entschließung haben, alle Folgen und Gefahren der eingeführten Neuerung, Schadloshaltung und Bestrafung, Verachtung und Verfolgung über mich ergehen, und keinen Dritten darunter büßen zu lassen.

Unter diesen Bedingungen, sollte ich glauben, haben sich die weisen Volkslehrer, die wir alle in Gedanken haben, in ih rem öffentlichen Berufsvortrage selbst erlauben können, Neuerung einzuführen. Sie waren bei sich überführt, daß es zum Besten der Gemeine selbst geschehe, die sie angenommen, und konnten voraussehen, daß es ihnen gelingen werde, fie davon zu überzeugen. Gelang es ihnen nicht, und es erfolgte Verwehrung von Seiten der Obrigkeit oder desjenigen Theils, der sie

verpflichtet hatte, so waren fie willig, abzustehen und ihr Umt niederzulegen. Endlich trauen wir alle ihnen den festen Muth zu, alle Folgen geduldig zu ertragen, die eine Neuerung in Religionssachen mit sich führt, wenn das Volk dazu nicht vorbereitet oder der Lehrer nicht behutsam genug dabei verfahren ist. Sie hatten im Falle des Widerspruchs die völlige Schadloshaltung übernommen, jeden Ersak, jede Ahndung und Bestrafung sich gefallen lassen, welche die Gegenparthei darauf sehen werde; und waren also berechtigt, so lange wider den Vertrag zu handeln, bis es ihnen mit gehörigem Nachdruck untersagt wurde.

Sonderung der Ämter und Stånde.

Ich las den Auffah des Hrn. B., und war von seiner Meinung völlig überführt; allein des Hrn. S. Gegengründe schienen eben so einleuchtend, und nun war ich wieder ungewiß. Sollten sich beide Partheien nicht mit einander vergleichen laffen? — Ein paar flüchtige Gedanken will ich hinwerfen, die vielleicht etwas dazu beitragen können.

Zuvorderst dunkt mich, müsse man Ämter und Stånde unterscheiden. Was für die Ämter nüßlich ist, kann für die Stände schädlich seyn, und umgekehrt. In großen Staaten, wo die Geschäfte sich häufen, ist es nühlich, sie immer mehr und mehr abzufondern; aber die Stånde müssen desto mehr in Verbindung gebracht werden, je mehr die Ämter sie zur Trennung geneigt machen. Sowohl das Intereffe des Staates, als das Interesse der Menschheit scheint dieses vorzuschreiben. Tyrannen suchen die Menschen zu vereinzelnen, weise Regierungen begünstigen alle Arten von Vereinigung.

Die Menschen scheinen von je her das Ungemach, welches aus der Sonderung der Ämter entsteht, empfunden zu haben; sie sind zu allen Zeiten darauf bedacht gewesen, die Stände durch allerlei Verbindungen wieder nåher zusammenzubringen; daher die Brüderschaften, Orden, Gilden u. s. w., in welchen die getrennten Stände wieder in Verbindung gebracht wurden. Ich halte dafür, solche Verbindungen seien der Menschheit nüßlich, wenn sie auch keinen unmittelbaren Zweck haben, auf

welchen sie losgehen, oder dieser mit der Zeit sich verloren hat. In der Berlinischen Monatsschrift wurden lehthin die Schüßengilden lächerlich gemacht, welche in Berlin und andern Städten Deutschlands eingeführt sind. Ich kann dieses nicht billigen. Sie haben in unsern Zeiten keinen nüßlichen Endzweck mehr, sagt man, und sollten abgeschafft werden. - Sie haben keinen schädlichen, antworte ich, und sollten daher beibehalten werden. Stört keine Verbindung unter den Menschen; nehmt ihnen keine Gelegenheit, sich einander zu sehen, und in Gesellschaft allenfalls ein eiteles Spiel zu treiben. Hat die Verbindung nur nichts schädliches zur Absicht, so ist sie bloß als Verbindung schon nůßlich. Was das Interesse der Gesellschaft von der einen Seite getrennt hat, mag das Bedürfniß der Geselligkeit von der andern wieder zusammenfügen. Gebt der Verbindung einen bessern Endzweck, wenn es möglich ist, aber löst sie nicht auf, wenn sie auch gar keinen hat.

Ferner läßt sich in den Ämtern selbst ein Unterschied be= merken, der auf den Vortheil und Nachtheil der Trennung nicht ohne Einfluß ist. Die Geschäfte des menschlichen Lebens sind von dreierlei Art. Einige derselben erfordern bloß Routine. Die Arbeiten sollen nach einem festgesetten Plane und nach bestimm ten Regeln gleichsam mechanisch verrichtet werden. Je größer die Abtheilung, desto leichter finden sich die Subjecte, die zu diesem niedern Grade von Fertigkeit aufgelegt sind. Andere hingegen erfordern schon mehr Anstrengung des Geistes und Erfindungskraft. Man soll nicht sowohl nach einem bestimmten Plane arbeiten, als Plane selbst entwerfen oder ausbessern. Ein solches Amt erfordert Übersicht des Ganzen, und Routine ist demselben öfters schädlich. Das Simplificiren in den Fabriken selbst trågt mehr zur Vervielfältigung der Erzeugnisse als zur Vervoll= kommnung der Kunst bei. Es vermehrt die Kunstsachen, indem es die Arbeit erleichtert; aber die Kunst selbst wird durch das Simplificiren nicht verbessert. Selten wird ein Handwerksmann, der einen Theil von einer Uhr mit Leichtigkeit verfertigen gelernt, eine neue Maschine dieser Art erfinden oder die Uhrmacherkunst verbessern. In den Wissenschaften selbst haben wir die wenigsten Erfindungen solchen Männern zu verdanken, die sich auf ein einziges Fach eingeschränkt haben. Erweiterung und Ausbreitung der Wissenschaft ist ihr beschiedenes Loos; zur Erfindung ist ihr Gesichtspunkt zu eingeschränkt.

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