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I.

Welche dichtungen Byron's sind als jugendschöpfungen zu bezeichnen, und wie äussert sich im allgemeinen der einfluss Pope's auf dieselben?

Die erste frage wird gewönlich dahin beantwortet, dass mit der ersten abreise von England die periode originellen schaffens bei Byron beginne; doch ist dies nur insofern richtig, als die während seiner reise in den orient geschriebenen zwei ersten gesänge des 'Childe Harold' wirklich schon den stempel der meisterschaft tragen. Aber die gleichzeitig mit diesen verfassten, nur viel später gedruckten satiren 'Hints from Horace', 'Curse of Minerva' und (zwei jahre darauf) 'the Waltz' bilden gerade mit den 1807 und 1808 veröffentlichten 'Hours of Idleness' und 'English Bards and Scotch Reviewers' jene gruppe von dichtungen, die ihrer unfertigkeit und geringeren originalität halber als jugenddichtungen bezeichnet werden

müssen.

Die 'Hours of Idleness' sind eine sammlung von gedichten, von denen manche bis in das knabenalter des dichters zurückreichen, doch aber schon eine menge von vielversprechenden schönheiten zeigen. Schon ihr weiterer titel: 'A series of poems, original and translated' verrät, dass man nicht an alle den massstab der originalität anlegen dürfe. Treffend beurteilt sie Byron's grosser zeitgenosse Scott im gegensatze zu der bekannten misgünstigen kritik in der 'Edinburgh Review' folgendermassen: 'Sie waren, wie alle jugenddichtungen, mehr aus der erinnerung an das, was dem autor bei andern gefallen

hatte, als aus eigener schöpfungskraft geschrieben; trotzdem enthielten sie nach meinem urteil so manche vielversprechende stelle.' Ihre weitern schicksale sind bekannt.

Die satire 'English Bards and Scotch Reviewers' erschien als entgegnung auf die schon erwähnte kritik in der 'Edinburgh Review' und ist weitaus die wertvollste aller dichtungen dieser periode; ärger und verletzter stolz verleihen ihr ein von den andern abstechendes originelles gepräge, und es ist nur zu beklagen, dass der mit ihr erzielte erfolg den dichter auf die seinem genius minder zusagende bahn der satire führte. Je mehr die spöttische aufnahme seiner zum grössern teile lyrischen 'Hours of Idleness' mit dem ungeteilten beifall, welcher der satire zu teil ward, im widerspruche stand, um so mehr glaubte Byron sich zu dieser befähigt und berufen.

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Schon die nächste satire 'Hints from Horace' zeigt einen gewaltigen rückschritt. Ihre kritische beleuchtung gehört nicht in dieses kapitel, nur ihrer schicksale sei hier kurz gedacht. Sie datiert ihrem ganzen umfange nach wenn wir dem autor glauben schenken wollen von einem tage, dem 12. März 1811 und zwar aus dem Capuchin convent in Athen. Im sommer nach England zurückgekehrt, übergab sie Byron seinem freunde Dallas zum drucke mit dem bemerken, es sei eine fortsetzung zu den 'English Bards and Scotch Reviewers' in der form einer paraphrase der Horazischen 'Ars poetica'. 'Er sagte, er halte die satire für seine force und verspreche sich wachsen seines ruhmes von ihr', teilt uns derselbe Dallas mit.1) Auf drängen seiner freunde liess sich aber Byron bewegen, zunächst die zwei ersten gesänge des 'Childe Harold' herauszugeben, und diese drängten die satire in den hintergrund. Schon im herbste finden wir sie nur noch beiläufig erwähnt; neun jahre darauf denkt Byron wieder an ihre veröffentlichung, aber erst nach seinem tode kam diese zu stande (1831).

Die dritte satire 'Curse of Minerva' erfuhr ein ähnliches schicksal. Hervorgerufen im jahre 1811 durch die nur zu gerechte entrüstung Byron's über den schacher mit griechischen altertümern, wurde sie bald fallen gelassen, um anstoss zu vermeiden, und nur teile derselben erblickten während der

1) Moore, Life of Byron p. 121.

lebenszeit des dichters das licht der öffentlichkeit. Sie steht an bedeutung zwischen den beiden ersten.

'The Waltz' endlich, wie der 'Curse of Minerva' eine politische satire, im gegensatz zu den beiden literarischen, übertrifft alle drei vorangegangenen und ist zugleich die einzige ächte satire, die Byron geschrieben, durch den mangel an persönlichen ausfällen und die stets gleiche lebhaftigkeit die früheren überragend. Sie bildet den übergang zu der besten periode im schaffen Byron's und datiert aus dem jahre 1813.

Keine der hier besprochenen dichtungen ist, wie schon bemerkt, durchaus originell. Den einfluss Alexander Pope's auf dieselben werden wir nachweisen: erstens durch die mehr oder minder hervortretende ähnlichkeit einzelner dichtungen; diese ist entweder eine innerliche, indem Byron den Popeschen gedankengang aufnimmt und in nicht abweichender weise ausspinnt, oder eine äusserliche mehr in form und reim hervortretende; zweitens durch die stets wachsende anerkennung, ja überschätzung seitens Byron's selbst, sei es nun direct in conversation, briefen und journalen, oder indirect durch öftere citate und verteidigung Popescher sentenzen.

Der erste teil der beweisführung bewegt sich mehr auf concretem, der zweite mehr auf abstractem gebiete; keiner von beiden ist ohne den andern vollkommen zureichend. Denn erwägt man den unterschied in der zeit der geburt (um genau 100 jahre), in den verhältnissen der familie und des staates, in der erziehung und den anlagen, in der lebensdauer und den schicksalen beider dichter einerseits, und zwischen tendenz, richtung und form ihrer reifern dichtungen anderseits, so erscheint die trennende kluft zu gross, das factum einer nachahmung zu unwahrscheinlich, als dass ein einseitiger beweis genügen könnte.

II.

Ordnen wir die jugenddichtungen Byron's nach dem grade ihrer originalität, so nimmt die satire 'Hints from Horace' die unterste stufe ein, und zwar ist es der 'Essay on Criticism' von Pope, dessen nachahmung hier vorliegt.

Sehen wir vorerst von fremdem urteile über die 'Hints from Horace' ab und fassen das des dichters selbst ins auge. Erst bezeichnet er die satire als eine paraphrase der Horaz

schen dichtung, gleich darauf aber nur noch als an dieselbe anklingend. Sie ist das eine wol eben so wenig als das andere: eine paraphrase wol, aber ebensogut der Boileauschen, Batteuxschen oder irgend einer Ars poetica, wie der Horazschen; eine 'anspielung', ja, aber nicht auf Horaz, sondern auf die englische literatur, die englische gesellschaft. Der kern und, abgesehen von der aufeinanderfolge der thesen, auch die form, d. i. structur und reim der verse, ist Pope entnommen. -'Ich habe nicht einen freund auf der welt', schreibt der dichter im herbste 1811 nach London 1), 'der das Latein des Horaz oder mein Englisch gut genug construieren könnte, um es dem drucke anzupassen'; ein armutszeugnis, das allein schlagend beweist, wie wenig eigenes die dichtung enthält. Kurz, die 'Hints from Horace' sind ein mittelding zwischen kunstlehre und spottgedicht (auf die heimischen verhältnisse), das nur insofern beachtung verdient, als es zeigt, wie viel und wie ausschliesslich Byron aus Pope schöpfte.

Auf die bedeutung des 'Essay on Criticism' als dichtung und kunstlehre an und für sich einzugehen, liegt nicht im rahmen dieser abhandlung. Es kann aber auch das verhältnis zwischen ihm und der Art poétique von Boileau hier nicht erörtert werden 2); nur in so weit muss diese letztere hier mit berücksichtigt werden, als sich direkte anklänge an dieselbe auffinden lassen, obwol es unentschieden gelassen werden muss, ob Byron sie in den betreffenden stellen vor augen hatte. Gehen wir nun zum eigentlichen vergleiche der beiden dichtungen von Pope und Byron über, so dürfen wir vor allem nicht daran anstoss nehmen, dass ihr inhalt nicht identisch, sondern nur verwant ist; gelten doch im allgemeinen alle regeln einer guten kritik auch für die dichtkunst (soweit hier überhaupt von regeln die rede sein kann), und umgekehrt. 'Both must alike from heaven derive their light.' Im einzelnen freilich sind kritik und dichtkunst wieder so verschieden, dass sich der vergleich nicht weiter ausdehnen lässt.

Was den umfang der beiden dichtungen betrifft, so differieren sie nur etwa um 30 verse: 770 hat die Popesche, 800

1) 13. October 1811. Brief an Mr. Hodgson.

2) Eine aufgabe, der übrigens neuestens dr. Deetz in Deutschland gerecht wurde im 'Alexander Pope; ein beitrag zur litteraturgeschichte des XVIII. jhds.' Leipzig 1876.

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die Byronsche. Vergegenwärtigen wir uns nun den inhalt derselben: Der 'Essay on Criticism' - bekanntlich die jugendarbeit Pope's, die seinen ruhm begründete zerfällt in drei teile: im ersten wird das verhältnis der dichtung zur kritik und die unbedingten erfordernisse der letzteren erörtert; diese sind in kurzem: masshalten, guter geschmack, studium der alten und der natur. Der zweite teil handelt von den ursachen, die eine schlechte kritik hervorbringen, als: mangelhaftes wissen, kleinlichkeit, unredlichkeit, parteilichkeit, vorurteile, neid. Der dritte teil endlich zeigt uns den kritiker von seiner besten und von seiner schlechtesten seite und schliesst mit einer aufzählung mustergültiger kritiker.

Die 'Hints from Horace' leiden vor allem am mangel einer strengen gliederung, die gerade ein hauptvorzug der Popeschen dichtung ist; kein einheitlicher gedanke hält die willkürlich und lose geordneten grundsätze zusammen. Als fehler in der dichtkunst zählen sie auf: ungereimtheit, unwahrscheinlichkeit (vor der nicht weniger als dreimal gewarnt wird), kleinlichkeit, festhalten an der schablone, überladung; als vorzüge: einfachheit, klarheit, masshalten und festhalten des themas, belesenheit, gefühlvolle sprache; als vorschriften, bald allgemeiner, bald besonderer art, je nachdem die dichtkunst als ganzes oder teile derselben besprochen werden: 'studiere die alten, verbinde kunst und natur, witz und bildung, licht und schatten, suche zu gefallen oder zu bessern; ahme grosse dichter nach folgt die aufzählung einzelner —, wähle den heldenvers für das erhabene, die stanze für die elegie, versuche dich nicht in idyllen, nimm rücksicht auf die menge und

verfolge stümper!' Von den eingeflochtenen anspielungen bezieht sich die eine auf den verstorbenen vater des dichters, die andere auf die englische gesellschaft.

Schon aus der allgemeinen ähnlichkeit, die im inhalt in der obigen gegenüberstellung hervortritt, liesse sich, wenn Pope's dichtung die einzige auf diesem gebiete vorangegangne wäre, auf nachahmung der ältern durch die jüngere schliessen; klar wird diese durch den vergleich einzelner, prägnanter abschnitte:

1) P.: First follow nature.

At once the source, and end, and test of art.

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